Es ist kalt, es ist grau, es gibt immer noch Corona. Die ideale Zeit also, um Tag für Tag bei unserem Adventskalender mitzufiebern. Wieder werfen wir einen Blick zurück auf die letzten 24 Jahre: Welche Meilensteine gab es? Welche Momente sorgten dafür, dass deutscher Rap einflussreicher wurde denn je? Weil uns Alben zu einfach sind (und wir sie schon hatten, siehe hier), haben wir uns dieses Jahr drangemacht und den jeweils einen Track gesucht, der die Szene über sein Erscheinungsjahr hinaus entscheidend geprägt hat. Jeden Tag stellen wir Euch somit – angefangen 1997 – einen Song vor, der entweder durch seinen Sound, seinen Inhalt oder seine Form unserem Lieblingsgenre seinen Stempel aufgedrückt hat.
2004: Sido – Mein Block
Doch im MV scheint dir die Sonne aus'm Arsch.
In meinem Block weiß es jeder: Wir sind Stars.
Damals mit zwölf hatte ich das Gefühl, nur hinter vorgehaltener Hand zugeben zu dürfen, dass ich "erst" durch Sido zu Rap gestoßen bin und mich davor nie wirklich dafür interessiert habe. Heute gehört man schon zum mehr als alten Eisen, wenn man noch aus einer Zeit stammt, in der er Maske tragend über seinen Block rappte.
Doch auch, wenn es vor und nach "Mein Block" immer Künstler gab und geben wird, die Rap auf ihre Weise beeinflussen und verändern, so dürfte es für einen erstaunlich großen Teil – mich eingeschlossen – eines der prägendsten Lieder der gesamten deutschen Szene sein. Dass Sido so viele junge Leute zu seinen und Fans von Rap im Allgemeinen machte, lag nicht zuletzt daran, dass das Gesamtwerk ein absolutes Novum zu sein schien. Grandios von den Aggro Berlin-Chefs und allen voran Specter in Szene gesetzt, stellte das Indie-Label alles auf den Kopf. Die Kombination aus Straßenattitüde, passend eingängigem Beat – wobei der Beathoavenz-Remix populärer scheint als das Roe Beardie-Original – und vor allem der auf Hochglanz polierten Totenkopfmaske im Video polarisierte landesweit. Ob man Gefallen an dem fand, was Sido über seinen Plattenbau rappte, oder es hasste: Jeder kannte den "Jungen ausm Block". Man diskutierte darüber, wie der "Rüpelrapper" unter der Maske aussähe, ob er nun Sigmund oder Paul heißen würde und ob die BPjM hier nicht rigoros indizieren müsse. Neben all dem Trubel hatte Sido fast unbemerkt einen Fuß in die Tür zur popkulturellen Relevanz bekommen. Anfangs noch belächelt, etablierte er sich in den Folgejahren dann aber doch und ist inzwischen nicht mehr wegzudenken.
Egal, ob Sidos eigener Werdegang zum Platinkünstler und gern gesehenen Gast in diversen TV-Shows oder die Entwicklung von Gangsterrap an sich samt obligatorischen Erstplatzierungen in den Charts: Verdammt vieles, was heute im Rapkosmos gang und gäbe ist, hatte seinen Ursprung genau hier. Bei einem Typen, der damals noch dachte, "alt und grau im MV" zu werden und erfolgreicher kaum hätte werden können.
(Daniel Fersch)
(Grafiken von Daniel Fersch)