Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem neuen Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Dieses Mal hat uns Josi Miller eine Playlist mit Beats zusammengestellt, die sie dazu inspiriert haben, selbst Musik zu machen. In der Rapszene hat sie sich vor allem als Tour-DJane für Künstler wie Trettmann und Frauenarzt einen Namen gemacht. Doch auch allein spielt sie schon seit vielen Jahren in ganz Deutschland DJ-Sets. Außerdem hostet sie seit 2017 zusammen mit Helen Fares den Musik-Podcast "Homegirls", neuerdings releast sie sogar selbst Musik – entweder solo oder mit Stefan Heinrich zusammen als Import Export. Für diese Ausgabe erzählte sie uns, welche deutschen Produzenten sie besonders begeistern, wer für sie faszinierende Gesamtkunstwerke schafft und welche Art von Samples sie am liebsten pickt.
1. Ecke Prenz – Changes (1055) (prod. by Breaque, V.Raeter)
Josi Miller: Die beliebtesten DJs und Produzenten aus Berlin: Ecke Prenz. Ich finde es übelst schön, dass sie aus einem HipHop-Umfeld kommen, dieses Album aber trotzdem so offen ist, was die Genres angeht. Es bedient sich an verschiedenen Sounds und ist trotzdem HipHop für mich. Dadurch ist es sehr erfrischend. Und auch ein Klassiker, würde ich sagen. Ich wohne zwar in Berlin, komme aber eigentlich aus Leipzig. Und irgendwie macht es auch Spaß, so musikalische Orte und Wurzeln zu sehen und zu entdecken, die einem ein Begriff sind – wie der Thälmann-Park.
2. Drunken Masters, Delusion, Valentin Hansen – Pray (prod. by Drunken Masters, Delusion)
Josi Miller: Der Song ist schon sehr stark. Joe von den Drunken Masters ist einfach ein unfassbar guter Produzent und dazu noch ein unfassbar gutherziger Mensch. Wir haben schon so oft zusammen aufgelegt. Und selbst wenn er nicht gebucht ist, hat er immer einen USB-Stick dabei, weil es ja sein könnte, dass er auflegen kann. Ich kenne keinen DJ, der so viel Bock hat. Und auf Produktionsebene hat er sich auch krass gemacht. Für mich ist er bei den deutschen Produzent:innen ganz weit oben mit dabei. Aber auch der ganze Output von Valentin Hansen ist der Wahnsinn. Der ist so produktiv und kreativ. Ich weiß gar nicht, wann er das alles macht.
3. Bella Boo – boyboy (prod. by Bella Boo)
Josi Miller: Das ist ein Beat von einer DJane und Produzentin, den ich sehr gerne auflege. Allgemein lege ich am liebsten Beat-Sets auf. Das ist schon geil, wenn man den ganzen Abend nur auf Beats tanzt. Aber das kann man natürlich nicht überall machen. Ich finde es auch spannend zu sehen, wie gesampelt wird, ohne dass man rechtliche Probleme bekommt. Also inwiefern man Vocal-Chops auch entstellen muss, damit es im Bereich des Machbaren ist. Und da ich selber noch ein bisschen schüchtern bin, die Grenzen auszutesten, schaue ich, wie weit andere Leute gehen. "boyboy" ist da ein gutes Beispiel. Ich glaube nicht, dass sie das gecleart hat. Das "I think about you all the time" ist ja ein Sean Paul- und Beyoncé-Sample. Vielleicht hat sie es aber auch nachgesungen.
4. Madlib – Road Of The Lonely Ones (prod. by Madlib, Four Tet)
Josi Miller: Four Tet hat ja das ganze Album mitproduziert … Der ist auch echt gut. Und zu Madlib muss man gar nicht so viel sagen. Außer, dass ich mich auf whosampled.com verlieren könnte, wenn ich gucke, wo er den ganzen geilen Scheiß gediggt hat. Das ist meine allerliebste Internetseite. Um ins Producer:innen-Game reinzukommen, habe ich ganz klassisch erst mal mit Samples angefangen und mich viel dort und bei YouTube durchgeklickt. Ich mache aber auch viel von Vinyl. Wenn ich es unterkriege, gehe ich gerne in Plattenläden. Oft schaue ich aber einfach bei den Platten von meinem Freund. Wir haben hier quasi unseren eigenen kleinen Plattenladen, der nach Themen geordnet ist. (lacht) Das Geilste sind aber Flohmarktfunde, weil man mit so einer Vorfreude nach Hause geht. Manchmal hat man Glück, manchmal auch nicht. Am liebsten sind mir Samples, die ganz random und so special wie möglich sind.
5. Mac Miller – Blue World (prod. by Guy Lawrence)
Josi Miller: Ich wusste lange nicht, dass Disclosure diesen Song produziert hat. Der Produzent von Disclosure, Guy Lawrence, hat allerdings ein Making-of davon gemacht und erzählt, mit welchem Sample er das gemacht hat. Diesen A cappella-Männerchor hat Jamie xx auch schon in "Sleep Sound" verwendet. Das ist mir vorher überhaupt nicht aufgefallen. Ich liebe es zu sehen, wie verschieden Künstler:innen mit dem gleichen Sample arbeiten. Und ich mag auch einfach Mac Miller sehr gerne.
6. FKA twigs – Water Me (prod. by FKA twigs, Arca)
Josi Miller: Das ist einfach großartig. Ich ziehe all meine Hüte vor FKA twigs für die Gesamtkunst, die sie macht. Auch ihre Musikvideos sind jedes Mal überkrass. Wahnsinn. Das berührt mich auf so vielen Ebenen. Man hört, wie viel Zeit und Liebe in diesem Song steckt. Ich kann mir vorstellen, dass sie supernerdy und perfektionistisch ist, was die Vocal-Bearbeitungen und das Gesamtwerk angehen. Das mit dem Singen macht mir beim Produzieren schon auch Bock. Ich liebe einfach Vocal-Bearbeitung und meine Stimme zu einem eigenen Instrument zu machen. Das ist so kreativ und eröffnet tausend neue Möglichkeiten. Das finde ich auch an FKA twigs und Sevdaliza so gut.
7. Sevdaliza – Human (prod. by Sevdaliza, Mucky)
Josi Miller: Das Lied ist so krass. Als ich das gehört habe, war ich erst mal demotiviert und dachte, ich kann nie wieder Musik machen, weil ich niemals so gut werden kann. Es ist einfach ein wahnsinniges Gesamtkunstwerk. Ihre Stimmbearbeitung. Ich habe das so noch nie zuvor gehört. Es gibt ja viele Leute, die bekannt dafür sind, wie kreativ sie mit Vocals arbeiten, wie zum Beispiel auch James Blake. Aber bei ihr ist das so besonders und auch krass weit vorne gemischt. Ich habe mit Tua im Podcast schon ewig darüber geschwärmt. Ich liebe Sevdaliza einfach. Leider ist sie so underrated. Man kennt sie schon und sie ist auch ein Nerd-Thema, aber die Anerkennung, die sie verdient hätte, bekommt sie nicht.
8. Flying Lotus – Do The Astral Plane (prod. by Flying Lotus)
Josi Miller: Ich liebe schon, wie der Song reinkommt. Wie die Vocals am Anfang gechoppt sind, finde ich toll. Ähnlich wie bei Chet Faker. Dieser Beat hat so leichte KAYTRANADA-Vibes. Und obwohl er schon so alt ist, ist er zeitlos. Dass sich jemand die Zeit nimmt, Songs atmen zu lassen und aufzubauen, ist heute leider nicht unbedingt der Standard. Flying Lotus produziert auch viel Filmmusik. Das ist etwas, das ich mir auch gut vorstellen kann. Ich habe gerade ein bisschen Werbung gemacht und ich finde, ein visuelles Produkt auditiv zu untermalen, ist noch mal eine ganz andere Challenge, als bei null anzufangen und kein Bild im Kopf zu haben. Das inspiriert mich krass.
9. Ahzumjot, COBEE – for real (prod. by Ahzumjot)
Josi Miller: Dieser Synthie ist so schön. Der Song ist auf jeden Fall mein liebster von dem Projekt. In einem Interview hat Ahzumjot erzählt, dass er gar nicht so musikalisch ist – im Sinne von Notenlesen oder Spielen von Instrumenten. Und ich verstehe nicht, wie er das dann macht. Wie genial muss man sein, das zu produzieren, ohne ein gewisses musikalisches Verständnis zu haben? Wahrscheinlich hat er sich das über die Zeit angeeignet, aber das ist krass. Die Musik hat auch so viel Stil. Ich finde seine Beats sehr besonders und lege auch gerne lange Tracks von ihm auf. Ich glaube, er scheißt darauf, ob etwas gut streambar ist. Das finde ich sehr sympathisch.
10. Yaeji – WAKING UP DOWN (prod. by Yaeji)
Josi Miller: Ich gucke mir gerne Formate an, in denen Produzent:innen in einer bestimmten Zeit mit vorgegebenen Samples Beats bauen müssen. Und wie sie arbeitet, fand ich megaspannend. Sie singt nämlich koreanische Lines ein und verpackt sie dann in einem elektronischen Gerüst, das total genreübergreifend ist. Das sind ganz simple Mittel und trotzdem ist es so special und cool. Yaeji ist auf jeden Fall ein musikalisches Vorbild. Total inspirierend. "Raingirl" habe ich auch in allen möglichen Remixen und Variationen in meinen Sets gespielt. Man ist mit den Songs dann auch irgendwann verbunden.
11. Farhot – Yak Sher (prod. by Farhot)
Josi Miller: Farhot ist einfach unendlich krass. Der ist schon so lange im Game und war es von Anfang an. Ich würde nicht sagen, dass seine Musik vor zehn Jahren so viel schlechter war. Die Achse mit Bazzazian ist aber auch ein ganz tolles Producer-Projekt. Ich liebe, wie aggro das ist.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Josi Miller"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von @zeitfang_)