Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Absztrakkt
Es ist ein wenig traurig, dass man das Thema noch einmal aufgreifen muss. Im Dezember 2016 haben wir uns das erste Mal mit der Kehrtwende von Absztrakkt beschäftigt. Und seitdem hat man gehofft, es kommt noch eine plausible Erklärung und eine Abwendung der Vorwürfe. Weggefährten wurden gefragt, was sie davon halten. Und einige haben sich sogar distanziert. Doch Absztrakkt selbst trifft keine abschwächenden Aussagen bezüglich seiner rechten Tendenzen und Wutbürger-gleichen Inhalte wie in "Walther". Stattdessen landete er mit einem Track, der den Todesfall des Daniel H. letzten Jahres in Chemnitz thematisiert hat, erneut auf einem Sampler nationalsozialistischer Musiker. Ein Jahr später setzt Absztrakkt nun im Rahmen seiner Album-Promo noch einen oben drauf. Mit Chris Ares featuret er einen dem Rechts-Rap zugeordneten Künstler. Die zur selben Zeit veröffentlichte Single "Ehre über Ruhm" steuert mit erneut fragwürdigen Lyrics dem Verdacht auch alles andere als entgegen. Mancher Fan wünscht sich vermutlich immer noch, dass irgendwo der überraschende Twist kommt. Doch am Ende driftet Absztrakkt völlig in die rechte Ecke ab und verdient damit keine Plattform mehr für seine Musik. Maximal für eine kritische Betrachtung seiner rechten Inhalte.
Video: Deichkind – Keine Party
Klar, auch die Jungs von Deichkind werden älter. Aber dass deswegen "Schluss mit Remmidemmi" sein soll, kann man den HipHop-Urgesteinen aus dem Norden dann doch nicht wirklich glauben. Auch Lars Eidinger scheint sich damit im neuesten Video zum Track "Keine Party" nicht so recht abfinden zu wollen. Bewaffnet mit Kopfhörern stampft dieser nämlich als Ein-Mann-Party-Army durch ganz Berlin. Egal, ob belebte Kreuzung am Alexanderplatz, Spielplatz oder Supermarkt – wo Deichkind ist, ist Party und Party ist mit Deichkind überall. Produziert wurde das Ganze vom Hamburger Regie-Kollektiv Auge Altona. Die Idee stammt allerdings vom französischen Elektropunk-Duo Kap Bambino, die genauso stampfend ihren Track "Hey!" visuell umgesetzt haben. Was den Unterhaltungsfaktor betrifft, steht die Deichkind-Version dem Original jedoch in nichts nach. Und so kann man sich jetzt schon vorstellen, wie die Crowd bei der Liveperformance kollektiv den Lars Eidinger macht.
Song: Johnny Rakete – 1 oder 10
Johnny Raketes Songs handeln meist vom grünen Kraut. Es gibt innerhalb der Szene gefühlt nur wenige Rapper, die in ihren Tracks mehr Dübel geraucht haben als er. Somit ist es auch keine große Überraschung, dass er in seinem Song "1 oder 10" diese Thematik wieder aufgreift. In dem Track rappt Johnny souverän mit lässigem Stimmeinsatz und bringt die ein oder andere Flowvariation an passender Stelle. Neben den für ihn typischen Lines, die Kiffen nahezu romantisieren, findet man aber auch kleine Andeutungen in eine andere Richtung. Denn Rakete setzt sich auf humorvolle Weise auch mal kritisch mit seinem übermäßigen Konsum auseinander. HawkOne hat dazu einen absolut entspannten Beat geliefert, der passender nicht sein könnte. Somit ist der ganze Song von einer Atmosphäre durchzogen, die den Kifferlifestyle genau auf den Punkt bringt. Selbst wenn man keinen geraucht hat, so wird man musikalisch wundervoll in diese Stimmung versetzt.
Instrumental: Die Orsons – Sog
Wenn die Orsons eines ganz sicher nicht sind, dann ist das langweilig. In ihrer bunten Diskografie probierten sich die vier Künstler immer aufs Neue aus – und ihre aktuelle Platte "Orsons Island" stellt einen Höhepunkt dieses Schaffens dar. Das liegt an Nummern wie "Sog". Denn der Track ist nicht nur in sich und im Konzept des Albums extrem stimmig, er verfolgt auch eine ganz eigene Dramaturgie. Und der Dreh- und Angelpunkt derselben ist das Instrumental. Der Beat beginnt mit leichtfüßigen Gitarrenriffs, im Hintergrund scheint noch ein lauer Sommerregen zu plätschern. Alles arbeitet darauf hin, eine verträumte Atmosphäre zu erzeugen, die Maeckes' Gesang optimal unterstreicht. Dieses Muster wird im Laufe des Songs dann mehrfach gebrochen. Das Thema des Tracks, Sucht in all ihren Ausprägungen, spitzt sich textlich immer weiter zu – und genau das spiegelt auch der Beat wider. Von der Einstiegsdroge geht es bis in den Abgrund. Dort steht KAAS und spittet sich die Seele aus dem Leib. Passend dazu brettert das Instrumental mit harten Drums nach vorn. Der "Sog" endet klanglich mit einem Feuerwerk. Bis zu diesem Moment war es eine Reise. Eine Reise, die sich Dank der stimmigen Produktion von Tua und Maeckes authentisch und mitreißend angefühlt hat.
Line: KUMMER – Nicht die Musik
Ich hab' keine Ahnung von Ketten und Blaulicht, […]
Doch ich mach' Rap wieder weich, ich mach' Rap wieder traurig.
"Rap? Nee, hör' ich nicht. Da hagelt es nur Beleidigungen. Oder es heißt, laut diesen Kollegahs und Capital Bras, du musst ein Gewinnertyp sein oder Marken tragen." – Ein Klischee, das man so oder so ähnlich sicher öfter zu hören bekommt. Einschlägige Playlists wie "Modus Mio" oder solche, die zum Workout passen sollen, bestätigen derartige Vorwürfe. Dieser Trend hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass deutscher Rap in der Öffentlichkeit oft so wahrgenommen wird, als gäbe es lediglich eine Seite: mittelalterliche Männlichkeitsfantasien und Verrohung in der Sprache. Doch KUMMER widerspricht dem entschieden. Der Kraftklub-Frontmann zeigt auf, dass es eben noch eine andere Seite gibt: Man kann auch Erfolg in der Musik und im Leben haben, wenn man nicht alle Marken aufzählt, die möglicherweise im Schrank hängen. Er signalisiert Menschen, die bisher aufgrund von "Modus Mio" & Co. nichts mit dieser Musik anfangen konnten, dass auch sie willkommene Hörer im Rap sind. Und damit ist er mit uns komplett auf einer Linie.
(Lukas Päckert, Thomas Linder, Dzermana Schönhaber, Florian Peking, Michael Collins)
(Grafik von Puffy Punchlines)