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Interview

Toxik

"Es geht nicht dar­um, ob wir über bestimm­te The­men berich­ten, son­dern wie." – In die­ser Interview-​Serie spre­chen wir mit Deutschrap-​Journalisten über Maga­zi­ne und die Sze­ne, Kul­tur und Gos­sip, Kri­tik und Beef. Heu­te mit Toxik.

Deutschrap-​Journalismus. Schon über das Wort lässt sich strei­ten. Die einen mei­nen, "rich­ti­ger" Jour­na­lis­mus im deut­schen Rap exis­tie­re doch gar nicht. Außer­dem kön­ne ja jeder selbst bes­se­re Arti­kel schrei­ben als "die­se Prak­ti­kan­ten". Die ande­ren fin­den, jeder, der im deut­schen Rap jour­na­lis­ti­sche Tätig­kei­ten aus­führt, sei auch ein Jour­na­list. Die nächs­ten füh­ren auf: Ja, im deut­schen Rap sind Redak­teu­re unter­wegs – aber kei­nes­falls Jour­na­lis­ten. Zusam­men­fas­sen lässt sich: Fast jeder hat zumin­dest eine Mei­nung dazu. Aber wie steht es um die Mei­nung der Jour­na­lis­ten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Und um genau sol­che Fra­gen zu beant­wor­ten, haben wir vor eini­ger Zeit eine klei­ne Inter­view­rei­he mit aktu­ell rele­van­ten und akti­ven Jour­na­lis­ten der deut­schen Rap­sze­ne ins Leben geru­fen. Dabei möch­ten wir dar­über reden, war­um die Deutschrap-​Medien von so vie­len Sei­ten – auch von der der Künst­ler – immer wie­der unter Beschuss ste­hen und wie die Jour­na­lis­ten die­se Sei­ten­hie­be per­sön­lich emp­fin­den. Wir bespre­chen, wie ein­zel­ne Jour­na­lis­ten ihren Platz in der Rap­sze­ne wahr­neh­men und ob deut­scher Rap­jour­na­lis­mus in Gossip-​Zeiten noch kri­tisch ist. Wir möch­ten erfah­ren, ob sie die Sze­ne noch unter dem Kultur-​Begriff ver­ste­hen oder das Gan­ze für sie aus­schließ­lich ein Beruf (gewor­den) ist. Es kom­men Fra­gen auf, ob es ver­ein­bar ist, in die­sem Auf­ga­ben­be­reich Geld zu ver­die­nen und wie der aktu­el­le Deutschrap-​Journalismus und sei­ne Ent­wick­lung gese­hen wird. Und: Wie steht es über­haupt um die Ent­wick­lung der Rap­sze­ne an sich? Das und vie­les mehr wer­den wir in über zehn Inter­views bespre­chen, in wel­chen es ver­ständ­li­cher­wei­se immer nur um einen Teil­be­reich die­ser gro­ßen The­men­welt gehen kann. Für unse­re aktu­el­le Aus­ga­be spra­chen wir mit Toxik, der mitt­ler­wei­le Her­aus­ge­ber von hip​hop​.de ist und dort auch jah­re­lang als Chef­re­dak­teur tätig war. Wäh­rend des Gesprächs stieß zudem noch Fu, der Grün­der der Sei­te, hin­zu und gab eini­ge inter­es­san­te Ein­bli­cke in die Ent­wick­lung eines der größ­ten deut­schen HipHop-​Magazine. Gemein­sam mit bei­den erör­ter­ten wir die inhalt­li­chen Wer­te von hip​hop​.de, ob es Gren­zen in der Bericht­erstat­tung gibt und auch, ob es als Maga­zin ver­ein­bar ist, ein kom­mer­zi­el­les Ziel zu ver­fol­gen und gleich­zei­tig sei­ne Inte­gri­tät zu bewahren.

MZEE​.com: Kannst du uns zu Beginn des Inter­views sagen, was dich dazu bewo­gen hat, HipHop-​Journalist zu werden?

Toxik: Nach der Schu­le hab' ich mir über­legt, dass ich mal mit Schrei­ben mein Geld ver­die­nen möch­te. Dann bin ich nach Düs­sel­dorf gezo­gen, um zu stu­die­ren und um irgend­et­was mit Hip­Hop zu machen. Dort habe ich zufäl­lig Fu ken­nen­ge­lernt. Ich war zwar nicht unbe­dingt inter­net­ver­siert, aber es hat per­fekt gepasst: Ich muss­te ein Pflicht­prak­ti­kum für die Uni absol­vie­ren, woll­te schrei­ben und etwas mit Hip­Hop machen. Vor unge­fähr 15 Jah­ren hab' ich also ein drei­mo­na­ti­ges Prak­ti­kum gemacht, danach als frei­er Mit­ar­bei­ter wei­ter­ge­ar­bei­tet und dann kam eins zum ande­ren. Und seit­dem bin ich Rap-Journalist.

MZEE​.com: Das heißt, du hast den Groß­teil der Geschich­te von hip​hop​.de miterlebt.

Toxik: Stimmt. Ich hat­te frü­her das Gefühl, es gebe die Platt­form schon ewig. Sie hat­te damals schon eine gewis­se Histo­ry, aber mitt­ler­wei­le habe ich unge­fähr 15 von 20 Jah­ren mitgearbeitet.

MZEE​.com: Was ist der Unter­schied zwi­schen dei­nen dama­li­gen Beweg­grün­den und denen, war­um du auch heu­te noch als HipHop-​Journalist tätig bist?

Toxik: Heu­te ver­die­ne ich mein Geld damit, damals hab' ich ein unbe­zahl­tes Prak­ti­kum gemacht. Also um Geld ging es frü­her nicht. Es ging dar­um, etwas mit Hip­Hop zu machen, zu schrei­ben und zu ler­nen. Ich möch­te immer noch etwas Gei­les mit Medi­en und Hip­Hop machen. Das hat sich im End­ef­fekt nicht geän­dert. Es ist halt auf einem völ­lig ande­ren Level, aber immer noch mit der glei­chen Motivation.

MZEE​.com: Es ist schon krass, 15 Jah­re bei einem Unter­neh­men zu blei­ben – ange­fan­gen als Stu­dent, über die Chef­re­dak­ti­on bis hin zum Geschäfts­füh­rer. Was waren für dich die wich­tigs­ten jour­na­lis­ti­schen Schrit­te dei­ner Karriere?

Toxik: (über­legt) Mein Stu­di­um hat mir eine gewis­se Basis dafür gege­ben. Ich hab' Sozi­al­wis­sen­schaf­ten in Düs­sel­dorf stu­diert – ähn­lich wie eini­ge ande­re Leu­te, die etwas mit Rap zu tun haben. In Düs­sel­dorf besteht das Fach Sozi­al­wis­sen­schaf­ten aus Medien- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft, Sozio­lo­gie und Poli­tik­wis­sen­schaft. Ich konn­te eigent­lich über­all Modu­le mit Journalismus-​Bezug wäh­len und hab' mir so ein Grund­wis­sen und ein gewis­ses Fun­da­ment aneig­nen kön­nen. Eigent­lich gab es noch einen Schritt davor: Das Schul­fach Sozi­al­wis­sen­schaf­ten war in der Ober­stu­fe sehr rich­tungs­wei­send für mich. Als ich in der zehn­ten Klas­se fast sit­zen­ge­blie­ben bin und eigent­lich über­all nur Vie­ren und Fün­fen hat­te, hab' ich gemerkt, dass ich in dem Bereich echt etwas drauf habe und mich das auch wirk­lich inter­es­siert. Und klar, hip​hop​.de war natür­lich super­wich­tig – vor allem, Fu ken­nen­ge­lernt zu haben. Es war sehr anstren­gend und ich hab' sehr viel abge­nom­men wäh­rend des Prak­ti­kums, weil ich nie Zeit für eine Mit­tags­pau­se hat­te. Und weil ich so wack war und super­viel arbei­ten muss­te, um das alles irgend­wie auf die Ket­te zu krie­gen. (lacht) Ich hab' neben­bei auch für ande­re geschrie­ben. Für die JUICE zu arbei­ten, hat mir sehr viel gege­ben. Da konn­te ich viel ler­nen, schreib­tech­nisch den nächs­ten Schritt machen und auch mal eine Cover-​Story ver­fas­sen. Der nächs­te Mei­len­stein war dann, vom Schrei­ben hin zum Orga­ni­sa­to­ri­schen zu kom­men, als ich 2008 Chef­re­dak­teur bei hip​hop​.de wur­de. Vier Jah­re spä­ter bin ich dann durch die Grün­dung von ManeraMe­dia zum Manage­ment gekom­men. Da habe ich natür­lich viel über Ver­mark­tung, Unter­neh­mer­tum und vor allem eben über Manage­ment gelernt. Der letz­te Schritt ist dann viel­leicht, dass ich ab und zu als Dozent tätig bin, Block­se­mi­na­re gebe und Vor­trä­ge hal­te. Ich hab' auch Bock, da noch mehr zu machen, weil mich das The­ma Digi­tal Publi­shing nach wie vor inter­es­siert. Und es wäre auch cool, wenn ich in dem Bereich selbst Inhal­te erstel­len könn­te. Frü­her woll­te ich mit dem Schrei­ben mein Geld ver­die­nen und jetzt schreib' ich nur noch E-​Mails. (lacht) Wobei, ab und zu schrei­be ich auch noch was und auf die­ser Meta­ebe­ne macht es natür­lich total Bock. Ach, und außer­dem bin ich noch vor der Kame­ra tätig. Dem­entspre­chend war mein ers­tes Video-​Interview auch ein wich­ti­ger Schritt für mich.

(Fu setzt sich Toxik gegen­über auf ein Sofa und hört unse­rem Gespräch ange­regt zu.)

MZEE​.com: Erzähl doch mal die Ent­ste­hungs­ge­schich­te von hip​hop​.de. Gab es etwas, was du kom­plett anders gemacht hast, als du damals Chef­re­dak­teur wur­dest? Es gibt ja ver­schie­de­ne Wege, wie man ein Maga­zin lei­ten und auf­bau­en kann.

Toxik: Seit 1998 hat sich natür­lich mehr­mals etwas radi­kal geän­dert. Ich woll­te aber nicht expli­zit bestimm­te Sachen ganz anders machen. Andre­as, mein Vor­gän­ger, hat mir viel bei­gebracht und ich hab' viel von ihm über­nom­men – das war also mehr eine Stab­über­ga­be. Es haben sich immer wie­der Din­ge geän­dert, durch Struk­tu­ren, wie das Maga­zin betrie­ben wur­de, durch Per­so­nal und vor allem durch Tech­nik. Das Gan­ze hat ange­fan­gen als Com­mu­ni­ty. Aus dem Forum her­aus haben Leu­te Arti­kel geschrie­ben und dadurch hat es sich mehr und mehr zu einem Maga­zin ent­wi­ckelt – schon bevor ich da war. Kris­tof Jan­sen, mei­nem dama­li­gen Stell­ver­tre­ter, und mir waren der jour­na­lis­ti­sche Ansatz und Qua­li­tät sehr wich­tig. 2012 hat sich dann mit der Unter­neh­mens­grün­dung und Fus Ein­fluss wie­der etwas radi­kal geän­dert. Als ich ange­fan­gen habe, war MZEE die größ­te Platt­form in Deutsch­land – zumin­dest waren dort die meis­ten Leu­te im Forum unter­wegs. Durch das Blog-​System sind wir das größ­te Maga­zin des Lan­des gewor­den. Damit konn­te sich jeder sei­ne eige­ne Sei­te erstel­len. Es gab also Artist-​Blogs, Label-​Blogs, aber auch pri­va­te Blogs. Am erfolg­reichs­ten waren News-​Blogs. Mit unse­rem jour­na­lis­ti­schen Anspruch in der Text­re­dak­ti­on haben wir uns immer nur die drei bis fünf wich­tigs­ten News am Tag raus­ge­sucht. Aber das lief bald bes­ser als das Maga­zin. Das Blog­sys­tem und die Web­site wur­den schließ­lich mit einem Relaunch auf viel mehr Con­tent aus­ge­legt. Es wur­den dann nicht mehr nur drei bis fünf Arti­kel geschrie­ben, am Wochen­en­de ist frei und ab 17 Uhr lässt jeder den Stift fal­len – dann hieß es, rich­tig Gas geben. Es gibt mehr The­men, über die man berich­ten kann, als "Kool Savas kün­digt ein Album an". Hard Facts sind wich­tig, aber es hat auch Nach­rich­ten­wert, wenn Kool Savas sei­ne Mei­nung zum Irak-​Krieg äußert. Es kön­nen aber genau­so Entertainment-​Themen sein.

Fu: Oder wenn sich jemand ein rie­si­ges Crew-​Tattoo sticht und ein Bild davon pos­tet. Frü­her hät­te da nie­mand etwas dazu geschrie­ben. Aber da liegt die Auf­merk­sam­keit. Das wol­len die Leu­te sehen.

Toxik: Wir haben die Sei­te ent­spre­chend umge­stal­tet und umstruk­tu­riert. Sie sah dann nicht mehr aus wie ein Maga­zin mit vie­len klei­nen Käst­chen und klei­nem Text. Statt­des­sen wur­de es eher zu einer Flut von Inhal­ten mit vie­len gro­ßen Head­lines. Durch die neue inhalt­li­che Aus­rich­tung konn­ten wir die Auf­ru­fe auf der Sei­te inner­halb von weni­gen Mona­ten ver­dop­peln. Aber auch die Ent­wick­lung der Tech­nik hat natür­lich eine sehr gro­ße Rol­le gespielt. Frü­her war der haupt­säch­li­che Traffic-​Lieferant Goog­le. Dann konn­ten wir zusätz­lich Face­book und mitt­ler­wei­le auch Insta­gram nut­zen. Man muss sich natür­lich immer an die Tech­nik anpas­sen und über­le­gen, wie man die Leu­te von den Kanä­len auf die Sei­te kriegt, wie Face­book, You­Tube und Insta­gram über­haupt funk­tio­nie­ren und in dem Zuge auch, wie sich hip​hop​.de als Mar­ke dort wiederfindet.

MZEE​.com: Du hast bereits die inhalt­li­chen Punk­te ange­spro­chen. Gibt es denn gene­rell bestimm­te Wer­te, die eurer Arbeit zugrun­de lie­gen – sowohl auf Jour­na­lis­mus als auch auf Hip­Hop an sich bezogen?

Toxik: Ja, klar. Ein­mal sind das HipHop-​Werte, bei denen es um Skills oder Fähig­kei­ten geht. Davon kann man die Grund­wer­te ablei­ten. Das bedeu­tet bei mir, dass ich zum Bei­spiel nichts von Ghost­wri­ting hal­te. Aber auch der Wett­be­werb, den wir in allen HipHop-​Bereichen haben, ist uns wich­tig. Wir gehen ger­ne in den Wett­be­werb mit ande­ren Maga­zi­nen. Das heißt nicht, dass ich der Kon­kur­renz kein Inter­view gebe oder wir irgend­wem Stei­ne in den Weg legen, son­dern dass wir den Wett­be­werb geil fin­den. Jeder soll bei uns den Ehr­geiz haben, dass wir nicht irgend­ein Maga­zin sind, son­dern das geils­te und erfolg­reichs­te. Das lei­ten wir auch aus Hip­Hop an sich ab. Und zu den jour­na­lis­ti­schen Wer­ten: ganz klas­sisch. Mit neu­en Leu­ten gucken wir uns den Presse-​Kodex an und über­le­gen, was für uns rele­vant ist: bei­spiels­wei­se, der Wahr­heit ver­pflich­tet zu sein. Aber auch, die Berech­ti­gung des Inter­es­ses der Öffent­lich­keit gegen die Per­sön­lich­keits­rech­te der ein­zel­nen Rap­per abzu­wä­gen. Wenn ein Rap­per bei­spiels­wei­se heim­lich homo­se­xu­ell ist, hat mit Sicher­heit jeder Inter­es­se dar­an, die­se tol­le Mel­dung mit­zu­be­kom­men. Wenn er aber nicht möch­te, dass es jemand weiß, sehe ich kein berech­tig­tes öffent­li­ches Inter­es­se dar­an. Dann kann man sich wie­der­um fra­gen, ob sich etwas ändert, wenn der Rap­per lau­ter homo­pho­be Tex­te schrei­ben wür­de. Die­se mora­li­schen Fra­gen muss man sich stel­len und abwägen.

Fu: Inti­mi­tät ist auch ganz wich­tig. Wie geht man mit Todes­mel­dun­gen um? Pos­tet man die Nach­richt in einer super­rei­ße­ri­schen Auf­ma­chung oder nur mit einem schwar­zen Bild? Todes­mel­dun­gen brin­gen rie­si­gen Traf­fic, aber das wol­len wir nicht. Es geht dar­um, unse­rer jour­na­lis­ti­schen Pflicht nach­zu­kom­men und die Mel­dung zu brin­gen. Aber wir wol­len damit kei­ne Klicks generieren.

Toxik: Für mich ist der Leit­fa­den der Ziel­kon­flikt zwi­schen Qua­li­tät und Erfolg und die­se bei­den Kom­po­nen­ten zusam­men­zu­brin­gen. Auch aus Hip­Hop abge­lei­tet wol­len wir Erfolg haben. Wir haben aber defi­ni­tiv qua­li­ta­ti­ve und mora­li­sche Ansprü­che und wol­len kei­ne rei­chen Huren­söh­ne wer­den, son­dern was Gei­les machen – eine Mischung aus Rolls-​Royce und Ret­tet die Wale. Das muss man im Leben zusam­men­brin­gen. Im Leben gene­rell, im Job und eben in unserem.

MZEE​.com: Lass uns noch mal über den Wan­del des deut­schen HipHop-​Journalismus spre­chen: Was hältst du von der Ent­wick­lung in den letz­ten zehn Jahren?

Toxik: In den letz­ten zehn Jah­ren? Da gab es ja mehr als einen Wan­del. Der eine gro­ße Wan­del ist, dass es viel bou­le­var­desker gewor­den ist. Es wur­de ana­ly­siert, was gut funk­tio­niert und nicht nur die drei größ­ten News gebracht. Das ist gar nicht nur abwer­tend gemeint, aber es ist grund­sätz­lich ein­fach bou­le­var­desker gewor­den, auch bei uns. Dann gab es plötz­lich Rap­Up­date. Dass ein Maga­zin aus dem Nichts ent­steht und an allen vor­bei schießt, was die Grö­ße der Web­site angeht, gab es vor­her nicht.

Fu: Ins­ge­samt ist es viel schnel­ler gewor­den und es gab einen extre­men Wett­kampf, den wir auch ein­ge­gan­gen sind. Man kann das Kind auch beim Namen nen­nen: Wir woll­ten das Feld nicht ein­fach Rap­Up­date über­las­sen. Was die Jungs gemacht haben, ist für mich mora­lisch ver­werf­lich, aber sie haben es in einer Art gemacht, die funk­tio­niert. Wir muss­ten reagie­ren, viel schnel­ler wer­den und viel mehr Mel­dun­gen brin­gen, die wir frü­her viel­leicht nicht gebracht hät­ten. Es gab Tage, da hat­ten wir 38 Posts an einem Tag. Du musst als Jour­na­list ganz schnell ablie­fern und das führt gleich­zei­tig zu weni­ger tie­fer Recher­che. Rap­Up­date hat alles ein­fach direkt raus­ge­hau­en und war dann natür­lich viel schnel­ler. Ich will Rap­Up­date wirk­lich nicht bashen.

MZEE​.com: Aber es hat die Ent­wick­lung eben maß­geb­lich beeinflusst.

Fu: Exakt!

MZEE​.com: Das ist auch das, was alle Jour­na­lis­ten in den Inter­views gesagt haben. Die RapUpdate-​Bewegung – wie Ralf Theil sag­te – hat geklatscht.

Toxik: Für die ande­ren war das viel­leicht sogar noch kras­ser. Wir wur­den nicht davon geweckt, denn wir woll­ten unse­re Sei­te sowie­so neu machen. Wir hat­ten damals aber noch ganz ande­re Plä­ne, die wir dann ver­wor­fen haben. Das waren Kon­zep­te von Fu, die drei Jah­re alt waren – drei Jah­re sind im Inter­net aber dreißig.

Fu: Wir woll­ten eigent­lich bei hip​hop​.de Citizen-​Journalismus machen. Das heißt, wir woll­ten ein kom­plett basis­de­mo­kra­ti­sches Sys­tem, bei dem durch einen spe­zi­el­len Algo­rith­mus errech­net wird, wel­che Arti­kel inter­es­san­ter sind, um die dann pro­mi­nen­ter zu plat­zie­ren. Wir woll­ten das Gan­ze mit einer Social Bookmarking-​Plattform ver­bin­den, auf der jeder User hät­te Geld ver­die­nen kön­nen, wenn er etwas teilt. In der Pla­nungs­pha­se sind wir von der Rea­li­tät über­rollt wor­den und haben gese­hen, dass das nicht läuft. Die Google-​Algorithmen wur­den geän­dert und man war damals noch abhän­gig von exter­nen Fak­to­ren. Und gleich­zei­tig ent­stand der Hype um Face­book, sprich: Die Leu­te haben ange­fan­gen, ihre News auf Face­book zu kon­su­mie­ren und Web­sei­ten als News-​Aggregatoren haben ihre Bedeu­tung verloren.

Toxik: Und wir woll­ten ein tech­ni­sches Sys­tem: Jeder kann etwas pos­ten und ein Algo­rith­mus sor­tiert dann alles. Aber dann gab es Face­book. Das brauch­ten wir also nicht mehr erfin­den. Und plötz­lich benö­tig­ten wir mehr Redak­teu­re denn je, damit wir die Qua­li­tät und Anzahl der Arti­kel hal­ten konn­ten. Da haben ein Chef­re­dak­teur, ein Stell­ver­tre­ter und zwei Prak­ti­kan­ten nicht mehr gereicht. Dazu kam, dass wir schon immer den Anspruch hat­ten, Qua­li­tät und Erfolg zusam­men­zu­brin­gen. Und wir hat­ten eine gewis­se Hemm­schwel­le und mora­li­sche Stan­dards, die aus unse­rer Sicht höher als die bei Rap­Up­date waren. Sprich, wir haben nicht alles gebracht, was Rap­Up­date gebracht hat. Wir woll­ten aber auch nicht nur Mel­dun­gen haben. Und weil wir zu nichts ande­rem mehr gekom­men sind, muss­ten wir uns orga­ni­sa­to­risch umstellen.

Fu: Ich muss noch eine ganz wich­ti­ge Sache erwäh­nen. Der Facebook-​Algorithmus hat dazu geführt, dass wir ton­nen­wei­se Traf­fic bekom­men haben. Aber den Leu­ten wur­de auch nur noch der aller­här­tes­te Gos­sip auf der Start­sei­te ange­zeigt. Qua­li­ta­ti­ve Sachen oder Hard Facts haben kei­nen mehr inter­es­siert bezie­hungs­wei­se konn­te ein­fach kei­ner sehen.

Toxik: Genau wie die Maga­zi­ne nicht gese­hen wur­den, die sich dage­gen ent­schie­den haben.

Fu: Das ist eben das Ding, das vie­le Leu­te nicht ver­ste­hen. Es wird einem immer vor­ge­wor­fen: "Ihr müsst mehr über New­co­mer machen, ihr macht ja nur Kol­le­gah und Farid Bang." – Aber nie­mand will einen Newcomer-​Artikel lesen, nie­mand! Er selbst und sei­ne Freun­de wol­len den Arti­kel lesen, aber sonst kei­ner. Ich weiß das. Ich mach' das seit 20 Jah­ren. Aber wenn du die Stars hast und ab und zu rutscht mal ein Newcomer-​Artikel rein, dann klickt auch jemand dar­auf. Man muss die­sen Mix schaf­fen, aber auch an die Umset­zung den­ken. Wie kriegt man die Inhal­te an die Leser? Bei Face­book ging es nur noch "auf die Fres­se". Das wur­de auch bei uns zu Recht kri­ti­siert. Im Hin­ter­grund haben wir aber an Lösun­gen gear­bei­tet, wie wir das ändern kön­nen. Ich bin sogar per­sön­lich kri­ti­siert wor­den: "Ihr pos­tet nur die­sen Scheiß bei Face­book!" – Die hät­ten sich das Maga­zin mal angu­cken sol­len. Drei von drei­ßig Bei­trä­gen waren Gossip-​Artikel, auf die alle geklickt haben. Und die gan­zen ande­ren Sachen, die mit Herz­blut geschrie­ben waren, fan­den kei­ne Beachtung.

Toxik: Dar­an muss­te man eben arbei­ten. Das war die nächs­te Auf­ga­be. Den Erfolg hat­ten wir wie­der und waren das größ­te Maga­zin, aber es geht immer um Erfolg und Qualität.

MZEE​.com: Seid ihr nicht auch in der Ver­ant­wor­tung, zum Bei­spiel New­co­mer zu pushen?

Toxik: Ja, klar. Die Fra­ge ist nur: Wie? Es bringt halt nichts, wenn kei­ner die Arti­kel liest. Du bist der Mar­keter dei­nes Con­tents und du musst dei­nen Arti­kel auch ver­kau­fen kön­nen. Ansons­ten hast du die frus­trie­ren­de Situa­ti­on, die Fu eben beschrie­ben hat: "Wir haben das doch geschrie­ben, es hat aber kei­ner gelesen."

Fu: Wir suchen auf vie­ler­lei Ebe­nen nach Ant­wor­ten, unter ande­rem auch auf der tech­ni­schen Ebe­ne. Anfang 2013 haben wir eine Upcoming-​Aktion gestar­tet, bei der sich New­co­mer prä­sen­tie­ren kön­nen. Wir krie­gen so vie­le Demos zuge­schickt. Des­we­gen haben wir über­legt, wie wir eine Platt­form kre­ieren kön­nen, auf der sowohl wir als auch Labels ver­tre­ten sind, die sich das angu­cken und die Spreu vom Wei­zen tren­nen. Die jewei­li­gen Künst­ler bekom­men bei uns kon­struk­ti­ve Kri­tik und wenn die Sachen gut sind, wer­den sie bei uns im Maga­zin gepos­tet. Und wir haben Koope­ra­tio­nen mit gro­ßen Labels, die Ver­trä­ge ver­tei­len. Also doch, wir wol­len das pushen.

Toxik: Und wie schon gesagt, haben wir orga­ni­sa­to­risch viel umge­stellt. Zum Ende von Face­book haben wir uns schon wie­der orga­ni­sa­to­risch und struk­tu­rell, aber auch inhalt­lich ver­än­dert. Ich den­ke, im Hin­blick auf das Qua­li­ta­ti­ve haben wir inzwi­schen auch schon eini­ge Zie­le erreicht, weil wir weg davon woll­ten, "Deutschrap-​News" zu sein. Wir woll­ten wie­der Sub­stanz schaf­fen, die nicht untergeht.

MZEE​.com: Haben eigent­lich The­men wie Chart­plat­zie­run­gen und Gos­sip den glei­chen Stel­len­wert wie Poli­tik, Ras­sis­mus, Homo­pho­bie und Antisemitismus?

Toxik: Natür­lich ist Anti­se­mi­tis­mus rele­van­ter, dar­aus folgt aber nicht, dass man nur über Poli­tik und Anti­se­mi­tis­mus schrei­ben kann. Zumal es Hip­Hop nicht wider­spie­gelt oder das bestim­men­de The­ma ist. Es sind nicht alle Rap­per hard­core politisch.

MZEE​.com: Wann siehst du es als Pflicht, über sol­che The­men zu berich­ten und sie zu kom­men­tie­ren bezie­hungs­wei­se zu bewerten?

Toxik: Wir haben frü­her sehr viel Nach­rich­ten­jour­na­lis­mus gemacht. Dort wird sehr wenig kom­men­tiert, weil es erst mal nur um Fak­ten geht. Zu der Zeit war die Schwel­le zu "Jetzt muss man was sagen" viel niedriger.

MZEE​.com: Das heißt, du siehst es eher in dei­ner Ver­ant­wor­tung, über die­se The­men zu berich­ten und nicht, sie zu kommentieren?

Toxik: Es gab The­men, zu denen man Stel­lung bezie­hen muss­te, aber nur zwei­mal im Jahr. Im Moment haben wir viel mehr Mei­nungs­for­ma­te im Text-, aber auch im Videobe­reich, zum Bei­spiel 7000Grad. Ich hab' mitt­ler­wei­le das Gefühl, ich kom­men­tie­re die gan­ze Zeit. Frü­her hab' ich Inter­views geführt und dabei geht es in ers­ter Linie nicht um mei­ne Mei­nung, son­dern um den Rap­per. Natür­lich habe ich mei­ne Mei­nung gesagt und kri­ti­sche Fra­gen gestellt, aber es war kein Mei­nungs­for­mat. Heu­te habe ich ein gan­zes YouTube-​Format zu dem The­ma und auch im Text­be­reich wird viel mehr kommentiert.

Fu: Eine Sache kann man über hip​hop​.de sagen: Es hat eigent­lich nie die­sen "Zeigefinger-​Journalismus" bei uns gege­ben. Das haben wir immer ver­ab­scheut. Und wir trau­en unse­ren Lesern auch zu, dass sie bestimm­te Din­ge selbst bewer­ten können.

Toxik: In den letz­ten Jah­ren gab es grund­sätz­lich viel "Zeigefinger-" oder "Empörungs-​Journalismus", der auf­deckt, dass ein Gangs­ter­rap­per die gut­bür­ger­li­chen deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schafts­wer­te zumin­dest nicht in sei­ner Musik teilt, um dann dar­auf hin­zu­wei­sen. Das hat für mich immer den Swag von einem Grund­schul­leh­rer, der dem Schü­ler erklärt, dass er jetzt bit­te auf­hö­ren soll, mit dem Etui dem Ande­ren auf den Kopf zu schla­gen. Das ist sicher­lich rich­tig, aber wir sehen dort nicht den Schwer­punkt unse­rer Arbeit. Wir sind weder die Eltern noch die Leh­rer unse­rer Leser, des­halb wol­len wir auch nicht so klin­gen. Man kann nicht effek­tiv etwas gegen Gewalt tun, wenn man nur die erreicht, die Gewalt sowie­so ableh­nen. Wer authen­tisch über Stra­ßen­rap berich­tet, erreicht auch poten­ti­el­le Gewalt­tä­ter. Und wenn er ein­mal die glei­che Spra­che spricht, kann er viel­leicht sogar etwas Posi­ti­ves bewirken.

Fu: Wir hat­ten eine lan­ge Pha­se, in der es sehr viel Beef gab und wir viel Gos­sip abbe­kom­men haben. In der Zeit haben wir uns dazu ent­schie­den, Back­stage zu arbei­ten. Das heißt, es gab unend­lich vie­le Ver­mitt­lungs­ge­sprä­che zwi­schen unse­ren Mit­ar­bei­tern und bestimm­ten Betei­lig­ten von die­sen Beefs. Das ist natür­lich undank­bar, weil das nie­mand weiß und man es auch nicht vor sich her­tra­gen will. Das muss­ten wir aber machen, weil es nicht lus­tig ist, wenn die Situa­ti­on so eskaliert.

Toxik: Das passt genau zu dei­ner Fra­ge. Batt­les haben wir immer in Ord­nung gefun­den. Aber wenn Batt­les von irgend­wel­chem Beef beglei­tet wer­den und es um rea­le Gewalt geht, die zum Bei­spiel auf Twit­ter ange­kün­digt wird, ist das der Punkt, an dem man etwas sagen muss. Es gibt Schwel­len zwi­schen Batt­ler­ap und rea­ler Gewalt, weil Gangs­ter­rap­per viel­leicht anders batt­len als die coo­len MCs in der Cypher. Da muss man sich über­le­gen, wel­che Rol­le man ein­nimmt. Natür­lich hat das Maga­zin den Stress nicht aus­ge­löst, aber du bist ein Kata­ly­sa­tor, wenn du dar­über berich­test. Da geht es nicht nur dar­um, dass Klicks gene­riert wer­den, son­dern auch, dass das Gan­ze nicht eska­liert. Das ist nicht alles nur ein gro­ßes Schau­spiel von Leu­ten, die vie­le Plat­ten ver­kau­fen wol­len. Teil­wei­se schon, aber da pas­sie­ren auch wirk­lich Din­ge. Das muss man wis­sen und abschät­zen können.

MZEE​.com: Wür­dest du sagen, dass das auch die Gren­ze bei Inhal­ten ist, mit denen man im deut­schen Rap Geld ver­die­nen kann? Oder fin­dest du, es gibt The­men, über die man aus mora­li­scher Sicht nicht berich­ten sollte?

Toxik: Es geht nicht dar­um, ob wir über bestimm­te The­men berich­ten, son­dern wie. Man kann ja auch in der Tages­schau nicht auf­hö­ren, über Krieg zu berich­ten, weil man ihn nicht sup­port­en will. Natür­lich kann das Mas­sa­ker auch Leu­te wütend machen und zum nächs­ten Mas­sa­ker füh­ren. Des­sen muss man sich bewusst sein. Wenn das The­ma groß und rele­vant ist, ducken wir uns nicht ein­fach weg und sagen: "Das machen wir nicht. Das machen nur die Schwei­ne von RapUpdate."

MZEE​.com: Denkst du, dass es als Maga­zin ver­ein­bar ist, ein kom­mer­zi­el­les Ziel zu ver­fol­gen und gleich­zei­tig nicht an Inte­gri­tät zu verlieren?

Toxik: Hier spre­chen wir wie­der von dem Ziel­kon­flikt zwi­schen Qua­li­tät und Erfolg. Erfolg ist bei uns nicht nur mone­tär begrün­det, aber das ist ein markt­wirt­schaft­li­ches Sys­tem. Gera­de im Inter­net ist man extre­men Schwan­kun­gen unter­wor­fen. Es gibt einen kras­sen Wett­be­werb und die Ein­tritts­schwel­le ist sehr nied­rig. Und natür­lich bringt das auch einen gewis­sen finan­zi­el­len Druck mit sich. Aber es ist natür­lich ver­ein­bar, Geld ver­die­nen zu wol­len und trotz­dem noch Wer­te und Prin­zi­pi­en zu haben. Mei­ner Mei­nung nach ist es bei fast jedem Job so, dass man die bei­den Kom­po­nen­ten zusam­men­brin­gen muss.

MZEE​.com: Glaubst du, dass der Leser immer bestimmt, wor­über geschrie­ben wer­den soll­te? Oder sind Maga­zi­ne auch in der Lage, Lesern The­men näher­zu­brin­gen, für die sie sich sonst nicht inter­es­sie­ren würden?

Toxik: Ich fin­de es ein Stück weit völ­lig legi­tim, dar­auf zu ach­ten, was die Leser wol­len. Ich kann das Maga­zin nicht nach mei­nem per­sön­li­chen Musik­ge­schmack gestal­ten. Wer bin ich denn, dass mein Geschmack aus­schlag­ge­bend dafür ist, wer in der Rap­welt exis­tie­ren darf und wer nicht? Heut­zu­ta­ge ist das sowie­so nicht mehr mög­lich. Damals, als ich ange­fan­gen habe, ging das noch. Da gab es ein­fach nur weni­ge Online­platt­for­men und Print­ma­ga­zi­ne, die dadurch als klas­si­sche Gate­kee­per bestim­men konn­ten, wer rein kommt und wer nicht.

Fu: Es hat mitt­ler­wei­le ein Wan­del statt­ge­fun­den: vom Gate­kee­per zu einem Per­len­tau­cher. Man soll­te und kann sich auch gar nicht mehr dahin­ge­hend auf­spie­len und wirk­lich bestim­men, was den Leser erreicht. Aber man soll­te ver­su­chen, nach den Per­len zu tau­chen und gute Sachen zu fin­den, die man dann prä­sen­tie­ren kann. Es gibt vie­le star­ke Sachen, die kei­ne Auf­merk­sam­keit bekom­men. Man kann sei­ne Reich­wei­te nut­zen und die Auf­merk­sam­keit auf die Per­son, den Artist oder das Phä­no­men len­ken. Das machen wir und das ist auch unse­re Auf­ga­be, vor allem in einer Zeit, in der man so über­flu­tet wird.

MZEE​.com: Könnt ihr euch vor­stel­len, dass durch einen wei­te­ren Wan­del auch poli­ti­sche Inhal­te wie­der mehr nach­ge­fragt werden?

Toxik: Was die Auf­merk­sam­keit für Musik angeht, sind wir nicht mehr im Promophasen-​Boxen-​Zeitalter, son­dern im Spotify-​Zeitalter. Es setzt sich durch, was eine melo­diö­se Hook hat und zum Ohr­wurm wird. Inhalt­lich ist alles offen. Aber es ist sel­ten, dass jemand eine cat­chy Hook mit super­po­li­ti­schen Ana­ly­sen ver­bin­det. Es geht eher um Guc­ci und Koka­in. Haupt­sa­che, man hat irgend­et­was, mit dem man die Melo­die fül­len kann. In den USA gibt es par­al­lel gera­de eine Quality-​Rap-​Schiene mit einem J. Cole, Kendrick Lamar oder Kanye West. Ent­we­der sind sie musi­ka­lisch über­trie­ben krass wie Kanye, der einen rie­si­gen Qua­li­täts­an­spruch hat oder inhalt­lich super­krass wie Kendrick Lamar. War­um soll in Deutsch­land nicht einer wie Kendrick Lamar kom­men, über den alle wegen der gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Sachen, die er sagt, reden? Das kann ich mir schon vor­stel­len. Man sagt ja immer, dass Deutsch­land den USA hin­ter­her­rennt. Dann ren­ne doch mal bit­te jemand Kendrick Lamar hinterher.

MZEE​.com: Was ist dir per­sön­lich musi­ka­lisch lieber?

Toxik: Ich höre tat­säch­lich auch sehr ger­ne inhalts­lee­re, stump­fe Sachen, die über ande­re Din­ge als den Inhalt funk­tio­nie­ren. Und mich stört es tat­säch­lich mehr, wenn ich bei einem Nas-​Album rich­tig zuhö­re und den­ke: "Dig­ger, so schlau ist das Gan­ze gar nicht. Da und da wider­sprichst du dir." Natür­lich könn­te man jetzt sagen: "Dann kannst du Kod­ak Black erst recht nicht hören." Aber da erwar­te ich nicht, dass die Musik inhalt­lich schlau ist. Ich höre schon ger­ne Sachen mit Inhalt, aber ich hab' auch Dipset und Young Jee­zy gehört und jetzt Kod­ak Black. Ich höre nicht von mor­gens bis abends Nas und J. Cole. Auch wenn sie eher The­men bear­bei­ten, die mich pri­vat inter­es­sie­ren. Tat­säch­lich beschäf­ti­ge ich mich neben Rap nicht nur mit Guc­ci und Koks, son­dern neh­me viel­leicht auch mal ein Buch zur Hand. (lacht)

MZEE​.com: Nega­ti­ver Kri­tik oder auch Feed­back bezüg­lich der eige­nen Arbeit ist man häu­fig durch die Kom­men­tar­funk­ti­on im Inter­net aus­ge­setzt. Wie gehst du damit um? Wird sowas auch mal im Team zur Dis­kus­si­on gestellt?

Toxik: Frü­her wur­den die Inter­views direkt ins Forum gepos­tet und da haben mir die Leu­te jeden Feh­ler um die Ohren gehau­en. Heu­te schrei­be ich nur noch sel­ten Arti­kel und mit dem Feed­back bin ich ganz zufrie­den. For­ma­te vor der Kame­ra sind natür­lich kras­ser, weil du dei­ne Fres­se hin­hältst und nicht nur Inhalt, son­dern auch Aus­se­hen kom­men­tiert wird. Es gibt immer posi­ti­ves und nega­ti­ves Feed­back und natür­lich trifft einen mal ein Spruch, über den man dann nach­denkt. Das muss man aber auch. Mein Job ist eine gewis­se Dienst­leis­tung und ich will ihn nicht schei­ße machen. Aber wenn jede Kri­tik anzu­neh­men bedeu­tet, dass man jedes Mal eine Kri­sen­sit­zung ein­be­ru­fen muss, kommt man zu nichts. Man muss inhalt­lich teil­wei­se ein­fach sein Ding durch­zie­hen. Das heißt aber nicht, dass man auf alles einen Fick gibt.

Fu: Ich betreue schon immer unse­re Com­mu­ni­ty und habe lan­ge Zeit die Kom­men­ta­re selbst mode­riert – sprich, ich habe unge­fähr vier Mal am Tag Kom­men­ta­re gelöscht. Dazu gibt es bei uns ganz nor­ma­le Poli­ci­es und Richt­li­ni­en. Har­te und kon­struk­ti­ve Kri­tik kannst du schrei­ben, wenn sie sach­lich ist und ohne Belei­di­gun­gen aus­kommt. Wird aber "Du bist ein Huren­sohn, du Stück Schei­ße" geschrie­ben, wird es gelöscht. Wir haben eine Black­list mit über 2 000 Wör­tern, die auto­ma­tisch durch Stern­chen ersetzt wer­den und dafür wer­den wir kri­ti­siert. Der Vor­teil ist: Wir brau­chen bestimm­te Kom­men­ta­re, die inhalt­lich gut, aber mit Belei­di­gun­gen gefüllt sind, nicht zu löschen. Bei uns gibt es eine Mit­ar­bei­te­rin, die den gan­zen Tag Kom­men­ta­re auf allen Platt­for­men mode­riert. You­Tube ist mitt­ler­wei­le die abso­lu­te Kommentar-​Hölle. Face­book ist auch extrem schlimm. Auf dem Maga­zin sind eigent­lich mehr Stamm­le­ser plus dei­ne zwölf Trolls, die immer das glei­che schrei­ben wie "Rooz abschie­ben" oder "Kar­goll ist ein links-​Hurensohn-​versifftes-​Arschloch." Ins­be­son­de­re neu­en, weib­li­chen Redak­teu­rin­nen emp­feh­len wir, Kom­men­ta­re erst gar nicht zu lesen. Wir haben ein Video von einem Mäd­chen, das Quer­flö­te spielt und gleich­zei­tig beat­boxt hoch­ge­la­den – extrem gut! Das Ding ist viral gegan­gen und der meist­ge­lik­te Kom­men­tar war nach fünf Minu­ten "Die kann mir auch ger­ne mal einen bla­sen". Das Mäd­chen in dem Video war 14 Jah­re alt und das fin­de ich nicht lus­tig. Ich möch­te nicht, dass mei­ne Mode­ra­to­rin­nen mit sowas kon­fron­tiert wer­den und dem aus­ge­setzt sind.

MZEE​.com: Machst du das nur für Frau­en oder warnst du auch männ­li­che Redakteure?

Fu: Das Glei­che gibt es bei Män­nern, aber bei Frau­en ist es viel extremer.

MZEE​.com: Ja, ich weiß. Ich ken­ne eure YouTube-​Videos und auch die Bei­trä­ge dar­un­ter. Natür­lich nicht alle, aber allein Kom­men­ta­re wie "Rooz abschie­ben" – wo kom­men wir denn da hin?

Fu: Den Leu­ten ist das wahr­schein­lich nicht bewusst. Im Inter­net sind sie anonym und rea­li­sie­ren nicht, dass auf der ande­ren Sei­te ein Mensch sitzt.

Toxik: Natür­lich sagen wir neu­en Leu­ten, dass sie sich erst mal kei­ne Kom­men­ta­re angu­cken sol­len. Es gibt immer Pha­sen, in denen man geha­tet wird. Aber gleich­zei­tig bringt es sehr viel, prä­sent zu sein und mit offe­nem Visier in eine Dis­kus­si­on zu gehen. Sobald ich selbst kom­men­tie­re, bin ich prä­sent und die Leu­te reden in einem ande­ren Ton. Man­che ver­tei­di­gen mich sogar.

Fu: Vor allem hilft es, wenn eine sach­li­che Dis­kus­si­on gestar­tet wird. Wenn zum Bei­spiel jemand schreibt "Ihr boy­kot­tiert XY, ihr scheiß Huren­söh­ne", ant­wor­tet einer unse­rer anony­men Mode­ra­to­ren sach­lich mit "Wäre schön, wenn du ohne Belei­di­gung aus­ge­kom­men wärst, aber hier sind 40 Arti­kel zu XY". In 80% der Fäl­le folgt dar­auf dann: "Stimmt, du hast voll Recht. Tut mir auch Leid und ich woll­te dich gar nicht belei­di­gen, ich hat­te nur einen schlech­ten Tag. Und dan­ke noch mal. Ich bin voll der Fan und gucke alles." Dar­an merkt man, dass die Leu­te die­sen Ton im Inter­net pfle­gen. Immer erst mal "Huren­sohn" schrei­ben. Das ist für uns nicht lus­tig. Wir gehen auf Kri­ti­ken ein, kom­men­tie­ren, fil­tern, löschen, aber gutes und hilf­rei­ches Feed­back wird auch direkt an die Redak­teu­re und Mode­ra­to­ren wei­ter­ge­lei­tet. Man kann die Com­mu­ni­ty letzt­end­lich nur ani­mie­ren: Schreibt wei­ter Kom­men­ta­re, mischt euch ein, gebt uns Feed­back, sagt, was ihr gut und was ihr schlecht fin­det. Das ist super, das brau­chen wir.

Toxik: Das ist auch das Tol­le an dem Medi­um. Es weiß kei­ner, ob der Arti­kel rechts oben in dem Print­ma­ga­zin XY gele­sen wur­de. Für die Online­me­di­en gibt es aus­führ­li­che Ana­ly­sen und Sta­tis­ti­ken. Das prägt natür­lich unse­re Arbeit, muss aber auch ange­nom­men werden.

MZEE​.com: Ich wür­de das Inter­view ger­ne mit einer klei­nen Auf­ga­be für dich, Toxik, abschlie­ßen: Nen­ne mir bit­te drei Beweg­grün­de, die dich moti­vie­ren, wei­ter­hin im Deutschrap-​Journalismus tätig zu sein.

Toxik: Als ich ange­fan­gen habe, waren mei­ne Zie­le, haupt­be­ruf­lich zu schrei­ben und etwas mit Hip­Hop zu machen. An den bei­den Beweg­grün­den hat sich bis heu­te nichts geän­dert. Mitt­ler­wei­le kommt ein gewis­ses Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl gegen­über hip​hop​.de und der gan­zen Kul­tur, in der man mitt­ler­wei­le irgend­wie eine Rol­le spielt, dazu. Aber es ist auch ein­fach ein dank­ba­rer Job. Viel­leicht wird man im Inter­net ange­pö­belt, aber wenn ich woan­ders arbei­te, hab' ich mög­li­cher­wei­se einen Chef oder Kol­le­gen, der mir hart auf den Sack geht. Ich gehe durch die Stadt, wer­de von Leu­ten erkannt und die geben mir Props und wol­len ein Foto mit mir machen – ist doch super! Jeder will doch etwas Sinn­vol­les machen, das Bedeu­tung hat. Und wenn sich ganz vie­le Leu­te dei­ne Sachen rein­zie­hen und dir posi­ti­ves Feed­back geben, ist es natür­lich viel ein­fa­cher zu erken­nen, dass es wirk­lich sinn­voll ist, was ich mit mei­ner Zeit anfan­ge. Das heißt nicht, dass es mehr wert ist. Eine kran­ke Per­son zu pfle­gen, ist viel mehr wert als alles, was ich mache. Es ist ein­fach ein dank­ba­rer Job, auch wenn es oft stres­sig ist und der Tes­la noch auf sich war­ten lässt.

(Lai­la Drewes)
(Titel­fo­to: Melih Akya­zi­li­lar, Foto 2: Memo Filiz)