Es ist kalt, es ist grau, es gibt immer noch Corona. Die ideale Zeit also, um Tag für Tag bei unserem Adventskalender mitzufiebern. Wieder werfen wir einen Blick zurück auf die letzten 24 Jahre: Welche Meilensteine gab es? Welche Momente sorgten dafür, dass deutscher Rap einflussreicher wurde denn je? Weil uns Alben zu einfach sind (und wir sie schon hatten, siehe hier), haben wir uns dieses Jahr drangemacht und den jeweils einen Track gesucht, der die Szene über sein Erscheinungsjahr hinaus entscheidend geprägt hat. Jeden Tag stellen wir Euch somit – angefangen 1997 – einen Song vor, der entweder durch seinen Sound, seinen Inhalt oder seine Form unserem Lieblingsgenre seinen Stempel aufgedrückt hat.
2001: Samy Deluxe – Weck mich auf
Ich bin der Typ, der kurz nach Beginn der Party schon geht.
Weil ich nicht feiern kann, solange ich in Babylon leb'!
"Hamburg-City rulet, wer behauptet was anderes?", rappte Samy Deluxe bereits 1998 auf "Füchse". Auch 2001 konnte die HipHop-Community stolz in den hohen Norden blicken – zumindest inhaltlich. Denn Samy richtete sich in "Weck mich auf" an die gesamte deutsche Gesellschaft und besprach etliche soziale und politische Missstände.
Der Track, den man bereits innerhalb der ersten Sekunden am eingängigen Beat des Hamburger HipHop-Urgesteins Sleepwalker erkennt, zeichnet in etwa fünf Minuten ein erschreckendes Gesellschaftsbild Deutschlands. Erschreckend deshalb, weil die meisten Lines auch knapp zwanzig Jahre später immer noch zutreffend sind. Angefangen bei rassistischen Übergriffen über Spielsucht und Depressionen bis hin zur Umweltverschmutzung beziehungsweise der Vergewaltigung von "Mutter Natur". Aktuell haben leider einige "Querdenker" Freude daran, einzelne Zeilen des Songs für sich zu nutzen. Und das muss man Samys Track leider etwas ankreiden, werden doch an einigen Stellen Problematiken enorm vereinfacht dargestellt und bestimmte Gesellschaftsbereiche per sé dämonisiert. Trotzdem lädt der Song, der auf dem unüberhörbaren Sample von dem Track "The Song (They Love To Sing)" der Rockband Barclay James Harvest basiert, zum Kopfnicken ein. Die Hook könnte kaum eingängiger sein und beschreibt einen Wunsch, den ich selbst immer mal wieder verspüre. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Wickeda MC beim Erscheinen seines ersten Solo-Albums "Samy Deluxe" gerade mal 22 Jahre alt war. Gerade hier, zwischen den überwiegenden Battle- und Representer-Tracks der Platte, wird die Sonderstellung des Tracks deutlich.
Mittlerweile geht 2020 zu Ende und ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn Samy das Ding live bringt. Auch wenn "Gerhard" mittlerweile durch "Angie" ersetzt wurde, ändert das nichts an der Aktualität der meisten Zeilen aus "Weck mich auf".
(Alec Weber)
(Grafik von Daniel Fersch)