"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Mit Kollaborationen ist das immer so eine Sache. Schnell kann das Gefühl entstehen, Musiker:innen arbeiten oft nicht wegen des künstlerischen Inputs, sondern ihrer jeweiligen Reichweite zusammen. Aber dann tauchen Projekte wie die gemeinsame EP von Rapper Tightill, Sängerin Keboo und Produzent und Rapper Dexter auf, die einen vom Gegenteil überzeugen können.
Das Trio gab 2019 mit "Surf" in dieser Konstellation zwar sein Debüt, ließ sich davon aber gar nichts anmerken. Denn die drei Künstler:innen harmonieren auf der Platte nahezu perfekt miteinander. Die ideale Grundlage bietet Dexter mit seinen typisch jazzigen Beats mit Trap-Einschlag, die alles andere als energisch oder treibend daherkommen. Dieser entspannte Vibe passt genau zum Stil von Tightill und Sängerin Keboo. Neben Themen wie der Crew oder dem Crime-Lifestyle beschäftigen sich die beiden auch viel mit Ernstem – zum Beispiel mit Depressionen. Also eigentlich Sachen, die eher traurig stimmen könnten. Die Musiker:innen bleiben aber immer recht oberflächlich und finden vor allem einen anderen Ansatz: "Nimm es, wie es ist." Es geht also darum, das Beste aus einer Situation zu machen und den Moment zu genießen. Das klingt zuerst nach 08/15, wird aber komplett unpeinlich und klischeebefreit rübergebracht. Zu dieser Message und dem angenehmen Feeling der Platte trägt auch die Newcomerin Keboo einen großen Teil bei. Die Jazz-Sängerin rundet die EP mit ihren immer passenden Gesangspassagen, Bridges oder Hooks perfekt ab und rutscht bei manchen ihrer lockeren Zeilen angenehm in Richtung Rap.
Die "Surf"-EP strotzt über ihre 18 Minuten Laufzeit nur so vor good Vibes und Positivität. Die drei Künstler:innen und ihre Features transportieren auf ihren Tracks so viel ungezwungene und authentische Unbeschwertheit, dass ich unwillkürlich gute Laune bekomme. Und das ist mir während der oft erdrückenden Corona-Pandemie besonders wichtig, also: "Mach dich locker und genieß den Vibe."
(Jakob Zimmermann)