Die P – ein Gespräch über Frust
Die Corona-Krise, fehlende Maßnahmen für die Kulturszene, finanzielle Unsicherheit und Pandemieleugner – all das können derzeit Auslöser für Frustration sein. Diese Themen, die viele von uns mehr oder weniger stark betreffen, führen oft dazu, dass Menschen sich benachteiligt oder machtlos fühlen. Um diese Gefühle zu verarbeiten, gibt es unterschiedliche Wege: So bedienen sich unter anderem einige an Rap als Sprachrohr, um damit ihre Missstände zu verbalisieren. Genau dieses Mittel zur Verarbeitung ihres Frusts hat auch Die P gewählt. Seit sie angefangen hat zu rappen, gibt ihr das Musikmachen ein Gefühl von Redefreiheit. Leute sollen ihr zuhören, denn sie hat etwas zu sagen: Ihr Song "Mach Platz" steht beispielhaft dafür, dass sie sich unaufgeregt ihren Platz in der Szene nimmt und ihre Stimme hörbar macht – Frustration ist dabei der größte Antrieb von Die P. Wieso genau diese Emotion ihre besten Songs hervorbringt, haben wir mit der Rapperin im Interview diskutiert. Außerdem hat sie uns erklärt, was sie im Musikbusiness verärgert und wie ihr Glaube ihr hilft, mit Frustration umzugehen.
MZEE.com: Aus psychologischer Sicht beschreibt Frust die Reaktion auf ein Erlebnis, durch das man sich benachteiligt fühlt. Wie würdest du Frust definieren?
Die P: Ich habe mir noch nie die Definition von Frust durchgelesen. Für mich ist es ein alltägliches Gefühl. Ich fühle es sehr oft, wenn ich an Sachen denke, die ich noch tun muss oder wenn etwas nicht klappt. Vielleicht fühle ich mich unterbewusst benachteiligt, aber bewusst ärgere ich mich einfach. Für mich gehören Ärger und Frust zusammen. Viele Ereignisse in meinem Leben haben mich frustriert. Aktionen, die in mir ein gewisses Gefühl geweckt haben, wenn ich gesagt habe, dass mir etwas gar nicht passt oder ich nicht mal gefragt wurde, ob es mir passt. Dadurch entsteht unbewusst Frust.
MZEE.com: Ist dieser auch bedingt durch eine gewisse Machtlosigkeit?
Die P: Das ist ein großer Bestandteil davon. Manchmal weiß man gar nicht, wie man das lösen soll. Frust schwebt über einem wie eine Wolke, die irgendwann wieder vorbeizieht.
MZEE.com: Welche alltäglichen Dinge frustrieren dich?
Die P: Pauschal fallen mir als erstes Alltagsdiskriminierung und -rassismus ein. Das passiert vielleicht nicht täglich, aber sehr oft. Manchmal ist es vom Gegenüber auch gar nicht böse gemeint und liegt an Unwissenheit. Man hat seine Ansichten und kann sich gerne mit anderen austauschen. Mich frustriert es, wenn ich merke, dass mir Leute mit angeblichen Fakten kommen und kein Dialog, sondern eher ein Monolog stattfindet. Oder sie sagen mir direkt ihre Meinung. Das passiert relativ oft und ist echt frustrierend. Vielleicht bin ich der Typ Mensch, dem die Leute gerne etwas mitteilen möchten. Wenn zwischen zwei oder mehr Parteien falsch kommuniziert wird, ist das der größte Grund für Frustration. Das Problem ist, wie man dem Gegenüber beibringt, dass das, was er gesagt hat, einen total frustriert.
MZEE.com: Wenn dich so eine Aussage trifft, versuchst du, das anzusprechen, oder nimmst du es mit nach Hause?
Die P: Ich bin ein Mensch, der die Konfrontation sucht. Aber ich habe gemerkt, dass 90 Prozent der Menschen die Konfrontation meiden. (lacht) Das frustriert mich erst recht. Mit mir kann man drei Stunden diskutieren und debattieren. Aus einer Debatte wird eine Diskussion, daraus wird ein Streit und daraus wird Versöhnung und man wird wieder eins. Ich will Dinge aus der Welt schaffen. Das kann man zwar mit mir machen, aber nicht mit jedem.
MZEE.com: Was würdest du dir von deinem Gegenüber wünschen?
Die P: Man sollte einfach kommunizieren, sich der Sache stellen, sie abschließen und aus der Welt schaffen. Das wäre mein Wunsch, egal ob es um mich oder andere Dinge geht. Ansonsten schreibe ich einen Song. Dann habe ich das abgehakt. Frust ist eine meiner größten Musen. Wenn ich frustriert bin, schreibe ich emotional gesehen die krassesten Songs. Mir gehen dann so viele Gedanken durch den Kopf, die ich rauslassen muss.
MZEE.com: Wieso denkst du, dass diese Emotionen deine besten Texte und Tracks hervorbringen?
Die P: Einer der Gründe, warum ich bis heute Texte schreibe, ist, dass ich gemerkt habe, dass ich schreiben darf, was ich möchte. Im Rap kann ich es so sagen, wie ich es meine. So, wie ich es rüberbringe, wird es nicht infrage gestellt, sondern angenommen. Das war für mich eine wichtige Erkenntnis. Wenn ich mich nicht verstanden fühle oder Luft rauslassen muss und weiß, dass es verbal auch mal etwas härter wird. Wem willst du das antun? Natürlich nur dem Stift und dem Blatt. (lacht) So hat es sich entwickelt, dass ich geschrieben habe, wenn es mir nicht so gut ging. Irgendwann habe ich mich intensiver mit Rap befasst und konnte auch über andere Sachen schreiben, aber meine Anfänge waren tatsächlich so. Ich wollte meine Redefreiheit nutzen.
MZEE.com: Man könnte sagen, Frust und Ärger sind sowohl der Anstoß gewesen als auch die Grundessenz deiner Musik.
Die P: Genau. Natürlich hat HipHop auch viel mit Lifestyle, Coolness und Highlife zu tun, aber ich habe mich relativ früh mit Rap beschäftigt, der ein bisschen tiefgründiger ist. Wenn man meine Songs hört, hört man viel Frust, finde ich. Man merkt schon, dass ich mich beschwere. (lacht)
MZEE.com: Kannst du dich an eine konkrete Situation erinnern, in der Frust über eine bestimmte Sache zu einem Song geführt hat?
Die P: Ja, "Nix sagen" auf der EP "Bonnität" ist so ein Song. Als ich den Track geschrieben habe, habe ich mich geärgert, dass mir jeder erzählen will, wie ich es am besten mache. Jeder wusste es besser. Ich saß zu Hause und war so frustriert. Ich bin nicht richtig vorangekommen und wusste nicht, woran es lag. Dann habe ich den Song geschrieben: "Ich gucke, doch sehe nichts Krasses. Ich lausche, doch höre nur Gleiches. Die Nachrichten nicht zu ertragen, aber ich lasse mir gar nichts mehr sagen." Der Stift hat an dem Abend quasi von alleine geschrieben. Ich habe mir so viel Mühe gegeben und versucht, einiges auf die Beine zu stellen. Am Ende war ich nur noch zu zweit mit meinem Manager. Es war keiner mehr da. Der Song hat mich in dieser Phase ziemlich gut getragen. Es war außerdem eine Zeit, in der ich anfing, meine Tracks über Social Media zu verbreiten. Ich habe gemerkt, dass viele Dinge im Internet schieflaufen und mich eine Zeit lang boykottiert gefühlt. Ob das daran lag, dass ich eine Female-Rapperin bin oder dass noch eine Bantu-Welle kommen musste, bis man mich sieht, weiß ich nicht. In den letzen zwei, drei Jahren haben sich ja etwas mehr Deutschafrikaner im HipHop gezeigt, die auch größeren Erfolg hatten. Das hat sich entwickelt.
MZEE.com: Hast du neben der Musik weitere Ventile, um mit Unzufriedenheit umzugehen?
Die P: Ich habe Menschen, mit denen ich sprechen kann, die Musik und meinen Glauben. Ich bin ein gläubiger Mensch und wurde christlich evangelisch großgezogen. Das fängt mich auf. Wenn ich es zeitlich schaffe, mache ich gerne Sport. Eigentlich sind Rap, Familie und der Glauben die drei Eckpfeiler, an die ich mich halte.
MZEE.com: Inwieweit hilft dir dein Glaube?
Die P: Er trägt mich und ist mein Rücken, wenn man das so sagen darf. (lacht) Meine Familie ist grundsätzlich sehr gläubig. Das spielt eine große Rolle. Deswegen bin ich auch kein nachtragender Mensch. Ich bin vielleicht manchmal frustriert, aber ich kann verzeihen und will mich vertragen. Mein Glaube bringt mich immer wieder dazu, Gutes zu empfinden. Die Wolke aus Frust und Ärger zieht wieder weg. Ich kenne Menschen, die sich tagelang ärgern. Das ist bei mir Gott sei Dank nicht der Fall.
MZEE.com: Lass uns etwas über die Inhalte deiner Songs sprechen. Du redest viel von Marihuana. Ist das für dich ein Mittel, um mit Frust und Stress umzugehen?
Die P: Wenn ich nicht schon getauft wäre, wäre ich bestimmt Rastafari oder so. (lacht) Marihuana ist für mich nicht nur Medizin, sondern auch Meditation und ein Anker, der mich im Gleichgewicht hält. Man muss zwischen Konsum und Missbrauch unterscheiden. Da schätze ich mich für eigenständig und bewusst genug ein, um zu wissen, wie ich das einsetze. Wenn ich frustriert bin und einen rauche, verschwindet der Frust nicht direkt. Die Flamme wird dann nur ein bisschen kleiner gehalten. Ich kann auch schreiben, wenn ich rauche, und bin immer noch verärgert. (lacht) Marihuana gehört zu mir als Person sowie HipHop. Ich glaube nicht, dass es meine Musik beeinträchtigt oder pusht. Tatsächlich bin ich sehr froh darüber, dass sich das ausgleicht und das eine mit dem anderen einhergeht.
MZEE.com: Auch die Themen Business und Geld tauchen häufig in deinen Texten auf. Wie wichtig ist dir finanzielle Unabhängigkeit?
Die P: Es ist ja bekannt, dass Frauen im gleichen Job immer noch weniger verdienen als Männer. Das meine ich aber grundsätzlich nicht, wenn ich von Business spreche. Natürlich ist mir finanzielle Unabhängigkeit sehr wichtig. Auch, wenn ich aktuell noch arbeiten gehe, ist es mein Ziel, das irgendwann nicht mehr tun zu müssen. Man sagt immer, du kannst machen, was du willst. Aber wenn es um Finanzen und Geschäfte geht, muss man sich anpassen. Man kommt oft irgendwo rein und versucht, sich einzubringen. Dann wird man ganz schnell gebremst, weil Geschäfte einfach so laufen, wie sie laufen. Daran kann auch Die P nichts ändern. Ich kann nur schauen, wie ich damit umgehe und zeigen, dass ich es anders machen würde. Ich würde gerne weniger eingeschränkt werden. Egal, worum es geht.
MZEE.com: Was nervt dich am meisten am Musikbusiness?
Die P: Mich nervt es total, dass alles wie Fast Food ist. Eigentlich konsumieren wir alle Fast Music. Ich versuche, in meinen Texten nicht zu arg auf diesem Thema rumzureiten, weil ich es nicht ändern kann. Aber es ärgert mich, dass es sehr schnelllebig geworden ist und deutscher HipHop nicht mehr die gleiche Qualität und Nachhaltigkeit hat, die er mal hatte. Ich weiß nicht, welches andere Musikgenre schon so gut durchgenudelt wurde, aber HipHop wird gerade richtig hops genommen. (lacht) Ich kann mich erinnern, dass früher jeden Donnerstag auf VIVA die Top 100 liefen. Davon konntest du dir auf jeden Fall 70 Songs geben.
MZEE.com: Der Kuchen ist natürlich für alle größer geworden. Aber ich glaube, es ist als Untergrund-Künstler schwierig, an die Oberfläche zu kommen.
Die P: Ich merke, dass es im Boom bap-Underground sehr brodelt. Es gibt richtig gutes Zeug, aber man muss danach suchen. Wir wollen alle ein bisschen was verdienen. Ein gutes Beispiel ist Sugar MMFK aus Bonn mit seiner letzten EP "Blond". Da haben viele gesagt, dass wieder ein guter Rapper verloren gegangen wäre, wegen des Sounds der Platte. Es ist doch nicht verwerflich, wenn sich ein Künstler ausprobiert. Das Musikbusiness hat sich einfach geändert. Damals war es gang und gäbe, dass man Geld machen wollte. Das ist heute auch noch so, aber eher nach dem Motto "schnell schnell". Wenn wir auschließlich so konsumieren, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn alle nur noch in den Streaming-Drive-in fahren und keiner mehr in den Plattenladen geht. Ich bin ein Freund von Dauerhaftigkeit. Ich höre immer noch gerne Fugees und Wu-Tang. Wie kann es sein, dass ich das immer noch feiere? Die müssen irgendwas anders gemacht haben. Das Musikbusiness frustriert mich echt arg, darüber könnte ich drei Stunden reden. (lacht)
MZEE.com: Wie kann man das ändern? Was würdest du dir wünschen?
Die P: Mehr Portale, die Underground-Künstler pushen. Heutzutage ist das über Social Media kein großer Akt mehr. Ich selbst als Künstlerin kann nichts machen, außer weiter Mucke rauszuhauen, die meines Erachtens beständig ist. Das ist mein Beitrag. Ändern können es nur die Leute, die ein bisschen größer sind. Portale wie Hiphop.de oder auf LEVEL von Amazon Music. Die könnten mehr über den Tellerrand hinausschauen und würden nicht jede Woche Capital Bra auf die Seite setzen, der sowieso schon seine 20 Millionen auf dem Konto hat. Ich sehe Haze, Ulysse, Kwam.E, Buddha. Das sind alles Boom bap-Kings. Wo sind deren Artikel? CashMo ist gerade wegen seines Songs im Gespräch gewesen. Es ist jedem selbst überlassen, wie er dazu steht. Aber er macht krasse Boom bap-Mucke. Er hat dieses Jahr ein Hiphop.de-Interview bekommen. Vorher hat man ihn als nicht relevant genug angesehen.
MZEE.com: Die größeren Medien müssen natürlich auf ihre Zahlen gucken. Durch Social Media haben sie viel Konkurrenz bekommen, weil die Künstler nicht mehr auf sie angewiesen sind.
Die P: Ja, klar. Letztendlich ist es wichtig, dass man den Leuten nicht ständig das Gleiche reindrückt. Mir persönlich geht es so. Alle, die Bock auf Musik und HipHop haben, sollten sich kein Beispiel an Instagram-Rappern nehmen. Sie sollen vernünftige Musik hören und sich da ihre Vorbilder suchen. (lacht)
MZEE.com: Der Zeitgeist im Mainstream geht eher in Richtung Modus Mio. Würdest du dir wünschen, dass Boom bap kommerziell erfolgreicher ist?
Die P: Es gibt auf jeden Fall genug Leute, die richtig geilen Boom bap machen, den ich mir reinziehen kann. Aber mir geht es nicht nur um den Transport. Es gibt auch Lelele-Lieder, die ich höre. Wenn ich mir Modus Mio anhöre, ist der Inhalt in einem Großteil der Songs der gleiche. Das hat man alles schon mal gehört. Viele Leute beschäftigen sich erst durch Social Media mit HipHop. Dadurch transportieren sie nur das, was dort präsentiert wird. Einer sitzt mit dem Beat im Auto, ein Kollege sitzt nebenan, der andere filmt mit dem Handy und man trägt eine coole Uhr. Das sind Formeln, die meiner Meinung nach nicht so omnipräsent sein müssen. Ich fände es cool, wenn es eine Mischung wäre. Dann könnte man alles vorstellen und jedem seine Reichweite geben. Es hat sich ja auch gut entwickelt, deutscher HipHop ist so vielfältig. Wir können mittlerweile richtig viele Rubriken abdecken so wie in Amerika. Wir haben geile Drill-, Trap- und Boom bap-Rapper. Das ist alles cool, aber warum denn immer nur die gleiche Sache pushen?
MZEE.com: Während der Corona-Pandemie sitzt der Frust bei vielen Menschen in der Kunst- und Kulturszene wegen der fehlenden Unterstützung der Regierung tief. Wie gehst du mit der Situation um?
Die P: Es ist das härteste Jahr für mich als Musikerin. Ich mache gerne Musik im Studio und habe auch gerne Kontakt mit der Community über Social Media, aber ich lebe existenziell von der Bühne. Dadurch, dass das seit Februar komplett weggefallen ist, habe ich stark mit mir selbst zu kämpfen gehabt. Nach zwei Monaten ohne Auftritt habe ich gemerkt, dass es sich aufstaut. Man lässt auf der Bühne viel raus. Dann habe ich den Fokus auf mein Album gesetzt und mich im Studio verbarrikadiert, um es darüber zu kompensieren. Ich bin auch verärgert über die Politik. Ich wünsche mir ein vernünftiges, langfristiges Konzept für Kunst und Kultur. Es ist eine Essenz, die eine Gesellschaft größtenteils ausmacht. Man weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Es ist sehr schwer, sich gedanklich damit zu befassen. Ich kann nur hoffen, dass die das gedeichselt kriegen. Hätte ich nicht an meinem Album arbeiten können, wüsste ich nicht, wie ich mit der Frustration, nicht auf die Bühne gehen zu können, klargekommen wäre.
(Alexander Hollenhorst & Malin Teegen)
(Fotos von Tristan Barkowski)