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Interview

Fuzl & Galv

"Im End­ef­fekt soll­te es dahin gehen, dass es egal ist, was für ein Gen­der man hat." – Fuzl & Galv im Inter­view über Frau­en­quo­ten, ihre Hei­mat, Glo­ba­li­sie­rung und die Ent­ste­hung ihres gemein­sa­men Albums "Dito".

Wer sich Pres­se­bil­der von deut­schen Rap­pern ansieht, erkennt bei vie­len schnell das ein­heit­li­che Mus­ter: Ein Foto, auf dem der Künst­ler aggres­siv in die Kame­ra blickt, eines in hoch­wer­ti­ger Schwarz-​Weiß-​Optik. Und natür­lich der Klas­si­ker – ele­gant an der Lin­se vor­bei­schau­end, meist mit nach­denk­li­chem Blick in die Fer­ne oder einem ver­schmitz­ten Grin­sen. Bei Fuzl und Galv ist das jedoch anders. Eine GoPro und ein Tauch­trip sind offen­bar alles, was die bei­den für den Shoot von "Dito" gebraucht haben. Wer die Fotos genau­er betrach­tet, kann bereits einen ers­ten Ein­druck davon erhal­ten, was die Zusam­men­ar­beit für sie bedeu­tet: Spaß am gemein­sa­men Musik­ma­chen und Zeit­ver­brin­gen. Ob der Ent­ste­hungs­pro­zess wirk­lich so har­mo­nisch war, haben wir in unse­rem Inter­view mit den bei­den Künst­lern in Erfah­rung gebracht. Außer­dem spra­chen wir über ihre Her­kunft aus halb-​italienischem, halb-​spanischem Eltern­haus und dar­über, was das Wort "Hei­mat" für sie bedeutet.

MZEE​.com​: Ihr habt kürz­lich euer ers­tes gemein­sa­mes Album "Dito" ver­öf­fent­licht. Gibt es etwas, das die aktu­el­le Plat­te hin­sicht­lich des Kon­zepts und der Arbeits­wei­se von euren vor­he­ri­gen Releases unterscheidet?

Fuzl: Ich glau­be, die Arbeits­wei­se und das Kon­zept waren eigent­lich immer gleich. (lacht) Wir haben uns jetzt dar­auf kon­zen­triert, ein biss­chen ordent­li­cher zu arbei­ten und weg von die­sen Skiz­zen und dem Kassetten-​Flavour zu kom­men – hin zu rich­ti­gen Lie­dern. Ansons­ten ver­su­chen wir immer, die Musik wirk­lich zusam­men zu machen. Es ist nichts ent­stan­den, bei dem wir uns zwi­schen Beat­bau­en und Auf­neh­men nicht gese­hen haben.

MZEE​.com​: Was genau meinst du damit, ordent­li­cher zu arbeiten?

Fuzl: Davor haben wir "Rapi­to" gemacht. Ich feie­re das immer noch rich­tig ab, es hat sehr viel Spaß gemacht. Aber es waren kaum Lie­der dabei, die eine Hook hat­ten, geschwei­ge denn eine zwei­te Stro­phe. Es war halt ein­fach ein Tape. Auf "Dito" haben die Songs eine Hook und eine kom­plet­te zwei­te Stro­phe. In mei­nen Augen geht das ein biss­chen weg vom HipHop-​Gedanken. Weg von dem Auf­bau: 16er-​Part, 4er-​Hook, noch ein 16er-​Part – und das alles über vier Loops mit wenig Variationen.

Galv: Wir hat­ten auf jeden Fall einen ganz ande­ren Anspruch. Wir haben "Power" als ers­te und "Klem­men­de Fahr­stuhl­tür" als zwei­te Sin­gle ver­öf­fent­licht. Tat­säch­lich sind das auch die ers­ten Songs, die wir nach über einem Jahr Schaf­fens­pau­se gemacht haben. Wir haben uns bei­de in dem Jahr – unab­hän­gig von­ein­an­der – ent­wi­ckelt und dann wie­der getrof­fen. Da haben wir gleich gemerkt, dass wir auf einem ande­ren Level sind. Es war wich­tig, dass wir dar­an fest­hal­ten und nicht nur irgend­wel­che Songs raus­hau­en, son­dern ein Album. Da wir bei­de viel rei­sen und unter­wegs Musik machen, haben wir uns gesagt: Es muss sich loh­nen, dafür einen Urlaubs­tag zu opfern.

MZEE​.com​: Was schätzt ihr an der Arbeit des ande­ren am meis­ten? Inwie­fern inspi­riert ihr euch gegenseitig?

Fuzl: Ich mache ja nicht so viel Musik mit ande­ren Men­schen. In ers­ter Linie sind wir rich­tig gute Freun­de. Wir ken­nen uns seit einer lan­gen Zeit. Mir geht es nicht dar­um, mit irgend­ei­nem Künst­ler Mucke zu machen, son­dern ein Pro­jekt mit einem Kum­pel umzu­set­zen. Das schät­ze ich am meis­ten an Gavi­no: dass wir zusam­men Musik machen kön­nen, ein Hob­by gemein­sam ver­fol­gen. Da pas­sen wir gut zuein­an­der. Teil­wei­se saßen wir gemein­sam im Haus und haben fünf Stun­den lang nur Mucke gemacht, ohne mit­ein­an­der zu sprechen.

Galv: Wir haben eine gemein­sa­me Geschich­te. Fuzl und ich stim­men in unse­rem Musik­ge­schmack ein­fach zu hun­dert Pro­zent über­ein. Es gibt kei­nen Beat von ihm, den ich nicht mag. Egal, wie klein die Skiz­ze auch sein mag, sie über­lappt sich krass mit mei­nem eige­nen Geschmack. Das ist auf jeden Fall eine bru­ta­le Basis und das merkt man unse­rer Kunst auch an.

MZEE​.com​: Galv, in unse­rem letz­ten Inter­view hast du erzählt, dass die Vide­os zu den Sin­gles meist impro­vi­siert ent­ste­hen. War das beim jet­zi­gen Pro­jekt auch so? Oder habt ihr den Album­ge­dan­ken ver­folgt und euch Kon­zep­te überlegt?

Galv: Bei­des. Alles ist immer noch impro­vi­siert. Genau wie bei der Mucke hat man aber schon kon­kre­te Vor­stel­lun­gen. Wir machen alles sel­ber. Dem­entspre­chend agie­ren wir im Rah­men unse­rer Mög­lich­kei­ten. Mit jedem Pro­jekt ler­ne ich bes­ser, wie man kon­kre­te Vor­stel­lun­gen so gut und schnell wie mög­lich umsetzt. Sie sind auf jeden Fall noch krass impro­vi­siert, aber es wur­den wich­ti­ge Grund­ent­schei­dun­gen getrof­fen. Wir haben auch Vor­ar­beit geleis­tet. Das gan­ze Pro­jekt läuft schon ein paar Jahre.

MZEE​.com​: Wor­auf ach­tet ihr inzwi­schen mehr?

Galv: Ich habe frü­her kei­ne Vide­os sel­ber gemacht. Mei­ne ers­ten Vide­os sind mit der Muther Manu­fak­tur und dem Pierre Sonality-​Kollektiv ent­stan­den. Da hat­ten vor allem Pierre und die ande­ren eine Visi­on. Ich habe sowas erst ler­nen müs­sen. Bei "Klem­men­de Fahr­stuhl­tür" war das Fee­ling klar. Dann muss man über­le­gen, wie man das umset­zen kann. Das ist ganz viel Übung. Wir haben das Video fünf Minu­ten von Fuzls Woh­nung ent­fernt gedreht. Dreh­ort und Track haben ein­fach zusam­men­ge­passt. Bei "Power" war es ähn­lich. Für mich war von Anfang an klar: Der hat so viel Fla­vour, da ist nichts authen­ti­scher, als das Video direkt an dem Ort zu dre­hen, an dem wir unse­re Musik machen. Bei "Has­ta El Cie­lo" brauch­te ich etwas rich­tig Epi­sches. In Ecua­dor habe ich die Mög­lich­keit gehabt, an einem Ort in fast 3 000 Metern Höhe zu dre­hen, der hier nie­man­dem bekannt ist. Bei jedem Video ist das Mate­ri­al inner­halb weni­ger Stun­den entstanden.

MZEE​.com​: Auf "Power" rappst du: "Die eine Hälf­te bleibt auf der Stre­cke, wäh­rend die ande­re Hälf­te sich in 'nem Scheiß­haus ver­steck­te. Meist aus Scham, weil sie alle gleich aus­sa­hen." – Was stört dich an deut­schem Rap im Moment am meis­ten? Hast du ein Beispiel?

Galv: Ich hate als Per­son eigent­lich gar nicht. Die­se Mei­nung ver­tre­te ich, seit­dem ich in der deut­schen Rap­land­schaft Fuß gefasst habe. Ent­we­der bin ich inspi­riert oder ich igno­rie­re. Nur wenn Leu­te mich dazu zwin­gen, kann es sein, dass ich mich etwas auf­re­ge. Aber es ist nicht so, dass mich wirk­lich etwas nervt. Ich bekom­me, um ehr­lich zu sein, auch gar nicht so viel mit. In mei­ner Rol­le als Rap­per sage ich immer wie­der Sachen, die mich per­sön­lich gar nicht so ner­ven. Wenn ich mir etwas rein­zie­he, ist es halt immer das­sel­be: Es ist ent­we­der zu gleich, zu unge­wagt, zu unkrea­tiv oder zu unge­konnt. Ich glau­be, das war zu jedem Zeit­punkt so. Mit Trap ist es auf jeden Fall noch ein­fa­cher gewor­den. Jetzt kannst du mit den rich­ti­gen Hilfs­mit­teln, ohne irgend­et­was zu kön­nen, Gehör fin­den. Es ist aber nicht so, dass mich das auf­regt. Das ist mir wurscht.

MZEE​.com​: Gibt es ein deut­sches Release, das dich im ver­gan­ge­nen Jahr inspi­riert hat?

Galv: Es gab ein paar Releases, die ich krass gefei­ert habe. Am meis­ten das, was man aus dem eige­nen Dunst­kreis mit­kriegt. T9 haben wie­der eine Bom­ben­plat­te gemacht. Beson­ders her­vor­zu­he­ben ist mei­ner Mei­nung nach auch das Liquid & Maniac-​Album. Es ist Mund­art, aber die Typen sind der Wahn­sinn. Die haben kras­se Pat­terns und das Album ist extrem gut aus­pro­du­ziert. Es besitzt einen kon­tem­po­rä­ren Sound, ohne belang­los zu sein. Ich glau­be, dass das ein zeit­lo­ses Trap-​Album ist. Die haben das auch von einem Typen mixen und mas­tern las­sen, der sonst Kino­fil­me macht. Das habe ich nur zufäl­lig mit­be­kom­men. Ich habe mich gefragt, wie es sein kann, dass das über Spo­ti­fy so laut ballert.

MZEE​.com​: Das Ding flog wohl ein biss­chen unter dem Radar.

Galv: Das ist eben baye­ri­scher Mundart-​Rap. (lacht) Das fällt für einen Groß­teil auto­ma­tisch raus. Wir sind ja spra­chen­freund­lich und sprach­in­ter­es­siert. Die Pat­terns, die die bal­lern, sind ein­fach dope. Auf schwä­bisch wäre das auch cool, aber da habe ich tat­säch­lich noch nichts gefun­den, das ich feie­re. Ich habe heu­te in das OG Keemo-​Album rein­ge­hört. Das ist auch krass.

Fuzl: Ja, auf jeden. Den pum­pe ich auch.

Galv: Beim Intro habe ich Gän­se­haut bekommen.

MZEE​.com​: Galv, du hast eine Wei­le in Ecua­dor gelebt. Wie hast du die Musik- bezie­hungs­wei­se HipHop-​Szene dort erlebt? Was sind die größ­ten Unter­schie­de zu Deutschland?

Galv: Als ich die­ses Mal drü­ben war, habe ich gar nicht so viel Mucke mit­ge­kriegt. Das war hef­ti­ger, als ich erst­mals da gewe­sen bin. Es sind eher kul­tu­rel­le Unter­schie­de als spe­zi­el­le in der HipHop-​Kultur. In Ecua­dor wird man von der All­ge­mein­heit als Künst­ler eher geför­dert. Die wol­len dei­ne Musik hören, fei­ern und dir Props geben – unab­hän­gig davon, ob du vor­her schon etwas gemacht hast. Die Grund­ein­stel­lung ist dort offe­ner. Die wol­len direkt dein Zeug hören, wenn du denen erzählst, dass du rappst. Hier brau­chen die Leu­te erst mal jeman­den, der ihnen bestä­tigt, dass es cool ist, damit sie das fei­ern kön­nen. Ein aus­er­le­se­ner, voll ent­wi­ckel­ter, eige­ner Geschmack ist hier in der Min­der­heit, was man ja auch am Under­ground sieht. Der ist cool und hard­core und sup­port­et auch hard­core, aber an den Zah­len abge­le­sen ist es absurd. Das ist der ein­zi­ge Kampf, den man hier immer hat. Jeder Rap­per, der es hier "nach oben" geschafft hat, aber an sich nicht kom­mer­zi­ell ein­ge­stellt ist, muss trotz­dem dar­über rap­pen und sagen, dass er es end­lich geschafft hat. Obwohl er davor nichts ande­res gemacht hat, bis irgend­je­mand die Musik durch­ge­wun­ken hat, damit sie mehr Leu­te erreicht. Irgend­wann ist eine kri­ti­sche Mas­se erreicht, dann wird die Musik akzep­tiert und es ist plötz­lich für alle dope – obwohl es nie etwas ande­res war. Ich wür­de sagen, in Ecua­dor ist es viel­leicht umgekehrt.

MZEE​.com​: Auf der Plat­te rappst du auch eini­ge Lines auf Ita­lie­nisch und Spa­nisch. Was macht für dich den Reiz dar­an aus?

Galv: Abwechs­lung. Es ist Teil mei­ner Iden­ti­tät. Ich habe jah­re­lang auf ande­ren Spra­chen gerappt und sie teil­wei­se auch gemischt. Das kommt halt manch­mal wie­der raus. Ich habe ein paar gei­le Tex­te, die ich mir aber auf­be­wah­ren will. Es wäre zu scha­de, die auf ein deut­sches Album zu packen, bei dem klar ist, dass es nie jemand mit­kriegt. Wenn ich irgend­wann noch mal eine gute Con­nec­tion habe, mit der man Leu­te erreicht, bal­ler' ich auf jeden Fall zwei rich­tig gei­le spa­ni­sche 16er raus. Damit will ich dann auch spa­nisch­spra­chi­ge Leu­te erreichen.

MZEE​.com​: Wie kam es dazu, dass du auf der aktu­el­len deutsch­spra­chi­gen Plat­te Lines auf ande­ren Spra­chen plat­ziert hast?

Fuzl: Vor der Auf­nah­me von "Cor­tez" waren wir in Italien.

Galv: Genau, davor waren wir in Spa­ni­en und Ita­li­en. Bei "Cor­tez" habe ich eine kras­se Recording-​Session ein­ge­legt. Wir haben die Sachen im Urlaub und unter­wegs geschrie­ben und dann in Rott­weil alles auf einen Schlag auf­ge­nom­men. Dort hat­te ich um vier Uhr mor­gens fünf oder sechs fer­ti­ge Sachen recor­det. Das Instru­men­tal war eigent­lich als Skiz­ze gedacht. Dann hat Fuzl dar­aus aber einen rich­tig kras­sen Beat gemacht, der für eine Skiz­ze zu scha­de gewe­sen wäre. Dar­auf habe ich mich dann krea­tiv aus­ge­lebt. Ich hat­te vor­her schon fünf Stun­den allei­ne auf­ge­nom­men und war in so einer Art Däm­me­rungs­zu­stand. Dann sind die Wor­te ein­fach so her­aus­ge­kom­men. Den ande­ren Track, auf dem ich Ita­lie­nisch und Spa­nisch rap­pe, haben wir in mei­nem Hei­mat­ort auf Sar­di­ni­en auf­ge­nom­men. Mei­ne Freun­de von dort haben die Instru­men­te live ein­ge­spielt. Das war qua­si ein Shou­tout an den Dude, der das gespielt hat, damit er es auch versteht.

MZEE​.com​: Du hast das The­ma bereits ange­spro­chen: Hei­mat­ge­fühl. Fuzl, du bist Halb­s­pa­nier, Galv ist Hal­bi­ta­lie­ner und hat lan­ge in Ecua­dor gelebt – da kom­men eini­ge Kul­tu­ren und Ein­flüs­se zusam­men. Wo emp­fin­det ihr ein klas­si­sches Gefühl von Heimat?

Fuzl: Ich habe mir dar­über schon ziem­lich lan­ge Gedan­ken gemacht und glau­be nicht, dass ich es ein­ord­nen kann. In Rott­weil bin ich zur Schu­le gegan­gen. Aber ich habe kein Hei­mat­ge­fühl, wenn ich zu mei­nen Eltern zurück­ge­he. Ich woh­ne schon län­ger in Öster­reich und sage auch, dass ich Wie­ner bin. Hei­mat­ge­fühl ist für mich – als jemand aus einem der ers­ten Jahr­gän­ge, die das Bache­lor­sys­tem und ein Euro­pa ohne Gren­zen so rich­tig aus­nut­zen kön­nen – ein über­hol­ter Begriff. Ich habe nicht wirk­lich eine Hei­mat, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Orte, die ich Zuhau­se nenne.

MZEE​.com​: Also ver­bin­dest du das nicht mit einem kon­kre­ten Ort. Wür­dest du denn sagen, dass der Begriff der Hei­mat mitt­ler­wei­le eher nega­tiv kon­no­tiert ist?

Fuzl: Das ist abhän­gig von der Per­son. Natür­lich wird der Begriff von den Rech­ten sehr häu­fig ver­wen­det. Für mich ist er auf jeden Fall über­holt. Ich glau­be nicht an die Hei­mat. Sie ist ja eigent­lich eine Pil­ger­stät­te. Ein Ort, an dem man auf­ge­wach­sen ist, woher die Fami­lie kommt und an den man immer wie­der zurück­kehrt oder dort bleibt.

Galv: Ich glau­be, ich kann das gut zusam­men­fas­sen. Hei­mat ist mehr ein Gefühl als ein Ort. Es war lan­ge Zeit ein Gefühl, das man mit einem Ort ver­bun­den hat, weil es für die Men­schen nicht anders ging. Die Welt ist aber hei­mat­lo­ser denn je. Das bringt wie­der­um eine Gegen­be­we­gung mit sich. Die­se ist ohn­mäch­tig dadurch, dass sich die Welt so schnell ver­än­dert und zusam­men­wächst wie nie zuvor. Men­schen wech­seln häu­fi­ger den Ort und damit auch die Hei­mat. Das führt dazu, dass sich eini­ge umso stär­ker an ihren Hei­mat­ort klam­mern. Man hört die­se Gegen­stim­men nur am lau­tes­ten schrei­en. Es sind weni­ger Men­schen als je zuvor, die sich nur mit einem Ort iden­ti­fi­zie­ren. Die Glo­ba­li­sie­rung und Ver­net­zung des Glo­bus ist unauf­halt­sam. Es gibt ja jetzt schon die drit­te und vier­te Gene­ra­ti­on nach uns, die rei­sen muss, um über­haupt ein Gefühl dafür zu bekom­men, wo ihr Platz auf der Welt ist.

MZEE​.com​: Kannst du den letz­ten Satz etwas näher erläutern?

Galv: Schau dir mal die Ten­den­zen an. Es ist nichts mehr so, wie es noch vor ein paar Jah­ren war, weil die Welt sich so schnell ver­än­dert – genau wie die Wer­te und die Gesell­schaft an sich. Man hat einen Über­fluss an Infor­ma­tio­nen. Für jun­ge Leu­te ist es nor­mal gewor­den, in die Welt raus­zu­ge­hen und ihren Platz woan­ders zu fin­den, anstatt am sel­ben Ort zu blei­ben, sein Ding zu machen und sich damit zufrie­den­zu­ge­ben. Die Mensch­heit ist im Umschwung – im Guten wie im Schlech­ten. Hier hast du halt Tou­ris­ten und Back­pa­cker. Der Kli­ma­wan­del wird die gan­ze Völ­ker­wan­de­rung noch viel kras­ser vor­an­trei­ben, sodass wir noch mehr Kul­tur­aus­tausch haben. Das muss alles zusam­men­spie­len. Die Gesell­schaft der Zukunft muss noch viel mehr kul­tu­rel­len Aus­tausch und dadurch Heimat-​Identitätskrisen ver­kraf­ten können.

Fuzl: Das Inter­net sorgt für ein grö­ße­res Bewusst­sein bei den Men­schen – dafür, dass es anders­wo anders läuft. Das spielt bei vie­len poli­ti­schen Bewe­gun­gen auf der Welt eine gro­ße Rol­le. Aktu­ell zum Bei­spiel in Süd­ame­ri­ka. In Deutsch­land etwa war den Leu­ten nicht bewusst, dass Fran­co in Spa­ni­en bis Ende der 70er Jah­re als Dik­ta­tor regiert hat. Der wur­de noch nicht mal geputscht und die Deut­schen sind da hin­ge­reist, um Urlaub zu machen. Durch das Inter­net kann für sol­che Umstän­de ein viel grö­ße­res Bewusst­sein geschaf­fen wer­den. Es kann aber natür­lich auch in eine ande­re Rich­tung umschla­gen und Men­schen blöd machen. Außer­dem den­ken man­che, sie wären poli­tisch, obwohl sie im End­ef­fekt nur die Über­schrif­ten von irgend­wel­chen Nach­rich­ten lesen.

MZEE​.com​: In wel­chen Berei­chen wür­det ihr ein ande­res Leben füh­ren, wenn ihr an einem ande­ren Ort auf­ge­wach­sen wärt?

Galv: Kommt dar­auf an, an wel­chem Ort man auf­ge­wach­sen wäre. Man muss sich gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren gegen­über auf irgend­ei­ne Art und Wei­se immer dyna­misch verhalten.

MZEE​.com​: Was meint ihr, in wel­chen Berei­chen euch eine ande­re Kul­tur in Hin­blick auf eure Musik geprägt hätte?

Galv: Ich war echt viel im Aus­land und habe davon nur pro­fi­tiert. Ich muss immer dar­an den­ken, wie krass Chi­na ist. Da leben so vie­le Men­schen. Eini­ge Fra­gen, die wir uns hier stel­len, stel­len die sich dort gar nicht, weil es nicht funk­tio­nie­ren wür­de. Trotz­dem funk­tio­niert es irgend­wie. Die Leu­te dort sind krass on point.

Fuzl: Ich glau­be, wenn ich irgend­wo in der Kari­bik oder in Süd­ame­ri­ka auf­ge­wach­sen wäre, wür­de ich viel­leicht Dance­hall oder Reg­gae pro­du­zie­ren. (lacht)

Galv: G, du wür­dest Roots machen. (lacht)

MZEE​.com​: Spä­tes­tens dann wäre "Pal­men aus Plas­tik" auch nach Deutsch­land gekommen.

Galv: Die Musik hier pro­fi­tiert immer von ande­ren Kul­tu­ren und Einflüssen.

MZEE​.com​: DLTLLY möch­te ein On Beat Battle-​Event in Ber­lin ver­an­stal­ten. Galv, nach­dem du auf der Tape­fa­brik gegen Scho­te ange­tre­ten bist: Könn­test du dir vor­stel­len, erneut in den Ring zu steigen?

Galv: Stimmt, die machen jetzt das ers­te On Beat-​Event. Die Jungs haben mich auch gefragt und ich hat­te es kurz in Erwä­gung gezo­gen, wer­de aber nicht teil­neh­men. Damals sind ein paar Sachen zusam­men­ge­kom­men, die zu der Ent­schei­dung geführt haben, das ein­ma­lig zu machen. Ich woll­te noch mal zur Tape­fa­brik, weil ich am nächs­ten Tag für ein Drei­vier­tel­jahr nach Ecua­dor gegan­gen bin. Ich woll­te noch mal Pro­mo für das Album machen, das zwei Mona­te spä­ter raus­kam, und kei­nen Slot bekom­men hat­te. Das Batt­le kam haupt­säch­lich des­we­gen zustan­de, weil die Grün­der von DLTLLY gute Freun­de von mir sind. Ich habe die Jungs abseits der Battle-​Plattform ken­nen­ge­lernt, als ich beim inter­na­tio­na­len End Of The Weak-​Finale in Ugan­da ange­tre­ten bin. Die Jungs haben das damals doku­men­tiert und waren auch als Pri­vat­per­so­nen dabei. Die bei­den waren der Haupt­grund, dass ich beim On Beat Batt­le der Tape­fa­brik mit­ge­macht hab'.

MZEE​.com​: Rei­zen dich Live Batt­les gar nicht mehr?

Galv: Wenn End Of The Weak in dem Rah­men statt­fin­den wür­de oder etwas mit ähn­li­chen Aus­ma­ßen, wür­de ich auf jeden Fall häu­fi­ger hin­ge­hen. Das ist eine ganz ande­re Art von Com­pe­ti­ti­on. Plain Batt­les sind nicht so mei­ne Welt. Ich kann das auf jeden Fall rela­tiv gut, glau­be ich, aber man muss beden­ken, dass das sehr viel Auf­wand ist. Ohne jeman­dem zu nahe­tre­ten zu wol­len: Der Haupt­teil der Leu­te, die da mit­ma­chen, haben den Clinch, dass sie abseits der Platt­form nicht wirk­lich statt­fin­den. Das ist bei mir gar nicht der Fall – im Gegen­teil. Ich habe mir über Jah­re mein Ding auf­ge­baut und brin­ge dem­entspre­chend auch Sachen mit in den Ring.

MZEE​.com​: Du möch­test dich auch nicht dar­auf redu­zie­ren las­sen, oder?

Galv: Ja, ich habe das ein­fach nicht nötig. Ich muss mich nicht dar­auf redu­zie­ren las­sen. Du kriegst dafür auf jeden Fall gut Auf­merk­sam­keit. Leu­te spre­chen dich dar­auf an – so wie du jetzt. Auf das, was ich mache, hat es im End­ef­fekt aber kei­nen gro­ßen Ein­fluss. Es ist noch kei­ner des­we­gen zu mei­nem Kon­zert gekom­men. Es wür­de viel­leicht Sinn machen, wenn es näher am Release wäre, aber jetzt ist es ja schon in vol­lem Gan­ge. Und wen soll­te ich jetzt batt­len? Es müss­te ja jemand sein, der auf der­sel­ben Ebe­ne arbei­tet wie ich. Ganz abge­se­hen davon ist es ein bru­ta­ler Auf­wand für die kur­ze Zeit auf der Bühne.

MZEE​.com​: Das stimmt natür­lich. Da war Scho­te ein guter Gegner.

Galv: Ja, da konn­te ich mir zumin­dest etwas rein­zie­hen, auch wenn ich das gar nicht woll­te. Es war so eine Mischung aus allem. Du musst dich drei Mona­te lang mit einem Typen aus­ein­an­der­set­zen, was du sonst nicht machen wür­dest. Ich fei­er' das alles nicht so krass und ver­fol­ge es auch nicht regel­mä­ßig. Dann betreib' ich dafür einen Auf­wand, den ich nor­ma­ler­wei­se für ein Album betrei­ben wür­de. Das ist sehr viel Schreib­ar­beit und Vor­be­rei­tungs­zeit. Und das für einen Gig, der nicht mal ansatz­wei­se den Effekt hat, den ein Album auf­wei­sen kann. Von dem kann ich lang­fris­tig pro­fi­tie­ren und habe nicht nur zehn Minu­ten Gladiatoren-Spotlight.

MZEE​.com​: Blei­ben wir noch bei der Tape­fa­brik: Das Fes­ti­val hat sich selbst das Ziel gesetzt, bis 2022 eine Quo­te von 50 Pro­zent an weib­li­chen Acts zu errei­chen. Wie seht ihr das?

Fuzl: Da haben wir neu­lich schon mit DJ Roo­kie drü­ber gere­det. Ich den­ke, es ist in vie­len musi­ka­li­schen Berei­chen gar nicht so schlecht, wenn man ver­sucht, eine Frau­en­quo­te ein­zu­füh­ren. Die Fusi­on macht das schon län­ger – genau­so wie ande­re Tech­no­ver­an­stal­tun­gen auch. Auf der einen Sei­te geht es dabei um eine sym­bo­li­sche Wir­kung: Frau­en und jun­ge Mäd­chen kön­nen auch rap­pen. Hip­Hop hat­te schon immer eine Teacher-​Rolle. Es ist eine Jugend­kul­tur und fängt vor allem jun­ge Men­schen auf. Hip­Hop hat immer eine Mei­nung, etwas zu sagen und poli­ti­schen Input gehabt. Des­we­gen den­ke ich, eine Frau­en­quo­te ist sehr gut und kann eine gro­ße sym­bo­li­sche Wir­kung haben. Das ist die eine Sei­te. Auf der ande­ren Sei­te den­ke ich, es ist eine Kunst­rich­tung. In der Kunst soll­te es dar­um gehen, dass jeman­dem, der etwas gut kann, eine Büh­ne gege­ben wer­den soll­te – unab­hän­gig vom Gen­der. Ich fin­de bei­de Sei­ten sehr wich­tig und habe des­halb kei­ne kon­kre­te Mei­nung zur Tape­fa­brik. Die Gen­der­de­bat­te im All­ge­mei­nen geht eher in die Rich­tung, dass man ver­sucht, mit sym­bo­li­scher Wir­kung die Frau­en, ins­be­son­de­re jun­ge, zu bestär­ken. So kann man ein Bewusst­sein in der Gesell­schaft schaf­fen – oder in die­sem Fall bei HipHop-​Hörern. Im End­ef­fekt soll­te es dahin gehen, dass es egal ist, was für ein Gen­der man hat.

Galv: Dem schlie­ße ich mich an.

(Sven Aum­il­ler & Malin Teegen)
(Fotos von Mar­tin Taylor)