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Interview

Ulysse

"Es gibt schon häu­fi­ger Kom­men­ta­re über mein Aus­se­hen. Das ist wirk­lich immer wie­der scho­ckie­rend, aber ich sehe dar­über hin­weg." – Ulys­se im Inter­view über Ras­sis­mus, sei­ne Her­an­ge­hens­wei­se ans Tex­ten und Karls­ru­her Boom bap.

Ulys­se aus Karls­ru­he ist ein jun­ger, auf­stre­ben­der Rap­per, der sich in den letz­ten zwei Jah­ren zum Geheim­tipp unter Straßenrap-​Fans ent­wi­ckel­te. Auf dre­cki­gen Boom bap-​Beats im Stil der spä­ten 90er und frü­hen 2000er gibt er Raps zum Bes­ten, die den täg­li­chen Strugg­le beschrei­ben, der in sei­nem eige­nen Leben und Umfeld statt­fin­det. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund und über­zeugt mit sei­ner erfri­schend authen­ti­schen Art. Mit uns unter­hielt sich Ulys­se – der Tei­le sei­ner Jugend in ver­schie­de­nen Län­dern ver­brach­te – unter ande­rem über sei­ne Affi­ni­tät zu fran­zö­sisch­spra­chi­gem Rap und sei­ne Mei­nung zur Ver­wen­dung des N-​Worts. Zudem ver­riet er uns, wie sei­ne stets unver­kopft wir­ken­den Tex­te ent­ste­hen und wel­che Unter­schie­de es bezüg­lich des Umgangs mit Ras­sis­mus zwi­schen Deutsch­land und Bel­gi­en gibt.

MZEE​.com: Zu Beginn möch­ten wir mir dir über dei­ne Hei­mat­stadt Karls­ru­he spre­chen, die du laut­stark in dei­nen Tracks reprä­sen­tierst. Was macht die Stadt für dich aus und was unter­schei­det sie in dei­nen Augen von ande­ren deut­schen Großstädten?

Ulys­se: Karls­ru­he ist eine zwei­sei­ti­ge Stadt. Es gibt dort gute und schlech­te Ecken. Wir unter­schei­den uns aber von ande­ren Städ­ten dadurch, dass wir etwas lei­ser sind. Ich mer­ke das immer, wenn ich woan­ders bin. Musik­tech­nisch sind wir eher Old School-​basiert. Dadurch gren­zen wir uns stark vom Rest der Sze­ne ab, in der jeder auf Trap ist.

MZEE​.com: Wie du sagst, ist es sehr auf­fäl­lig, dass du oder auch Rap­per wie Haze euch sound­tech­nisch stark vom Rest des Lan­des abhebt. Was denkst du, wor­an das liegt?

Ulys­se: Haze ist ja schon etwas län­ger als ich im Rap-​Game. Ich selbst bin erst vor unge­fähr einem Jahr bekann­ter gewor­den. Wir sind ein­fach mit der Mucke auf­ge­wach­sen. Ich bin 95er Bau­jahr und hab' die­se Art von Musik mit­be­kom­men, als sie noch sehr rele­vant war – zum Glück. Heu­te ist ja alles ein biss­chen anders. Aber weil ich aus die­ser Zeit stam­me, bin ich eben auf mei­nem Beat-​Geschmack hän­gen­ge­blie­ben und schrei­be mei­ne Tex­te auf Old School-Musik.

MZEE​.com: Vor allem auf dei­nem ers­ten Mix­tape hat man immer wie­der auch fran­zö­si­sche Ele­men­te raus­hö­ren kön­nen. Sind das bewuss­te Einflüsse?

Ulys­se: Klar, das ist auf jeden Fall etwas Bewuss­tes. Ich kom­me ja aus Kame­run und dort reden wir auch Fran­zö­sisch. Ich hab' Cou­sins, die in Frank­reich oder Bel­gi­en woh­nen, aber damit hat das nichts zu tun. Ich woll­te ein­fach etwas ande­res machen als ande­re hier­zu­lan­de, um einen höhe­ren Wie­der­erken­nungs­wert zu haben.

MZEE​.com: Ver­folgst du denn auch die Rap­sze­nen in Län­dern wie Frank­reich oder Belgien?

Ulys­se: Natür­lich ver­fol­ge ich das. Die Leu­te gucken oft­mals nur auf die grö­ße­ren und nicht auf die klei­ne­ren Län­der. Dabei gehen die gera­de auch voll ab.

MZEE​.com: Hast du einen Lieb­lings­rap­per aus die­sen Län­dern? Viel­leicht auch einen aus Kamerun?

Ulys­se: Ja, schon. Aber das ist kein Rap, son­dern eher Volks­mu­sik. Es geht aber in die rich­ti­ge Rich­tung. Die haben auch Erfolg und sind teil­wei­se welt­weit in Clubs unter­wegs. In Bel­gi­en gibt es bei­spiels­wei­se Hoo­dy Jones aus Brüs­sel. Den ken­ne ich auch per­sön­lich. Der ist so alt wie ich und echt gut – aller­dings noch recht unbe­kannt und eher Unter­grund. Mein Cou­sin hat dort auch eine Trup­pe. Aber von denen hab' ich eini­ge Sachen ver­ges­sen. (schmun­zelt) Ich feie­re auch bekann­te­re Leu­te wie Dam­so. Die sind auf jeden Fall stark, die Belgier.

MZEE​.com: Hast du auch selbst schon Reso­nanz aus den fran­zö­sisch­spra­chi­gen Län­dern bekommen?

Ulys­se: Defi­ni­tiv, ja. Die waren zufrie­den. Ich hab' Sachen gehört wie: "Ey, was du auf Fran­zö­sisch gesagt hast, war krass. Aber das auf Deutsch hab' ich nicht ver­stan­den." (lacht) Auf jeden Fall haben die es ernst genom­men. Das freut mich natürlich.

MZEE​.com: Gehst du beim Schrei­ben dei­ner Tex­te nach einem bestimm­ten Sche­ma vor?

Ulys­se: Ich schrei­be immer dar­über, was ich gera­de emp­fin­de und wor­über wir in unse­rer Run­de reden, wenn wir drau­ßen sind. Es sind eigent­lich all­täg­li­che Din­ge und Momen­te, die mich inspi­rie­ren. Dann schrei­be ich das auf und so ent­ste­hen letzt­end­lich mei­ne Texte.

MZEE​.com: Schreibst du viel spon­tan in dein Handy? 

Ulys­se: Schon. Wenn jemand ein beschis­se­nes Erleb­nis hat­te, das so oder so ähn­lich jedem schon mal pas­siert ist, dann schrei­be ich das als Pun­ch­li­ne auf. Das sind meis­tens Din­ge, die jeder nach­voll­zie­hen kann und die auf jeden irgend­wie zutref­fen. Ich könn­te auch ein­fach nur von mir selbst erzäh­len. Aber ich mache die Musik nicht nur für mich, son­dern für Leu­te, die ähn­lich wie ich leben und die­sel­be Musik füh­len. Des­halb schrei­be ich über Din­ge, die nicht nur mich betref­fen. Jeder muss mal strugg­len. Bei jedem läuft es mal bes­ser und mal schlech­ter, ver­stehst du?

MZEE​.com: "Mucke für Kaput­te" quasi …

Ulys­se: Genau. (schmun­zelt) Ober­reut ist ein Vier­tel, in dem wirk­lich schlim­me Din­ge pas­sie­ren. Das betrifft jeden, egal wo ich bin. Ich hab' hier die glei­chen Din­ge gese­hen und erlebt wie bei uns.

MZEE​.com: In unse­rem Tapefabrik-​Format "MZEE Tape" hast du 50 Cents "Get Rich or Die Try­in'" als einen dei­ner Lieblings-​Klassiker genannt. Hat­te das Album denn gro­ßen Ein­fluss auf dich?

Ulys­se: Natür­lich. Das Album ist wirk­lich ein Klas­si­ker. Ich habe das oft gehört und es hat mich immer wie­der gepusht. Für mich ist es ein zeit­lo­ses Werk, das man immer hören kann – ich fei­er' es kom­plett. 50 Cent war damals ein­fach anders als der Rest. Er ist eine beein­dru­cken­de Persönlichkeit.

MZEE​.com: In frü­he­ren Inter­views hast du erwähnt, dass du Tei­le dei­ner Kind­heit in Bel­gi­en und Frank­reich ver­bracht hast und regel­mä­ßig in Hol­land warst. Konn­test du nen­nens­wer­te kul­tu­rel­le Unter­schie­de zwi­schen den ver­schie­de­nen Län­dern feststellen?

Ulys­se: Klar, die Men­ta­li­tät ist über­all anders. Bei uns ist es auf jeden Fall ein biss­chen käl­ter – in Ham­burg oder Bre­men zum Bei­spiel. An man­chen Orten sind die Leu­te offe­ner und an ande­ren verschlossener.

MZEE​.com: Siehst du denn auch Unter­schie­de in Bezug auf das The­ma Ras­sis­mus und wie damit in den jewei­li­gen Län­dern umge­gan­gen wird?

Ulys­se: Ja, in Bel­gi­en sind die Schwar­zen viel mehr unter sich. Hier ist es ein biss­chen schwie­ri­ger, du musst dich mehr bewei­sen. Es gibt schon häu­fi­ger Kom­men­ta­re über mein Aus­se­hen. Das ist wirk­lich immer wie­der scho­ckie­rend, aber ich sehe dar­über hin­weg. Ich bin damit groß gewor­den und nie­mand, der sich zu sehr dar­über auf­regt. Aber natür­lich habe ich da auch mei­ne Grenzen.

MZEE​.com: Der Münch­ner Rap­per Roger Rekless hat kürz­lich sein Buch "Ein Neger darf nicht neben mir sit­zen" ver­öf­fent­licht, das sich um das The­ma Ras­sis­mus dreht. Unter ande­rem geht es dar­in auch um "die Sache mit dem N-​Wort". Dazu schreibt er: "Ich fand die­ses Geha­be um das N-​Wort ziem­lich schreck­lich. Die­ses Wort war ein Sym­bol der Ver­let­zung für mich. Und nicht nur, weil ich es gelernt hat­te, son­dern weil ich es selbst am eige­nen Leib erfah­ren hat­te." – Wie stehst du zu die­sem The­ma? Schließ­lich benutzt du das Wort ja selbst in dei­nen Texten.

Ulys­se: Es macht einen Unter­schied, wer die­ses Wort benutzt. Wenn ein Wild­frem­der das zu mir sagt … Du kannst mich nicht ein­fach so anspre­chen! Jeder kennt die Geschich­te. Also war­um benutzt man es dann ein­fach so? Wenn jemand selbst schwarz ist, dann kann er das auch sagen. Aber du?

MZEE​.com: Macht dich das sauer?

Ulys­se: Na, klar. Jedes Mal. Man wird jeden Tag damit kon­fron­tiert. Nicht unbe­dingt mit dem Wort, aber mit ver­schie­de­nen Aktio­nen. Es gibt vie­le Leu­te, die damit zu kämp­fen haben. Wenn ich im Süden oder im Süd­wes­ten bin, ist es schon anders, als wenn ich im Nor­den unter­wegs bin. Da gibt es ein­fach mehr von uns. In Ham­burg ist es den Leu­ten egal, wo du her­kommst. Da ist es ganz anders als hier. Aber es ver­än­dert sich lang­sam zum Positiven.

MZEE​.com: Das dau­ert viel­leicht noch ein, zwei Generationen …

Ulys­se: Viel­leicht. Ich hof­fe aber, dass es schnel­ler geht.

MZEE​.com: Kannst du denn auch ver­ste­hen, wenn Roger Rekless sagt, dass er das Wort über­haupt nicht benut­zen möchte?

Ulys­se: Ja, das ver­ste­he ich schon. Er hat natür­lich Recht damit. Ich selbst benut­ze es auch nur in mei­nen Tex­ten. Es ist eben Rap­mu­sik – mit Beto­nung auf Musik. Bei wie vie­len Welt­stars kommt die­ses Wort in den Lyrics vor? Aber in mei­nem all­täg­li­chen Sprach­ge­brauch benut­ze ich es nicht. Das soll­te man auch nicht.

MZEE​.com: Auf "Release" rappst du: "Sie ken­nen mich seit 2018 – mit 18 hat­te ich 'ne Visi­on ohne Plan B." – Was ist denn dein Plan A? Wo willst du mit dei­ner Musik hin?

Ulys­se: Ganz nach oben, auf jeden Fall. Mög­lichst vie­le Leu­te sol­len Bescheid wis­sen, dass ich da bin, Musik mache und auf der Büh­ne abdre­he. Ich kann immer wie­der Sachen releasen, aber ich möch­te vor allem live abge­hen. Ich will auf Tour gehen, damit die Leu­te ver­ste­hen, was ich mache. Da will ich hin.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, im ver­gan­gen Jahr schon viel erreicht zu haben?

Ulys­se: Ich bin zwar erst seit Kur­zem da, aber lang­sam ver­ste­he ich, dass die Leu­te Bock auf mich haben. Ich hab' ja auch schon Jay Rock sup­port­et und ler­ne stän­dig dazu. Wir ver­su­chen, uns von Show zu Show zu ver­bes­sern. Irgend­wann mal – viel­leicht nächs­tes Jahr – hab' ich end­lich das rich­ti­ge Level erreicht, um eine eige­ne Tour zu spie­len. Bis dahin hab' ich sicher­lich genug Lie­der und Vide­os gemacht. Jetzt kann ich das noch nicht behaup­ten, ich bin noch nicht so weit. Ich kann aber defi­ni­tiv noch viel mehr. Das weiß ich ganz genau.

MZEE​.com: Du wür­dest aber nicht dei­nen Sound ver­än­dern, um dein Ziel zu errei­chen, oder? Du machst ja schließ­lich nicht gera­de das, was dem aktu­el­len Trend entspricht.

Ulys­se: Das stimmt. Ich wür­de mich für den Erfolg nicht ver­än­dern. Und zwar, weil ich genau weiß, dass es in Deutsch­land sehr vie­le Leu­te gibt, die so sind wie wir. Die wol­len das hören. Und wem es nicht gefällt, der soll es ein­fach nicht hören. Das ist schon okay. Klar will ich durch­dre­hen und vie­le Shows spie­len. Mir ist bewusst, dass die Leu­te da drau­ßen sehr auf Trends aus sind. Aber es ist wie in der Mode: Irgend­wann kommt alles zurück.

MZEE​.com: Du stichst durch dei­nen Stil natür­lich auch ziem­lich aus der Mas­se her­aus. Gera­de, weil es nicht so vie­le Leu­te gibt, die die­sen Sound machen. Uns hat dei­ne Musik stark an SSIO erinnert.

Ulys­se: Der ist schon eine wirk­lich kras­se Num­mer. Ich hat­te das Glück, dass ich mit dem Pro­du­zen­ten Kevoe West, der auch SSI­Os DJ ist, zusam­men­ar­bei­ten konn­te. Mich mit SSIO zu ver­glei­chen, ist defi­ni­tiv krass. Ich hab' ihn frü­her selbst viel gehört, er ist lyrisch sehr begabt. Das ist ein rie­sen Kom­pli­ment für mich.

MZEE​.com: Abschlie­ßend haben wir noch eine Fra­ge, die an den Titel dei­nes aktu­el­len Albums "Pati­ence" ange­lehnt ist: Wür­dest du dich selbst als beson­ders gedul­di­gen Men­schen bezeichnen?

Ulys­se: (lacht) Es kommt in jedem Fall dar­auf an … Ich muss gedul­dig sein. Wenn du unge­dul­dig bist, ver­lierst du dei­nen Fokus. Es gibt so vie­le Leu­te, die talen­tiert sind, aber irgend­wann den Fokus ver­lie­ren. Das darf so nicht sein. Des­we­gen: Gedul­dig sein, fokus­siert sein und ein­fach abwarten.

(Stef­fen Bau­er & Lai­la Drewes)