Mit seinem aktuellen und zweiten Album "Culture" schaffte es KUSO GVKI erneut, eine sphärische und gleichzeitig organische Beat-Platte zu produzieren, der man direkt anhört, aus welcher Feder sie stammt. Seit er 2015 erstmals in Erscheinung getreten ist, vermittelte der Künstler das Bild des japanischen Teenager-Wunderkinds in der deutschen Producer-Szene. Tatsächlich ist der Mensch dahinter bereits 30 Jahre alt und Deutscher. Er erzählte uns, wie das Projekt KUSO GVKI entstand und welche Tücken und anderen Aspekte es mit sich brachte. Außerdem erklärte er, was er im Zuge dessen über kulturelle Aneigung denkt und welche Inspirationen die Platte prägten.
MZEE.com: Du hast kürzlich auf Instagram bekannt gegeben, dass KUSO GVKI ein Nebenprojekt war, mit dem du dich über die Musikindustrie lustig machen wolltest. Stattdessen wurde es immer mehr zu einem Teil dieser Industrie. Wann kam die Einsicht und der Wille, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?
KUSO GVKI: Das war mir ein persönliches Anliegen. Wieso postet man denn regelmäßig auf Instagram? Es ist der Versuch, seine Sichtbarkeit immer hochzuhalten und eine gewisse Aufmerksamkeit in der Branche zu bekommen, um Erfolge zu erzielen. Das ganze Brimborium war mir persönlich nie wichtig und hat mir auch keinen Spaß gemacht – im Gegenteil. Ich finde es super lächerlich, was sich viele Menschen aus den Fingern saugen, um gesehen zu werden. Klar muss man Geld verdienen und dafür braucht man diese Sichtbarkeit. Aber an einem bestimmten Punkt wurde mir klar, dass ich gewisse Dinge nicht machen muss und auch nicht machen will. Auch dann nicht, wenn sie Erfolg versprechen. Es stellt sich die Frage, wie ich die Balance zwischen Beruf und Kunst halte. Die muss jeder für sich finden. Und ich habe gemerkt, dass ich den Fokus zu sehr in eine Richtung gebracht habe, die mir keinen Spaß macht. Es war einfach zu viel.
MZEE.com: Du schreibst, die Industrie wäre eher an "guten Headlines als an guter Musik interessiert". Gibt es etwas, das du darüber hinaus an der Musikindustrie kritisierst?
KUSO GVKI: Durch die ganzen digitalen Plattformen, die wir heutzutage nutzen, verändert sich die Branche gerade sehr. Ich glaube, dieses Imageding hat es immer gegeben, aber wie wir konsumieren, hat sich verändert. Das hat seine positiven und negativen Seiten. Inszenierung ist durch das Playlist-Game immer unwichtiger, weil Interpreten gehört werden, ohne dass irgendjemand weiß, wer sie sind – und es interessiert auch nicht. Die Musik wird um ihrer selbst willen gehört und nicht aufgrund der Figur. Natürlich führt das Bereitstellen von Musik mittels eines Algorithmus oftmals dazu, dass Künstler gleich klingen, Leute extra für Playlisten zugeschnittene Lieder machen und die Konsumenten nur das gefüttert bekommen, was sie bereits hören. Aber das war jetzt eher eine sehr spezifische Analyse einer aktuellen Konsumform und nicht dieser weitgefassten Industrie.
MZEE.com: War es für dich ein Ziel, Menschen mit diesem Projekt die Augen zu öffnen?
KUSO GVKI: Ich hatte überhaupt keine Intention. Das war ein kleiner Insiderjoke, eine SoundCloud-Page mit 50 Followern und 40 davon waren wahrscheinlich meine Freunde. Es gab keinen Masterplan dahinter, Kritik an der Musikindustrie zu üben und deswegen ein Projekt wie dieses zu starten. Das ist einfach entstanden. Die Mucke war cool, das Image passte zur Platte und mit den Visuals hat das wohl einen Nerv getroffen.
MZEE.com: Du hast auch deine Shows nicht selbst gespielt. Trittst du nicht gerne auf oder sollte das jemand machen, der mehr einem 16-Jährigen ähnelt?
KUSO GVKI: Das Alter war kein Grund. Tatsächlich spiele ich nicht gerne Shows und wir haben es gemacht, weil man es machen konnte. Aufgrund des fiktiven Charakters und der Maske war es schlüssig, dass wir es komplett übertreiben und eine totale Kunstfigur entwickeln. Auch bei Interviews habe ich mir schon überlegt, was KUSO GVKI sagen könnte und dabei immer versucht, es relativ obvious zu machen, dass der Typ nicht 16 Jahre alt ist.
MZEE.com: Auf deinem vorherigen Release kamen Gameboy- und Röhrenradio-Sounds zum Einsatz. Hast du auch dieses Mal wieder besondere Dinge für dein einzigartiges Klangbild verwendet?
KUSO GVKI: Dieses Mal lag ein größerer Fokus darauf, mit Gastmusikern zu arbeiten, wodurch ich nicht alles selber gemacht habe – und die neue Platte organischer geworden ist. Es sind eine Flöte, Gesang, Gitarre, Trompete und natürlich auch Rap auf dem Album. Dadurch hat sich automatisch ein anderes Soundbild ergeben.
MZEE.com: Kannst du dir allgemein vorstellen, enger mit Musikern zusammenzuarbeiten oder willst du eher bei Instrumental-Platten bleiben?
KUSO GVKI: An sich kann ich mir immer vorstellen, mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten. Allerdings liegt mein Interesse darin, Instrumental-Musik als eigener Interpret zu veröffentlichen und eben nicht als die Producer-Figur von anderen Künstlern in Erscheinung zu treten. In diesem Fall ist man sehr schnell nur ein Dienstleister und kreiert etwas für Leute, die eine bestimmte Vorstellung haben. Es ist manchmal schwierig, sich selbst dabei kreativ auszudrücken. In Deutschland ist das noch völlig unterrepräsentiert. Es gibt zwar viele Produzenten, aber die sind alle nicht besonders groß. Wenn man sich internationale Acts wie Flume oder Mura Masa anschaut, sind die viel größer als die Pendants im deutschsprachigen Raum, die – wie ich finde – genauso gut sind. Deshalb ist es mir auch ein Anliegen, diese Sparte von Musik zu pushen.
MZEE.com: Diese Sparte findet ja vor allem in der HipHop-Szene statt. Wir haben tatsächlich wenige Produzenten, die genreübergreifend wahrgenommen werden und dementsprechend Aufmerksamkeit bekommen.
KUSO GVKI: Das ist bei mir nichts anderes und interessant zu beobachten. Viele meiner Beats sind Pop-Songs und ich finde trotzdem ausschließlich in der deutschen HipHop-Szene statt. Irgendwie ist das aber auch cool, weil es die Offenheit der Szene zeigt. Es wird gerne so dargestellt, dass alle Backpacker auf keinen Fall etwas Aktuelles hören, das Autotune oder einen Trap-Beat hat. Aber nicht jeder Mensch, der Beats hört und J Dilla cool findet, findet nur J Dilla cool – auch der ist mal offen für einen Synthie.
MZEE.com: Hast du Producer-Vorbilder? Und wie bist du zum Produzieren gekommen?
KUSO GVKI: Dazu gekommen bin ich, bevor mir bewusst war, dass es Producer gibt. Ich habe Rap gehört und fand die Beats cool, weshalb ich dann angefangen habe, selbst welche zu produzieren. Anfangs habe ich nicht gewusst, dass die Rapper die Beats gar nicht selber machen. Dass ich andere Produzenten auf dem Schirm hatte, kam erst spät, glaube ich. Aber selbstverständlich haben diese Menschen meinen Sound beeinflusst, wie Flume zum Beispiel. Den habe ich viel gehört, als er rauskam. Aber auch einige Leute aus dem deutschsprachigen Raum wie Brenk Sinatra, den ich nach wie vor für einen krassen Producer halte, haben mich immer sehr inspiriert und beeinflusst.
MZEE.com: Wovon lässt du dich sonst inspirieren?
KUSO GVKI: Das ist tatsächlich ganz unterschiedlich und ändert sich phasenweise. Im Moment höre ich überhaupt keine Beats und wenig HipHop, aber dafür viel Indie-Pop, Rock und ältere Sachen, wie zum Beispiel Iron Maiden. Ich habe einen Overkill an elektronischer Musik gehabt, vielleicht auch, weil ich mich damit so viel auseinander gesetzt habe in den letzten zwei Jahren. Deswegen habe ich wieder mehr Bock auf Organisches mit echten Instrumenten. Es gab aber auch andere Phasen. Das hat alles meinen Sound beeinflusst. Manchmal haue ich einfach in die Tasten, manchmal habe ich ein Konzept, bevor ich einen Song schreibe und weiß, was ich musikalisch sagen will – aber das ist ganz unterschiedlich. Ich habe keine Formel und will auch keine haben. Sonst klingt irgendwann alles gleich und das wäre schade.
MZEE.com: Abseits der musikalischen Komponente verarbeitest du viele japanische Elemente in deiner Kunst. Inwieweit hat die Herkunft deiner Stiefmutter Einfluss darauf?
KUSO GVKI: Natürlich hatte diese Kultur einen Einfluss, weil ich zum Teil damit aufgewachsen bin. Auf dem ersten Track des neuen Albums habe ich auch ein von meiner Stiefmutter gesungenes japanisches Lied gesampelt. Aber es gibt noch viele andere aufregende Kulturen auf diesem Planeten, die alle sehr spannende musikalische Dinge hervorgebracht haben. Da bediene ich mich an den unterschiedlichsten Stellen. Es ist interessant, Musik zu analysieren und herauszufinden, wie sie an anderen Orten klingt, wieso sie sich so anhört, warum mir das gefällt und was ich für mich daraus ziehen kann.
MZEE.com: Verfolgst du die japanische Musikszene?
KUSO GVKI: Die einzige Musikszene, die ich aktiv verfolge, ist die deutsche HipHop-Szene. Vermutlich liegt das daran, dass ich damit groß geworden bin und nach wie vor einen Bezug dazu habe. Wenn besagte Rapper wieder irgendetwas machen, dann muss mich das nicht interessieren und ich muss das nicht gut oder schlecht finden. Aber ich weiß, wer das ist und irgendwie werde ich es mitkriegen. Das geht nicht an mir vorbei.
MZEE.com: Die japanische Kultur begeistert und fasziniert viele Menschen. Was hältst du davon, wenn Künstler, die keinen Bezug dazu haben, sich ihrer bedienen?
KUSO GVKI: Das kann ich mich über mich selbst auch fragen, oder?
MZEE.com: Zum Teil bestimmt, allerdings bist du mit dieser Kultur auch aufgewachsen.
KUSO GVKI: Ja gut, berechtigt eine japanische Stiefmutter einen schon dazu, eine japanische Identität anzunehmen? Oder ist das schon ganz klar Cultural Appropriation? (überlegt) Keine Ahnung. Für mich persönlich zählt, wie man es macht, was man daraus für einen Profit schlägt und wie transparent man dabei ist. Wenn sich Kulturen miteinander vermischen und sich gegenseitig inspirieren, ist das eine schöne Sache. Wir müssen uns aber auch nicht vormachen, dass Menschen aus jedem Kulturkreis die gleichen Privilegien genießen. Klar ist, dass man sich als jemand, der privilegierter ist, nicht überall bedienen kann, wie es einem passt.
MZEE.com: Glaubst du, dass es – bei einer multikulturellen Gesellschaft wie unserer – Kultur ohne Aneignung geben kann?
KUSO GVKI: Nein, tatsächlich glaube ich das nicht. Natürlich gibt es immer Aneignung, die Frage ist nur, wo die Grenze liegt und was noch cool ist. HipHop ist eigentlich eine schwarze Subkultur in den USA gewesen und wenn irgendwelche weißen Kiddies in Deutschland das machen, ist das auch kulturelle Aneignung. Es ist akzeptiert und mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es wird nicht mehr diskutiert, ob es ok ist, dass ein weißer Typ in Deutschland rappt. Wenn er aber ein gewisses Verhalten an den Tag legt und bestimmte Wörter benutzt, werden diese Fragen doch zu Recht gestellt. Manchmal denke ich, wir haben einen vernünftigen Umgang mit diesen Dingen, aber es wird leider immer noch zu oft unter den Tisch gekehrt.
MZEE.com: Sprechen wir noch kurz über deine Zeichnungen, die du unter anderem auf Instagram veröffentlichst. Würdest du sagen, dass deine Kunst als Gesamtpaket zu verstehen ist und deine Kunstwerke in Verbindung zu deiner Musik stehen?
KUSO GVKI: Viele der Zeichnungen sind sehr viel älter als die Musik und haben mit dieser auch nichts zu tun. Bei der neuen und der alten Platte habe ich die Artworks selber gemacht. Das alte gab es schon vorher, das neue habe ich extra entworfen. Daher gehört das auch zusammen. Ich will ein Gesamtwerk erschaffen, bei dem ich alles selber gemacht habe, aber das sind zwei verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten. Sie haben beide ihre Vor- und Nachteile. Beide haben keine Form der Worte, was das Manko meiner Kunst ist. Deshalb versuche ich, über die Captions auf Instagram oder ein Feature, mit dem man zusammen einen Text schreibt, mehr meiner Worte einzubringen. Ich finde, Instrumental-Musik und Bilder können sehr gut Stimmungen transportieren. Wenn man eine Message rüberbringen will, wird es schon schwieriger. Mit einem Bild kann man das noch irgendwie machen, obwohl das auch schnell missverstanden werden kann, aber bei Beats ist das nicht möglich. Dafür ist Text ein sehr schönes Medium.
MZEE.com: Was soll mit dem Projekt KUSO GVKI in näherer Zukunft passieren? Möchtest du international wahrgenommen werden?
KUSO GVKI: Ja, da gibt es Pläne, aber mehr kann ich dazu leider nicht sagen. Die Figur gibt einem viel Flexibilität, um verschiedenste Sachen anzustellen.
(Alexander Hollenhorst & Yasmina Rossmeisl)