Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem neuen Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Für unsere erste Ausgabe brachten zwei von drei Argonautiks eine Playlist mit. Timmy Tales und Paul Uschta – oder wie sie sich gegenseitig nennen: Timm und Paul. In Interviews, die sie bisher immer ohne ihren Produzenten Donnie Bombay bestritten, fiel eines ganz besonders auf: die liebevolle Art und Weise, mit der sie über Musik sprechen, die sie als gut befinden. Auch wenn Timmy Tales für unser Format eigentlich eine Frank Ocean-Playlist am liebsten gewesen wäre, brachten sie Songs mit, die sie während der Album-Produktion ihres bevorstehenden Releases "Paroli Pop" viel gehört haben. Einige davon inspirieren sie schon sehr lange auf verschiedenen Ebenen, wenn es um ihre eigene Musik geht. Deswegen erklärten sie auch, wieso ihr neues Album nach einer kalten Herbstnacht klingt, was es mit dem skandalösen Album-Cover von Pusha T auf sich hat und wer ihr Rap-Champion ist.
1. $uicideboy$ – Fuck Your Culture (prod. by Budd Dwyer)
Paul Uschta: Der erste Song, den ich von den $uicideboy$ gehört habe, war "Fuck a Hoe". Ich habe zwar kaum ein Wort verstanden außer den Titel, aber den Track fand ich extrem gut. (lacht) Das war die Musik, nach der ich gesucht hatte. Timm hat mir immer wieder Sachen von Three 6 Mafia gezeigt und ich fand das geil, aber meistens war mir das Ganze zu schlecht gemixt und irgendwie auch zu anstrengend zu hören. $uicideboy$ waren das quasi in modern und haben mich voll angesteckt. Ein halbes Jahr später war ich auf einem Auftritt im Astra Kulturhaus. Sowas habe ich noch nie erlebt. Das war einfach der Abriss des Todes. Übelst krass. Da gab es einen Moshpit nach dem nächsten. Die Musik geht einfach nach vorne und man kann die Sau rauslassen.
Timmy Tales: Ich verstehe voll, was Paul daran feiert. Und ich habe jahrelang versucht, ihn von Three 6 Mafia zu überzeugen, habe aber auch immer verstanden, wieso er die nicht feiert. Aber ich wusste, dass ihm Elemente davon gefallen. Die $uicideboy$ verbinden eben all das in modern – nur ohne schlechten Mix und zu laute Cowbell.
2. Three 6 Mafia – Now I'm Hi Pt. 3 (prod. by Juicy J, DJ Paul)
Paul Uschta: Ach, da sind wir ja schon beim Thema. Das klingt so nach Horrorfilm.
Timmy Tales: Das war das erste Südstaaten-Album, das ich richtig inhaliert habe. Ich habe davor eigentlich nur deutschen Rap und Ami-Boom bap-Kram aus den Neunzigern gehört. Das ist einfach nur ein Song von diesem Album, das auch den Grundstein für den Sound gelegt hat, den zum Beispiel die $uicideboy$ machen. Vielleicht nicht lyrisch, aber atmosphärisch. Etwas, das mir für unsere Musik hängengeblieben ist: dass man ein Album durchhört und es konsequent eine Mood hat.
Paul Uschta: Bei unserem jetzigen Album ist das wahrscheinlich eine sehr drückende Atmosphäre. Eine kalte Herbstnacht vielleicht.
3. AG Club – Memphis (prod. by VLADISSXXUMI)
Paul Uschta: Eigentlich höre ich meistens Sachen, die fast schon depressiv klingen. Den Song hat mir Timm letztes Jahr im Sommer gezeigt. Das war das erste Mal seit verdammt langer Zeit, dass mir Musik so einen positiven Vibe gegeben hat, der Lebenslust und Energie versprüht. Den Track habe ich dann oft auf dem Weg zum Aufnehmen gehört, weil er mich so gepusht hat.
Timmy Tales: Das war ein zufälliger YouTube-Fund von mir. Ich habe wegen des Titels draufgeklickt und Memphis-Sound erwartet. Der Song hat mich völlig umgehauen und ich habe ihn dann auch direkt Paul geschickt.
4. A$AP Ferg – Floor Seats (prod. by Roofeeo)
Paul Uschta: Bei dem Song sind zwei für mich sehr wichtige Sachen zusammengekommen: "The Fat of the Land" von Prodigy war meine erste CD als Kind – und ich bin A$AP Ferg-Fan. Und auf einmal kommt ein A$AP Ferg-Lied mit Prodigy-Sample. Das beides auf einem Song mit dieser Bassline. Boah! Das ist wie ein Geschenk gewesen. Einfach überkrass.
Timmy Tales: Süß. (grinst)
5. Mobb Deep – Shook Ones, Part 1 (prod. by Havoc)
Paul Uschta: Mein Lieblingsrapalbum ever ist "The Infamous". Letztes Jahr war ich dann das erste Mal in New York und habe das Album wieder sehr viel gehört und voll gefühlt. Kurz nachdem ich wiedergekommen bin, kam die neue Version des Albums mit diesem Song raus. Als riesen Mobb Deep-Fan hat es mich schon fast emotional gemacht, Musik aus dieser Zeit von ihnen zu hören, die ich noch nicht kannte. Das hat mich einfach umgehauen. Mobb Deep sind für mich die Nummer eins, was Neunziger-HipHop angeht. Das hat mich auch sehr in unserer Musik beeinflusst, was Atmosphäre angeht.
6. Kanye West – Real Friends (prod. by Kanye West, Havoc, Boi 1da, Frank Dukes, Darren King, Noah Goldstein)
Timmy Tales: Ein wunderschönes Lied. Ich bin großer Kanye West-Fan, aber immer nur partiell. Ich kriege Schübe, bei denen ich nichts anderes mehr höre. "The Life Of Pablo" habe ich, als es rauskam, nicht gehört. Letztes Jahr war mir dann danach und ich bin so drauf klatschen geblieben, dass ich nicht mehr aufhören konnte, es zu hören. Selbst wenn ich in Gesprächen war und aufs Klo gegangen bin, habe ich heimlich Songs gehört, weil ich einfach abhängig war. (lacht) Wenn man sich mit Kanye beschäftigt, merkt man, wie durchgeknallt er ist und dass er nicht mehr checkt, was real ist. Bei "Real Friends" klingt er auf dem Beat einfach so scheiß ehrlich. Ich verstehe es, wenn man ihn nicht feiert. Aber dass er ein Künstler ist, der seinesgleichen sucht, steht für mich außer Frage. Und wer das nicht versteht, hat für mich Musik nicht richtig verstanden.
7. Pusha T – Santeria (prod. by Kanye West)
Paul Uschta: Erzählst du jetzt wieder die Cover-Geschichte? (lacht) Kennst du diesen einen Onkel oder Verwandten, der eine Geschichte zum hundertsten Mal erzählt? Aber sei dir gegönnt.
Timmy Tales: Das Album hat ja Kanye komplett produziert. Auf dem bin ich auch richtig hängen geblieben und habe wochenlang nichts anderes gehört. Aber jetzt will ich unbedingt die Geschichte zum Cover erzählen, weil die so geil ist. (klingt ganz aufgeregt) Eigentlich war ein anderes Cover vorgesehen, aber Kanye wollte Pusha T kurz vor Veröffentlichung zu diesem überreden. Das Foto stammt aus der Nacht und dem Badezimmer, in dem Whitney Houston ertrunken ist, weil sie eine Überdosis hatte. Das ist so skrupellos, weil es auf dem Album eigentlich nur um Kokain-Verkauf geht. Die Rechte an dem Bild haben 85.000 Dollar gekostet. Deswegen hat Pusha T gesagt, dass ihm das zu teuer ist und er das nicht möchte. Und dann hat Kanye es einfach gemacht. (lacht) Ich habe so einen Hang dazu, dass das Cover zu einem Album, das ich feiere, gut oder irgendwie interessant sein muss. Das hier ist geschmacklos, aber es passt so gut zum Inhalt.
8. ScHoolboy Q – CrasH (prod. by Boi-1da)
Timmy Tales: Klassisches Beispiel für: Mir gefällt das Album-Cover nicht. Paul hat mir damals von dem Album erzählt und ich habe mich geweigert, es zu hören, weil ich das Cover so scheiße fand. (lacht) Und dann hat es meine Freundin beim Autofahren angemacht und ich dachte: "Alter, krass. Was ist das denn für ein Lied?" Mittlerweile habe ich mich damit angefreundet.
Paul Uschta: Ich bin auch ein richtiger ScHoolboy Q-Fan, war aber anfangs enttäuscht von dem Album. Dann habe ich es ein paar Mal bei unserem Videomenschen Emma Weh gehört. Und irgendwann fand ich es total geil. Das ist Musik, die ein bisschen braucht. So geht es mir bei Tyler, The Creator auch oft. Man hört das zum ersten Mal und fragt sich: "Was hat der da gemacht?" Aber das ist halt keine Musik zum Weghören.
9. Tyler, The Creator – NEW MAGIC WAND (prod. by Tyler, The Creator)
Paul Uschta: Tyler habe ich angefangen zu hören, weil Timm angefangen hat, Odd Future zu hören. Das war in der Zeit, als wir mit den Argonautiks angefangen haben. Ich muss sagen, selber komme ich selten auf neue Musik und Timm hat mir da schon immer viel gezeigt. Er ist halt ein Nerd und ich nicht. Er sagt bei hundert Alben: "Das ist das beste Album auf der Welt. Das musst du hören." Und irgendwann hört man nicht mehr zu. Aber manchmal sickert dann doch was durch und dann denke ich mir: "Man, er hat schon recht." (Timmy Tales lacht) Tyler ist für mich das krasseste Gesamtpaket, das ein:e Künstler:in mitbringen kann. Da stimmt einfach alles. Der ist stilsicher und jeder Schritt passt perfekt.
Timmy Tales: Vor allem traut er sich extrem viel und ist trotzdem so stilsicher. Das muss man erst mal schaffen.
Paul Uschta: Ich habe Todesflugangst und weiß immer nicht, wie ich mich währenddessen beschäftigen soll. Deswegen habe ich bei meiner New York-Reise auf dem Hin- und Rückflug wahrscheinlich zwanzigmal dieses Album gehört, weil mir das irgendein Gefühl von Sicherheit gegeben hat. Ich weiß nicht, warum. Ich habe mir immer gedacht: "Dieser Typ fliegt auch und der hat keine Angst. Und guck, was der für Musik macht." (lacht)
10. Xzibit – What U See Is What U Get (prod. by Xzbit)
Paul Uschta: Den Song habe ich ausgesucht, weil ich ein Faible für gute Musikvideos habe. Das Lied alleine fand ich schon extrem geil, weil es so ein Kopfnicker ist. Aber das ist für mich ein Paradebeispiel dafür, dass ein Musikvideo einen Song dreimal so krass machen kann. Es ist ein One-Take-Video, in dem Xzibit durch seine Neighborhood läuft. Sobald er aus seiner Tür rausgeht, beginnt einfach ein Action-Film. Es werden Leute erschossen, die Polizei ist da, es springen Menschen durch Schaufenster und dann kommt noch Flavor Flav mit einer riesigen Uhr um den Hals. Jedes Mal, wenn ich das Lied höre, habe ich diesen Drive im Kopf und denke mir: "Nur krass!" Wir legen ja großen Wert auf Musikvideos und wollen auch übelst gerne mal ein One-Take-Video drehen, aber irgendwie kam uns noch nicht die richtige Idee dafür und es ist auch echt schwer, sowas geil umzusetzen.
Timmy Tales: Vor allem, weil man dann so ein Video als Anspruch hat.
Paul Uschta: Dafür fehlt uns auch noch ein bisschen das nötige Kleingeld.
11. Brent Faiyaz – Trust (prod. by Los Hendrix, Thaddeus Dixon)
Timmy Tales: Ich glaube, das habe ich am meisten während unserer Produktionsphase gehört, weil ich es so gut finde. Auch das Video. Brent Faiyaz war mein Frank Ocean-Ersatz. Ich gucke ja immer noch jeden Tag, ob Frank Ocean neue Musik rausbringt.
12. Freddie Gibbs – God Is Perfect (prod. by The Alchemist)
Paul Uschta: "Alfredo" kam raus, als wir mit unserem Album angefangen haben, deswegen lief das viel. Wenn man Rappen an sich nur als Sportart sehen würde, ist Freddie Gibbs einfach ein Champion. Er schafft es, auf jegliche Beats zu rappen – von trappigen Sachen bis hin zu Madlib-Beats. Ich finde es wahnsinnig, was dieser Typ veranstaltet. Wie er es auch immer wieder schafft, sich neu zu entwickeln. Der wird jedes Mal besser.
Timmy Tales: Einer der krassesten Rapper, die es so gibt. Und das schon ziemlich lange.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit den Argonautiks"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Janina Wagner)