Kaum eine Szene hierzulande scheint so facettenreich zu sein wie die Deutschrapszene. Während es bereits jetzt schon fast unmöglich erscheint, jeden einzelnen, etablierten Vertreter zu kennen, steigt die Zahl neuer, noch unbekannter Künstler exponentiell weiter an. Den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe: Hat man sich ein Gesicht der HipHop-Hydra gemerkt, tauchen schon wieder mindestens zwei neue auf. Gleichzeitig ist es für unbekannte, junge Talente überaus schwer, aus der überwältigenden Masse an Musikern herauszutreten und sich einen Namen zu machen.
Beiden Seiten soll unser Soundcheck eine Hilfestellung bieten. Producern, die bisher noch in den Tiefen des Untergrunds untergegangen sind, eine Plattform geben, auf der sie sich kurz, aber prägnant präsentieren können. Und Hörern und Fans ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über nennenswerte Künstler zu verschaffen, die sie bisher vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
MZEE.com: Du sagst von dir selbst, dass du vor allem auf die "alten Maschinen" stehst, um damit Musik zu machen. Wie genau kann man sich dein Lieblingsequipment vorstellen?
Atwashere: Der Computer bleibt aus, so lange es geht und ist oft nur mein Mehrspurrekorder. Ich mische auf einer Konsole mit 32 Kanälen von TASCAM. Auf diesen Mixer patche ich alle Einzelausgänge der Sampler und Synths, die ich aktuell für ein Stück im Einsatz habe. Als DJ und Schallplattensammler kommen meine Samples fast nur von Vinyl. Die meisten Tracks produziere ich mit meinen MPCs als Master wie dem 3000 oder 60. Da ist kein überflüssiger Schnickschnack dran. Dafür muss man bei diesen Geräten gern mal um die Ecke denken und kommt aus seiner Komfortzone raus. Wellenformen werden zum Beispiel nicht angezeigt und man lernt, seinen Ohren wieder zu vertrauen. Mittlerweile habe ich ein paar "Vintage"-Sampler gesammelt, unter anderem von E-mu, Ensoniq, Roland und Akai. Ich bin immer noch fasziniert, wie solide die meisten Teile laufen. Kaum Abstürze und Midikabel können so einiges im Zusammenspiel der Geräte reißen. Klar, bei mitunter 30 Jahre altem Equipment geht auch mal was kaputt und mit einer DAW ist man heutzutage um einiges fixer unterwegs … Aber ich mag das entschleunigte Beatbasteln und Soundfrickeln. Jedes Gerät beeinflusst durch seinen ganz eigenen Workflow und Sound den Track, an dem ich in diesem Moment sitze. Macht eben Bock.
MZEE.com: Die Ergebnisse deiner Arbeit kann man unter anderem auf deiner Bandcamp-Seite hören. Welcher ist dein persönlicher Lieblingsbeat von dir selbst?
Atwashere: Harte Frage! Jeder Beat ist für mich auf irgendeine Art special. Ich nehme mir beim Beatbauen fast immer vor, etwas Neues auszuprobieren oder zu lernen. Beim Beat von "Take A Look" habe ich zum Beispiel recherchiert, wie Jungle damals ohne die heutigen Preset-Sounds produziert wurde. Der Bass stammt aus einer über mein Mischpult analog verzerrten 808-Kick, inklusive einem High- und Lowpass-Split samt Timestretch-Unfällen. Auch das Choppen des Drumbreaks war nicht ohne, bis es schön rollte.
MZEE.com: Wie steht es um die Arbeit anderer? Welches ist in deinen Augen das beste Instrumental überhaupt, das von einem anderen Produzenten stammt?
Atwashere: "Mass Appeal" von Gang Starr, produziert von DJ Premier … eigentlich nur ein simpler Loop. Aber er bleibt einfach im Kopf kleben!
MZEE.com: Was macht für dich einen guten Remix aus?
Atwashere: Er sollte sowohl die Seele des Originals haben, als auch die deutliche Handschrift des Künstlers tragen, der remixt. Der Künstler sollte auch eine neue Idee zum Track haben. Das kann ganz schlicht ein anderer Ansatz beim Arrangement sein, aber auch das komplette Flippen des Ausgangsmaterials. Fehlt die Inspiration, sich das Stück eigen zu machen, merkt man das schnell beim Hören. Im Extrem finde ich es übrigens auch sehr spannend, wenn ein Track dadurch die Genre-Grenzen verläßt: Ein Boom bap-lastiger Downbeat wird zu percussive Dubstep. Oldschool Drum 'n' Bass wird zu einem futuremäßigen Halftime-Beat. Ich drücke meine Beats mit Absicht Leuten aufs Auge, die eigentlich anderen Sound machen.
MZEE.com: Demnächst presst du mit "Take A Look" deine eigene Musik auf eine kleine Auflage Vinyl. Denkst du, dass ein Producer-Album denselben Stellenwert haben sollte wie das Album eines Rappers?
Atwashere: "Take A Look" ist bereits das dritte Vinyl, das über Trust in Wax erscheint. Alles bisherige von mir war eher instrumental. Für die aktuelle 12-Inch habe ich mit Morina Miconnet erstmals eine Sängerin gebeten, mir eine Vocalidee aufzunehmen. Für mich sind Beatsbauen und Reimen zwei ebenbürtige Kunstformen. Ich sehe da keine Konkurrenz. Allerdings trenne ich auch klar zwischen dem reinen Beatbasteln und dem Ausproduzieren eines Tracks: Ein Produzent hat für mich immer einen ganzheitlichen, zusammenführenden Blick auf ein Projekt – egal, ob es sich um ein einzelnes Stück handelt oder ein ganzes Album. Ein Rapper, der diesen Blick auf sein Werk hat, ist für mich genauso ein Produzent! Wenn man sich HipHop-Musik im Speziellen über die Jahre anschaut und Bekanntheit als Maßstab für Aufmerksamkeit nimmt, liegt momentan der Fokus von Presse und Konsumenten sicher eher bei den Rappern. Trotzdem gibt es den Trend dahin, dass auch genannt wird, von wem die Beats im Hintergrund eigentlich stammen. Viele Beatbastler achten mittlerweile wieder darauf, dass sie ihren Namen positionieren … Und auch die MCs wissen, dass sie mit der Beat-Wahl gleichzeitig Marketing machen können. Da aber alles in Wellen verläuft, bin ich gespannt, wohin die Reise noch gehen wird. Ich bin damals Mitte der 90er zum Beispiel mit "Entroducing.…." von DJ Shadow eingestiegen. Ein Album, das ganz ohne MCs ausgekommen ist. Irgendwann tauchte dafür der Begriff Trip-Hop auf. Heute ist dieses Genre wieder da und wird derbe gehört: Nur mit mehr gesampeltem Vogelgezwitscher und druntergemischtem Verkehrslärm! Es wird jetzt Lo-Fi genannt. (lacht)
(Daniel Fersch)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Logo von KL52)
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