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Interview

Lord Folter – ein Gespräch über Inspiration

"Ich habe den Anspruch, dass das, was ich mache, die Leu­te vor den Kopf stößt und sie irri­tiert. Das kann ich nicht, wenn ich die gan­ze Zeit alles Art­ver­wand­te kon­su­mie­re." – Lord Fol­ter im Inter­view unter ande­rem dar­über, was Inspi­ra­ti­on für ihn bedeu­tet und wel­che Ein­flüs­se er bewusst vermeidet.

Wenn wir ein Werk eines Künst­lers in der Hand hal­ten, ist für uns nicht auf den ers­ten Blick ersicht­lich, wel­chen Weg die­ses hin­ter sich hat. Egal, ob Album, Gemäl­de oder Buch am Anfang eines Schaf­fens­pro­zes­ses steht etwas, das nicht mal der Künst­ler selbst defi­nie­ren kann: die Inspi­ra­ti­on. Ein Gedan­ke, eine Begeg­nung oder eine sons­ti­ge Ein­ge­bung, die in vie­len Schrit­ten ver­bild­licht, zu Papier gebracht oder zu Musik ver­ar­bei­tet wird. Lord Fol­ter hat die­sen Schaf­fens­pro­zess gera­de hin­ter sich und ein neu­es Album in der Pipe­line. Im Gespräch mit dem Düs­sel­dor­fer Rap­per und ehe­ma­li­gen Kunst­stu­den­ten haben wir ver­sucht zu grei­fen, aus wel­chen Quel­len er Inspi­ra­ti­on zieht und wel­che Ein­flüs­se er bewusst ver­mei­det. Wel­che Rol­le spie­len Sub­stan­zen, die Men­schen in sei­nem Umfeld und die Begeg­nun­gen mit ihnen für sei­ne Kunst? Außer­dem spra­chen wir mit Lord Fol­ter über Selbst­re­fle­xi­on im Schreib­pro­zess und die The­se, dass die tie­ri­sche Natur des Men­schen in der Kunst sicht­bar sein sollte.

MZEE​.com: Ich habe dir zum The­ma Inspi­ra­ti­on zwei gegen­sätz­li­che Zita­te mit­ge­bracht. Das ers­te stammt vom bri­ti­schen Schrift­stel­ler Samu­el But­ler: "Inspi­ra­ti­on ist nie­mals echt, wenn man sie gleich als sol­che emp­fin­det. Wah­re Inspi­ra­ti­on stellt sich unbe­merkt ein und wird erst nach eini­ger Zeit in ihrer vol­len Bedeu­tung erkannt." Das zwei­te stammt vom fran­zö­si­schen Bild­hau­er Augus­te Rodin: "Die Inspi­ra­ti­on? Haha! Das ist eine alte roman­ti­sche Idee ohne Sinn und Ver­stand." Wür­dest du einem der bei­den zustimmen?

Lord Fol­ter: Rodin auf jeden Fall. Gehen wir davon aus, dass Kunst nur exis­tiert, weil man sie mit einer Spra­che beschrei­ben kann. Dar­auf basiert jede künst­le­ri­sche Dis­zi­plin. Das gilt auch für Bild­haf­tes. Jeder Künst­ler oder Rezi­pi­ent muss in sei­nem Kopf einen Mono­log über ein Kunst­werk hal­ten. In die­sem Sin­ne ist mir die Aus­sa­ge von But­ler zu tech­nisch. Inspi­ra­ti­on als etwas zu begrei­fen, das ein­fach da ist, erschließt sich mir nicht. Da bin ich eher bei Rodin, dem die­ser Begriff eigent­lich scheiß­egal ist. Ich habe das Gefühl, dass die Men­schen oft an sprach­li­chen Din­gen fest­hal­ten und sich selbst im Weg ste­hen. Was ist denn Inspi­ra­ti­on per Defi­ni­ti­on? Eine Art plötz­li­che Erqui­ckung, die dich dazu drängt, etwas zu erschaf­fen? Die kommt ein­fach irgend­wo­her, man reagiert auf bestimm­te Umstän­de. But­ler ver­ste­he ich so, dass sie eine total hei­li­ge Sache sei, die sich erst nach einer Leb­zeit beschrei­ben lässt. Das ist mir zu kom­pli­ziert gedacht und formuliert.

MZEE​.com: Das Wort "Inspi­ra­ti­on" stammt aus dem Latei­ni­schen und bedeu­tet in etwa "Besee­lung". Ich glau­be, gera­de frü­her wur­de sie auch als "Got­tes­ge­schenk" angesehen.

Lord Fol­ter: Das ist so eine Art Okkul­tis­mus, ja. Ich ken­ne auch Tage, an denen ich mich inspi­riert füh­le und gar nicht genau weiß, in wel­cher Form. Aber irgend­et­was regt sich in mir und fühlt sich neu an. Ich habe dann ein Inter­es­se an etwas, das ich nicht genau beschrei­ben kann. Wahr­schein­lich kennt jeder Situa­tio­nen, in denen er sich beson­ders leben­dig fühlt und die sich vom All­tag unterscheiden.

MZEE​.com: So ähn­lich könn­te man das Zitat von But­ler auch interpretieren.

Lord Fol­ter: Ja, ich ver­ste­he das auch, aber mir ist es zu viel gedacht. Rodin lehnt die Aus­ein­an­der­set­zung damit direkt ab, weil sie ihn von der Inspi­ra­ti­on weg­trei­ben könn­te. Ich den­ke, das trifft zu: Je mehr ich dar­über nach­den­ke, was ich machen will, des­to weni­ger bin ich bereit, dar­an zu arbei­ten und des­to schwe­rer fällt es mir, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Des­we­gen ist die­se Punkrock-​Attitüde viel­leicht gut, es zu neh­men, wie es kommt. Es lohnt sich nicht, ewig dar­über zu sin­nie­ren. Wenn ich ver­su­che, Sounds von Anfang an zu zer­den­ken und zu mixen, ist der Song schon vor­bei. Dann ach­te ich nur noch dar­auf, wie er gut klingt. Aber es geht nicht mehr um den krea­ti­ven Fluss.

MZEE​.com: All­ge­mein gefragt: Inspi­rie­ren dich eher äuße­re Ein­drü­cke oder dei­ne Gedan­ken­gän­ge und dein Inneres?

Lord Fol­ter: Alles kommt irgend­wie aus mir selbst, wür­de ich sagen. Natür­lich habe ich aber even­tu­ell vor einem Jahr jeman­den getrof­fen, der mich zu einem bestimm­ten Gefühl geführt hat. Das kann ich nicht klar tren­nen und pas­siert ja auch unter­be­wusst. Wie sehr bin ich mir dar­über im Kla­ren, dass die Din­ge, die mir in den ver­gan­ge­nen 30 Jah­ren pas­siert sind, wich­tig für mei­ne aktu­el­le Arbeit sind? Bei man­chen Zei­len hört man es wahr­schein­lich deut­li­cher her­aus als bei ande­ren. Aber es hängt alles damit zusam­men, was ich in mei­nem Leben erlebt habe.

MZEE​.com: "Guter Rap gedeiht im Dreck" ist nicht nur ein Album von Mach One, son­dern außer­dem ein geflü­gel­tes Wort in der Sze­ne gewor­den. Gilt das auch für dei­ne Musik?

Lord Fol­ter: Ich glau­be schon, dass man lei­den und sich durch etwas durch­kämp­fen muss, um am Ende vor­an­zu­kom­men. Ich hab' auch ähn­li­che Zei­len. Auf dem neu­en Album rap­pe ich: "Ich wasch' mir die Hän­de im Dreck." Das sagt im Grun­de dasselbe.

MZEE​.com: Wel­che Stim­mung und Umge­bung inspi­rie­ren dich in dem Zusammenhang?

Lord Fol­ter: Wie man sich vor­stel­len kann, bin ich nicht der Typ, der mit Leu­ten abhängt und sich Dro­gen bal­lert, wenn er Songs auf­nimmt. Das ist natür­lich völ­lig legi­tim, aber nicht mein Anspruch. Ich steh' auch nicht auf eine dre­cki­ge Umge­bung. Ich den­ke, Mach One meint damit, sich mit Sachen aus­ein­an­der­zu­set­zen, die für Men­schen nicht ange­nehm sind. Dass man Din­ge anspricht, die weh­tun, eklig, anstö­ßig, pola­ri­sie­rend oder irri­tie­rend sind. Das ver­ste­he ich unter Dreck. In mei­ner Kunst bin ich auf­rich­tig und mache mich nackt. Ich habe mal eine Per­for­mance für einen Akademie-​Rundgang gemacht, bei der ich mich in einer Wildschwein-​Suhle gewälzt habe. Das war für die Leu­te total komisch: Ich hat­te ganz nor­ma­le Kla­mot­ten an, man sah die Cal­vin Klein-​Boxershorts … Das war der per­fek­te Grad zwi­schen Kul­tur und Natur. Woher kom­me ich, wor­aus bestehe ich? Die Men­schen ver­su­chen, sich davon zu ent­fer­nen, was sie eigent­lich sind und sich zu erhö­hen. Irgend­wann hat man sich sehr von den Tie­ren distan­ziert und sich als Krö­nung der Schöp­fung gese­hen. Ich habe das Gefühl, dass man den Leu­ten vor­hal­ten muss, dass wir alle die­sel­ben Kon­di­tio­nen haben. Wir leben in einem Kör­per, set­zen uns mit Kör­per­lich­keit aus­ein­an­der und haben bestimm­te Bedürf­nis­se. Das ist etwas Tie­ri­sches und muss in der Kunst sicht­bar wer­den. Sie muss ver­letz­lich sein. Rick Rubin pos­tet auf Insta­gram häu­fig Zita­te, zum Bei­spiel: "Some­thing less per­fect may seem more human, more real. Ulti­m­ate­ly more desi­ra­ble." Das bringt es auf den Punkt. Viel­leicht ist das Unper­fek­te und Fehl­ba­re der Dreck.

MZEE​.com: Die­ser Dreck beschreibt für dich etwas Künst­le­ri­sches und Ästhe­ti­sches. Es gibt natür­lich auch eine ande­re Form von Obs­zö­ni­tät im deut­schen Rap. 

Lord Fol­ter: Vie­les an Ber­li­ner Rap konn­te ich mir nie anhö­ren. Ich fand das schon als Jugend­li­cher mega ekel­haft und hat­te kei­nen Bezug dazu. Das hat mich scho­ckiert. Vie­le mei­ner Zeit­ge­nos­sen haben mir gesagt, wie bescheu­ert sie das fän­den, das gehö­re bei Batt­ler­ap eben dazu.

MZEE​.com: Es gibt vie­le gro­ße Hits, die vor Sexis­mus nur so trie­fen und noch heu­te ziem­lich unkri­tisch gefei­ert werden.

Lord Fol­ter: Total. Ich hab' eine Zei­le im Kopf, die ich jetzt nicht zitie­ren wer­de, die für mich die obers­te Gren­ze an Ekel dar­stellt. Und es ist kein ästhe­ti­scher Ekel, an dem du wach­sen kannst. Es stößt mich ein­fach nur ab, ich könn­te kot­zen. Über­leg dir im Ver­gleich mal: Retro­gott hat Stel­lung bezo­gen, weil er frü­her das Wort "schwul" als nega­ti­ve Kon­no­ta­ti­on benutzt hat. Ande­re stan­den nie für ihre wider­li­chen Tex­te gera­de. Ich will mir kei­nen schlech­ten Ruf machen, aber fin­de das total verachtenswert.

MZEE​.com: Retro­gott hat das ja reflek­tiert, sich dafür ent­schul­digt und ändert die Tex­te live ab.

Lord Fol­ter: Mega. Wer hat das sonst gemacht zu der Zeit? Der Typ ist nicht der berühm­tes­te Rap­per gewe­sen und hat sich trotz­dem in der Ver­ant­wor­tung gefühlt, das zu klä­ren, weil er im Nach­hin­ein etwas ver­stan­den hat. Er war sich nicht zu stolz dafür und das fin­de ich bewun­derns­wert. Ich glau­be, dass das super­wich­tig war und er vie­len Leu­ten die Augen geöff­net hat. Die Fra­ge ist, wie es heu­te wei­ter­geht. Aktu­ell hast du weni­ger unter­schwel­li­gen Sexis­mus als popu­lis­ti­sches Ver­hal­ten, wenn es um Dro­gen oder Männ­lich­keits­bil­der geht. Die Kids sind alle krass auf Fashion unter­wegs, je mehr du bal­len kannst, des­to bes­ser. Je grö­ßer und kräf­ti­ger du bist, des­to bes­ser. Das Männ­lich­keits­bild ist zwar nicht so obs­zön, aber es geht teil­wei­se in eine Prollo-​Richtung. Leu­te brüs­ten sich damit, auf dem Pau­sen­hof kei­ne Schlä­ge­rei ver­lo­ren zu haben. Ihr Pfos­ten. Ich war einer der Jungs, die von euch ver­prü­gelt wur­den. Du schämst dich heu­te nicht dafür und ver­dienst damit noch Geld, willst du mir das ernst­haft sagen? Sol­che Zei­len machen mich manch­mal wirk­lich wütend. Aber die Leu­te ste­hen halt dar­auf. Es ist cool, der Schlä­ger gewe­sen zu sein. Wahr­schein­lich fin­den das die Men­schen gut, die frü­her gemobbt wur­den. Das hat sich komisch ver­la­gert. Viel­leicht wer­de ich jetzt wie­der als der Deutschlehrer-​Typ gese­hen, aber manch­mal den­ke ich mir, dass sich eini­ge Leu­te etwas mehr Zeit für ihre Releases neh­men könn­ten. Viel­leicht ein paar Tage weni­ger splif­fen und mehr Arbeit in die Tex­te inves­tie­ren. Gei­le Beats gibt's an jeder Ecke, musi­ka­lisch kannst du nicht viel falsch machen.

MZEE​.com: Kom­men wir zurück zu dei­ner Musik. Wel­che Erfah­run­gen hast du mit Rausch­mit­teln im Schreib­pro­zess gemacht? Sind sie für dich ein legi­ti­mes Mit­tel zur Inspi­ra­ti­on oder lehnst du das eher ab?

Lord Fol­ter: Vor­ab: Ich will abso­lut nichts ver­herr­li­chen und nie­man­dem etwas emp­feh­len. Seit ich mit Hip­Hop zu tun habe, war Mari­hua­na immer ein The­ma. Es gehör­te damals wie heu­te dazu. Und ich muss ganz ehr­lich geste­hen, dass es für mich manch­mal nicht zu tren­nen ist. Viel­leicht liegt das am Umfeld, in dem ich sozia­li­siert wur­de, viel­leicht auch an den gene­rel­len HipHop-​Codes. Aber man braucht kein Rausch­mit­tel, um gute Arbeit zu leis­ten – egal, ob man Musi­ker oder Schrei­ner ist. Manch­mal sit­ze ich auch mor­gens mit einem Kaf­fee im Gar­ten und mir kom­men Sachen in den Sinn. Ich muss kei­nen Alko­hol trin­ken oder mir Psy­che­de­li­ka geben, um beson­de­re Tex­te zu schrei­ben. Die bes­ten Songs sind nüch­tern oder zumin­dest aus nüch­ter­nen Gedan­ken entstanden.

MZEE​.com: Blu­men­topf haben sich mit dem Song "Nur dass ihr wisst" 2001 gegen die­se Asso­zia­ti­on von Hip­Hop und Marihuana-​Konsum ausgesprochen. 

Lord Fol­ter: Hört sich gut an, fin­de ich fei­er­bar. So Education-​Rap kann man eigent­lich nicht haten und soll­te man sich mal zu Her­zen nehmen.

MZEE​.com: Es ist schon inter­es­sant, dass sich bei allen Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen Real­kee­pern und der, sagen wir mal, New School alle aufs Kif­fen eini­gen können. 

Lord Fol­ter: Es ist mitt­ler­wei­le ein­fach sehr aner­kannt. Es gibt die Dis­kus­si­on um Lega­li­sie­rung, CBD ist ein The­ma, Kif­fen ist so salon­fä­hig wie nie zuvor. Umso ein­fa­cher ist es, das in Tex­ten oder Vide­os zu the­ma­ti­sie­ren. Das kann man pro­ble­ma­tisch fin­den, irgend­wie fin­de ich es aber auch okay. Wenn du in Düs­sel­dorf am Haupt­bahn­hof rum­läufst, ist auf jeden Fall nicht Mari­hua­na das Pro­blem. Das soll nicht die Pro­ble­ma­tik schmä­lern, dass viel zu jun­ge Men­schen mit gestreck­tem Scheiß in Berüh­rung kom­men oder sich Psy­cho­sen ankif­fen. Aber ich seh' so vie­le lee­re Gesich­ter, die von Alko­hol zer­fres­sen sind. Wenn du Musik machst und ger­ne kiffst, dann mach es halt. Ich will es weder anpran­gern noch ver­herr­li­chen. Nur muss man mit 14 sicher nicht Blunts rau­chen, wenn man Trap-​Songs macht.

MZEE​.com: Inwie­fern ziehst du Inspi­ra­ti­on aus ande­rer Kunst?

Lord Fol­ter: Ich hab' im letz­ten Jahr echt wenig gele­sen und mir kaum Bil­der ange­se­hen. Ich den­ke auch, dass zu viel Input gar nicht gut ist. Das stört dei­nen eige­nen Fluss. Als Künst­ler muss man zu einem gewis­sen Teil in sei­ner eige­nen Welt leben, um etwas zu for­mu­lie­ren. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit zu viel aktu­ell erfolg­rei­cher Musik zum Bei­spiel lässt einen in die­sel­be Num­mer abdrif­ten. Aktu­ell kom­men vie­le Acts hoch, die den glei­chen Sound fah­ren, weil es funk­tio­niert. Das fin­de ich künst­le­risch pro­ble­ma­tisch, weil im End­ef­fekt ein Pro­dukt raus­kommt, das die Hörer haben wol­len. Ich habe den Anspruch, dass das, was ich mache, die Leu­te vor den Kopf stößt und sie irri­tiert. Das kann ich nicht, wenn ich die gan­ze Zeit alles Art­ver­wand­te kon­su­mie­re. Dann arbei­te ich auto­ma­tisch in die Rich­tung. Aber natür­lich höre ich auch mal etwas und wer­de durch ande­re inspi­riert. Das neue Goldroger-​Album fand ich zum Bei­spiel groß­ar­tig. Auch Pash­anim. Selbst mei­ne Freun­din, die kaum Rap hört, fin­det ihn anders als den Kram, der sonst läuft. Der hat sowas Arthouse-​Freshes an sich. Irgend­wie habe ich das Gefühl, dass man ihn noch gar nicht rich­tig ernst neh­men kann und das fin­de ich beflügelnd.

MZEE​.com: Gibt es Men­schen, die dich inspi­rie­ren? Hast du so etwas wie eine Muse?

Lord Fol­ter: Ganz ehr­lich: Mei­ne Kin­der. Es ist echt hef­tig, was das mit einem macht. Ich kann gar nicht näher dar­auf ein­ge­hen, weil ich sonst zu emo­tio­nal wer­de. Ich wür­de kei­nen Song über mei­ne Kin­der schrei­ben, aber ich habe schon manch­mal das Bedürf­nis, das in akus­ti­scher Musik zu ver­ar­bei­ten. So Silbermond-​mäßig. (lacht) Nee. Aber ich hab' letz­tens erfah­ren, dass die­ser schreck­li­che Song von denen, "Das Bes­te", gar nicht von einer Roman­ze, son­dern ihrem Kind han­delt. So konn­te ich das schon eher ver­ste­hen. Kin­der sind supe­rin­spi­rie­rend. Men­schen, die total gemüt­lich und hei­ter sind, inspi­rie­ren mich auch. Es sind eher zwi­schen­mensch­li­che Begeg­nun­gen als gro­ße Künstler.

MZEE​.com: Kin­der brin­gen einen auch dort­hin zurück, woher man kommt – was du vor­hin schon ein­mal ange­spro­chen hast. Dar­über sind sich die Men­schen in den ver­schie­dens­ten Schich­ten und Kul­tur­krei­sen einig. 

Lord Fol­ter: Vol­le Möh­re. Man hält das immer für gro­ßes Gela­ber und Geflos­kel. Ich hab' nie dar­über nach­ge­dacht, wenn mei­ne Mut­ter mein­te, dass ihre Kin­der ihr das Wich­tigs­te sind. Das pas­siert auch nicht auto­ma­tisch bei der Geburt. Du musst erst mal eine Bezie­hung zu die­sem Wesen auf­bau­en. Da pas­sie­ren Din­ge, die bei mir etwas aus­ge­löst haben, das ich nicht kann­te. Es ver­än­dert auf jeden Fall dein Leben.

MZEE​.com: Ich möch­te mit dir noch über den Song "ADHS" spre­chen. Du beschreibst dar­in ADHS-​typische Ver­hal­tens­mus­ter. Unter ande­rem rappst du: "Lauf wie ein Blin­der Krei­se im Zim­mer. Ich denk' mich behin­dert. Das kommt vom ADHS." Hilft dir das Schrei­ben, dei­ne eige­nen Gedan­ken zu ordnen?

Lord Fol­ter: Das ist schwie­rig zu sagen, weil ich nicht Tagebuch-​mäßig mei­ne Gedan­ken auf­schrei­be. Ich habe eher das Gefühl, Din­ge durch das Schrei­ben zu ver­kom­pli­zie­ren. Aber nicht nega­tiv, son­dern in dem Sin­ne, dass ich auf etwas hin­aus­will. Sor­tier­ter füh­le ich mich danach nicht wirk­lich. Ich ver­su­che viel­leicht, aus dem Rie­sen­cha­os an Mög­lich­kei­ten, die Spra­che bie­tet, eine Ord­nung her­zu­stel­len. Aber für mich per­sön­lich funk­tio­niert das nicht. ADHS wur­de bei mir als Kind dia­gnos­ti­ziert. Ich war für die Leh­rer der klas­si­sche Schü­ler, der sich nicht kon­zen­trie­ren konn­te und den Unter­richt gestört hat. Nach dem Song habe ich vie­le Nach­rich­ten von Leu­ten bekom­men, die sich damit iden­ti­fi­zie­ren konn­ten und mir sag­ten, dass ich ihnen aus der See­le spre­che. Es war nicht zu abs­trakt, wie es ansons­ten oft bei mir ist. Das hat mich schon berührt. ADHS hat auch posi­ti­ve Aspek­te: Ich hab' einen Ultrad­ri­ve. Ich ken­ne kaum Leu­te, die so ener­ge­tisch sind wie ich. BLVTH hat in einem Inter­view ver­sucht, dem Inter­view­er zu erklä­ren, dass ihm wäh­rend des Gesprächs 50 000 ande­re Gedan­ken durch den Kopf gehen. Die­se Gedan­ken ord­nen zu müs­sen, ist auf der einen Sei­te das Leid. Auf der ande­ren Sei­te hast du die Ener­gie, in jede die­ser vie­len Rich­tun­gen gehen zu kön­nen. Das kann sehr pro­fi­ta­bel sein. Wenn ich die­sen Taten­drang nicht hät­te, wäre ich bei all den Sachen, die ich mache, wahr­schein­lich längst am Ende. Man muss sich natür­lich gut ernäh­ren, weil man so viel Ener­gie ver­braucht. Macht euch mal ein paar Smoothies, anstatt mor­gens schon Hasch-​Joints zu rau­chen. (grinst)

MZEE​.com: Wir kom­men zur letz­ten Fra­ge. Denkst du, dass es irgend­wann ein­mal einen Punkt geben könn­te, an dem du kei­ne Inspi­ra­ti­on mehr fin­den wirst? 

Lord Fol­ter: Ja, jetzt. (lacht) Ich bin gera­de kom­plett unin­spi­riert. Das Album ist abge­ge­ben, es gibt Dis­kus­sio­nen um das Cover und so wei­ter. Das lenkt mich davon ab, frei an Sachen her­an­zu­ge­hen. Ich sit­ze an Sounds, aber ich habe aktu­ell kei­ne gro­ßen Ambi­tio­nen, Din­ge zu ver­sprach­li­chen. Aber das kommt wie­der. Dage­gen kann man nichts machen.

(Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von David Hen­sel­der und Ste­phan Hauptmann)