Wahrscheinlich denkt man zunächst an Zugezogen Maskulin und deren politische Texte, wenn man den Namen grim104 hört. Doch vor Kurzem meldete sich der Berliner Rapper – sechs Jahre nach der "grim104"-EP – mit einer etwas anderen Message zurück. Passend zu Halloween releaste er eine schaurige Platte mit düsterer Stimmung und fantasievollen Texten, die bei genauerem Hinhören realistischer sind, als sie anfangs erscheinen mögen. Um sein neues Image als Horror-Rapper abzurunden, betritt er als Graf Grim die marode Bühne des deutschen Raps, macht inhaltslosen Texten den Garaus und verängstigt die Massen. Im Interview sprachen wir mit ihm darüber, wie es dem Grafen mit der Arbeit an "Das Grauen, das Grauen" erging und wie er zu dem Gräuel steht, den er in der Gesellschaft sieht. Außerdem erfuhren wir, woher seine Faszination für Horror und die auf dem Album behandelten Themen stammt.
MZEE.com: "Das Grauen, das Grauen" ist nach langer Zeit wieder ein Solo-Album von dir ohne Testo. Wie war es, alleine an einer Platte zu arbeiten, nachdem ihr mit "Alle gegen alle" größeren Erfolg hattet?
grim104: Das ist toll, dass das die Wahrnehmung ist! (überlegt) Es war am Anfang ein bisschen befremdlich und auch schön, weil es da kein Gerüst wie Zugezogen Maskulin drumherum gab. Auf der anderen Seite habe ich schon sehr lange nicht mehr so gearbeitet. Früher waren Solo-Tracks auf den ZM-Alben immer additional, wenn man was gemacht hat, worauf der andere gar keinen Bock hatte. Da musste ich mich erst mal dran gewöhnen. Es fiel mir dann doch erstaunlich leicht, mich in diese Stimmung reinzubegeben und ich hab' auch nicht einfach so vor mich hingeschrieben. Ich hab' das mit Silkersoft zusammen entwickelt und das hat sich gut eingefügt.
MZEE.com: Ich kann mir gut vorstellen, dass die Produktion von Silkersoft musikalisch in eine ähnliche Richtung wie bei Zugezogen Maskulin geht.
grim104: Ja, wahrscheinlich schon, weil Silkersoft natürlich auch eine bestimmte Handschrift hat, die öfter mal bei ZM ausgeschrieben wird. Das Ding ist aber, dass ich es hasse, bestimmte Sachen doppelt und dreifach zu machen. Ich finde das ganz schrecklich. Das war mein erster Reflex, was ich auf jeden Fall nicht machen wollte: eine Neuauflage der "grim104"-EP 2013. Kenji451 ist ein Freund von mir und ich mag die Musik, die er macht, auch wahnsinnig gerne. Ich wollte halt, dass es eben nicht klingt wie die vorige EP. (lacht) Um ganz ehrlich zu sein, wollte ich am Anfang, dass es sich sehr reduziert anhört wie bei "FATHER OF 4" von Offset. Dieses bedrückende, runtergedrippte Trap-Soundbild, welches vor allem nicht so klingt wie dieser Dorfbauern-Trap, den ich auch manchmal gerne höre. Das fand ich am Anfang total schön, hab' aber gemerkt, dass ich als Rapper so nicht funktioniere. Dafür fehlt mir einfach das sonore Organ, damit ich da gelangweilt drüberflexen kann. Sehr lange Antwort, um zu sagen: Ja, klar, das klingt ein bisschen ähnlich wie bei Silkersoft.
MZEE.com: Wenn man deine alte EP "grim104" hört, merkt man, dass das Klangbild dieser Platte damals in Deutschland noch nicht so präsent war. Ich finde, dass dieser kontemporäre, dunklere Trap-Sound zu deiner Art, zu rappen, auch gut passt.
grim104: Hm … (lacht) Ja. Dem kann ich nichts hinzufügen. Allerdings merke ich gerade, während ich für die Tour probe, wie sich meine Art, zu schreiben und zu rappen, verändert hat. Diese "grim104"-EP hab' ich nicht mit dem Bewusstsein aufgenommen, damit jemals auf Tour zu gehen. Das ist schön, weil ich damals dachte, dass mein Text genauso lang sein muss wie der Beat. Zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht so bewusst, dass man Beats auch arrangieren kann. Ich habe dann irgendwelche 24er-Parts verfasst. Da merke ich jetzt auf jeden Fall, dass eine Evolution stattgefunden hat. Und dass ich einen schlauen Gedanken nicht noch zwangsläufig in den vierten Part packen muss, sondern dass es auch in Ordnung ist, aus weniger mehr zu machen.
MZEE.com: Du hast dein Album zwar nicht lange, aber sehr kreativ promotet – wie mit der Telefon-Hotline und Grimmobilienscout. Bei der Hotline konnte man anschließend noch etwas auf den Anrufbeantworter sprechen. Was waren die interessantesten Nachrichten?
grim104: Die interessanteste Frage, die mich wirklich zum Nachdenken angeregt hat, war: "Wenn man mit einem Loch in der Socke stirbt und ein Geist wird, hat man dann als Geist auch ein Loch in der Socke?" Und natürlich die Anschlussfragen, die sich dadurch stellen lassen. Damit habe ich mich relativ lange beschäftigt. Ansonsten waren es größtenteils unlustige Menschen, die eine Pizza bestellen wollten. Oder auch die, die erschrocken waren, dass wirklich ein Anrufbeantworter dranging. Seltsame Geschichten, Liebeserklärungen und allerhand komisches Zeug tatsächlich. Da sind 2 000 Nachrichten, mittlerweile bestimmt sogar mehr. Wenn ich noch mal eine lange Bahnfahrt vor mir habe, höre ich mir die alle mal an.
MZEE.com: Wie kamen diese Ideen zustande?
grim104: Mit Silkersoft. Er arbeitet ja normalerweise bei einer Indie-Game-Firma an Computerspielen. Darüber haben wir Kontakt zu einem Entwickler aufgebaut, der auf Instagram zerstoerer heißt. Der hat viele gute Ideen gehabt und konnte auch schnell arbeiten. Wir haben zu dritt daran überlegt, wobei er auf jeden Fall den höheren Anteil an schlauen Ideen hatte.
MZEE.com: Bei deiner vorherigen EP lag der Fokus eher auf politischen Texten, während du auf deinem neuen Album die Menschen in der Gesellschaft selbst und deren Alltagshorror thematisierst. Inwiefern hast du deine Herangehensweise ans Schreiben verändert?
grim104: Ein politischer grim104-Text: Das sind politische Querverweise, dazu noch ein Rap-Zitat, et voilà – fertig. (lacht) Das ist so eine Fingerübung. Auf Tracks wie "2. Mai" bin ich schon ziemlich stolz. Das fasst sehr gut zusammen, wie ich mich zwischen 20 und 25 gefühlt habe. Jetzt gerade ist das nichts, wobei ich das dringende Bedürfnis hatte, noch mal darüber zu schreiben. Wenn ich wieder Bock auf so Poli-Zeug habe, gibt es ja immer noch die gute alte Band ZM, bei der man das ausleben kann. (lacht) Die Fragen, die ich auf "Das Grauen, das Grauen" behandelt habe, sind eben Sachen, die mich die letzten zwei bis vier Jahre umtrieben haben. Dementsprechend hat sich ebenfalls der Fokus verändert. Ich will mich nicht wiederholen und auch keinen nihilistischen Polit-Song machen, weil ich das schon mal gemacht habe.
MZEE.com: Du bist nicht der einzige Rapper, der in der Vergangenheit den Fokus auf große gesellschaftliche Zusammenhänge gelegt hat und nun Geschichten auf einer persönlicheren Ebene erzählt. Dafür ist Rap, meiner Meinung nach, häufig auch eher geeignet.
grim104: Ja, auf jeden Fall. Das eine verkommt dann schnell zum gerappten Buch. Es ist irgendwie ein Teil von Popkultur. Das kann man mal machen. Es gibt ja auch im Rap zwei, drei gute Beispiele für Songs, in denen ein großes Gesamtbild gezeichnet wurde. Die meisten davon sind von Zugezogen Maskulin. (lacht) Bei politischen Texten muss ich immer wieder Staiger zitieren: "Lieber ein guter Song übers Ficken als ein schlechter Song über Politik." Das gilt leider nach wie vor, weil es so schnell banal werden kann. Das passt auch in Anbetracht des verschärften politischen Klimas. Da muss man doppelt und dreifach hingucken, damit man keinen Schrott macht, nur um einen Song gegen die AfD aufgenommen zu haben. Ich mache dann lieber was anderes.
MZEE.com: Die Hauptmetapher deines neuen Albums ist der Horror, der jeden treffen kann. Was sind deine Methoden, um mit negativen Ereignissen umzugehen?
grim104: Wenn man das Gefühl hat, man bräuchte eine Therapie, dann hilft es auf jeden Fall, zur Therapie zu gehen und keine Platte zu machen. (lacht) Man kann auch beides machen – das ist wiederum was Feines. Bei dem Satz "Rap ist für mich Therapie" denke ich mir: "Da warst du aber noch nie bei einer Therapie." Musik hilft mir dabei, meine Neigungen auszuleben, im Sinne von den Themen, die ich so behandle. Das sind halt Themen, die ich spannend finde. Alles daran fasziniert mich irgendwie und das hilft mir, meine Kreativität und Schaffenskraft in irgendwas reinzugießen. Das ist auf jeden Fall etwas, was einem gut tut. Aber ich glaube nicht daran, dass ein Album zu machen, eine wissenschaftliche Herangehensweise ersetzen könnte.
MZEE.com: Kannst du dir erklären, woher die Faszination für diese Themen, die du behandelst, kommt?
grim104: Ich bin als Kind in einen Topf mit Gruselgeschichten gefallen und davon habe ich mich nie wieder erholt. (lacht) Die Antwort ist zwar flapsig, aber nicht ganz unernst. Das merke ich auch aktuell, da die Frage schon öfter gestellt wurde und ich jetzt erst anfange, darüber nachzudenken. Eine meiner ersten Erinnerungen ist an das Thema Tod geknüpft. Viele von den Geschichten, die ich als Kind gelesen oder vorgelesen bekommen habe, waren immer ganz schön dunkel. Ich komme aus einer ländlichen Region, da ist es oft grau und regnerisch. Das wird alles sein Übriges getan haben.
MZEE.com: Gibt es Eigenschaften der Figur Graf Grim, die du dir auch im realen Leben wünschst?
grim104: Ich glaube, zu dem Zeitpunkt, als ich das geschrieben habe, waren das Unempfindlichkeit, Eiseskälte und Unsterblichkeit. Das wird es wahrscheinlich gewesen sein.
MZEE.com: So etwas wünscht man sich ja nicht unbedingt.
grim104: Das stimmt, das sind Sachen, die man sich eigentlich nicht wünscht. Außer vielleicht Unsterblichkeit. Und auch das sollte man vorsichtig betrachten. Das sind Dinge, die von der Gesellschaft aber nicht direkt negativ gesehen werden. Solche Sätze wie "Reiß dich mal zusammen, du musst hart werden" zeigen das ja. Gerade deutschsprachige Rapmusik ist durchaus affin für diese harte Ansprache. (überlegt) Das sind alles Sachen, die man sich nicht herbeisehnt, wenn man ein bisschen Verstand hat. Natürlich ist Graf Grim auch eine klassische Gangsterrap-Figur. Das Alpha-Raubtier auf der Straße, dem niemand etwas anhaben kann und das schwarz gekleidet durch die Nacht gleitet. Das sich vor nichts fürchtet außer vielleicht Gott – und selbst über dem steht der Graf. Das wird es wohl gewesen sein. Und jetzt will ich nur noch fliegen können. (lacht)
MZEE.com: Wo liegt für dich die Ursache des Horrors, den du auf deinem Album behandelst? In der Gesellschaft, dem System, der Politik oder an anderer Stelle?
grim104: Da muss man sich fragen, was man als "Horror" definiert. Wenn man jetzt sagt, es ist ein Albtraum, in Großstädten eine Wohnung zu finden, ist das durchaus etwas Politisches. Viele andere Sachen sind einfach im Menschen impliziert. Ich hab' ein total positives Menschenbild – ich mag Menschen. Das ist eine Spezies, die mich auch in ihrer Abwegigkeit zu Tränen rührt, weil ich es schön finde, wie Menschen sind. Natürlich sind in uns zu viele Dinge veranlagt, die eben zu diesem Horror führen. Eifersucht, Neid, Missgunst – das sind wahrscheinlich alles Sachen, von denen wir uns auch nicht in einer klassenlosen Gesellschaft befreien könnten. Wenn du in einem Bürgerkriegsland aufwächst, dann bringt es vermutlich nichts, zu denken: "Verdammt, Horrorclowns!" Der schlimmste Horror, den es so gibt, ist menschengemacht. Es gibt bestimmt ein paar Plagegeister, die man ausmerzen kann, aber andere eben nicht. Hier das Stichwort Therapie. Diese Dinge kann man offen benennen und versuchen, einen Umgang damit zu finden. Aber dieses "Okay, ich darf nichts Schlechtes mehr denken" ist so Alpha-Mentoring-Shit. (lacht) Das bringt, glaube ich, nichts und macht die Leute auf lange Sicht doppelt und dreifach unglücklich.
MZEE.com: Du thematisierst in deinen Tracks auch Berlin und deinen kritischen Bezug zu der Stadt. Dazu haben wir dir ein Zitat aus dem Film "Fucking Berlin" mitgebracht: "Berlin ist keine Stadt, Berlin ist ein Rhythmus. Und entweder du bewegst dich mit ihm oder verlierst dich darin." – Siehst du das genauso?
grim104: Hm. (überlegt) Diese Entweder-oder-Option … Da weiß ich nicht, ob das so stimmt. Ich hab' auch das Gefühl, dass gerade Berlin mehr als zwei Möglichkeiten offenhält. Mehr als: "Du musst dich im Rhythmus der Stadt bewegen oder du gehst unter." Ich wohne jetzt mittlerweile seit zwölf Jahren hier. Diese Leute, die verloren gegangen sind, gibt es auf jeden Fall. Das stimmt. Manche haben das Glück, dass sie aus einem Elternhaus kommen, wo eine Rettungsmaßnahme ergriffen wird. Aber ich find' es manchmal echt interessant, was dieses "Mit 20 irgendwo hinziehen und feiern" mit sich bringen kann, sodass solche Leute kaputtgehen und bei ihnen irgendeine Psychose ausbricht. Sowas kann auf jeden Fall passieren. Ich glaube aber, es gibt mehr als diese zwei Möglichkeiten.
MZEE.com: Hatte der Umzug in die Hauptstadt starken Einfluss auf deine Musik?
grim104: Ja, natürlich. So funktioniert Kunst ja. Das Umfeld und die geistige Stimulation, die man dadurch hat, haben einen hundertprozentigen Einfluss darauf. (überlegt) Ich muss allerdings sagen, dass es diesen grim104-Kern, den meine Musik bis heute ausmacht, auch schon auf dem Dorf gab. Das ist nicht anders geworden. Die Themenvielfalt hat sich aber geöffnet. Ich habe durch den Umzug nach Berlin einen anderen Blick aufs Dorf gekriegt, der sich bisher nicht verändert hat. Als ich 16 war, ist mir klar gewesen, dass es irgendwie scheiße ist auf dem Dorf. Ich hab' mich gelangweilt und eingeengt gefühlt. Erst diese Rückschau hat dafür gesorgt, dass sich mein Blick geschärft hat. Wer weiß, was passiert, wenn ich irgendwann mein Schloss in Transsilvanien beziehe – wie ich dann über Berlin reden werde. In Klammern: schlecht. (lacht)
MZEE.com: Der Track, der mir am meisten aufgefallen ist, war "Abel '19". Er handelt von einer Schlägerei aus der Sicht des Opfers, welches merkt, dass es bald sterben wird. Welche Verbindung hast du zu diesem Track?
grim104: Ich hab' den Track geschrieben, deshalb eine innige. (lacht) Nein, das soll jetzt nicht so patzig klingen. Ich überlege mir nur gerade eine gute Antwort. Welche Verbindung hab' ich mit dem Track? Diese Schlägereien … Das ist ein Thema, das mich zwischen 16 und 20 beschäftigt hat, wenn man sowas gehört hat wie: "Am Wochenende gab es 'ne Schlägerei." Ich war nicht besonders aktiv in der Szene, aber man ist zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens daran vorbeigekommen. Ich komme aus einem Umfeld, in dem mehrere Familienmitglieder medizinische Berufe – also Krankenpfleger – ausüben oder ausgeübt haben. Da gab es wirklich oft diese Geschichten, bei denen das schiefgegangen ist. Bei klassischen Kneipenschlägereien, die immer so romantisch verklärt sind. Zwei Typen, die sich danach wieder die Hand geben. Da passiert es aber – leider gar nicht selten – dass sich Leute ordentlich einschenken und einer liegen bleibt. Das bleibt halt nicht aus. Das muss ja auch nicht mit Absicht sein. Ich glaube, wenn du nicht eine totale Macke hast, dann gehst du abends nicht in eine Kneipe mit der Absicht "Heute bringe ich einen um". Wenn solche Sachen schiefgehen wie Einbrüche, bei denen jemand im Schlaf überrascht wird und einer die Nerven verliert und den ersticht. Oder eben umgekehrt. Drei Jugendliche brechen irgendwo ein, haben gehört, da sind Wertsachen – blöd nur, der Hausherr hat 'ne Schrotflinte oder so was. Am Ende stirbt halt jemand bei einer vermeintlichen Kleinigkeit. Das finde ich total faszinierend. Das ist auch so ein "Final Destination"-Gedanke. Du wachst morgens auf und am Ende des Tages hast du entweder jemanden umgebracht oder wirst selbst umgebracht, bist Opfer eines Gewaltverbrechens. Diese Zufälligkeit ist für mich total interessant. Das war eine der ersten Sachen, die ich in der Zeitung gelesen hab', als ich in Berlin war. Typ geht in eine Kneipe im Prenzlauer Berg, eine der letzten urigen Kneipen dort. Er kriegt einen wichtigen Anruf und geht zum Telefonieren raus und hält die ganze Zeit die Tür auf. Vom Tresen hört er: "Hey, mach mal die Tür zu." Und der Typ sagt: "Halt die Fresse, mach' ich doch gleich." Typ vom Tresen steht auf und haut ihm auf die Fresse. Das große Problem ist, dass der Typ vom Tresen ein richtiger Boxer war. Der haut ihm dann halt so eine runter, dass der Typ sich nicht aufstützen kann. Er fällt einfach volle Kanne mit der Schläfe auf die Straße, landet direkt im Koma, aus dem er nicht mehr aufwacht und stirbt ein paar Monate später. Diese Beliebigkeit finde ich einigermaßen dramatisch. So entstehen ja diese traurigen Geschichten. Das passiert ja meistens nicht irgendwelchen Leuten, die sich auf dem Acker boxen. Es gibt auch ein, zwei deutsche Rapper, die dementsprechende Erfahrungen gemacht haben. Das passiert halt, ist aber natürlich ganz schrecklich, wenn es passiert.
MZEE.com: In der wundersamen Rapwoche erzählst du, dass du deine Meinung gegenüber bestimmten Dingen sehr verändert hast. Beispielsweise zum Album "Herr Sorge" von Samy Deluxe, das du heute als mutig bezeichnen würdest. Welche geänderte Einstellung hat dich selbst am meisten beeinflusst?
grim104: Ich muss sagen, ich hab' es nie gehört. (lacht) Ich sag' das nur aus dem Willen heraus, gut zu finden, was ganz anderes zu machen. Das finde ich im Nachhinein mutig. Ich glaube, ich muss das mal hören, bevor ich mich die ganze Zeit so lobend darüber äußere. (lacht) Du meinst mit der Frage, welche Ansichten ich über Bord geworfen habe, oder? Ich glaube, im letzten Jahr ganz viel. Wirklich viel. Ich fühl' mich noch nicht ganz wohl damit, alles zu äußern, weil es teilweise auch persönliche Ansichten auf das Leben sind. Da bin ich selbst noch am – auf norddeutsch sagt man – ausklamüsern, wo ich damit hin will. Ich kann euch noch keine zufriedenstellende Antwort geben. Ich glaube, es hat viel mit dem Älterwerden in einer Jugendkultur zu tun. Es hat auch viel mit meiner Ansicht darauf, wie ich mit Anfang 30 sein möchte und jetzt mit Anfang 30 bin, zu tun. Mit meiner Erwartungshaltung an mich selbst. Mehr kann ich im Interview nicht dazu sagen, weil es gerade noch sehr stark auf einer persönlichen Ebene passiert und ich da noch keinen Punkt für mich gemacht habe. Ich bin noch am Rätseln, wohin meine Reise geht.
(Alexander Hollenhorst und Sicko)
(Fotos: Hotel Rocco)