Das Markenzeichen der Rapperin Antifuchs ist eine schwarze Fuchsmaske, mit der sie ihr Gesicht verdeckt. Verstecken braucht und möchte sie sich allerdings nicht. Im Gegenteil, mit ihrer Mittelfingerattitüde zeigt sie der Rapwelt, wo der Hammer hängt. Mit dem Fuchsbau hat die Rapperin sich ihre eigene Welt geschaffen, um sich künstlerisch auszuleben. Das Streben nach einem Ort, den man für sich hat und an dem man der Kreativität freien Lauf lassen kann, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass das Heimatland der gebürtigen Kasachin heute so nicht mehr existiert. Wie sehr Antifuchs sich noch mit ihrem Geburtsland identifizieren kann, erzählte sie uns im Interview. Außerdem haben wir über Rassismus, das Gefühl von Heimat und ihre Wahrnehmung von rechtsradikalem Rap gesprochen.
MZEE.com: Du bist als Kleinkind mit deiner Familie aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Beeinflussen deine Wurzeln deine Musik?
Antifuchs: Ich bin zweisprachig groß geworden. Schon meine Denkweise wurde dadurch beeinflusst, denn Russisch hat einen ganz anderen Satzbau als Deutsch. Ich glaube, das hat mein Verständnis für Sprache stark geprägt. Gleichzeitig denke ich, dass ich sehr eingedeutscht aufgewachsen und dadurch sehr deutsch bin. In meinen Texten spiele ich gerne mit den Sprachen. Auf meinem aktuellen Album lasse ich die russische Sprache mehr stattfinden als zuvor. Vorher habe ich mal eine Line oder ein Wort aus dem Russischen genommen – dieses Mal ist auf zwei Tracks echt viel Russisch zu hören. Ich möchte das auch weiterhin einfließen lassen.
MZEE.com: Was meinst du, wenn du sagst, dass du "sehr deutsch" bist?
Antifuchs: Zum einen betrifft das meine Aussprache. Viele Menschen, die mich neu kennenlernen, sind sehr verwundert, wenn ich sage, dass ich gar nicht gebürtige Deutsche bin und meine Wurzeln woanders habe. Die können es nicht fassen, dass ich das R nicht mehr rolle. In solchen Momenten komme ich mir deutscher vor, als ich bin. Gleichzeitig habe ich russische Werte mitbekommen – das hat mich von meinen deutschen Freunden immer unterschieden. Aber an sich bin ich voll der Alman.
MZEE.com: Wie sehr kannst du dich mit Kasachstan identifizieren? Du warst ja sehr jung, als deine Familie nach Deutschland gekommen ist.
Antifuchs: Die Identifikation mit Kasachstan ist sehr schwierig. Als ich geboren wurde, gehörte Kasachstan noch zur Sowjetunion. Das heißt, ich bin in einem Land geboren, das es heute nicht mehr gibt. Das macht die Identifikation für mich total schwer. Wir haben dort keine Verwandten mehr, sodass wir auch nicht mehr hingeflogen sind. Deswegen habe ich den Bezug dazu verloren. Auf der anderen Seite liebe ich russisches Essen und erwische mich häufiger in der Russenhocke als in einer anderen Sitzposition. Ich habe auch voll die russischen Attitüden und bin mit der Sprache aufgewachsen. Meine Werte sind eher russisch als kasachisch. Kasachstan hat noch mal eine ganz andere Kultur. Wir kommen definitiv aus dem russischen Teil. Ich habe viele unterschiedliche Eigenschaften aus den jeweiligen Ländern und konnte mich nie eindeutig zu irgendetwas zählen. Ich bin ein guter Mischmasch aus allen Kulturen geworden.
MZEE.com: Wie stehst du dem Begriff Heimat gegenüber? Muss man an einem bestimmten Ort geboren worden sein, um ihn so bezeichnen zu können oder bedeutet Heimat für dich etwas anderes?
Antifuchs: Ich glaube, Heimat ist ein Gefühl. Ich habe mir mit dem Fuchsbau etwas sehr Freies geschaffen, wo ich mich zu Hause fühle. Eine eigene kleine Welt, die nur für mich da ist. Ich bin an so vielen Orten zu Hause. Ein Fuchsbau ist ja ein System aus vielen Tunneln und kleinen Lagerplätzen, wo sich der Fuchs abwechselnd aufhält. Das sehe ich für mich persönlich auch total. Ich bin in Kasachstan geboren und in Flensburg aufgewachsen. Zu beidem habe ich Bezüge, aber zu Kasachstan weniger, weil ich mich kaum daran erinnere. Ich war eineinhalb Jahre alt, als wir gegangen sind, da ist eigentlich gar nichts mehr da. Ich bin auf jeden Fall ein Kind der Küste, weil ich in Flensburg aufgewachsen bin. Dann habe ich zwei Jahre im Pott gelebt und mich dort irgendwie heimisch gefühlt. Jetzt wohne ich in Berlin und bin jedes Mal froh, von einer längeren Tour dahin zurückzukehren. Genau das Gleiche empfinde ich, wenn ich zu meinen Eltern nach Flensburg fahre. Heimat ist auf jeden Fall das Gefühl, das mir ein Ort gibt.
MZEE.com: Hermann Hesse hat mal gesagt: "Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir drinnen, oder nirgends."
Antifuchs: (lacht) Ich fühle diese Aussage zu hundert Prozent.
MZEE.com: Worin liegen deiner Meinung nach die Unterschiede im Alltagsleben zwischen dir, deinen Freunden, die keinen Migrationshintergrund haben und Freunden, denen man ihren Migrationshintergrund potenziell mehr ansieht als dir?
Antifuchs: Ich glaube, man kann diese Unterschiede gar nicht so sehr an der Herkunft festmachen. Ich habe deutsche Freunde, die russische, herzliche Werte haben. Genauso habe ich russische Freunde, die voll die Almans sind. Es kommt darauf an, was für Erfahrungen wir gemacht haben, womit wir konfrontiert wurden und wie wir aufgewachsen sind. Ob wir sehr nah an der Familie aufgewachsen sind oder rebellisch waren und uns nur mit den Eltern gestritten haben. Ich denke, das kann man nicht daran festmachen, woher man kommt oder wie man aussieht. Jeder hat seine eigene Geschichte. Ich habe so viele Menschen aus so vielen verschiedenen Orten mit so vielen verschiedenen Geschichten kennengelernt. Ich finde die Einzigartigkeit von jedem selbst krass. Ich tue mich mittlerweile auch schwer damit, zu vergleichen. Denn Vergleiche zeigen immer nur einen einzigen Aspekt, andere Faktoren fallen dabei weg. Es gibt einfach Menschen, die vielleicht familiärer, herzlicher, strenger oder religiöser erzogen worden sind. Ich hatte viele Freiheiten – trotz strenger Erziehung. Ich weiß nicht, ob man das so sehr daran festmachen kann, wo ich herkomme oder dass ich einen Migrationshintergrund habe und ob Deutsche anders sind als ich.
MZEE.com: Denkst du nicht, dass man dich als Weiße, der man ihren Migrationshintergrund nicht ansieht, im Alltag anders behandelt als jemanden, dem man seinen Hintergrund mehr ansieht?
Antifuchs: Eine ungerechte Situation kenne ich: Wenn ich früher mit meiner Oma einkaufen war. Sie tat sich aufgrund ihres Alters schwer damit, Deutsch zu lernen. An der Kasse hatten Menschen sehr wenig Geduld mit ihr und wurden schnell böse, wenn sie sich nicht verständigen konnte. Als würde sie ihnen etwas Böses wollen. Dabei wollte meine Oma einfach nur darauf aufmerksam machen, dass sie falsches Wechselgeld zurückbekommen hatte. Sie forderte nur Gerechtigkeit für sich ein und wurde dafür ungerecht behandelt – wegen der Sprachbarriere und Ungeduld ihres Gegenübers. Sie hat aufgrund von Unverständnis Diskriminierung erfahren. Solche Situationen sind mir eher aufgefallen, weil es in meinem Umfeld stattgefunden hat. Aber bei anders Aussehenden in meinem Umfeld muss ich tatsächlich sagen, dass ich das sehr selten wahrnehme. Da werden alle gleich behandelt. Mein Umfeld habe ich mir so ausgesucht. Mein Umfeld ist wie ich, wir teilen alle dieselben Werte. Ich behandle einen Menschen so, wie er zu mir ist. Und wenn jemand – egal, wie er aussieht – scheiße zu mir ist, bin ich auch scheiße zu ihm. Wenn jemand nett und freundlich ist, bin ich auch nett und freundlich zu ihm.
MZEE.com: Wo fängt deiner Meinung nach Rassismus an? Was ist deine Definition von Rassismus?
Antifuchs: Ich finde es sehr schwer, die Essenz davon zu definieren. Es ist ja schon klar definiert. Man kann es im Lexikon nachschlagen. Ich glaube, Rassismus fängt da an, wo Angst vor dem Unbekannten herrscht und keine Auseinandersetzung damit stattfindet. Man kennt etwas nicht, will es auch nicht kennenlernen und sobald man damit konfrontiert wird, entsteht aus der Angst eine Ablehnung. Anstatt sich mit etwas auseinanderzusetzen, auch wenn es vielleicht aufgrund der Sprachbarriere ein schwieriger Weg ist, wird es abgelehnt. Dazu findet teilweise keine Integration statt. Integration ist keine Einbahnstraße. Die kommt auch von dem Land, in das integriert wird. Das Land muss sich ebenfalls öffnen und dem Unbekannten eine Chance geben. Es muss nicht alles annehmen, aber zumindest kennenlernen wollen. Es sagt niemand, dass du auf einmal deinen Glauben wechseln musst. Es ist die Angst davor, was du dir vorstellst, was passieren könnte, wenn in deiner unmittelbaren Nähe Menschen existieren, die anders sind als du sind. Ich glaube, die Menschen haben ganz doll Angst vor dem Unbekannten und davor, dass es sie selbst verändert. Dadurch fehlt die Auseinandersetzung damit. Dabei ist es immer deine eigene Entscheidung, dich zu verändern. Man sollte keine Angst davor haben, das andere kennenzulernen.
MZEE.com: Stellst du rassistische Züge oder Eigenschaften an dir selbst fest? Denkst du, dass man zu hundert Prozent vorurteilsfrei sein kann?
Antifuchs: Was andere Kulturen angeht, würde ich mich wirklich von Rassismus freisprechen. Ich denke, ich bin ein total offener Mensch. Diskriminierung an sich ist ein ganz weites Thema und nicht nur dem Rassismus zugeschrieben. Auch als Frau im Rap habe ich Vorurteile und Diskriminierung erfahren und mich dem entgegengestellt. Das werde ich auch weiterhin tun. Ich glaube, jeder Mensch, der mit Rassismus zu tun hat, trifft auf ähnliche Hürden. Natürlich sind die noch mal viel höher und reichen weiter in das Leben hinein. Was Rassismus angeht, war ich schon immer ein sehr abgeklärter Mensch. Ich wurde dazu erzogen, einen Menschen nicht nach seinem Aussehen oder Glauben zu beurteilen, sondern danach, wie er zu mir ist und was er tut. Woran man glaubt, ist jedem selbst überlassen. Es hört sich komisch an, wenn man sagt: "Mein Freundeskreis ist gemischt." Wie eine Naschtüte irgendwie. Aber ich habe noch nie einen Unterschied gemacht, woher jemand kommt. Es ist für mich surreal, wie Menschen rassistisch denken, Vorurteile hegen und Angst vor Kulturen und dem Anderssein haben können. Das ist für mich unverständlich.
MZEE.com: Ist dir im Rap schon Rassismus begegnet?
Antifuchs: Vorurteile wegen meiner Herkunft und meinem Geschlecht habe ich auf jeden Fall erlebt, aber Rassismus mir gegenüber ist mir nicht begegnet. Ich bekomme natürlich am Rande mit, wenn darüber diskutiert wird. Ich finde es sehr gut, wie HipHop sich allgemein gegen Rassismus positioniert. Das ist, glaube ich, auch ein Grund, warum mich dieses Genre so reizt: Weil wir uns mit solchen Dingen beschäftigen und wirklich auch gute Werte vermitteln. In diesem Oldschool-HipHop-Sinne zumindest, zu dem ich mich aufgrund meines Alters definitiv zählen würde. Ich finde es schön, wie aktiv HipHop gegen Rassismus vorgeht.
MZEE.com: Es gibt ja auch rechtsradikalen Rap. Bekommst du das mit?
Antifuchs: Sowas nehme ich nicht wahr. Mir wurde die Frage im letzten Jahr schon zwei Mal gestellt. Ich frage mich, ob man sich damit auseinandersetzen sollte oder ob es besser ist, dass ich das nicht kenne. Ich denke, es ist besser, dass ich es nicht kenne. Das findet nicht in meinem Kosmos statt. Dem schenke ich keinen Klick und kein Gehör. Es ist mir wichtig, dass ich durch die Werte, die ich vermittle, niemals so eine Zielgruppe anziehe. Ich hoffe, dass Menschen, die meine Musik hören, solche Ansichten nicht teilen. Ich glaube, da positioniere ich mich schon genug und ich hoffe, dass sowas nicht in meinem Umfeld stattfindet. Ich möchte das nicht und suche auch nicht danach. Natürlich kriegt man Debatten wie bei der Echo-Geschichte mit. Dem kann man sich nicht entziehen, wenn man im HipHop-Kontext stattfindet.
MZEE.com: Gewisse Tätigkeiten bringen Menschen häufig zusammen – allen voran Essen, Kunst, Musik und Sport. Warum ist das so?
Antifuchs: Ich war selbst sehr lange Sportlerin in meiner Jugend und weiß genau, was das für einen Effekt haben kann. Auch Musik kann diese Wirkung haben. Man findet zusammen und dann kommt der Moment, an dem klar wird, dass jeder seine Stärken einbringt und so zum Team beisteuert. Es ist unerheblich, ob es Sport, eine Band, ein Chor oder ein Töpferkurs ist, bei dem Menschen sich gegenseitig Tipps geben. Egal, wo man herkommt, jeder gibt eine kleine Zutat hinein. Ohne dieses eine Gewürz wäre es nicht ganz dasselbe. Ich glaube, das ist die Essenz dieser Gruppenaktivitäten: Sie schließen alle Menschen ein. Das finde ich geil daran. Es ist egal, wo du herkommst oder wie du aussiehst, wenn sich alle zusammenfinden und gemeinsam etwas entsteht. Das kann ein Turniersieg oder ein Auftritt sein. Man verwirklicht sich nicht nur, sondern ist Teil von etwas, das größer ist als man selbst.
MZEE.com: Gerade bei sportlichen Aktivitäten verlässt man oft seine Komfortzone. Dadurch, dass man sie einmal verlassen hat, erweitert sie sich und somit auch der Horizont.
Antifuchs: Voll.
MZEE.com: In welchen Momenten hast du deine Komfortzone verlassen?
Antifuchs: Ich bin großer Fan davon, aus dieser Zone herauszutreten, neue Dinge zu wagen und Ängste zu bewältigen. Zum Beispiel, als ich mir damals die Maske angezogen habe. Alle haben gesagt, ich als Mädchen sollte nettere Musik machen, aber eigentlich wollte ich viel lieber battlen. Also habe ich das einfach gemacht – egal, ob ich scheitere oder nicht. Damit bin ich aus meiner Komfortzone herausgetreten. Zehn Jahre lang war ich Cheerleader, habe mich in die Höhe schmeißen lassen und Saltos gemacht. Wenn ich vor etwas Angst hatte, bin ich immer über mich hinausgewachsen. Auch wenn ich ein-, zweimal auf die Fresse gefallen bin, beim dritten Mal hat es dann geklappt. Ich lebe die Mentalität, einfach zu machen.
MZEE.com: Du scheinst eine sehr optimistische und positive Sicht auf das ganze Thema zu haben. Welche Tipps würdest du Leuten geben, die selbst rassistisch angegangen werden?
Antifuchs: Niemand hat es verdient, rassistisch angegangen zu werden. Es passiert trotzdem immer wieder, weil Leute nicht aufgeklärt sind. Es ist nicht leicht, gelassen auf Rassismus zu reagieren. Es sollte auch nicht ignoriert werden: Jeder muss etwas sagen. Es darf nicht einfach so hingenommen werden. Aber versucht vielleicht, das nicht im Streit zu tun, sondern dem Menschen die Augen zu öffnen. Es hört sich so cheesy an, aber lasst euch von Vorurteilen nicht unterkriegen. Bekämpft Feuer nicht mit Feuer, sondern zeigt auf eine schöne Weise, wie stolz ihr auf eure Kultur seid. Zeigt denen, dass ihr da drübersteht. Wenn sie es nicht sehen wollen, dann haben diese Menschen eure Schönheit nicht verdient. Jeder Mensch ist in sich schön. Ich versuche, in meiner Position im Rap – als aufgeklärte Frau mit Migrationshintergrund, die nicht nur "Yo, yo, yo" sagt – auch immer wieder, Menschen mit Vorurteilen zu erstaunen, anstatt sie zu verärgern. So öffnen sie sich mir mehr. Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist. Ich maße mir nicht an, zu sagen, dass das die Lösung für Rassismus ist. Das geht noch viel tiefer. Aber es ist vielleicht ein Ansatz, Vorurteile zu lösen.
(Steffen Bauer & Malin Teegen)
(Fotos von Janick Zebrowski)