Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freunden von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem neuen Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Bei Vandalismus steht in unserer neuesten Ausgabe jedoch weniger im Vordergrund, Tracks auszuwählen, die für sich stehen und ihm schlichtweg gut gefallen. Denn Musik kann nicht nur eigenständig als Kunst betrachtet werden, sie kann diese auch vervollständigen – wie zum Beispiel bei einem guten Film. Wenn Songs Emotionen verstärken, die Regisseur:innen zum Ausdruck bringen wollen, hat ein Soundtrack genau seinen Zweck erfüllt. Vandalismus kehrt das Prinzip der Kunst in der Kunst meist um und sampelt Film-Sequenzen in seiner Musik, um diese noch einzigartiger zu machen. Er selbst hat lange in Videotheken gearbeitet und ist ein absoluter Nerd im Bereich der Filme. Somit stellte er uns eine Playlist mit Songs aus Filmen und Soundtracks zusammen, die ihn besonders geprägt haben. Er verriet uns in diesem Zusammenhang, wieso er "Trainspotting" mit Erdbeerjoghurt verbindet, von welchem Video er manche Ausschnitte schon mindestens 400 Mal gesehen hat und welche Rolle "Sonnenallee" beim Friedenschließen mit seiner ostdeutschen Herkunft gespielt hat.
1. Bernard Herrmann – Main Title (prod. by Neely Plumb – aus "Taxi Driver")
Vandalismus: "Taxi Driver" steht für den Start meines nerdy Verhaltens. Es gab damals einen kleinen Film-Shop bei uns, der auch Soundtracks und Sachen wie ein Shirt von Dead Man von Jim Jarmusch hatte. Dort habe ich mir dann zum ersten Mal eine CD mit einem Film-Soundtrack gekauft. Dieser Laden hatte sowas unheimlich Liebevolles und Schönes, aber es war auch alles hochwertig und kulturell spannend. Zu dem Zeitpunkt war ich noch kein krasser Nerd, es war eher eine erwachsene Form von Spielzeug. Aber da fing alles an und ich hatte danach auch meinen ersten Job in einer Videothek. Diese Ruhe und Zurückgezogenheit – wenn man das so sagen will – mochte ich dann immer mehr. Deswegen war "Taxi Driver" ganz wichtig für mich … dieses Einsame und Verrückte daran.
2. Golden Smog – Shooting Star (prod. by Paul Pacific – aus "Clerks – Die Ladenhüter")
Vandalismus: "Clerks" ist einer meiner Lieblingsfilme, weil er sehr stark für meine Zeit als Videothekar steht. Also, in einem kleinen, verranzten Laden arbeiten, sich trotzdem besonders fühlen und diese kleine, besondere Welt genießen. Das kommt in "Clerks" sehr gut rüber. In diesem Fall ist der Song völlig egal, weil der Soundtrack scheiße ist, ich wollte einfach nur den Film in der Liste haben. Er ist außerdem ein gutes Beispiel dafür, dass man auch etwas Großartiges machen kann, obwohl man keine Ahnung davon hat. Im Endeffekt wollte Kevin Smith eigentlich lieber irgendwelche Hollywood-Produktionen machen. Er hat "Clerks" nur gemacht, weil er keine Kohle hatte. Deswegen ist der so Arthouse-mäßig geworden. Ich mag natürlich genau das daran. "Dogma" war auch noch gut von ihm, ansonsten ist der Typ aber nur ein kleiner Wichtigtuer. Er hat gar kein Händchen für das, was ich daran so gefeiert habe. Das ist eigentlich mehr zufällig geschehen. Ein weiteres Indiz dafür, dass er kein Feeling hat, ist, dass der Soundtrack komplett belanglos ist.
3. Lou Reed – Perfect Day (prod. by David Bowie & Mick Ronson – aus "Trainspotting")
Vandalismus: Damals war einer der Vorteile, dass es Pressekopien für Mitarbeiter in Videotheken gab. Die Filme waren zwar schon im Kino, aber es gab sie noch nicht im Verleih. Man hat sie vorab bekommen, damit man sich schon mal schlau machen konnte. "Trainspotting" habe ich allerdings nur im Original bekommen. Das heißt, ich habe einfach gar nichts verstanden, weil sie schottisches Englisch sprechen. Deswegen habe ich ihn dann zweimal geguckt. Währenddessen hatte ich aus einer albernen Idee heraus Bock, mir etwas in einem Löffel warm zu machen – im Film spritzen sie sich ja die ganze Zeit Shore. Ich hatte aber nur Peace und habe das genommen. Das mit Spucke heißzumachen, ging natürlich nicht so gut, deswegen habe ich es dann in einen Erdbeer-Joghurt reingerührt. Wahrscheinlich hatte ich einfach Langeweile und war experimentierfreudig. Auf jeden Fall war das maximal widerlich und mir ist schlecht geworden. Ich war aber trotzdem so sauer, dass ich immer noch nichts von dem Film verstanden habe, dass ich in die Spätvorstellung von "Trainspotting" losgezogen bin, damit ich diesen Film endlich mal peile. Also, habe ich den Film dreimal an einem Tag gesehen und dazu war mir noch schlecht von dem Erdbeer-Joghurt mit Peace. (lacht) Ich habe aber den besten Song rausgeholt. "Perfect Day" ist unheimlich schön. Und in Trainspotting läuft er in einer Szene, die mir hängengeblieben ist – nämlich, als Renton einen Entzug macht. Er sitzt in einer Kneipe, ist zum ersten Mal clean und alles ist sinnlos. Er hat es zwar geschafft, aber was macht er denn jetzt? Shore habe ich zwar nie genommen, aber ich hatte schon eine ausufernde Drogenzeit. Das ist dann auch explodiert und ich hatte eine Psychose. Danach hatte ich es geschafft, aber ja … Die Szene ist mir immer noch sehr präsent, die habe ich sehr gefühlt.
4. Type O Negative – Blood & Fire (prod. by Josh Silver & Peter Steele – aus "Mortal Kombat")
Vandalismus: Hier geht es mal hauptsächlich um den Song. Das Lied ist megaepisch und extrem wichtig für mich. Ich habe das nur gefunden, weil sie in der Videothek, in der ich damals gearbeitet habe, auch angefangen haben, CDs zu verkaufen. So hatte ich die Möglichkeit, mich für fünf Euro die Stunde durch alle CDs durchzuwühlen und mir die besten Schmuckstücke rauszuholen. Da habe ich den "Mortal Kombat"-Soundtrack gefunden. Das war in der Phase, in der ich mit ungesunden Sachen aufgehört hatte. Mir ging es nicht so gut und ich war gerade dabei, aus den wilden Zeiten rauszuwachsen. Es gab diese Nächte voller "Blut und Feuer", dieses krasse Durchdrehen und Abgehen. Aber man hat auch das Gefühl: "Okay, fuck, es geht nicht mehr weiter, ich muss irgendwann damit aufhören." Das klingt jetzt sehr platt und pathetisch, wenn man es so erklärt, aber in Songs funktioniert das ja für einen selber ganz gut. Ich habe mir das dann auch irgendwann auf die Schultern tätowieren lassen und mir damals groß in meine Wohnung gemalt. Bei meinem letzten Album habe ich es dann endlich mal geschafft, einen Part davon bei "Maskulina" zu sampeln.
5. Shirley Kwan – Wang Ji Ta (prod. by Joseph Ip – aus "Fallen Angels")
Vandalismus: "Fallen Angels" und "Chungking Express" sind meine absoluten Lieblingsfilme. Sie sind sich aber so ähnlich, dass es schwer ist, ein Ranking zu machen und wurden auch parallel von dem chinesischen Filmemacher Wong Kar-Wai gedreht. "Fallen Angels" ist noch perfekter in meinen Augen. Der hat einfach alles. Das ist ein geiler Großstadt-Lostboy-Killer-Melancholie-Liebesfilm. Da ist viel Drama, Emohaftigkeit und Leidenschaft drinnen, aber alles genau auf die Art, wie ich es mag. Und visuell ist er auch großartig. Ich meine, welchen Filmemacher kennt man für seine Optik – außer Wes Anderson? Auch die Dialoge sind übergut. In diesem Film ist alles unique und perfekt. Es gibt nichts Vergleichbares. Die Szenen sind wie aneinandergereihte einzelne Poems und schöne Ideen.
6. Faye Wong – Meng Zhong Ren (prod. by Rong Jun Liang & Stanley Leung – aus "Chungking Express")
Vandalismus: "Chungking Express" ist ein bisschen gefälliger und verständlicher, aber auch großartig. Das ist ein Liebesfilm mit einer unheimlich schönen Form von Melancholie. Der gesamte Soundtrack besteht eigentlich nur aus diesem einen Lied: "California Dreamin'". Aber in dem Film kommt auch Faye Wong vor, die eine wunderschöne Stimme hat und überkrass ist. Der ganze Film hat halt Style. Es gibt Leute, die haben einfach Style – also, uniquen Style. Tarantino hat mal über "Chungking Express" gesagt, dass es immer einen Punkt im Film gibt, an dem er anfängt zu weinen. Aber nicht, weil die Szene so traurig ist, sondern weil ihm bewusst wird, was für ein Glück er hat, einen Film so lieben zu können. Ich könnte heulen, wenn ich an dieses Bild denke, wie sie sagt, dass sie sich angewöhnt hat, immer mit einer Sonnenbrille und einem Regenmantel rauszugehen. Damit sie auf alles vorbereitet ist. Für mich ist das Gott, episch, das Geilste. Auch die Szene mit dem Taubstummen aus "Falling Angels", der das Video für seinen Vater dreht und ihm dann zum ersten Mal zeigt. Da kriege ich sogar jetzt direkt einen Kloß im Hals. Wong Kar-Wai hat auch noch andere gute Filme gemacht, aber in die beiden habe ich mich verliebt.
7. Wonderland – Moscow (prod. by James Last – aus "Sonnenallee")
Vandalismus: Superschönes Lied. Diese getragene Schwere finde ich schön und der Song passt auch gut zum Film. "Sonnenallee" war wichtig für mich als Ossi, auch wenn es ein ziemlicher Mainstream-Film ist. Ich finde das alles relativ perfekt dargestellt. Und irgendwie war es voll wichtig für mich, das zu sehen und damit meinen Frieden zu machen – was am Anfang nicht einfach für mich war, weil ich das immer gut verdrängt habe. Meine Eltern waren ja politische Gefangene und sind dort in den Knast gekommen. Danach bin ich mit in den Westen gezogen, aber immer wieder zu meiner Oma zurück. Es gab also nicht den klassischen Wechsel. Irgendwann war die Mauer dann aber weg. Meine Eltern durften davor natürlich nicht mehr rüber, aber ich war die Connection, da unsere ganze Verwandtschaft noch im Osten war. Ich war zwar sehr jung, aber ich habe das trotzdem noch alles hautnah mitgemacht. Auch nach der Wende, als meine Eltern das verdrängt haben oder sich nicht damit auseinandergesetzt haben, weil sie es nicht mehr wollten und auch nicht konnten. Das war vollkommen okay. Aber für mich war es sehr wichtig, das wieder anzunehmen und meinen Frieden damit zu machen. Als Teenager schämt man sich einfach nur dafür, aber gleichzeitig hat man diesen starken Bezug – auch zu Russland, Polen und Bulgarien. Das ist immer noch instinktiv drinnen. Immer wenn ich dort bin, merke ich, dass automatisch jede Menge Stress abfällt. Irgendwas ist plötzlich weg und ich bin richtig da – schwer zu erklären. Das ist wie Kaffeetrinken bei den Eltern. Das ist anticool, aber so ehrlich, dass es unfassbar gut tut.
8. Ned's Atomic Dustbin – Grey Cell Green (prod. by Ned's Atomic Dustbin & Jessica Corcoran – aus dem Video "Plan B – Questionable")
Vandalismus: Ich habe bewusst einen Song aus einem Skate-Video dazugenommen, weil diese Videos sehr prägend waren – auch musikalisch. Eigentlich noch viel mehr als Filmmusik. Ich glaube, mit sieben Jahren habe ich mein erstes Skateboard bekommen, mit 13 habe ich dann richtig angefangen und jetzt bin ich schon sehr viel länger auf dem Skateboard als ohne. Und als Skater hat man sich immer megaviel Mucke aus Skate-Videos mitgenommen. Da niemand redet, hat es immer etwas von einem Musikvideo. Man hat eine unheimlich krasse Bindung an die Songs. Es gibt Videoparts, die habe ich wahrscheinlich mindestens 400 Mal gesehen. Die Songs hast du dann inhaliert. Auf dem Handy habe ich eine Liste nur mit Skateboard-Soundtracks. Diese Liste ist das Nonplusultra, wenn es mir nicht so gut geht. Dann bin ich zu Hause. Das ist mein absolutes Antidepressivum, obwohl das musikalisch viele Sachen sind, die ich so wahrscheinlich gar nicht hören würde. Aber durch diese Videos bedeuten sie mir trotzdem viel. Dafür ist "Grey Cell Green" ein gutes Beispiel.
9. Geinoh Yamashirogumi – Kaneda (prod. by Geinoh Yamashirogumi – aus "Akira")
Vandalismus: "Akira" ist ja doch sehr bekannt. Das ist der "Pulp Fiction" des Anime. Der Mainstream-Anime, den zurecht viele Leute kennen, da es ein sehr guter Film ist. Und den Soundtrack fand ich damals auch episch. Da habe ich angefangen zu kiffen, dieser atmosphärisch krasse, rein instrumentale Soundtrack ging da natürlich immer ganz gut. Ich habe dann angefangen, mir noch mehr Soundtracks und weirde Musik zu kaufen. Auch sehr viel Instrumentals und irgendwelche buddhistischen House-Remixes, weil das natürlich sehr spannend zum Bong rauchen und Mucke hören war. "Akira" war dafür, glaube ich, der Auslöser, weil das einfach so megageile Space-Mucke ist.
10. Bubblegum Crisis – Konia Wa Hurricane (prod. by Suzuki Kisaburoo – aus "Bubblegum Crisis")
Vandalismus: "Konia Wa Hurricane" ist ein doppeltes Gimmick, weil ich den Song aus einem Skate-Video von einem meiner Lieblingsskater kenne, durch den ich erst auf diesen ganzen Anime-Kram gekommen bin. "Akira" war cool, aber das kannte jeder. Das war dann mein Startschuss durch Jeremy Klein. Der war einfach mein großer Hero, weil er so ein geiler, beknackter Typ ist. Ein typischer Ami, aber so ein Nerd-Vorläufer, der immer mit Nintendo-T-Shirt rumgelaufen ist. Und er war der Erste, der im Skate-Video die Super Mario-Musik hat laufen lassen. Alle haben Punk-Rock gespielt und er halt sowas. Durch ihn bin ich da komplett reingerutscht. "Bubblegum Crisis" allein ist schon der beste Name. Und der Song steht stellvertretend für den Anime-Sound.
11. Beck – Feather In Your Cap (prod. by Tom Rothrock & Rob Schnapf – aus "SubUrbia")
Vandalismus: Das ist ein "Wir sind Loser, hängen den ganzen Tag vor dem Supermarkt rum und philosophieren über das Leben"-Film, den ich sehr, sehr gerne mag. "Breakfast Club" vor dem Späti. Großartig. "SubUrbia" ist nahezu ein Kammerspiel und spielt vor einem Supermarkt, in dem ein Inder mit seiner Family arbeitet. Es hat was von einer Sozialstudie und geht viel um Teenagersorgen und -welten. Außerdem geht es auch um einen Musiker, der den Absprung geschafft hat, und generell viel um dieses Kleinstadt-Ding … dass alle wegwollen und doch nicht wegkommen. "SubUrbia" ist megakrass underrated. Der wurde nicht mal auf DVD releast, aber es gibt ihn in voller Länge auf YouTube. Die Hauptrolle spielt Giovanni Ribisi, den ich sehr gerne mag. Das ist der kleine Lockenkopf, der verzweifelt ist und mit der Welt nicht klarkommt. "Feather In Your Cap" ist einfach ein schöner Song aus dem Film. Es gibt auch "Suburbia – Rebellen der Straße" von 1984, das sollte man nicht verwechseln. Der ist auch ganz cool, aber ganz anders.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Vandalismus"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von Quinten Quist)