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Kommentar

Wenn der Rücken rappt – über den Einzug von Kriminalität in deutschen Rap

Rapper:innen, die eine schwer­kri­mi­nel­le Ver­gan­gen­heit haben, wer­den popu­lä­rer. Damit ein­her gehen pro­ble­ma­ti­sche Inhal­te und zu kri­ti­sie­ren­de Aus­sa­gen, aber auch authen­ti­sche Kunst, die es so vor­her nicht gab. Über posi­ti­ve Aspek­te und Pro­ble­me die­ser Entwicklung.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Simon mit der zuneh­men­den Popu­la­ri­tät von "ech­ten" Verbrecher:innen im Deutschrap-​Kosmos auseinander.

 

Es ist 15 Jah­re her, da ver­öf­fent­lich­te ein gewis­ser Rap­per das Album "Staats­feind Nr. 1", Mas­siv kam mit dem "Ghet­to­lied" um die Ecke und MOK releas­te die Plat­te "Muz­ik oder Knast". Gemein haben alle drei Releases nicht nur, dass sie von Ber­li­nern sind, son­dern auch, dass die Genann­ten zu der dama­li­gen Zeit als abso­lu­te Bad Boys der Sze­ne durch­gin­gen. Mit enor­mer Mit­tel­fin­ge­rat­ti­tü­de wur­den Geschich­ten erzählt und ein Image auf­ge­baut, des­sen Strahl­kraft in der Retro­spek­ti­ve kaum glaub­haft nach­emp­fun­den wer­den kann. Aus heu­ti­ger Sicht noch weit unglaub­li­cher ist die schein­ba­re Authen­ti­zi­tät, die damit ein­her­ging. So schien es für die damals früh­pu­ber­tä­ren geneig­ten Hörer:innen kom­plett glaub­wür­dig, dass die genann­ten Rap­per tat­säch­lich die abso­lut größ­ten Gano­ven im deutsch­spra­chi­gen Raum waren. Über 15 Jah­re spä­ter scheint es schon fast absurd, dass es akzep­tiert war, sich so uniro­nisch selbst zu erhö­hen. Dass Mas­siv ursprüng­lich nicht aus Ber­lin kommt, wur­de bei­spiels­wei­se mit "Che Gue­va­ra war auch kein Kuba­ner …" beant­wor­tet. Auch die vor­ge­wor­fe­ne Kör­per­ver­let­zung, die zum ein­gangs erwähn­ten Album­ti­tel "Staats­feind Nr. 1" führ­te, wirkt fast wie eine Lap­pa­lie ange­sichts der Ver­bre­chen und voll­zo­ge­nen Haft­stra­fen, von denen Rapper:innen heut­zu­ta­ge berichten.

Als ers­tes dürf­te einem da wahr­schein­lich der Bon­ner Xatar in den Kopf kom­men, nach dem, nach einem bei­na­he film­rei­fen Über­fall auf einen Geld­trans­por­ter, über Mona­te hin­weg inter­na­tio­nal gefahn­det wur­de. Ab 2010 muss­te er dann vier Jah­re im Gefäng­nis sit­zen und ist heu­te mit Sicher­heit einer der erfolg­reichs­ten Label-​Manager des Lan­des. Eine Zeit lang war die­se Geschich­te der rela­tiv allein­ste­hen­de Höhe­punkt in Bezug auf kri­mi­nel­le Rapper:innen. In den letz­ten Jah­ren ist aber eine wah­re Flut an Per­so­nen, die schon das ein oder ande­re Han­dy in den Knast schmug­geln las­sen muss­ten, über die Sze­ne her­ein­ge­bro­chen. Schwesta Ewa, O.G., Sugar MMFK, Omar: Die Lis­te lie­ße sich qua­si belie­big wei­ter fort­set­zen. Den bis­he­ri­gen Peak dürf­te die­se Ent­wick­lung mit dem Hype um Kol­ja Gold­stein erreicht haben. Der in Hol­land leben­de Rap­per erzählt in sei­nen Tracks von Auf­trags­mor­den, in Säu­re auf­ge­lös­ten Kol­le­gen und Kokain-​Millionendeals. Und das in einer Detail­liert­heit und Ein­dring­lich­keit, dass man durch­aus geneigt ist, ihm die Wor­te abzu­kau­fen. Die Bei­spie­le zei­gen: Men­schen, die ob ihrer Bio­gra­fie zuvor in Deutsch­land höchs­tens als der Rücken von bekann­ten Rapper:innen vor­stell­bar waren, sind inzwi­schen selbst bekann­te Musiker:innen und ver­öf­fent­li­chen zum Teil wirk­lich stark gerapp­te, gut pro­du­zier­te Songs.

Jetzt bringt die­se Ent­wick­lung meh­re­re pro­ble­ma­ti­sche Punk­te mit sich, für die Lösun­gen gefun­den wer­den wol­len. Zual­ler­erst soll­te aller­dings vor­an­ge­stellt wer­den, dass auf der einen Sei­te grund­sätz­lich wenig dage­gen ein­zu­wen­den ist, wenn Men­schen aus kri­mi­nel­len Milieus Musik machen. Abseits der mora­li­schen Frag­wür­dig­keit bestimm­ter Straf­ta­ten ist es ja legi­tim, Ver­gan­ge­nes zu ver­ar­bei­ten und davon zu berich­ten. Gera­de im Rap macht auch die­se über­all hoch­ge­hal­te­ne Authen­ti­zi­tät ja immer ein Stück der Fas­zi­na­ti­on für bestimm­te Künstler:innen aus. Ein Song wird nun­mal bes­ser, wenn man die Geschich­te abkauft, die erzählt wird. Zudem kön­nen eini­ge der oben Erwähn­ten auch ein­fach sehr gut rap­pen, was ja schluss­end­lich immer noch ein ent­schei­den­des Kri­te­ri­um sein soll­te. Und wenn ein:e Künstler:in durch Musik auch noch den kom­plet­ten Absprung aus der Kri­mi­na­li­tät schafft, wäre sogar Poli­zei und Innen­mi­nis­te­ri­en ein Gefal­len getan.

Auf der ande­ren Sei­te droht gera­de aus jour­na­lis­ti­scher Sicht eine wei­ter zuneh­men­de inhalt­li­che Ver­fla­chung im Umgang mit den ent­spre­chen­den Künstler:innen. So ist ein ange­mes­sen kri­ti­scher Umgang mit bestimm­ten Inhal­ten nur schwer vor­stell­bar, wenn von Adressat:innen eine so bedroh­li­che Aura aus­zu­ge­hen scheint. Anders aus­ge­drückt: Wie wirfst du Rapper:innen die Glo­ri­fi­zie­rung von Pro­sti­tu­ti­on vor, wenn du auf­grund einer kri­ti­schen Nach­fra­ge min­des­tens mit einer kör­per­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung rech­nen musst? HipHop-​Medien haben in einer sol­chen Situa­ti­on aktu­ell zwei Umgangs­for­men. Die eine ist, völ­lig unkri­tisch und abkum­pelnd mit der ent­spre­chen­den Per­son das nächs­te Album zu pro­mo­ten. Die ande­re ist, die­se Rapper:innen zu igno­rie­ren, um ihnen kei­ne Platt­form zu bie­ten und selbst dem Stress aus dem Weg zu gehen. In Anbe­tracht der Reich­wei­te, die Künstler:innen inzwi­schen über Social Media gene­rie­ren kön­nen, ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Promo-​Phase ähn­lich erfolg­reich und unkri­tisch bleibt wie bei der erst­ge­nann­ten Vari­an­te. Bei­de Umgangs­for­men sind kei­nes­falls ide­al. Opti­mal wäre es, wenn eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit bestimm­ten Inhal­ten von Rapper:innen mög­lich wäre, ohne Droh­an­ru­fe oder Schlim­me­res befürch­ten zu müs­sen. Um einen sol­chen Zustand errei­chen zu kön­nen, scheint vor allem eine hohe Soli­da­ri­tät mit den Opfern im ent­spre­chen­den Fall nötig. Dass so etwas durch­aus erreich­bar scheint, ließ sich vor eini­ger Zeit, zumin­dest in Ansät­zen, bei LGo­o­ny beobachten.

Zudem bleibt die Fra­ge offen, wohin die Rei­se denn wei­ter­ge­hen soll. Wie soll "Einer mei­ner Freun­de hat einen sei­ner Freun­de in Säu­re auf­ge­löst" denn noch gestei­gert wer­den? Ist die logi­sche Kon­se­quenz, dass als Nächs­tes nur noch veri­fi­zier­te Mörder:innen Gangster- oder Stra­ßen­rap machen? Die­ser Gedan­ke scheint zumin­dest unwahr­schein­lich. His­to­risch betrach­tet zeich­net sich gera­de Rap dadurch aus, schon immer stark wel­len­för­mig zu sein, wenn es dar­um geht, was gera­de funk­tio­niert und was nicht. Es ist eher davon aus­zu­ge­hen, dass wir uns in die­sem Sub­gen­re gera­de auf einen Zenit hin­be­we­gen, von dem aus eine neue Ent­wick­lung statt­fin­den wird. Inner­halb die­ser wer­den wie­der ande­re Aspek­te stär­ker im Fokus ste­hen und es wird nicht mehr so rele­vant erschei­nen, wie vie­le Jah­re jemand im Knast geses­sen hat. Ganz abge­se­hen davon, dass auch das Sub­gen­re Stra­ßen­rap selbst inzwi­schen so breit gefä­chert ist, dass aktu­ell vie­le Ent­wick­lun­gen auch ohne eine der­ar­ti­ge Ein­engung par­al­lel lau­fen kön­nen. Doch ob mit oder ohne aktu­el­len Hype muss ein Umgang mit den Künstler:innen gefun­den wer­den, der weder irgend­ein ver­que­res mora­li­sches Über­le­gen­heits­ge­fühl trans­por­tiert, noch sich davor scheut, kri­ti­sche Punk­te anzusprechen.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)