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Reportage

"Drugs you should try it" – über den Stellenwert von Drogen im HipHop

Ist Dro­gen­kon­sum unter Rap­pern wirk­lich eine neue Erschei­nung? War­um wird er über­haupt so oft the­ma­ti­siert? Und beschränkt sich das Pro­blem wirk­lich nur auf die HipHop-​Szene? Das erfahrt Ihr hier.

Mac Mil­ler, Juice WRLD, Lil Peep, Chyn­na – in den letz­ten Jah­ren scheint es, als ob Rap­per immer häu­fi­ger durch Dro­gen ums Leben kom­men. Zeit­gleich häu­fen sich in Musik­vi­de­os und auf den Social Media-​Profilen vie­ler Artists die Hus­ten­saft­fla­schen, Tablet­ten­blis­ter und Vaku­um­beu­tel. Völ­lig unge­niert wird augen­schein­lich alles ges­nifft, geschluckt, geraucht und gedealt, was einen Rausch aus­löst. Künst­ler benen­nen ihre Tracks, Alben oder sogar sich selbst nach ver­schie­dens­ten Betäu­bungs­mit­teln. Exor­bi­tant oft schei­nen die immer sel­ben Phra­sen zu ver­schie­de­nen Sub­stan­zen zu fal­len. So oft, dass man fast mei­nen könn­te, es wäre nor­mal und unge­fähr­lich, täg­lich "Lean zu sip­pen", "Shem zu zie­hen" oder "Xan­nys zu pop­pen". Natür­lich ist dem nicht so. Der Kon­sum sol­cher Stof­fe birgt in jedem Fall gesund­heit­li­che Gefah­ren. Die zum Teil schwe­ren recht­li­chen Kon­se­quen­zen sind dabei noch das gerings­te Pro­blem. Allei­ne aus die­sen Grün­den ist schon davon abzu­ra­ten. Außer­dem: Kein Rausch der Welt ist es Wert, sei­nem Kör­per oder sei­ner Psy­che dau­er­haft Scha­den zuzu­fü­gen. Auch, wenn diver­se Rap­per aktu­ell noch so sehr davon schwärmen.

 

Aber ist Dro­gen­kon­sum in der HipHop-​Szene wirk­lich eine neue Erscheinung? 

Im Grun­de nicht. Schon in den Anfän­gen von Hip­Hop bestand bei vie­len Prot­ago­nis­ten eine gewis­se Affi­ni­tät zu Rausch­gift, wel­che weit über das Kli­schee des kif­fen­den Rap­pers hin­aus­ging. Zwar wur­de haupt­säch­lich von der damit ein­her­ge­hen­den Kri­mi­na­li­tät berich­tet, aller­dings auch vom Kon­sum. So sprach Grand­mas­ter Flash & the Furious Five-​Mitglied Mel­le Mel bereits 1983 auf dem Track "White Lines" über den Koka­in­kon­sum und rät gleich­zei­tig davon ab: "Twice as sweet as sugar, twice as bit­ter as salt – and if you get hoo­ked, baby, it's nobo­dy else's fault, so don't do it", rapp­te er wohl aus eige­ner Erfah­rung. Wäh­rend Kool Moe Dee drei Jah­re spä­ter auf "Mons­ter Crack" sogar so weit ging, die Dro­ge als den Teu­fel selbst zu per­so­ni­fi­zie­ren. Auch ande­re HipHop-​Urgesteine schei­nen ihre Kon­takt­punk­te mit der "wei­ßen Dame" gehabt zu haben. So ver­lor Fla­vor Flav für alle im Stu­dio Anwe­sen­den sicht­bar wäh­rend einer Public Enemy-​Performance bei "Yo! MTV Raps" einen Stein Crack-​Kokain und sorg­te damit für einen hand­fes­ten Streit inner­halb der Grup­pe. Fal­co – der für vie­le als der ers­te deut­sche Rap­per gilt – schien eben­falls ein Fan des "Disco-​Stoffs" zu sein. Der Song "Mut­ter, der Mann mit dem Koks ist da" erschien 1996. Dar­auf ange­spro­chen, dass man den Titel even­tu­ell falsch ver­ste­hen könn­te, ent­geg­ne­te er: "Ich habe das über­haupt nicht zwei­deu­tig gemeint – um den Berg­bau geht es nicht!" Auf dem Wu-​Tang Clan-​Klassiker "C.R.E.A.M." aus dem Jahr 1993 rapp­te Rae­kwon: "No ques­ti­on I would speed, for cracks and weed – the com­bi­na­ti­on made my eyes bleed." Elf Jah­re spä­ter ver­lor der Clan eines sei­ner Mit­glie­der an Dro­gen. Grün­dungs­mit­glied Ol' Dir­ty Bas­tard erlag am 13. Novem­ber 2004 einer Über­do­sis Koka­in in Kom­bi­na­ti­on mit dem Opio­id Tramadol.

Im Lau­fe der Zeit wur­den Opio­ide in der gesam­ten HipHop-​Szene – vor allem aber in den Süd­staa­ten der USA – immer belieb­ter. Nun fan­den Dro­gen nicht mehr nur in den Lyrics statt, son­dern beein­fluss­ten ganz direkt das Sound­bild: Dir­ty South-​HipHop wur­de maß­geb­lich durch die von DJ Screw – ali­as "The Ori­gi­na­tor" – ent­wi­ckel­te Sample-​Technik "Scre­wing & Chop­ping" geprägt, zu Deutsch etwa "Schrau­ben & Hacken". Dabei geht es dar­um, den ursprüng­li­chen Song zu ver­lang­sa­men, also "her­un­ter­zu­schrau­ben". Danach wer­den ein­zel­ne Stel­len geloopt und mit Effek­ten belegt, eben "zer­hackt". Das alles dient dazu, dem Song einen Sound zu ver­lei­hen, wie man ihn unter dem Ein­fluss von Code­in wahr­neh­men wür­de. Lean, Siz­zurp oder Acta­vis – wie der gän­gigs­te ame­ri­ka­ni­sche Mar­ken­na­me für eben­je­nen Hus­ten­saft lau­tet – kos­te­ten DJ Screw letzt­end­lich das Leben. Am 16. Novem­ber 2000 nahm er in sei­nem Ton­stu­dio in Hous­ton unbe­ab­sich­tigt eine töd­li­che Dosis des Opio­ids zu sich und ver­starb noch vor Ort. Ein ähn­lich tra­gi­sches Schick­sal ereil­te UGK-​Mitglied Pimp C. Zusam­men mit sei­nem Part­ner Bun B war er eben­falls ein Pio­nier des Dir­ty South und als Feature-​Gäste auf "Big Pim­pin'" von Jay-​Z haben die bei­den einen wasch­ech­ten Welt­hit im Port­fo­lio. Lei­der konn­te all das Pimp C im End­ef­fekt nicht ret­ten. Am 4. Dezem­ber 2007 erlag er einer Atem­läh­mung, aus­ge­löst durch eine Über­do­sis Codein.

Mac Mil­ler - Stop­ped Making Excu­ses (Docu­men­ta­ry)

 

Wie ent­wi­ckel­te sich der Kon­sum unter Rap­pern in den letz­ten Jahren?

Trotz die­ser mah­nen­den Exem­pel spie­len Opio­ide und ähn­lich har­te Dro­gen lei­der immer noch eine gro­ße Rol­le. Eines der pro­mi­nen­tes­ten Nega­tiv­bei­spie­le dafür ist der Tod von Mac Mil­ler. Die­ser ver­starb am 7. Sep­tem­ber 2018 an einer Über­do­sis Fen­ta­nyl. Ein Opio­id, wel­ches 120-​mal so stark ist wie Mor­phin. Beson­ders tra­gisch: Er beab­sich­tig­te nicht ein­mal, die­ses Mit­tel zu sich zu neh­men. Mac Mil­ler war im Glau­ben, er wür­de das eben­falls sehr gefähr­li­che, jedoch deut­lich schwä­che­re Opio­id Oxy­c­o­don kon­su­mie­ren. Der für die gefälsch­ten Medi­ka­men­te ver­ant­wort­li­che Dea­ler wur­de dar­auf­hin fest­ge­nom­men. Bereits drei Jah­re vor sei­nem Tod rapp­te Mac: "To ever­yo­ne who sell me drugs – don't mix it with that bull­shit, I'm hoping not to join the 27 Club."

Doch es sind nicht nur Opi­ate und Koka­in, wel­che immer wie­der ihren Weg in die Lyrics und Leben ver­schie­de­ner Artists fin­den. So widm­ten Tyga, Wiz Kha­li­fa und Mal­ly Mall der Par­ty­dro­ge MDMA sogar einen gan­zen Song. "Mol­ly" – so der Sze­ne­na­me – steht eher im Ruf, von Techno-​Hörern kon­su­miert zu wer­den, da sie Inhalts­stoff von Ecstasy-​Tabletten ist. Jedoch erfreut sie sich mitt­ler­wei­le auch in der HipHop-​Szene gro­ßer Beliebt­heit. Eben­so wie vie­le ande­re Dro­gen. Doch kaum eine die­ser Sub­stan­zen hat die jun­ge Rap-​Generation so geprägt wie Xan­ax. So spie­gelt es sich etwa im Künst­ler­na­men von Lil Xan wie­der, der eine ein­deu­ti­ge Anspie­lung auf das Beru­hi­gungs­mit­tel ist. Xan hat­te in sei­nem noch recht jun­gen Leben bereits zwei Jah­re lang mit einer aus­ge­wach­se­nen Sucht zu kämp­fen. Dies the­ma­ti­siert er auch häu­fig in sei­nen Tex­ten: "Xans don't make you, Xans gon' take you, Xans gon' fake you, Xans gon' betray you", rappt er bei­spiels­wei­se auf "Betray­ed". Xan­ax hat auch beim tra­gi­schen Tod von Lil Peep eine Rol­le gespielt. Jedoch war die eigent­li­che Todes­ur­sa­che hier, wie im Fall von Mac Mil­ler, Fen­ta­nyl, wel­ches zum Stre­cken der Tablet­ten ver­wen­det wurde.

Ins­ge­samt scheint es, als ob die jün­ge­re Gene­ra­ti­on ein brei­te­res Spek­trum an Rausch­gif­ten zu sich nimmt. Zwar stel­len Schmerz- und Beru­hi­gungs­mit­tel das Haupt­pro­blem dar, aller­dings wird genau­so der Kon­sum von Hal­lu­zi­no­ge­nen oder "Wach­ma­chern" pro­pa­giert. Gleich­zei­tig wer­den aber auch häu­fi­ger Depres­sio­nen und ande­re psy­chi­sche Pro­ble­me the­ma­ti­siert, so wie bei­spiels­wei­se von Sier­ra Kidd. Auf "Lach nicht mehr" beschreibt er sei­nen Zustand: "Und ich schau' mich und dreh' mich, beweg' mich. Doch merk' nur, dass die Rea­li­tät mich ver­wirrt – und ich weiß, die­se Dro­gen sind eklig. Doch seh's nicht, wenn alle um mich rum es zele­brie­ren." Neben­bei haben also auch in der deut­schen HipHop-​Szene har­te Dro­gen trau­ri­ger­wei­se bereits ihren fes­ten Platz ein­ge­nom­men. Diver­se ein­hei­mi­sche Rap­per posie­ren auf Social Media mit besag­ten Hus­ten­säf­ten oder sprit­zen sich augen­schein­lich sogar Hero­in. Deutsch-​Trap-​Pionier Ufo361 ver­kün­det in einem Instagram-​Post zu Beginn die­ses Jah­res, er hät­te "ca. schon 1 Jahr kein Lean" mehr kon­su­miert. Zu groß schei­nen die nega­ti­ven Fol­gen der Dro­ge für ihn gewe­sen zu sein. Den star­ken Ein­fluss, den Rausch­mit­tel auf die heu­ti­ge Sze­ne neh­men, zeigt allei­ne schon der Nummer-​eins-​Hit "Zom­bie" von Sam­ra & Capi­tal Bra. "Sie geben mir nicht mehr auf Kom­bi, 24/​7 wie ein Zom­bie – Mama, dein Sohn ist ein Jun­kie, erst Shem-​Shem und dann Dar­by", sin­gen die bei­den in der Hook. "Shem-​Shem" und "Dar­by" sind dabei jeweils Sze­ne­na­men für Koka­in und Til­idin, wel­ches eben­falls ein ver­schrei­bungs­pflich­ti­ges Opio­id ist. Bei­de Künst­ler haben die­sem jedoch laut eige­ner Aus­sa­ge den Rücken gekehrt. Offen­sicht­lich ist Koka­in bei Sam­ra aller­dings immer noch ein The­ma. Auf "Bae­Bae" rappt er: "Ich hab' dir ver­spro­chen, dass ich nie mehr zieh' – doch du siehst, ich bin wie­der nicht clean."

ER Doc­tor Reviews Drug Refe­ren­ces In Songs

 

War­um the­ma­ti­sie­ren Rap­per Dro­gen über­haupt so häufig?

Hip­Hop reflek­tiert seit sei­nen Anfän­gen Zustän­de inner­halb der Gesell­schaft. Ins­be­son­de­re soll er denen eine Stim­me geben, die in eben­die­ser benach­tei­ligt und aus­ge­grenzt wer­den. Gera­de in sol­chen Krei­sen herr­schen oft Per­spek­tiv­lo­sig­keit und Kri­mi­na­li­tät. Dadurch wer­den Dro­gen Tür und Tor geöff­net. Der nega­ti­ve Ein­fluss ist der­ma­ßen groß, dass Stof­fe wie Opi­ate oder Koka­in gan­ze "Kri­sen" und "Epi­de­mien" auslösen.

In den 70er Jah­ren galt das wei­ße Pul­ver in den USA noch als Dro­ge für die Ober­schicht und der Kon­sum war wei­test­ge­hend gesell­schaft­lich akzep­tiert. Zu Beginn der 80er kam es aller­dings zu einem Über­an­ge­bot und damit zu einem Preis­sturz. So kos­tet heu­te ein Gramm Koka­in auf der Stra­ße cir­ca 150 % mehr als zu die­ser Zeit. Um den ein­bre­chen­den Umsät­zen Herr zu wer­den, boten Dea­ler immer häu­fi­ger eine rauch­ba­re Vari­an­te ihrer Ware an: Crack – benannt nach dem kna­cken­den Geräusch beim Kon­sum – ist um eini­ges stär­ker, güns­ti­ger und sucht­er­zeu­gen­der als die Urform von Koka­in. Gegen 1985 lag der Preis für eine Ein­zel­do­sis bei durch­schnitt­lich 2,50 Dollar.

Dadurch wur­de die soge­nann­te "Crack Epi­de­mie" aus­ge­löst. Die­se hat­te ver­hee­ren­de gesell­schaft­li­che Fol­gen in fast allen Groß­städ­ten der USA und traf gera­de die afro­ame­ri­ka­ni­sche Com­mu­ni­ty. Sie lös­te eine Wel­le der Kri­mi­na­li­tät und des Elends aus.  Gegen Ende der 80er Jah­re hat­te sich die Mord­ra­te männ­li­cher Schwar­zer unter­ein­an­der qua­si ver­dop­pelt. Auch die Zahl der Tot­ge­bur­ten stieg zeit­wei­lig um 100 %. Es exis­tie­ren unzäh­li­ge Berich­te über soge­nann­te "Crack Babys" aus die­ser Zeit. Kin­der, die unter­ent­wi­ckelt oder mit Fehl­bil­dun­gen zur Welt gekom­men sind. Die Müt­ter die­ser Kin­der waren schwer sucht­krank und konn­ten auch wäh­rend der Schwan­ger­schaft nicht auf ihre Dro­ge ver­zich­ten. Ein Gedan­ke, der für einen psy­chisch gesun­den Men­schen kaum vor­stell­bar ist, jedoch zeigt, welch ein unbän­di­ges ver­lan­gen Sucht­druck aus­lö­sen kann. Der Chi­ca­go­er Rap­per Young Dolph, wel­cher 1985 gebo­ren ist, nennt sich und eines sei­ner Alben sogar "Rich Crack Baby". Damit spielt er auf die Umstän­de an, in die er hin­ein­ge­bo­ren wurde.

Nach­dem wäh­rend der 90er Jah­re die "Crack Epi­de­mie" lang­sam abflach­te, began­nen ande­re Sub­stan­zen, die Ver­ei­nig­ten Staa­ten ein­zu­neh­men. In den 60er und 70er Jah­ren hat die ame­ri­ka­ni­sche Gesell­schaft bereits schmerz­haf­te Erfah­run­gen mit Hero­in sam­meln müs­sen. Trotz­dem begann in den frü­hen 2000ern eine bis heu­te andau­ern­de "Opio­id Kri­se" in den USA. Die­se wur­de durch offen­si­ve Ver­mark­tung von Opioid-​haltigen Schmerz- und Beru­hi­gungs­mit­teln aus­ge­löst. Zusätz­lich betrie­ben die Phar­ma­kon­zer­ne aggres­si­ve Lob­by­ar­beit. Die­se Medi­ka­men­te, die ursprüng­lich für Schwer­kran­ke gedacht waren, wur­den dadurch auch bei ein­fa­chen Kopf- und Rücken­schmer­zen ver­schrie­ben. Mit­tel wie Code­in, Tra­ma­dol oder Oxy­c­o­don waren nun so gut wie frei erhält­lich – mit dra­ma­ti­schen Fol­gen: Die Zahl der Tode durch Über­do­sen stieg zwi­schen 2000 und 2010 um das Vier­fa­che an, von 2000 bis 2017 sogar um das Zehn­fa­che. 2004 gaben im Schnitt über 8 % aller High School-​Schüler in Texas an, schon ein­mal Erfah­run­gen mit dem Miss­brauch von Hus­ten­saft gemacht zu haben. 14 Jah­re spä­ter waren es laut einer ähn­li­chen Stu­die aus North Caro­li­na bereits 30 %.

Im Zuge der bis heu­te locke­ren Ver­schrei­bungs­prak­ti­ken der Ärz­te wer­den auch Ben­zo­dia­ze­pi­ne immer häu­fi­ger ver­ord­net. Ursprüng­lich für die Behand­lung von Panik­at­ta­cken und Angst­stö­run­gen gedacht, sol­len sie nun schon bei leich­ten inne­ren Unru­hen hel­fen. Allen vor­an das Prä­pa­rat Xan­ax. Hin­ter die­sem Mar­ken­na­men ver­birgt sich der Wirk­stoff Alpra­zo­lam, wel­cher ähn­lich sucht­er­zeu­gend ist wie diver­se Opi­ate. Da vie­le Ame­ri­ka­ner nicht kran­ken­ver­si­chert sind, kön­nen sie sich die Medi­ka­men­ten­sucht oft nicht mehr leis­ten. Also grei­fen sie auf den güns­ti­ge­ren Schwarz­markt und die dort ver­füg­ba­ren Beru­hi­gungs­mit­tel und Opio­ide zurück. Eben­die­ser Schwarz­markt ver­ur­sacht die meis­ten Dro­gen­to­ten. Häu­fig wer­den gefälsch­te Medi­ka­men­te ver­kauft. Die­se ent­hal­ten statt des dekla­rier­ten Inhalts den Wirk­stoff Fen­ta­nyl. Da es extrem potent ist, wird für die­sel­be Wir­kung, die bei­spiels­wei­se Tra­ma­dol aus­lö­sen soll, nur ein Bruch­teil der Dosis gebraucht. Dadurch sinkt der Her­stel­lungs­preis der Tablet­ten. Aller­dings ist Fen­ta­nyl unbe­re­chen­bar und kann schon bei gerin­ger Über­do­sie­rung zum Tod füh­ren. Eine Tat­sa­che, die Lil Peep und Mac Mil­ler am eige­nen Leib zu spü­ren beka­men. Die Opioid-​Krise ist so ver­hee­rend, dass sie 2015 als einer der Grün­de für das erst­ma­li­ge Abfal­len der Lebens­er­war­tung in den USA seit dem ers­ten Welt­krieg genannt wurde.

Trotz­dem steigt die Zahl der Dro­gen­kon­su­men­ten welt­weit an, dar­un­ter auch vie­le unter 30-​Jährige, die sta­tis­tisch gese­hen die meis­ten Dro­gen kon­su­mie­ren. Die­se Gene­ra­ti­on steht neben Aus­gren­zung und Armut auch einem gro­ßen gesell­schaft­li­chen Druck und damit ein­her­ge­hend psy­chi­schen Krank­hei­ten gegen­über. Laut Stu­di­en einer deut­schen Kran­ken­kas­se lei­den cir­ca 17 % der Ange­hö­ri­gen der "Gene­ra­ti­on Y" an einer psy­chi­schen Erkran­kung. Die Welt, in der wir leben, wird immer ver­netz­ter und schnel­ler, zeit­gleich ver­liert damit das Indi­vi­du­um an Wert. Das schafft vor allem einen Nähr­bo­den für Depres­sio­nen, wel­che wie­der­um ein Aus­lö­ser von Sucht­krank­hei­ten sein kön­nen. Denn so schlimm exzes­si­ver Dro­gen­kon­sum sein mag, er ist meist nur ein Aus­wuchs eines tie­fer grei­fen­den Problems.

Why Drugs Are A Part Of Hip Hop Cul­tu­re ft.Jay Taj | The Report | All Def Music

 

Sind Dro­gen also über­haupt ein "HipHop-​Problem"?

Jemand, der wäh­rend der 80er Jah­re in Städ­ten wie New York oder Los Ange­les unter ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen auf­ge­wach­sen ist, wird mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit in irgend­ei­ner Form Erfah­run­gen mit Crack oder Koka­in gesam­melt haben. Sei es auch im Freundes- und Ver­wand­ten­kreis. Die Opioid-​Krise for­dert inter­na­tio­nal seit den 00er Jah­ren Tote und trotz­dem wer­den nach wie vor hoch­ge­fähr­li­che Medi­ka­men­te für klei­ne­re Lei­den ver­schrie­ben. Wes­halb teils noch sehr jun­gen Men­schen abso­lut legal der Kon­sum von stark abhän­gig machen­den Opio­iden und Ben­zo­dia­ze­pi­nen ermög­licht oder gar von Ärz­ten nahe­ge­legt wird. Zusätz­lich wird der Leis­tungs­druck und die Flut an Infor­ma­tio­nen, die auf die Jugend ein­pras­selt, immer grö­ßer. Dadurch wer­den psy­chi­sche Erkran­kun­gen wie Depres­sio­nen wei­ter begüns­tigt, was dazu führt, dass immer mehr Jugend­li­che Süch­te ent­wi­ckeln. Das alles geschieht abso­lut unab­hän­gig von Hip­Hop. Betrach­tet man nun die­se schwer­wie­gen­den gesell­schaft­li­chen Ereig­nis­se und Ver­än­de­run­gen im Zusam­men­hang mit der Sprachrohr-​Funktion, die Hip­Hop inne­hat, so ist es mehr als nahe­lie­gend, dass in Rap-​Texten immer wie­der über Dro­gen gespro­chen wird.

Natür­lich lie­ße sich jetzt sagen, dass die The­ma­ti­sie­rung von Dro­gen in Rap­tex­ten durch­weg legi­tim wäre, da sie ledig­lich einen Ein­blick in rea­le Ver­hält­nis­se gewäh­ren wür­de. Dar­über hin­aus ist es ver­ständ­li­cher­wei­se sogar extrem wich­tig, dass Pro­ble­ma­ti­ken wie Dro­gen­kon­sum auf­ge­zeigt wer­den. Hip­Hop ist noch nicht ein­mal das Gen­re, wel­ches die­ses The­ma am häu­figs­ten auf­greift. So wird sta­tis­tisch gese­hen in Country-, Rock- und Folk-​Musik deut­lich öfter über ille­ga­le Sub­stan­zen gespro­chen. Aller­dings ist Hip­Hop momen­tan das kom­mer­zi­ell erfolg­reichs­te Gen­re und hat damit eine unglaub­li­che gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung. Des­halb ist beson­ders die Glo­ri­fi­zie­rung der Kri­mi­na­li­tät und des exzes­si­ven Kon­sums aufs Schärfs­te zu kri­ti­sie­ren. Eini­ge Künst­ler rap­pen sogar dar­über, Frau­en Dro­gen ins Getränk zu mischen, um sie gefü­gig zu machen. Gera­de für Jugend­li­che aus sozi­al wenig gefes­tig­ten Ver­hält­nis­sen, die die­se Musik als Pro­jek­ti­ons­flä­che für ihr eige­nes Leben nut­zen, birgt die Glo­ri­fi­zie­rung Gefah­ren. Sie könn­ten dem Glau­ben ver­fal­len, es wür­de "ein­fach dazu­ge­hö­ren", har­te Dro­gen zu kon­su­mie­ren oder mit ihnen zu han­deln. Des Wei­te­ren sind sie meis­tens auf­grund man­geln­der Bil­dung oder schlicht­weg sehr gerin­gen Alters zu wenig über Risi­ken auf­ge­klärt und las­sen sich schnel­ler zur Nach­ah­mung ver­lei­ten. Selbst­ver­ständ­lich steht es jedem Künst­ler frei, von sei­nen eige­nen Erfah­run­gen zu berich­ten. Auch, wenn das völ­lig über­spitzt in den Erzäh­lun­gen von einer durch­zech­ten Nacht pas­siert. Aller­dings ist es essen­zi­ell, sich dem The­ma dann an ande­rer Stel­le wie­der reflek­tiert anzu­neh­men. Lei­der pas­siert das noch immer zu selten.

Glück­li­cher­wei­se setzt inner­halb der HipHop-​Szene mitt­ler­wei­le ein Umden­ken ein. Zahl­rei­che Künst­ler wie Isai­ah Ras­had, Future oder Lil Uzi Vert, die alle­samt im Lau­fe ihres Lebens mit Sucht­pro­ble­men zu kämp­fen hat­ten, zele­brie­ren nun öffent­lich­keits­wirk­sam ihre Abs­ti­nenz. Auf gan­ze zwölf dro­gen­freie Jah­re kann Emi­nem mitt­ler­wei­le zurück­bli­cken, nach­dem er im Jahr 2007 eine Über­do­sis über­leb­te. Bleibt nur zu hof­fen, dass sich die­se Hal­tung auf die gesam­te Gesell­schaft über­trägt. Dar­über hin­aus ist es an der Poli­tik, Sucht­kran­ke nicht wei­ter­hin zu stig­ma­ti­sie­ren oder zu bestra­fen. Der "War on drugs" ist geschei­tert und hat nach­weis­lich mehr Leben gekos­tet als geret­tet. Die Bür­ger­recht­le­rin Michel­le Alex­an­der fasst in ihrem Buch "The New Jim Crow: Mass Inc­ar­ce­ra­ti­on in the Age of Color­blind­ness" zusam­men, was pas­siert, wenn ein Kon­su­ment bei­spiels­wei­se wegen Crack ver­haf­tet wird: "First, the arrest and the court hea­ring that will result in jail or prison-​time. Second, the after­math of per­ma­nent stig­mas atta­ched to someone who has done jail-​time for crack, like being mark­ed a fel­on on their record. This affects job oppor­tu­ni­ty, housing oppor­tu­ni­ty, and crea­tes obs­ta­cles for peo­p­le who are left with litt­le moti­va­ti­on to fol­low the law, making it more likely that they will be arres­ted again." Viel­mehr wäre eine stär­ke­re Prä­ven­ti­on der rich­ti­ge Weg, damit Men­schen gar nicht erst in eine solch pre­kä­re Situa­ti­on geraten.

(Nico Maturo)
(Titel­bild von Kris­ti­na Lanert)