Wer sich mit Ebow auseinandersetzt, wird anhand der Klangästhetik und der Inhalte direkt bemerken, dass sich ihre Musik deutlich vom aktuellen Deutschrap-Kosmos abgrenzt. Obwohl die gebürtige Münchnerin im März mit "K4L" bereits ihr drittes Soloalbum veröffentlichte, scheint sie für die breite Masse noch ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Auch wenn die Songs der Rapperin bisher keine Streamingrekorde brechen, erhält das aktuelle Release überaus positive Resonanz: Nachdem Ebow bereits die Titelblätter verschiedener Zeitschriften zierte, wurde sie mit dem Münchner Förderpreis für Musik für künstlerisch herausragende Leistungen ausgezeichnet. Aus aktuellem Anlass sprachen wir mit ihr über die Entwicklung der weiblichen Rapszene und den Gedanken eines feministischen Empowerments. Ebow berichtete außerdem über den Sound von "Kanak4Life" – so der ausgeschriebene Titel des Albums – und gab uns einen Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen mit Rassismus.
MZEE.com: Zu Beginn würden wir gerne einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir haben uns Ende 2017 zum Interview getroffen und darüber gesprochen, dass Frauen in der Rapszene immer noch einen gewissen "Exotenstatus" zu haben scheinen. Anfang 2019 releasen nun neben dir auch Juju und Nura, Yasmo und Presslufthanna. Denkst du, dass der "Exotenstatus" für rappende Frauen bald ausgedient hat?
Ebow: Ich bin megafroh, dass es Leute wie Nura, Juju, Loredana oder auch Shirin David, die den YouTube-Rekord geknackt hat, gibt. Das ist ein Fortschritt, wenn man auf 2017 zurückblickt. Ich habe allerdings das Gefühl, dass der ganze Diskurs des Feminismus kommerzialisiert wird und es jetzt eben Trend ist. Da frage ich mich, was sein wird, wenn es in zwei bis drei Jahren nicht mehr cool ist, feministische Debatten zu führen, oder H&M keine T-Shirts mehr verkauft, auf denen "Girl Power" steht. Werden diese Frauen dann immer noch gepusht? Ist es dann weiterhin ein Thema? Ich finde auch, dass auf den Major Labels noch immer zu wenige Frauen vertreten sind, die nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen. Diese Frauen sollten dieselbe Aufmerksamkeit bekommen wie jene, die im Allgemeinen als schön beziehungsweise sexy gelten oder eben etwas verkörpern, das die männlichen Konsumenten anziehend finden. Wir bräuchten viel mehr Frauen, die andere Körperformen haben, einfach anders aussehen und auch andere Storys zu erzählen haben.
MZEE.com: Und queer sind.
Ebow: Ja, genau! Wir brauchen auch Transgender-People, einfach viel mehr Diversität. Es kann im Jahr 2019 nicht der Anspruch sein, dass wir sagen: "Hey, wir haben jetzt auch Frauen, die rappen!" Ja, wir haben superviele schöne Frauen, die rappen, und das ist cool, denn wir haben einen Schritt nach vorne gemacht. Ich würde allerdings nicht behaupten, dass es jetzt gesichert ist, dass wir an diesem Punkt weitermachen. Hoffentlich kommen in den nächsten Jahren noch mehr Rapperinnen. Aber ich stelle mir häufig die Frage, was wohl passieren wird, wenn es eben nicht mehr "in" ist.
MZEE.com: Glaubst du denn, dass das passieren wird?
Ebow: Ich glaube, dass sowas in anderen künstlerischen Bereichen passiert wie beispielsweise in der Performance-Kunst und den bildenden Künsten. Dort wird es gepusht, wenn du eine Künstlerin bist und Werke machst, die diesen Fokus haben. Freundinnen von mir, die Künstlerinnen sind, stellen sich ernsthaft diese Frage, weil Galerien gerade auf diesen Zug aufspringen. Genauso ist es bei Bookern von Festivals, denn wir sind als weibliche Künstlerinnen sehr davon abhängig, wer uns bucht und welche Labels auf uns aufmerksam werden. Gerade habe ich das Gefühl, dass darauf geachtet wird, Diversität reinzubringen, aber vielleicht auch nur, weil der gesellschaftliche Druck so groß ist. Ich glaube schon, dass das nach ein paar Jahren an Relevanz verlieren wird.
MZEE.com: Musik wird oft vor dem Hintergrund von hervorstechenden Merkmalen eines Künstlers bewertet. In Kommentarspalten steht beispielsweise, dass ein Artist "für eine Frau" oder "für ein Kind" gut rappe. Findest du, dass die Musik durch solche Relativierungen abgewertet wird?
Ebow: Auf jeden Fall! Dieser Satz "für eine Frau rappt sie gut" ist ja schon sexistisch, weil er impliziert, dass man davon ausgeht, Frauen könnten nicht gut rappen. Das gilt ja auch für das Thema Rassismus, wenn jemand sagt: "Sie spricht gut Deutsch für eine Türkin." Das bedeutet nämlich, dass aufgrund der Herkunft davon ausgegangen wird, man würde kein gutes Deutsch sprechen. Solche Sätze sind ja in sich schon falsch und daran können wir Musik nicht bewerten.
MZEE.com: Braucht es eher ein großes Kategoriensystem, in dem man nicht durch äußerliche oder gesetzte Merkmale eingeordnet wird?
Ebow: Definitiv, denn gute Musik ist gute Musik. Wie sehr wirkt es sich aus, wie alt die Person ist oder was für ein Geschlecht sie hat? Gar nicht. Das ist das Schöne an Musik: Sie soll berühren oder bewegen, ohne dass man den Kontext kennen muss.
MZEE.com: Man merkt ja an solchen Kommentaren schon, dass es sich um Schubladendenken handelt und das Oberflächliche oder Äußerliche als wichtiger angesehen wird.
Ebow: Ich würde die Aussagen "für eine Frau rappt die Person gut" und "für das Alter rappt die Person gut" allerdings voneinander trennen. Denn jemandem zu sagen, dass er für sein Alter schon sehr weit fortgeschritten ist, ist ja noch mal etwas anderes. Die Person musste sich ja das Wissen und die Skills aneignen, wofür man eigentlich mehr Zeit braucht. Wenn man sagt, dass eine 16-jährige Person gut rappt, dann gehen wir ja davon aus, dass sie genauso gut rappt wie ein 34-Jähriger, und da wird eher auf die Zeit eingegangen. Wenn man allerdings in Frauen und Männer unterteilt, ist es nur auf das Geschlecht bezogen.
MZEE.com: Findest du wirklich, dass das Alter darauf hinweist, wie viel Erfahrung man als Künstler hat? Wenn jemand sich mit 30 Jahren dazu entscheidet, zu rappen, und mit 32 sein erstes Album releast, dann hat er ja genauso viel praktische Erfahrung wie ein 14-Jähriger, der mit 16 etwas veröffentlicht.
Ebow: Im Normalfall geht man aber ja davon aus, dass jemand schon länger Musik macht, und wenn diese sehr gut ist, dann denkt man, dass jemand viel Erfahrung hat.
MZEE.com: Deine Musik ist und war ja auch immer als ein gewisses Empowerment in diese Richtung gedacht. Tracks wie "Punani Power" vom letzten Album haben genau dieses alte, klischeehafte Bild kritisiert. Siehst du dich in einer gewissen Verantwortung, Frauen dazu zu motivieren, zum Mic zu greifen?
Ebow: Ich glaube, das ist eines der wichtigsten Dinge für mich im HipHop. Rap ist etwas von der Community für die Community und ich spreche einfach meine Realität an. Mir geht es wirklich darum, dass ich empowere – also für die Leute spreche, die davon betroffen sind, und eben nicht die ganze Zeit gegen die zu sprechen, die überhaupt der Grund dafür sind, dass man betroffen ist. Ich mache lieber etwas für die Leute und das sehe ich als meine Aufgabe, weil ich mit der Musik die Möglichkeit habe, etwas sehr Direktes zu machen. Rap ist ein Instrument, mit dem du fast schon Slogan-artige Dinge bringen kannst, die einen Demo-Charakter haben können.
MZEE.com: Genau daher stammt Rap ja auch: Man wollte auf Missstände aufmerksam machen und kritisch hinterfragen. Ich benutze bewusst die Vergangenheitsform, weil es heute eben nicht mehr ausschließlich kritisch ist und auch mal "nur" unterhält.
Ebow: Voll!
MZEE.com: Findest du denn, dass Rap politisch sein sollte?
Ebow: Nein, aber alles, was wir machen, ist politisch. Wenn RIN davon rappt, dass er sich etwas von Chanel kauft, dann redet er auch von seiner Generation. Und es ist ebenfalls die Realität, dass 14-jährige Kids vor einem Nike-Store schlafen, um einen limitierten Sneaker zu bekommen. Alles, was wir sagen oder machen, ist einfach in gewisser Art und Weise politisch. Klar, mein Rap ist noch mal expliziter, aber das habe ich mir so ausgesucht – ich benutze das Medium Rap so.
MZEE.com: Siehst du diese Verantwortung bei jeder rappenden Frau oder muss die Idee, anderen ein Vorbild zu sein, auf einer bewussten Entscheidung basieren?
Ebow: Jede rappende Frau sollte so sein, wie sie wirklich ist. Natürlich gibt es auch welche, die damit unreflektierter umgehen. Aber was ich wirklich schade finde, ist, dass viele Rapperinnen aus einem männerdominierten Umfeld kommen. Darin sind sie die einzige Frau und haben gar nicht die Möglichkeit, zu reflektieren, für was sie stehen oder was sie machen. Wahrscheinlich, weil Dinge, die aus diesem männlichen Blickwinkel gut wirken, einfach angenommen werden. Ich habe zum Beispiel mal einen Kommentar von Haiyti gehört, in dem sie erklärt, dass es nicht so viele rappende Frauen gibt, weil sie sich nicht so sehr anstrengen und ihren Hintern nicht hochbekommen. Da fiel mir direkt ein, dass sie nur so denken kann, weil sie noch nie reflektiert hat, wie systematisch das in der Musikindustrie abläuft oder wie man als Mädchen zu HipHop kommt und sich eben traut, auf einer Bühne zu stehen. Es fließen einfach so viele Dinge mit ein und wir sind in einem Prozess, in dem wir das lernen. Manche früher, andere später, aber das Wichtigste ist, dass Rapperinnen das verkörpern, was sie sind. Dafür feiere ich eine Schwesta Ewa oder eine Nura zum Beispiel. Ich denke, die Leute spüren es, wenn man ein Produkt ist – das funktioniert dann einfach nicht.
MZEE.com: Zum Thema Authentizität und Empowerment würde ich gerne noch kurz anfügen, dass du Missy Elliott als einen deiner großen Einflüsse nennst. Was genau fasziniert dich an ihr?
Ebow: Missy Elliott hat mich krass beeinflusst, weil sie nicht die typische Frau war, die es im US-Rap damals gab, wie zum Beispiel eine Lil' Kim oder Foxy Brown. Ich habe diese Künstlerinnen auch gefeiert, aber Missy kam einfach mit ihrem eigenen Style und hat sich Sachen getraut, die sich andere eben nicht getraut haben. Man hat gemerkt, dass diese Person Spaß an der Musik hat und es nicht um Coolness geht oder darum, Leute zu beeindrucken. Es war cool, weil sie nicht versucht hat, cool zu sein, sondern ihr eigenes Ding gemacht hat. Sie hat einen Track einfach rückwärts gerappt. Oder auch die Visualisierung ihrer Videos – ich achte sehr auf die Umsetzung von sowas. Das hat mich einfach geflasht! Da hast du eine Frau, die voll confident mit ihrem Körper ist, obwohl dieser nicht dem allgemeinen Bild von einem weiblichen Körper entspricht. Und sie rockt es einfach krass! (lächelt) Außerdem hat sie dieses Sisterhood-Ding total ernst genommen, das siehst du daran, wo sie überall mitgewirkt hat oder für wen sie geschrieben hat. Sie hat einfach so viele andere Frauen im Business empowert und ihnen eine Plattform gegeben. Das ist etwas, das ich mir sehr zu Herzen nehme.
MZEE.com: Interessanterweise ist Missy Elliott schon seit Mitte der 90er-Jahre so – sie entspricht keinem typischen Frauenbild und es hat trotzdem funktioniert. Schade, dass das bei uns noch nicht angekommen ist.
Ebow: Voll! Das ist das, was ich meine: Wir sind eigentlich so weit zurück, wenn wir uns darüber freuen, dass es weibliche Rapper gibt. Dabei ist es nicht mal etwas, dem man applaudieren sollte.
MZEE.com: Wir würden gerne mit dir über dein aktuelles Album "K4L" sprechen, welches sich laut dem Pressetext Gemeinsamkeiten widmen soll. Was kann sich deine Hörerschaft darunter vorstellen?
Ebow: Es ging mir sehr stark darum, dass ich von dem wegkomme, was uns allen gerade eingeredet wird: "Die Welt ist scheiße, deshalb konzentrier dich auf dich selbst, mach ganz viel Self-Care, hol dir Gesichtsmasken und schau, dass es dir gut geht." Im Vordergrund steht bei mir, solidarisch miteinander zu sein. Es geht auf mehreren Tracks des Albums um den Community-Gedanken. "K4L" beispielsweise behandelt diese Kanak-Community, "Schmeck mein Blut" beschäftigt sich mit dem Zelebrieren der Weiblichkeit und "Slang" dreht sich um den kleineren Mikrokosmos, die Freunde und auch andere Rapperinnen, die um einen selbst herum sind. Mir war es wichtig, für diese verschiedenen Communities, aus denen ich komme und von denen ich ein Teil bin, Hymnen zu machen. Ich hatte den Anspruch, Songs für uns zu machen, bei denen man sich denkt: "Ey, das ist unser Lied, wir halten zusammen!" Außerdem war es mir sehr wichtig, von dem Gedanken wegzukommen, dass jemand allein das Genie ist, das hinter all diesen Dingen steckt. Letztendlich sind wir alle Produkte von dem, das uns umgibt – unseren Familien, Communities, Freunden und generell allen möglichen Gemeinschaften, in denen wir uns aufhalten. Ich finde es schade, dass es im HipHop sehr stark darum geht, wer der Krasseste ist.
MZEE.com: Du hast gesagt, dass es in deiner Musik keinen Platz für Hass gibt und Tracks wie "Asyl" eher für Migranten als gegen rechts gedacht waren. Der Titeltrack der neuen Platte scheint aber nun in beide Richtungen zu schlagen. Er positioniert sich neben der positiven Einstellung gegen rechtes Gedankengut. Hat sich dein Fokus in dieser Hinsicht in den letzten Jahren verschoben?
Ebow: Ehrlich gesagt ist es nicht der Anspruch gewesen, dass ich beispielsweise diese Polizeigewalt, die im Video zum Track vorkommt, darstelle, um zu zeigen, dass es Polizeigewalt gibt. Die Leute, die den Song fühlen und davon betroffen sind, wissen, dass es das gibt. Es geht darum, die Realität widerzuspiegeln. Natürlich geht das irgendwo auch Hand in Hand. Während mich der Typ im Video runterdrückt, habe ich auch ein T-Shirt von Enver Şimşek (Anm. der Redaktion: erstes Mordopfer des NSU) an. Es ist ein Teil der Realität, dass wir vom Rechtsstaat nicht geschützt werden. Wir sind nicht gleichgestellt, egal, ob wir einen deutschen Pass haben oder nicht.
MZEE.com: Gibt es eine Situation, die dir im Kopf geblieben ist und in der du sehr unfair behandelt wurdest?
Ebow: Ey, end oft! Aber das Stärkste, das mir im Kopf geblieben ist, ist ein Ereignis, das mit meiner Mama zusammen passiert ist. Und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb es mir so gut in Erinnerung geblieben ist. Wenn ich allein betroffen war, hatte ich relativ schnell eine Egal-Haltung. Aber die Eltern zu sehen, die darunter leiden, ist etwas ganz anderes. Wir hatten eine Nachbarin, die uns ganz stark bedroht hat und die leider psychische Probleme hatte, was man der Frau auch nicht übel nehmen kann. Sie hat uns angezeigt, weil wir sie angeblich bedroht hätten. Wir hatten die ganze Zeit diesen psychischen Druck und irgendwann meinte ich zu meiner Mama, dass wir mal zur Polizei gehen sollten, um mit denen zu reden. Wir mussten allerdings sowieso zur Polizei, weil ich auch eine Anzeige von unserer Nachbarin bekommen hatte. Da kamen sogar Polizisten direkt zu uns nach Hause, um mir diese Anzeige zu schildern. Wir sind also zur Polizei gegangen und wollten den ganzen Sachverhalt erklären, aber das Deutsch meiner Mama ist an manchen Stellen einfach gebrochen, obwohl sie es fließend sprechen kann. Sie versucht, den Polizisten die Situation zu erklären. Und alles, was die machen, ist uns auszulachen und zu sagen, dass die Beamten von der Dienststelle, die bei uns zu Hause waren und sich uns unter dieser Bezeichnung auch so vorgestellt haben, nicht existieren und was wir überhaupt wollen würden. Wir haben denen alles sachlich erklärt und dann mitbekommen, dass unsere Nachbarin denen bekannt ist, aber das alles war denen einfach scheißegal. Ich habe dann meiner Mama gesagt, dass die uns eh nicht helfen werden und wir gehen sollten. Das hat mich richtig gebrochen! Ich war mit dem Menschen, den ich am meisten liebe, bei der Polizei, weil wir ein Problem hatten und musste sehen, wie die Polizei meine Mama einfach nur belächelt, sie auslacht und ihr nicht hilft. Das tut einfach noch mal mehr weh, als wenn es einen selbst betrifft – dann steckt man es einfach weg.
MZEE.com: Gerade bei den eigenen Eltern gibt es einem ein ganz anderes Gefühl. Empfindest du es denn als wichtig, kulturelle und traditionelle Besonderheiten, mit besonders viel Stolz nach außen zu tragen? Gerade in der aktuellen Zeit, in der sich auf der anderen Seite der Rassismus immer weiter in ein salonfähiges Hemd zwängt.
Ebow: (überlegt) Ich finde es wichtig. Nicht, weil ich nationalistisch oder superstolz wäre. Aber ich denke, dass es so besser ist. Ich sage das auch nicht wertend. Ich bin Kurdin aus der Türkei, spreche meine eigene Muttersprache nicht, weil wir so extrem assimiliert worden sind, dass meine Eltern sie zwar sprechen, aber Türkisch besser beherrschen und ich bin in Deutschland geboren worden. Meine Großtante ist letztes Jahr verstorben, sie hat nur Kurdisch sprechen können und ich konnte mich nie mit ihr unterhalten. Dass wir so assimiliert worden sind, bedeutet für mich, dass ich mich mit jemandem aus meiner eigenen Familie nicht unterhalten konnte. Ich werde nie wissen, was für Storys sie mir erzählt oder was sie mir mitgegeben hätte. Deshalb ist es mir wichtig, solchen kulturellen Dingen eine Bedeutung zu geben und mich damit zu beschäftigen. Natürlich könnte man sagen, dass wir alle Weltbürger sind, aber das ist nicht die Realität, denn wir werden nicht alle gleich behandelt. Ich glaube, die Aussage, dass wir alle eins sind und alles vergessen sollten, kommt von Leuten, die das Privileg haben, so zu denken.
MZEE.com: Auf deiner Singleauskopplung "Schmeck mein Blut" bezeichnest du dich als "Wiens neue Sissi, Berlins neue Dietrich". Siehst du zwischen dir und den beiden tatsächlich Parallelen? Und wo unterscheidest du dich wiederum am deutlichsten von ihnen?
Ebow: (grinst) Sissi ist halt eine der wichtigsten Frauen in Wien, du kommst nicht an ihr vorbei und bei Marlene Dietrich fand ich es passend, weil sie auch ursprünglich aus Berlin ist. Ich fand's einfach witzig und cool, weil ich die ganze Zeit zwischen diesen beiden Städten pendle. Beide Orte sind gerade musikalisch superinteressant und ich würde sogar behaupten, dass Wien aktuell interessanter ist, weil da gerade Musik rauskommt, die eine gewisse Fuck off-Einstellung hat und dadurch neue Sachen entstehen.
MZEE.com: Merkst du spürbare Unterschiede im Hinblick auf die politische Stimmung in Berlin und Wien?
Ebow: Ja, obwohl Berlin in den letzten Jahren schon viel radikaler geworden ist. Als ich nach Wien gezogen bin, habe ich bereits in den ersten paar Wochen gemerkt, dass sich dort niemand das Privileg herausnimmt, apolitisch zu sein. Dabei ist es ganz egal, ob du österreichischer Österreicher bist oder deine Familie dahin immigriert ist und du nun österreichisch bist. Man trägt einfach diese Verantwortung. Dazu muss man sagen, dass die Österreicher den zweiten Weltkrieg gar nicht so krass aufgearbeitet haben wie wir in Deutschland. Davon würde man gar nicht ausgehen, oder? Die sehen sich eher als Opfer des Zweiten Weltkriegs. Sprich: Den Leuten, die in meinem Alter sind, wurde in der Schulzeit gar nicht so eingetrichtert, dass Scheiße passiert ist und wir unsere Geschichte aufarbeiten müssen. Dafür sind die dort megapolitisch! Deshalb entstehen solche Sachen wie die "Burschenschaft Hysteria" oder die Donnerstagsdemos, die immer noch megavoll sind. Es ist kein Trend dort, politisch zu sein, sondern die Leute sind es einfach. Es gibt keinen Smalltalk, wie wir ihn kennen, selbst da fließen politische Themen mit ein und das hast du eben nicht so oft in deutschsprachigen Städten. In München juckt es gefühlt niemanden, obwohl da megaviel schiefläuft und viel Rassismus herrscht. Es ist so normalisiert, dass sich die Leute eher damit zufrieden geben, dass sie gut verdienen und in einer schönen Stadt wohnen, als ihr Maul aufzureißen.
MZEE.com: Mir war nicht bekannt, dass die Österreicher diesen Teil der Weltgeschichte nicht so aufarbeiten. Seltsam auch, wenn man bedenkt, dass Österreich bei beiden Weltkriegen eine indirekte oder direkte Rolle gespielt hat und gerade der erste durch die Monarchie Österreich-Ungarn ausgelöst wurde.
Ebow: Das hat man auch nicht so im Blick. Für mich war es immer logisch, dass man das tut. Aber für die Österreicher irgendwie nicht, weil sie sich eher als Opfer des Zweiten Weltkriegs sehen.
MZEE.com: Kommen wir noch mal auf deine Musik zurück: Die beiden angesprochenen Titel "Schmeck mein Blut" und "K4L" unterscheiden sich stilistisch sehr stark – hast du auf dem neuen Album denn generell einen roten Faden hinsichtlich des Soundbilds?
Ebow: Ich habe dieses Mal das Album komplett von meinem Produzenten Walter p99 Arke$tra machen lassen, der auch Teil meiner Band Gaddafi Gals ist. Er macht Sachen, die in die Richtung Memphis Soul und Funk gehen, aber bei einigen Tracks wie "Schmeck mein Blut" habe ich ihm gezielt gesagt, welche Elemente ich gerne drin hätte. Er hat daraus dann sein eigenes Ding gemacht und es war dadurch ein gegenseitiges Geben und Nehmen, was den Sound angeht. Du findest aber auch, dass es visuell stark auseinander geht?
MZEE.com: Eher stilistisch, wie du rappst und den Inhalt präsentierst.
Ebow: Auf jeden Fall, aber da mache ich das, worauf ich Bock habe. Ich denke mir nicht, dass sich mein Album so und so anhören muss. Ich lass' mich auf die Beats ein oder ich komme mit Sachen um die Ecke, auf die ich Bock habe. Auf dem Album sind auch viele R'n'B-lastige Nummern, was ich früher nicht gemacht hätte. Ich hätte mir Gedanken darüber gemacht, dass da doch viel Gesungenes ist und wie ich das dann live rüberbringe. Mittlerweile weiß ich: Ey, das ist mein Album und ich will Spaß daran haben.
MZEE.com: Während unserer Recherche ist uns aufgefallen, wie viel Anerkennung du inzwischen innerhalb der Szene bekommst – egal, ob von anderen Musikern oder Journalisten. Deshalb würden wir gerne zum Abschluss unseres Gesprächs von dir wissen, was deine Ziele innerhalb der Rapszene für die nächsten fünf Jahre sind.
Ebow: Mir ist wichtig, dass ich im deutschsprachigen Raum die relevanteste Rapperin werde. Mir geht es nicht darum, den meisten Fame zu haben oder YouTube-Rekorde zu knacken. Ich will einfach nie die Relevanz verlieren. Das hat M.I.A. (Anm. der Redaktion: englische Rapperin und Aktivistin) auch in ihrer Doku "MATANGI / MAYA / M.I.A." gesagt und ich finde, das trifft es voll gut. Sie meinte, dass du dir nie deine Relevanz nehmen lassen darfst, weil man dich dann nicht mehr hören wird. Vor allem, weil ich Musik mache, mit der ich empowern will und den Hörern was mitgeben mag, möchte ich dafür sorgen, dass die Leute das auf dem Schirm haben und wissen, dass es da jemanden mit einer Message gibt, der etwas zu sagen hat. Ganz egal, ob das die Süddeutsche Zeitung ist oder ihr.
(Laila Drewes und Jens Paepke)
(Fotos von zombienanny)