Unser Denken wird häufig von unterschiedlichen Faktoren gesteuert. Auch wenn wir uns dagegen wehren, jeder erwischt sich immer wieder in Momenten, in denen er in Mustern, Klischees, Stereotypen denkt. Mit solchen Stereotypen wird zwar erst einmal die Aufnahme von Informationen und Eindrücken erleichtert, häufig gehen sie aber auch mit Vorurteilen einher. Auch im Rap gibt es stereotype Bilder. Der tätowierte Gangsterrapper von der Straße, der Oldschooler mit Baggies und Snapback. Aus solchen Denkmustern auszubrechen, ist nicht immer einfach. Rapper wie Taha erleichtern einem das Ausbrechen allerdings enorm. Er gehört zu den Künstlern, die von Anfang an ihre eigenen Regeln gemacht haben. Schon zu Battlerap-Zeiten hat er mit vorherrschenden Klischees gebrochen und anschließend mit jedem Release weitere vermeintliche Genre-Grenzen überwunden. Ob Akustikgitarre oder Pop-Punk-Platte, seine Alben haben bisher keinem Muster entsprochen. Auch inhaltlich lässt er sich nicht vorschreiben, welche Themen Tabus unterliegen und erzählt frei von psychischen Krankheiten oder dem Tod. Mit uns hat er im Interview über konkrete Stereotype wie Männlichkeitsbilder und sein Ausbrechen daraus gesprochen und uns seinen Umgang mit den bereits erläuterten, vermeintlichen Tabuthemen geschildert.
MZEE.com: Bist du ein Rapper, der aus dem Punk kommt, oder ein Punker, der aus dem Rap kommt?
Taha: Huhn oder Ei. (lacht) Ich bin ein Rapper, der aus dem Punk kommt. Die erste Musik, die ich gemacht habe, war Rap.
MZEE.com: In deiner Musik verschwimmen Genre-Grenzen von Rap bis zu diversen Punk-Richtungen. Gibt es trotzdem Teile deiner aktuellen Musik, die du als klassische Rap-Elemente beschreiben würdest?
Taha: Auf jeden Fall. Ich denke, die Lyrik spielt eine sehr wichtige Rolle. In handelsüblichen Punk- und Pop-Punk-Songs ist es ja nicht typisch, auf Reimpatterns zu achten. Ich bin sehr Lyrik-verliebt und -verkopft. Das ist aus dem Rap-Ding geblieben.
MZEE.com: Wie hat sich diese Entwicklung ergeben?
Taha: Es hat sich immer etwas in diese Richtung entwickelt. In meinen ganz frühen Zeiten, als ich noch eine Crew in Augsburg hatte, hab' ich schon Beats gepickt, die gitarrenlastig waren. Ich mochte das immer, weil das die erste Musik war, die für mich relevant war. Eines Tages bin ich wegen Panikattacken ins Krankenhaus gekommen und lag da stationär ein paar Tage in der Psychiatrie. Am ersten Tag, an dem sich das langsam beruhigt hat, hab' ich beschlossen, die Musik zu machen, auf die ich Bock habe. Nicht mehr Battlerap-Zeug, in dem ich auf 20 Songs grundlos Leute beleidige. Das war einfach nicht ich.
MZEE.com: Hast du deswegen auch erst vor Kurzem deinen Künstlernamen geändert?
Taha: Der Künstlername hatte nicht den negativen Beigeschmack wie der Switch von der Musik. Ich habe mir meinen damaligen Namen Kex Kuhl mit 14 gegeben. Irgendwann änderst du den halt. Ich hab' einen schönen Namen und für mich erkannt, dass ich keinen Künstlernamen brauche. Du stellst dich irgendwelchen Leuten, zum Beispiel der Mutter deiner Freundin, vor und sagst: "Hi, ich bin Kex Kuhl!" Und das als 30-jähriger Mann. Es reicht schon, dass ich pinke Haare und lackierte Nägel hab'. (lacht)
MZEE.com: Da wir heute über Stereotype sprechen: Wie würdest du den Begriff definieren?
Taha: Stereotype sind für mich Klischees. Wenn ich das Wort höre, triggert das in meinem Kopf das Stereotyp "Kanaks", in den man mich früher drängen wollte. Dort habe ich in meinen Augen absolut nicht stattgefunden. Deswegen sind das einfach Klischees für mich. Dennoch finde ich, dass Klischees nicht von ungefähr kommen. Es gibt schon einen Grund, weshalb sie entstehen. Man sollte jedoch vorsichtig sein, da Stereotype in Verallgemeinerungen umschlagen können, was einen negativen Vibe mit sich zieht.
MZEE.com: Man steckt dadurch Menschen eher in Schubladen. Viele, auch du, grenzen sich etwa von Modenormen ab, um nicht in Schubladen gesteckt zu werden. Woher kommt diese Entwicklung deiner Meinung nach?
Taha: Das habe ich mich schon oft gefragt. Ich glaube, das macht einfach die Generation, aus der ich entspringe. Ich bin ein klassischer Millennial, 1989 geboren. Jeder von uns ist etwas Eigenes und Besonderes. Das wurde uns auch mehrmals gesagt. Um uns dreht sich die Welt. Ich glaube, damit fängt's an. Dieser Gedanke, dass du anders sein willst. Du willst dich abheben und nicht zu dieser grauen Masse gehören. Denn unsere Eltern und Großeltern haben zu dieser grauen Masse gehört. 2010 kam das Hipstertum auf und jeder wollte anders sein, aber plötzlich waren doch wieder alle gleich. Dieser Versuch ist völlig daneben gegangen. Ich weiß nicht, ob die Generation Z so ist. Ich hoffe, die haben von uns gelernt. Bei uns ist es einfach der Drang, anders zu sein. Ob das Rebellieren ist, kann ich nicht sagen. In meinem Fall ist es so.
MZEE.com: Kleidung kann ein politisches Statement sein. Auf deiner Listening Session hast du einen Rock getragen und gesagt, dass du beim Einkaufen deshalb blöd angeschaut wurdest. Versuchst du damit, voranzugehen, um jüngeren Leuten ein selbstbestimmteres Leben zu ermöglichen?
Taha: Ich bin nicht der erste Mann, der einen Rock trägt und werde auch nicht der letzte sein. Ich bin niemand, der das macht, um sich krass abzuheben. Ich hab' irgendwann einfach gesagt: "Auf der nächsten Party trage ich einen Rock." Und dann hab' ich das gemacht. Dennoch sehe ich den Punkt, zu sagen: "Ich lackier' mir die Nägel oder trag 'nen Rock." Damit auch andere sagen können: "Find' ich cool, dass er das macht, eventuell könnte ich das auch machen." Als ich angefangen hab', mir die Nägel zu lackieren, war meine Nachrichtenbox voll mit Leuten, die das toll fanden und auch machen wollten. In Bezug aufs Anderssein bin ich gerne ein Vorbild für Leute. Mir geht es aber darum, zu rebellieren.
MZEE.com: War für dich auch ein Grund, von Augsburg nach Berlin zu ziehen, um einen besseren Raum zum Rebellieren haben zu können?
Taha: Augsburg ist 'ne superkleine Stadt. Wir hatten dort schon damals das Ding, dass alles, was neu war, gehasst wurde. Das ist dieses Ländliche. Ich hatte damals um 2008 herum wegen der Hardcore-Szene schon Skinny Jeans an und wurde ausgelacht. Zwei Jahre später ist jeder dumme Wichser, der mich dafür ausgelacht hat, genauso rumgelaufen. Meine Phase war da schon vorbei. Die Leute kennen es nicht, also haten sie. Dann setzen sie sich aber damit auseinander, beginnen, es zu verstehen und machen es genauso. Das hat mich in Augsburg abgefuckt, das hat mich in Stuttgart abgefuckt, das hat mich überall abgefuckt. Natürlich gibt es in Berlin auch solche Momente, weil es hier auch Menschen gibt und Menschen einen Hang zum Verurteilen haben. Aber hier gehst du unter, deswegen hatte ich diese Momente nicht so oft. Daher bin ich hierher gezogen – weil ich untergehen wollte. In Stuttgart wurde ich schon komisch angeschaut, weil meine Finger tätowiert sind. Hier fühle ich mich fast nackt, weil mein Gesicht noch nicht zugehackt ist.
MZEE.com: Es geht dabei wohl auch viel um die Wahrnehmung als Mann. Das Problem vieler Menschen ist, dass sie zum Begriff Männlichkeit Bilder im Kopf haben, denen man dann aber nicht entspricht. Versuchst du, diese Stereotype mit deinem Auftreten bewusst zu brechen?
Taha: Natürlich. Aber nicht nur mit meinem Auftreten, sondern auch mit meiner Musik. Ich heule in jedem Song. Meine Songs sind vollgepackt mit Trauergedanken, in denen ich wortwörtlich sage, wie ich weine. Vor zehn Jahren haben alle Curse ausgelacht, weil er auf Songs geheult hat. Ich fand das großartig. Wenn ich mit irgendeinem Männlichkeitsbild brechen kann, mache ich das sofort. Ich finde es so falsch, wenn solche Werte vermittelt werden: wenn man seinem Kind zum Beispiel sagt, ein Mann weine nicht. Es ist doch viel stärker, Schwäche zuzulassen und daraus zu lernen, als die ganze Zeit alles in sich reinzufressen und emotional so abzustumpfen, dass man mit den Gefühlen anderer nicht umgehen kann. Es ist ein ganz falsches und veraltetes Bild, dass der Mann seinen Job macht, nach Hause kommt, sich ein Bier schnappt und Fußball schaut. Ich hab' Sport immer gehasst. Auf Familienfeiern wurde ich immer gefragt, welche Mannschaft ich mag und ich hab' gesagt: "Gar keine." Das war schon ein Schock für die. Wenn die mich heute sehen würden … (lacht)
MZEE.com: Du hast erwähnt, dass du viel Gegenwind erfährst. Wie gehst du damit um?
Taha: Ich kenne nichts anderes. Seit ich sechs bin, wache ich jeden Morgen auf und entscheide mich, zu kämpfen. Es kommt immer wieder etwas. Es kam etwas, weil ich Türke bin. Es kam etwas, weil ich ständig die Schule gewechselt hab' und der Neue war. Es kam etwas, weil ich durch mein äußerliches Erscheinungsbild anders war. Es kam schon immer Gegenwind und das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern. Ich könnte gar nicht mehr aufwachen und einen ganz normalen, friedvollen Tag haben. Das wäre seltsam für mich.
MZEE.com: Gegenwind ist ja auch eine Art Bestätigung. Wenn dich morgen niemand mehr kritisieren würde, würdest du dich wahrscheinlich fragen, ob du noch das Richtige tust.
Taha: Es ist tatsächlich so. Immer wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, gab es Widerstand. Das ist auch motivierend. Ich hab' mich so entschieden und finde das richtig so. Und dann mache ich alles dafür, dass das in dem von mir gesetzten Rahmen auch so bleibt. Ob das mein Aussehen ist, meine Musik oder mein Auftreten. Ich kämpfe jeden Tag dafür.
MZEE.com: Du hast vorhin angedeutet, dass du auch in deiner Musik mit Stereotypen brechen willst. Ein Beispiel ist deine Zeile: "Und dein Bruder küsst ganz gut für eine Hete. Du willst Schläge, ich lackier' mir mit deinem Blut meine Nägel." – Schreibst du solche Lines, um gezielt Leute zu triggern, denen so etwas vor den Kopf stoßen würde?
Taha: Natürlich. Ich mache Songs und lese in den Kommentaren, wie Menschen "schwul" als Beleidigung nutzen. Engstirnig, wie ich war, habe ich das im Battlerap früher auch gemacht, wurde aber eines Besseren belehrt. Ich lese auch tatsächliche Anfeindungen aufgrund der sexuellen Orientierung. Natürlich stelle ich mich dann hin und sage: "Ich küsse deinen Bruder mit Zunge. Und er küsst ganz gut für eine Hete." Ich bin mir ziemlich sicher, dass schwule Männer besser küssen können. (lacht) Es ist nicht meine Aufgabe, zu sagen, ich sei der Super-Ally und Rächer der Homosexuellen-Bewegung. Ich möchte einfach, dass es Leuten, die Rap hören, mal richtig sauer aufstößt, wenn sie bei mir an der falschen Stelle sind. Wenn da jemand sitzt, der einen geilen Party-Song von ODMGDIA und Taha hört und ich meine Message verstecken kann – so asozial sie auch verpackt sein mag –, kommt sie ja trotzdem an. Mir haben wirklich Leute gesagt: "Was soll der Scheiß? Das ist ja richtig schwul." Und ich sag' nur: "Ja, isses." (grinst) Würde es etwas am Song oder an mir ändern, wenn das so wäre? Damit spiele ich ein bisschen.
MZEE.com: Du sprichst auch über psychische Krankheiten. Diese werden oft stereotypisiert. Es gibt viel gute Musik, die sich damit auseinandersetzt, aber doch eine Nische bildet und in großen Playlisten nicht wiedergegeben wird. Wie versuchst du, das Thema zu enttabuisieren?
Taha: Indem ich darüber rede. Indem ich öffentlich ganz locker und befreit versuche, darüber zu sprechen. Ohne mich zu fürchten, dafür verurteilt zu werden. Das ist superschwer und es hat ewig gedauert, bis ich an den Punkt gekommen bin. Offen über meine Psyche zu sprechen, hat mir krass weitergeholfen. Ich kann das allen empfehlen, die sich nicht gut fühlen. Nimm dir jemanden, dem du vertraust und rede drauf los. Sprich dir den Scheiß von der Seele. Sobald es ausgesprochen ist, kann man etwas damit machen. Wenn es in dir ist, kannst du damit nicht arbeiten.
MZEE.com: Ein noch extremeres Thema ist der Tod. In deinem Song "Schöner Tag" gewinnt man den Eindruck, dass du dich weniger stark als andere davor fürchtest. Woher kommt dieser beinahe positive Umgang mit dem Thema?
Taha: Es ist nicht wirklich ein positiver Umgang. Es klingt vielleicht positiv, aber ich glaube, dass ich mehr Angst vor dem Tod habe als alle anderen, die ich kenne. Das ist einer der Gründe für meine Panik. Immer wenn die Panikattacken da sind, habe ich Angst vor dem Tod. Deswegen setze ich mich so sehr damit auseinander. Weil ich hoffe, irgendwann die Angst davor zu verlieren. Bei der Depression habe ich die Erfahrung gemacht, dass es besser wird, wenn ich mich damit befasse und darüber spreche. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich dem Tod so lächelnd entgegentrete. Die Hook von "Schöner Tag" ist der Test, ob man einen Schlaganfall hat. Du kannst checken, ob du einen Schlaganfall hast, indem du lächelst und einen Satz sagst, zum Beispiel: "Heute ist ein schöner Tag."
MZEE.com: Auf deinem letzten Album "Stokkholm" verwendest du auf dem Song "Müde" sogar den Begriff "Liebe" im Zusammenhang mit dem Tod.
Taha: Es ist immer positiv verpackt. Es fängt negativ an und dann versuche ich aber, es ins Positive zu schieben. "Müde" ist eine Konversation mit dem Tod, in der ich sage, dass ich erst die Cousine daten möchte, bevor wir etwas miteinander haben. Den Song hab' ich geschrieben, als ich fünf, sechs Tage gar nicht schlafen konnte. Ich war an dem Punkt, an dem ich gesagt habe: "Okay, langsam kann ich draufgehen. Aber ich würde gern einmal noch ausschlafen und nicht müde sein."
MZEE.com: Gerade haben wir über den Umgang mit deinem eigenen Tod gesprochen. Auf dem Song "Ein Schluck" behandelst du den Tod eines dir nahestehenden Menschen. Damit gehst du komplett anders um als mit deinem eigenen. Kannst du das erklären?
Taha: Da geht's ja nicht um mich. Die Angst, die Sam (Anm. d. Red.: Rapper Samson Wieland, 2018 verstorben) hatte, als das passiert ist, habe ich nicht gespürt. Ich hab' keine Ahnung, ob er Angst hatte oder nicht. Ich weiß nur, dass er weg ist und eine Riesenlücke hinterlassen hat, die bis heute noch da ist und auch weiter da sein wird. Da wurde uns allen ein riesiges Stück aus unserem Leben gerissen. Ich behandle nur meine Trauer und nicht meine Angst.
MZEE.com: Zum Abschluss: Was ist typisch Taha?
Taha: Meine Eltern zu enttäuschen vielleicht. (lacht) Ich glaube, es ist ein bisschen Wut gemischt mit Rebellion. Ich bin schon ein wütender Kerl und rebelliere gerne. Hab' ich immer, werd' ich wahrscheinlich immer. Es ist eine Art Rebellion auf Harmoniesuche. Ich wirke sehr wie das Chaos, aber brauche sehr viel Harmonie. Vielleicht ist das typisch Ich. Eine Mischung aus Harmonie und Chaos.
(Jonas Jansen & Michael Collins)