Fiva mag nicht die bekannteste Rapperin des Landes sein, doch sie ist ein absolutes Urgestein des deutschen Raps. Ihr erstes Album erschien 2002, nachdem sie bereits einige Jahre in der Szene aktiv war. Seitdem veröffentlicht sie nicht nur regelmäßig Musik, sondern ist auch in vielen anderen Bereichen aktiv – darunter in der Radio- und Fernsehmoderation, im Poetry Slam und Theater. Mit "Nina" steht nun ihre siebte Platte in den Startlöchern. Grund genug für uns, die vielseitige Münchnerin zum Interview zu bitten. In unserem Gespräch verriet sie unter anderem, weshalb ihr neuestes Werk das bislang persönlichste ist. Daneben sprachen wir über ihren Track "Abends ungern nüchtern" – in dem es um ihr Verhältnis zu Alkohol geht –, ihre verschiedenen Tätigkeiten und den Kulturpreis Bayern, der ihr 2018 verliehen wurde.
MZEE.com: Deine neue Platte "Nina" wurde nach dir selbst benannt und ist sehr persönlich geworden. Allerdings ging es in deiner Musik schon immer viel um Alltagsthemen und dich als Person. Zu Beginn unseres Gesprächs wüssten wir gerne, inwiefern sich dieses Album von seinen Vorgängern unterscheidet.
Fiva: Es ist meine siebte Platte und wie du schon sagtest, sind alle Themen sehr persönlich. Ich denke und hoffe, dass sich andere Menschen damit identifizieren können. Egal, wie individuell wir alle gerne wären, meistens teilen wir – zum Glück oder auch traurigerweise – dasselbe Schicksal. Dieses Album ist mein erwachsenstes. Das Wort ist immer so uncool, aber ich habe nun mal sieben Platten und bin bereits seit 20 Jahren im Geschäft. Ich bin mittlerweile Mutter geworden und habe zudem meine eigene Mutter verloren. Es ist alles anders, neu und großartig. Als ob man sich gehäutet hätte. So hat es sich für mich angefühlt. Das liegt an der Erfahrung der letzten 20 Jahre, sodass ich sagen kann: Hier ist jetzt Nina. Ich muss mich hinter keiner Fiva verstecken. Nicht, dass ich das immer getan hätte, aber ein Künstlername lädt sehr dazu ein.
MZEE.com: Deine aktuelle Single heißt "Einfach nicht bremsen". In der heutigen Zeit fühlt man sich jedoch oft dazu angehalten, genau das zu tun. Findest du, das ist der richtige Ratschlag in einer Zeit, in der viele Menschen gar nicht zur Ruhe kommen?
Fiva: Es ist ein Satz, der aus meiner Erfahrung stammt und den auch viele Freunde von mir sagen. Das hat gar nichts mit dem Wellnessgefühl und Ruhebedürfnis zu tun, das unsere Gesellschaft verspürt. Es geht eher darum, dass sehr viele Menschen – sowohl in meiner Laufbahn als auch Freunde und Freundinnen – immer unglaublich viele Meinungen zu dem haben, was man sagt. Ich glaube, dass die meisten sehr gerne Bedenkenträger sind, also Dinge äußern wie "Das würde ich jetzt mal nicht so machen" und "Überleg doch mal, ob sich das finanziell lohnt und für deine Karriere oder Laufbahn gut ist". Ich hab' festgestellt: Wenn mein Bauch etwas sagt, dann ist das immer richtig. Wenn ich mich dementsprechend verhalten habe, brauchte ich gar nicht so viel Ruhe, weil ich wahnsinnig bei mir war. Ich hab' das für mich Richtige gemacht und diese ganzen Bedenken verworfen. Gedanken darüber, ob anderen etwas gefällt oder man nicht anders sein, rappen oder einen anderen Flow haben müsste, kennt jeder. Solche Zweifel können einem Nächte zerstören. Im Prinzip macht man alles richtig, wenn man bei sich bleibt. Dann fügt es sich im positivsten Sinn. Ich habe sehr viel aus den Dingen gezogen, die ich getan habe und hab' weniger Energie verloren.
MZEE.com: Gibt es spezielle Bereiche in deinem Leben, in denen das der Fall war: in denen du etwas zu wenig oder zu viel auf die Bremse getreten hast?
Fiva: Bei der Big Band haben viele Leute gezweifelt, wie das mit einer Band auf der Bühne gehen soll und ob die Leute sowas auf einem HipHop-Konzert überhaupt wollen. Es gibt immer Momente, in denen man sich fragt, ob die anderen recht haben. Ich glaube schon, dass es bestimmte Wochen und Monate gab, die ich mir hätte sparen können, weil ich schon entschieden hatte, dass es sich richtig anfühlt. Dieses "Einfach machen"-Gefühl, welches ich immer wieder neu kultivieren musste. Ich glaube, jeder Mensch hat das von Anfang an. Schau dir Kinder an. Die machen einfach, weil sie die Konsequenzen nicht kennen und man selbst doch sehr oft.
MZEE.com: Der Track "Abends ungern nüchtern" handelt davon, dass du dich bei Alkohol nicht unbedingt bremst. Wir haben dir daher ein Zitat von Charles Bukowski mitgebracht: "Drinking is an emotional thing. It joggles you out of the standardism of everyday life, out of everything being the same." – Denkst du, dass du das Trinken zu sehr romantisierst?
Fiva: Ich romantisiere es überhaupt nicht. Es gibt Millionen Songs über Drogen. Ich habe einfach nur gemerkt, dass ich mich abends wahnsinnig darauf freue, zu trinken. Das sage ich ja auch in dem Song: Bier in der Bar oder ich gehe raus und treffe mich mit Freunden, wir gehen spazieren und trinken noch einen. Oder ich trinke am Abend ein Glas Rotwein. Mir ist schon bewusst, dass das vielleicht komisch rüberkommt. Ich weiß allerdings aus meinem Freundeskreis, dass das anderen auch so geht. Es ist die Droge schlechthin in der Gesellschaft. Das ist keine Rechtfertigung, aber eben genau mein Umgang damit. Ich bin abends ungern nüchtern. Ich liebe es, da runterzukommen. Ich weiß, dass mein Output, Lebenslauf und Verhalten widerspiegeln, dass es möglich ist, ohne Alkohol verrückt zu werden. Aber mir war es ein Anliegen, das zu schreiben.
MZEE.com: Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass du Alkoholikerin bist.
Fiva: Das ist die offene Frage: Ist man es oder nicht? Ich schreibe und spreche über das Thema Alkohol. Natürlich hätte ich auch einen Text schreiben können, der sagt, dass ich das nicht mehr will und es eine Droge ist. Was ist viel und was wenig? Ab wann man als Alkoholiker gilt, ist eine riesige Diskussion – genauso wie bei Drogenabhängigkeit. Ich finde es schön, wenn ihr so etwas fragt und Leute darüber nachdenken. Das ist auch so gewollt.
MZEE.com: Lass uns über den Sound des Albums sprechen. Er lässt sich irgendwo zwischen Soul und Pop einordnen und fällt in keine strikte Kategorie. Woher stammen deine Einflüsse?
Fiva: Insgesamt waren fünf Produzenten an dem Album beteiligt, die den Sound mitgestaltet haben – zwei davon maßgeblich. C.O.W. 牛 ist ein asiatisch-deutsches Produzenten-Quartett. Ich fand ihre Musik super und habe mich mit ihnen getroffen und gesagt, dass ich gerne was Neues machen würde. Kein klassisches Boom bap-Album, aber auch bitte keinen Trap, weil das nicht zu mir passt. Wir haben sehr lange darüber geredet, wie es klingen soll und oft die Songs anhand der Texte und der Textideen gemacht. Bei "Jetzt bist du wieder da", das vom Tod handelt, habe ich gesagt, dass ich gerne einen positiven Song darüber schreiben würde. Ich hab' ganz viele Texte zu dem Thema geschrieben. Wenn du die anhören würdest, müsstest du weinen, weil das Thema so schrecklich ist. Es ist eh schon furchtbar, wenn man jemanden für immer verliert. Also wollte ich gerne etwas kreieren, das die Menschen wieder hochzieht. Etwas, das ihnen ein gutes Gefühl gibt. Dann haben wir über verschiedene Trauerformen in der Welt geredet und uns am Ende auf eine soulig-gospelige Nummer geeinigt, die aber trotzdem modern ist. Und so entstand dann die Musik zu "Jetzt bist du wieder da". Das war bei fast allen Songs so. Wir haben die Musik den Stimmungen angepasst – mit der modernen Produktionsweise von C.O.W. 牛. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Es hat sich einfach aus der Zusammenarbeit entwickelt.
MZEE.com: Auf Instagram veröffentlichst du unter #20JahreFIVA seit geraumer Zeit Fotos aus deiner langen Rapkarriere. Wie beurteilst du die Entwicklung des Genres seit deiner Anfangszeit?
Fiva: Ich finde es herrlich, dass man mittlerweile eine große Vielfalt hat. Das war früher nicht so. Eine Entwicklung bedingt Vielfältigkeit. Mir macht das Spaß. Ich kann immer Künstler oder Produktionen finden, die mir gefallen. Man kann mittlerweile sagen, was man hört, ohne dafür blöd angemacht zu werden. Früher war man eher monothematisch unterwegs. Da durfte man nur bestimmte Dinge oder Städte hören. Damit haben wir es uns alle ein bisschen schwer gemacht. Die Vielfältigkeit gefällt mir. Es macht mir großen Spaß, wie sich alles entwickelt und es ist schön, dabei zu sein.
MZEE.com: Du releast deine Musik bereits seit 2006 über dein eigenes Label Kopfhörer Recordings. Wie wichtig war dieser Schritt für dich? Käme es für dich überhaupt noch infrage, bei einem anderen beziehungsweise größeren Label unter Vertrag zu stehen?
Fiva: Der Schritt war das Allerwichtigste. Nachdem wir damals nicht mehr bei Buback sein durften, war die Energie kurz ganz schön weg und wir wussten nicht, wie das alles weitergeht. Damals ist Rap ja auch ziemlich eingebrochen. Erst war wieder kein Major interessiert. Dann hat Sebastian (Anm. d. Red.: DJ Redrum) dafür gesorgt, dass wir uns nicht unterkriegen ließen und einfach gemacht haben. Das war für mich der energiereichste und härteste Anstoß, den ich je von ihm bekommen habe. Es macht total Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten. Selbst, wenn jeden Tag die Diskussion über das Geld da ist. Ich glaube, ich würde das auch immer so machen. Wie blöd wäre ich denn, wenn ich jetzt supererfolgreich wäre und das Geld jemand anderem geben würde? Wir haben auch zu unerfolgreichen Zeiten zusammengearbeitet und uns macht das irre Spaß. Das Einzige, das manchmal in diesem Indie-Bereich fehlt, ist das Geld. Aber dafür können wir einfach machen, was wir wollen. Daran habe ich mich jetzt echt sehr lange gewöhnt. Das könnte ich nicht mehr aufgeben.
MZEE.com: Du bist sehr vielseitig tätig und arbeitest zum Beispiel als Moderatorin. Ergänzt sich das mit deiner Musik? Kannst du da jeweils Synergien herausziehen?
Fiva: Absolut. Als ich zum Beispiel Rüdiger von Sportfreunde Stiller interviewt habe, hat sich das Album "Die Stadt gehört wieder mir" ergeben. Den hätte ich sonst vielleicht nicht kennengelernt. Und so zieht sich das eigentlich durch, da ich ja auch im Kunstbereich moderiere. Ich komme darüber ganz viel in Kontakt mit anderen Künstlern. Der Austausch ist irre inspirierend. Das macht wahnsinnig viel Spaß. Ich glaube schon, dass das eine das andere befruchtet.
MZEE.com: Deine Vita ist allgemein sehr vielfältig und du bist in vielen unterschiedlichen Bereichen ausgebildet. Wenn du dich für eine Tätigkeit entscheiden müsstest, welche wäre das?
Fiva: Das kann ich nicht und ich habe alles dafür getan, das nicht zu müssen. Anders kann ich dir die Frage nicht beantworten. Ich hab' mich in allen Bereichen weitergebildet oder etabliert, weil ich das brauche und liebe. Das mit der Musik sowieso. Ich mache auch wahnsinnig gerne Interviews und spreche gern mit Menschen. Ich arbeite gerne für das Theater. Da das alles mit Sprache zu tun hat, ist es für mich eins – selbst, wenn es von außen sehr verschieden aussehen mag. Letztendlich ist es für mich von den Prozessen her oft dasselbe. Es sei denn, ich arbeite fürs Fernsehen, da ist es dann noch mal etwas anderes. Aber ich habe wirklich alles dafür getan – bisher zumindest – dass ich das weiterhin machen kann. Ich hoffe, dass es so bleibt. Es ist vor allem harte Arbeit, aber auch toll. Harte Arbeit wird ja immer heroisiert. Ich finde, wenn einem etwas Spaß macht, arbeitet man gerne. Wenn man viel macht, bekommt man viel Energie zurück. Ich genieße das.
MZEE.com: Zum Abschluss: Im vergangenen Jahr hast du den Kulturpreis Bayern erhalten. Was bedeutet dir diese Auszeichnung und wie hast du reagiert, als du davon erfahren hast?
Fiva: Ich habe mich total gefreut! Ich hab' noch nie so eine große Auszeichnung bekommen und weiß, dass sich viele Kollegen nicht darüber freuen. Ich hab' mich irre gefreut. Vor allem, weil es auch ein Preisgeld gab, das ich dringend für das Album brauchte. Dementsprechend war es perfekt in dem Moment. Und es war eine schöne Veranstaltung. Ich habe mich wahrgenommen gefühlt und das war's dann auch schon wieder. Es ist ja nicht so, dass die Welt einen nach solch einem Preis hofiert und einlädt. Es ist kein Grammy. Der Preis hatte außer finanziellen Auswirkungen keine. Aber es war ein guter Moment. Das war gerade vor Beginn der Album-Produktion und ich war nervös, weil ich ganz neue Produzenten und ein neues Team hatte. Man wird dadurch weder schöner noch irgendwas anderes. Aber es ist toll. Ich bin jetzt bayerische Kulturpreisträgerin!
(Malin Teegen und Steffen Bauer)
(Fotos von Daniel Dückminor)