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Interview

Ebow

"Es ist ein Teil der Rea­li­tät, dass wir vom Rechts­staat nicht geschützt wer­den. Wir sind nicht gleich­ge­stellt, egal, ob wir einen deut­schen Pass haben oder nicht." – Ebow im Inter­view über Ras­sis­mus, Empower­ment und ihr neu­es Album "K4L".

Wer sich mit Ebow aus­ein­an­der­setzt, wird anhand der Klang­äs­the­tik und der Inhal­te direkt bemer­ken, dass sich ihre Musik deut­lich vom aktu­el­len Deutschrap-​Kosmos abgrenzt. Obwohl die gebür­ti­ge Münch­ne­rin im März mit "K4L" bereits ihr drit­tes Solo­al­bum ver­öf­fent­lich­te, scheint sie für die brei­te Mas­se noch ein unbe­schrie­be­nes Blatt zu sein. Auch wenn die Songs der Rap­pe­rin bis­her kei­ne Strea­min­g­re­kor­de bre­chen, erhält das aktu­el­le Release über­aus posi­ti­ve Reso­nanz: Nach­dem Ebow bereits die Titel­blät­ter ver­schie­de­ner Zeit­schrif­ten zier­te, wur­de sie mit dem Münch­ner För­der­preis für Musik für künst­le­risch her­aus­ra­gen­de Leis­tun­gen aus­ge­zeich­net. Aus aktu­el­lem Anlass spra­chen wir mit ihr über die Ent­wick­lung der weib­li­chen Rap­sze­ne und den Gedan­ken eines femi­nis­ti­schen Empowerm­ents. Ebow berich­te­te außer­dem über den Sound von "Kanak4Life" – so der aus­ge­schrie­be­ne Titel des Albums – und gab uns einen Ein­blick in ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen mit Rassismus.

MZEE​.com: Zu Beginn wür­den wir ger­ne einen Blick in die Ver­gan­gen­heit wer­fen: Wir haben uns Ende 2017 zum Inter­view getrof­fen und dar­über gespro­chen, dass Frau­en in der Rap­sze­ne immer noch einen gewis­sen "Exo­ten­sta­tus" zu haben schei­nen. Anfang 2019 releasen nun neben dir auch Juju und Nura, Yas­mo und Press­luft­han­na. Denkst du, dass der "Exo­ten­sta­tus" für rap­pen­de Frau­en bald aus­ge­dient hat?

Ebow: Ich bin megafroh, dass es Leu­te wie Nura, Juju, Lore­da­na oder auch Shirin David, die den YouTube-​Rekord geknackt hat, gibt. Das ist ein Fort­schritt, wenn man auf 2017 zurück­blickt. Ich habe aller­dings das Gefühl, dass der gan­ze Dis­kurs des Femi­nis­mus kom­mer­zia­li­siert wird und es jetzt eben Trend ist. Da fra­ge ich mich, was sein wird, wenn es in zwei bis drei Jah­ren nicht mehr cool ist, femi­nis­ti­sche Debat­ten zu füh­ren, oder H&M kei­ne T-​Shirts mehr ver­kauft, auf denen "Girl Power" steht. Wer­den die­se Frau­en dann immer noch gepusht? Ist es dann wei­ter­hin ein The­ma? Ich fin­de auch, dass auf den Major Labels noch immer zu weni­ge Frau­en ver­tre­ten sind, die nicht dem all­ge­mei­nen Schön­heits­ide­al ent­spre­chen. Die­se Frau­en soll­ten die­sel­be Auf­merk­sam­keit bekom­men wie jene, die im All­ge­mei­nen als schön bezie­hungs­wei­se sexy gel­ten oder eben etwas ver­kör­pern, das die männ­li­chen Kon­su­men­ten anzie­hend fin­den. Wir bräuch­ten viel mehr Frau­en, die ande­re Kör­per­for­men haben, ein­fach anders aus­se­hen und auch ande­re Sto­rys zu erzäh­len haben.

MZEE​.com: Und que­er sind.

Ebow: Ja, genau! Wir brau­chen auch Transgender-​People, ein­fach viel mehr Diver­si­tät. Es kann im Jahr 2019 nicht der Anspruch sein, dass wir sagen: "Hey, wir haben jetzt auch Frau­en, die rap­pen!" Ja, wir haben super­vie­le schö­ne Frau­en, die rap­pen, und das ist cool, denn wir haben einen Schritt nach vor­ne gemacht. Ich wür­de aller­dings nicht behaup­ten, dass es jetzt gesi­chert ist, dass wir an die­sem Punkt wei­ter­ma­chen. Hof­fent­lich kom­men in den nächs­ten Jah­ren noch mehr Rap­pe­rin­nen. Aber ich stel­le mir häu­fig die Fra­ge, was wohl pas­sie­ren wird, wenn es eben nicht mehr "in" ist.

MZEE​.com: Glaubst du denn, dass das pas­sie­ren wird?

Ebow: Ich glau­be, dass sowas in ande­ren künst­le­ri­schen Berei­chen pas­siert wie bei­spiels­wei­se in der Performance-​Kunst und den bil­den­den Küns­ten. Dort wird es gepusht, wenn du eine Künst­le­rin bist und Wer­ke machst, die die­sen Fokus haben. Freun­din­nen von mir, die Künst­le­rin­nen sind, stel­len sich ernst­haft die­se Fra­ge, weil Gale­rien gera­de auf die­sen Zug auf­sprin­gen. Genau­so ist es bei Boo­kern von Fes­ti­vals, denn wir sind als weib­li­che Künst­le­rin­nen sehr davon abhän­gig, wer uns bucht und wel­che Labels auf uns auf­merk­sam wer­den. Gera­de habe ich das Gefühl, dass dar­auf geach­tet wird, Diver­si­tät rein­zu­brin­gen, aber viel­leicht auch nur, weil der gesell­schaft­li­che Druck so groß ist. Ich glau­be schon, dass das nach ein paar Jah­ren an Rele­vanz ver­lie­ren wird.

MZEE​.com: Musik wird oft vor dem Hin­ter­grund von her­vor­ste­chen­den Merk­ma­len eines Künst­lers bewer­tet. In Kom­men­tar­spal­ten steht bei­spiels­wei­se, dass ein Artist "für eine Frau" oder "für ein Kind" gut rap­pe. Fin­dest du, dass die Musik durch sol­che Rela­ti­vie­run­gen abge­wer­tet wird?

Ebow: Auf jeden Fall! Die­ser Satz "für eine Frau rappt sie gut" ist ja schon sexis­tisch, weil er impli­ziert, dass man davon aus­geht, Frau­en könn­ten nicht gut rap­pen. Das gilt ja auch für das The­ma Ras­sis­mus, wenn jemand sagt: "Sie spricht gut Deutsch für eine Tür­kin." Das bedeu­tet näm­lich, dass auf­grund der Her­kunft davon aus­ge­gan­gen wird, man wür­de kein gutes Deutsch spre­chen. Sol­che Sät­ze sind ja in sich schon falsch und dar­an kön­nen wir Musik nicht bewerten.

MZEE​.com: Braucht es eher ein gro­ßes Kate­go­ri­en­sys­tem, in dem man nicht durch äußer­li­che oder gesetz­te Merk­ma­le ein­ge­ord­net wird?

Ebow: Defi­ni­tiv, denn gute Musik ist gute Musik. Wie sehr wirkt es sich aus, wie alt die Per­son ist oder was für ein Geschlecht sie hat? Gar nicht. Das ist das Schö­ne an Musik: Sie soll berüh­ren oder bewe­gen, ohne dass man den Kon­text ken­nen muss.

MZEE​.com: Man merkt ja an sol­chen Kom­men­ta­ren schon, dass es sich um Schub­la­den­den­ken han­delt und das Ober­fläch­li­che oder Äußer­li­che als wich­ti­ger ange­se­hen wird.

Ebow: Ich wür­de die Aus­sa­gen "für eine Frau rappt die Per­son gut" und "für das Alter rappt die Per­son gut" aller­dings von­ein­an­der tren­nen. Denn jeman­dem zu sagen, dass er für sein Alter schon sehr weit fort­ge­schrit­ten ist, ist ja noch mal etwas ande­res. Die Per­son muss­te sich ja das Wis­sen und die Skills aneig­nen, wofür man eigent­lich mehr Zeit braucht. Wenn man sagt, dass eine 16-​jährige Per­son gut rappt, dann gehen wir ja davon aus, dass sie genau­so gut rappt wie ein 34-​Jähriger, und da wird eher auf die Zeit ein­ge­gan­gen. Wenn man aller­dings in Frau­en und Män­ner unter­teilt, ist es nur auf das Geschlecht bezogen.

MZEE​.com: Fin­dest du wirk­lich, dass das Alter dar­auf hin­weist, wie viel Erfah­rung man als Künst­ler hat? Wenn jemand sich mit 30 Jah­ren dazu ent­schei­det, zu rap­pen, und mit 32 sein ers­tes Album releast, dann hat er ja genau­so viel prak­ti­sche Erfah­rung wie ein 14-​Jähriger, der mit 16 etwas veröffentlicht.

Ebow: Im Nor­mal­fall geht man aber ja davon aus, dass jemand schon län­ger Musik macht, und wenn die­se sehr gut ist, dann denkt man, dass jemand viel Erfah­rung hat.

MZEE​.com: Dei­ne Musik ist und war ja auch immer als ein gewis­ses Empower­ment in die­se Rich­tung gedacht. Tracks wie "Puna­ni Power" vom letz­ten Album haben genau die­ses alte, kli­schee­haf­te Bild kri­ti­siert. Siehst du dich in einer gewis­sen Ver­ant­wor­tung, Frau­en dazu zu moti­vie­ren, zum Mic zu greifen?

Ebow: Ich glau­be, das ist eines der wich­tigs­ten Din­ge für mich im Hip­Hop. Rap ist etwas von der Com­mu­ni­ty für die Com­mu­ni­ty und ich spre­che ein­fach mei­ne Rea­li­tät an. Mir geht es wirk­lich dar­um, dass ich empowe­re – also für die Leu­te spre­che, die davon betrof­fen sind, und eben nicht die gan­ze Zeit gegen die zu spre­chen, die über­haupt der Grund dafür sind, dass man betrof­fen ist. Ich mache lie­ber etwas für die Leu­te und das sehe ich als mei­ne Auf­ga­be, weil ich mit der Musik die Mög­lich­keit habe, etwas sehr Direk­tes zu machen. Rap ist ein Instru­ment, mit dem du fast schon Slogan-​artige Din­ge brin­gen kannst, die einen Demo-​Charakter haben können.

MZEE​.com: Genau daher stammt Rap ja auch: Man woll­te auf Miss­stän­de auf­merk­sam machen und kri­tisch hin­ter­fra­gen. Ich benut­ze bewusst die Ver­gan­gen­heits­form, weil es heu­te eben nicht mehr aus­schließ­lich kri­tisch ist und auch mal "nur" unterhält.

Ebow: Voll!

MZEE​.com: Fin­dest du denn, dass Rap poli­tisch sein sollte?

Ebow: Nein, aber alles, was wir machen, ist poli­tisch. Wenn RIN davon rappt, dass er sich etwas von Cha­nel kauft, dann redet er auch von sei­ner Gene­ra­ti­on. Und es ist eben­falls die Rea­li­tät, dass 14-​jährige Kids vor einem Nike-​Store schla­fen, um einen limi­tier­ten Snea­k­er zu bekom­men. Alles, was wir sagen oder machen, ist ein­fach in gewis­ser Art und Wei­se poli­tisch. Klar, mein Rap ist noch mal expli­zi­ter, aber das habe ich mir so aus­ge­sucht – ich benut­ze das Medi­um Rap so.

MZEE​.com: Siehst du die­se Ver­ant­wor­tung bei jeder rap­pen­den Frau oder muss die Idee, ande­ren ein Vor­bild zu sein, auf einer bewuss­ten Ent­schei­dung basieren?

Ebow: Jede rap­pen­de Frau soll­te so sein, wie sie wirk­lich ist. Natür­lich gibt es auch wel­che, die damit unre­flek­tier­ter umge­hen. Aber was ich wirk­lich scha­de fin­de, ist, dass vie­le Rap­pe­rin­nen aus einem män­ner­do­mi­nier­ten Umfeld kom­men. Dar­in sind sie die ein­zi­ge Frau und haben gar nicht die Mög­lich­keit, zu reflek­tie­ren, für was sie ste­hen oder was sie machen. Wahr­schein­lich, weil Din­ge, die aus die­sem männ­li­chen Blick­win­kel gut wir­ken, ein­fach ange­nom­men wer­den. Ich habe zum Bei­spiel mal einen Kom­men­tar von Hai­y­ti gehört, in dem sie erklärt, dass es nicht so vie­le rap­pen­de Frau­en gibt, weil sie sich nicht so sehr anstren­gen und ihren Hin­tern nicht hoch­be­kom­men. Da fiel mir direkt ein, dass sie nur so den­ken kann, weil sie noch nie reflek­tiert hat, wie sys­te­ma­tisch das in der Musik­in­dus­trie abläuft oder wie man als Mäd­chen zu Hip­Hop kommt und sich eben traut, auf einer Büh­ne zu ste­hen. Es flie­ßen ein­fach so vie­le Din­ge mit ein und wir sind in einem Pro­zess, in dem wir das ler­nen. Man­che frü­her, ande­re spä­ter, aber das Wich­tigs­te ist, dass Rap­pe­rin­nen das ver­kör­pern, was sie sind. Dafür feie­re ich eine Schwesta Ewa oder eine Nura zum Bei­spiel. Ich den­ke, die Leu­te spü­ren es, wenn man ein Pro­dukt ist – das funk­tio­niert dann ein­fach nicht.

MZEE​.com: Zum The­ma Authen­ti­zi­tät und Empower­ment wür­de ich ger­ne noch kurz anfü­gen, dass du Mis­sy Elliott als einen dei­ner gro­ßen Ein­flüs­se nennst. Was genau fas­zi­niert dich an ihr?

Ebow: Mis­sy Elliott hat mich krass beein­flusst, weil sie nicht die typi­sche Frau war, die es im US-​Rap damals gab, wie zum Bei­spiel eine Lil' Kim oder Foxy Brown. Ich habe die­se Künst­le­rin­nen auch gefei­ert, aber Mis­sy kam ein­fach mit ihrem eige­nen Style und hat sich Sachen getraut, die sich ande­re eben nicht getraut haben. Man hat gemerkt, dass die­se Per­son Spaß an der Musik hat und es nicht um Cool­ness geht oder dar­um, Leu­te zu beein­dru­cken. Es war cool, weil sie nicht ver­sucht hat, cool zu sein, son­dern ihr eige­nes Ding gemacht hat. Sie hat einen Track ein­fach rück­wärts gerappt. Oder auch die Visua­li­sie­rung ihrer Vide­os – ich ach­te sehr auf die Umset­zung von sowas. Das hat mich ein­fach geflasht! Da hast du eine Frau, die voll con­fi­dent mit ihrem Kör­per ist, obwohl die­ser nicht dem all­ge­mei­nen Bild von einem weib­li­chen Kör­per ent­spricht. Und sie rockt es ein­fach krass! (lächelt) Außer­dem hat sie die­ses Sisterhood-​Ding total ernst genom­men, das siehst du dar­an, wo sie über­all mit­ge­wirkt hat oder für wen sie geschrie­ben hat. Sie hat ein­fach so vie­le ande­re Frau­en im Busi­ness empowert und ihnen eine Platt­form gege­ben. Das ist etwas, das ich mir sehr zu Her­zen nehme.

MZEE​.com: Inter­es­san­ter­wei­se ist Mis­sy Elliott schon seit Mit­te der 90er-​Jahre so – sie ent­spricht kei­nem typi­schen Frau­en­bild und es hat trotz­dem funk­tio­niert. Scha­de, dass das bei uns noch nicht ange­kom­men ist.

Ebow: Voll! Das ist das, was ich mei­ne: Wir sind eigent­lich so weit zurück, wenn wir uns dar­über freu­en, dass es weib­li­che Rap­per gibt. Dabei ist es nicht mal etwas, dem man applau­die­ren sollte.

MZEE​.com: Wir wür­den ger­ne mit dir über dein aktu­el­les Album "K4L" spre­chen, wel­ches sich laut dem Pres­se­text Gemein­sam­kei­ten wid­men soll. Was kann sich dei­ne Hörer­schaft dar­un­ter vorstellen?

Ebow: Es ging mir sehr stark dar­um, dass ich von dem weg­kom­me, was uns allen gera­de ein­ge­re­det wird: "Die Welt ist schei­ße, des­halb kon­zen­trier dich auf dich selbst, mach ganz viel Self-​Care, hol dir Gesichts­mas­ken und schau, dass es dir gut geht." Im Vor­der­grund steht bei mir, soli­da­risch mit­ein­an­der zu sein. Es geht auf meh­re­ren Tracks des Albums um den Community-​Gedanken. "K4L" bei­spiels­wei­se behan­delt die­se Kanak-​Community, "Schmeck mein Blut" beschäf­tigt sich mit dem Zele­brie­ren der Weib­lich­keit und "Slang" dreht sich um den klei­ne­ren Mikro­kos­mos, die Freun­de und auch ande­re Rap­pe­rin­nen, die um einen selbst her­um sind. Mir war es wich­tig, für die­se ver­schie­de­nen Com­mu­ni­ties, aus denen ich kom­me und von denen ich ein Teil bin, Hym­nen zu machen. Ich hat­te den Anspruch, Songs für uns zu machen, bei denen man sich denkt: "Ey, das ist unser Lied, wir hal­ten zusam­men!" Außer­dem war es mir sehr wich­tig, von dem Gedan­ken weg­zu­kom­men, dass jemand allein das Genie ist, das hin­ter all die­sen Din­gen steckt. Letzt­end­lich sind wir alle Pro­duk­te von dem, das uns umgibt – unse­ren Fami­li­en, Com­mu­ni­ties, Freun­den und gene­rell allen mög­li­chen Gemein­schaf­ten, in denen wir uns auf­hal­ten. Ich fin­de es scha­de, dass es im Hip­Hop sehr stark dar­um geht, wer der Kras­ses­te ist.

MZEE​.com: Du hast gesagt, dass es in dei­ner Musik kei­nen Platz für Hass gibt und Tracks wie "Asyl" eher für Migran­ten als gegen rechts gedacht waren. Der Titel­track der neu­en Plat­te scheint aber nun in bei­de Rich­tun­gen zu schla­gen. Er posi­tio­niert sich neben der posi­ti­ven Ein­stel­lung gegen rech­tes Gedan­ken­gut. Hat sich dein Fokus in die­ser Hin­sicht in den letz­ten Jah­ren verschoben?

Ebow: Ehr­lich gesagt ist es nicht der Anspruch gewe­sen, dass ich bei­spiels­wei­se die­se Poli­zei­ge­walt, die im Video zum Track vor­kommt, dar­stel­le, um zu zei­gen, dass es Poli­zei­ge­walt gibt. Die Leu­te, die den Song füh­len und davon betrof­fen sind, wis­sen, dass es das gibt. Es geht dar­um, die Rea­li­tät wider­zu­spie­geln. Natür­lich geht das irgend­wo auch Hand in Hand. Wäh­rend mich der Typ im Video run­ter­drückt, habe ich auch ein T-​Shirt von Enver Şimşek (Anm. der Redak­ti­on: ers­tes Mord­op­fer des NSU) an. Es ist ein Teil der Rea­li­tät, dass wir vom Rechts­staat nicht geschützt wer­den. Wir sind nicht gleich­ge­stellt, egal, ob wir einen deut­schen Pass haben oder nicht.

MZEE​.com: Gibt es eine Situa­ti­on, die dir im Kopf geblie­ben ist und in der du sehr unfair behan­delt wurdest?

Ebow: Ey, end oft! Aber das Stärks­te, das mir im Kopf geblie­ben ist, ist ein Ereig­nis, das mit mei­ner Mama zusam­men pas­siert ist. Und ich glau­be, das ist auch der Grund, wes­halb es mir so gut in Erin­ne­rung geblie­ben ist. Wenn ich allein betrof­fen war, hat­te ich rela­tiv schnell eine Egal-​Haltung. Aber die Eltern zu sehen, die dar­un­ter lei­den, ist etwas ganz ande­res. Wir hat­ten eine Nach­ba­rin, die uns ganz stark bedroht hat und die lei­der psy­chi­sche Pro­ble­me hat­te, was man der Frau auch nicht übel neh­men kann. Sie hat uns ange­zeigt, weil wir sie angeb­lich bedroht hät­ten. Wir hat­ten die gan­ze Zeit die­sen psy­chi­schen Druck und irgend­wann mein­te ich zu mei­ner Mama, dass wir mal zur Poli­zei gehen soll­ten, um mit denen zu reden. Wir muss­ten aller­dings sowie­so zur Poli­zei, weil ich auch eine Anzei­ge von unse­rer Nach­ba­rin bekom­men hat­te. Da kamen sogar Poli­zis­ten direkt zu uns nach Hau­se, um mir die­se Anzei­ge zu schil­dern. Wir sind also zur Poli­zei gegan­gen und woll­ten den gan­zen Sach­ver­halt erklä­ren, aber das Deutsch mei­ner Mama ist an man­chen Stel­len ein­fach gebro­chen, obwohl sie es flie­ßend spre­chen kann. Sie ver­sucht, den Poli­zis­ten die Situa­ti­on zu erklä­ren. Und alles, was die machen, ist uns aus­zu­la­chen und zu sagen, dass die Beam­ten von der Dienst­stel­le, die bei uns zu Hau­se waren und sich uns unter die­ser Bezeich­nung auch so vor­ge­stellt haben, nicht exis­tie­ren und was wir über­haupt wol­len wür­den. Wir haben denen alles sach­lich erklärt und dann mit­be­kom­men, dass unse­re Nach­ba­rin denen bekannt ist, aber das alles war denen ein­fach scheiß­egal. Ich habe dann mei­ner Mama gesagt, dass die uns eh nicht hel­fen wer­den und wir gehen soll­ten. Das hat mich rich­tig gebro­chen! Ich war mit dem Men­schen, den ich am meis­ten lie­be, bei der Poli­zei, weil wir ein Pro­blem hat­ten und muss­te sehen, wie die Poli­zei mei­ne Mama ein­fach nur belä­chelt, sie aus­lacht und ihr nicht hilft. Das tut ein­fach noch mal mehr weh, als wenn es einen selbst betrifft – dann steckt man es ein­fach weg.

MZEE​.com: Gera­de bei den eige­nen Eltern gibt es einem ein ganz ande­res Gefühl. Emp­fin­dest du es denn als wich­tig, kul­tu­rel­le und tra­di­tio­nel­le Beson­der­hei­ten,  mit beson­ders viel Stolz nach außen zu tra­gen? Gera­de in der aktu­el­len Zeit, in der sich auf der ande­ren Sei­te der Ras­sis­mus immer wei­ter in ein salon­fä­hi­ges Hemd zwängt.

Ebow: (über­legt) Ich fin­de es wich­tig. Nicht, weil ich natio­na­lis­tisch oder super­stolz wäre. Aber ich den­ke, dass es so bes­ser ist. Ich sage das auch nicht wer­tend. Ich bin Kur­din aus der Tür­kei, spre­che mei­ne eige­ne Mut­ter­spra­che nicht, weil wir so extrem assi­mi­liert wor­den sind, dass mei­ne Eltern sie zwar spre­chen, aber Tür­kisch bes­ser beherr­schen und ich bin in Deutsch­land gebo­ren wor­den. Mei­ne Groß­tan­te ist letz­tes Jahr ver­stor­ben, sie hat nur Kur­disch spre­chen kön­nen und ich konn­te mich nie mit ihr unter­hal­ten. Dass wir so assi­mi­liert wor­den sind, bedeu­tet für mich, dass ich mich mit jeman­dem aus mei­ner eige­nen Fami­lie nicht unter­hal­ten konn­te. Ich wer­de nie wis­sen, was für Sto­rys sie mir erzählt oder was sie mir mit­ge­ge­ben hät­te. Des­halb ist es mir wich­tig, sol­chen kul­tu­rel­len Din­gen eine Bedeu­tung zu geben und mich damit zu beschäf­ti­gen. Natür­lich könn­te man sagen, dass wir alle Welt­bür­ger sind, aber das ist nicht die Rea­li­tät, denn wir wer­den nicht alle gleich behan­delt. Ich glau­be, die Aus­sa­ge, dass wir alle eins sind und alles ver­ges­sen soll­ten, kommt von Leu­ten, die das Pri­vi­leg haben, so zu denken.

MZEE​.com: Auf dei­ner Sin­gle­aus­kopp­lung "Schmeck mein Blut" bezeich­nest du dich als "Wiens neue Sis­si, Ber­lins neue Diet­rich". Siehst du zwi­schen dir und den bei­den tat­säch­lich Par­al­le­len? Und wo unter­schei­dest du dich wie­der­um am deut­lichs­ten von ihnen?

Ebow: (grinst) Sis­si ist halt eine der wich­tigs­ten Frau­en in Wien, du kommst nicht an ihr vor­bei und bei Mar­le­ne Diet­rich fand ich es pas­send, weil sie auch ursprüng­lich aus Ber­lin ist. Ich fand's ein­fach wit­zig und cool, weil ich die gan­ze Zeit zwi­schen die­sen bei­den Städ­ten pend­le. Bei­de Orte sind gera­de musi­ka­lisch super­in­ter­es­sant und ich wür­de sogar behaup­ten, dass Wien aktu­ell inter­es­san­ter ist, weil da gera­de Musik raus­kommt, die eine gewis­se Fuck off-​Einstellung hat und dadurch neue Sachen entstehen.

MZEE​.com: Merkst du spür­ba­re Unter­schie­de im Hin­blick auf die poli­ti­sche Stim­mung in Ber­lin und Wien?

Ebow: Ja, obwohl Ber­lin in den letz­ten Jah­ren schon viel radi­ka­ler gewor­den ist. Als ich nach Wien gezo­gen bin, habe ich bereits in den ers­ten paar Wochen gemerkt, dass sich dort nie­mand das Pri­vi­leg her­aus­nimmt, apo­li­tisch zu sein. Dabei ist es ganz egal, ob du öster­rei­chi­scher Öster­rei­cher bist oder dei­ne Fami­lie dahin immi­griert ist und du nun öster­rei­chisch bist. Man trägt ein­fach die­se Ver­ant­wor­tung. Dazu muss man sagen, dass die Öster­rei­cher den zwei­ten Welt­krieg gar nicht so krass auf­ge­ar­bei­tet haben wie wir in Deutsch­land. Davon wür­de man gar nicht aus­ge­hen, oder? Die sehen sich eher als Opfer des Zwei­ten Welt­kriegs. Sprich: Den Leu­ten, die in mei­nem Alter sind, wur­de in der Schul­zeit gar nicht so ein­ge­trich­tert, dass Schei­ße pas­siert ist und wir unse­re Geschich­te auf­ar­bei­ten müs­sen. Dafür sind die dort mega­po­li­tisch! Des­halb ent­ste­hen sol­che Sachen wie die "Bur­schen­schaft Hys­te­ria" oder die Don­ners­tags­de­mos, die immer noch mega­voll sind. Es ist kein Trend dort, poli­tisch zu sein, son­dern die Leu­te sind es ein­fach. Es gibt kei­nen Small­talk, wie wir ihn ken­nen, selbst da flie­ßen poli­ti­sche The­men mit ein und das hast du eben nicht so oft in deutsch­spra­chi­gen Städ­ten. In Mün­chen juckt es gefühlt nie­man­den, obwohl da mega­viel schief­läuft und viel Ras­sis­mus herrscht. Es ist so nor­ma­li­siert, dass sich die Leu­te eher damit zufrie­den geben, dass sie gut ver­die­nen und in einer schö­nen Stadt woh­nen, als ihr Maul aufzureißen.

MZEE​.com: Mir war nicht bekannt, dass die Öster­rei­cher die­sen Teil der Welt­ge­schich­te nicht so auf­ar­bei­ten. Selt­sam auch, wenn man bedenkt, dass Öster­reich bei bei­den Welt­krie­gen eine indi­rek­te oder direk­te Rol­le gespielt hat und gera­de der ers­te durch die Mon­ar­chie Österreich-​Ungarn aus­ge­löst wurde.

Ebow: Das hat man auch nicht so im Blick. Für mich war es immer logisch, dass man das tut. Aber für die Öster­rei­cher irgend­wie nicht, weil sie sich eher als Opfer des Zwei­ten Welt­kriegs sehen.

MZEE​.com: Kom­men wir noch mal auf dei­ne Musik zurück: Die bei­den ange­spro­che­nen Titel "Schmeck mein Blut" und "K4L" unter­schei­den sich sti­lis­tisch sehr stark – hast du auf dem neu­en Album denn gene­rell einen roten Faden hin­sicht­lich des Soundbilds?

Ebow: Ich habe die­ses Mal das Album kom­plett von mei­nem Pro­du­zen­ten Wal­ter p99 Arke$tra machen las­sen, der auch Teil mei­ner Band Gad­da­fi Gals ist. Er macht Sachen, die in die Rich­tung Mem­phis Soul und Funk gehen, aber bei eini­gen Tracks wie "Schmeck mein Blut" habe ich ihm gezielt gesagt, wel­che Ele­men­te ich ger­ne drin hät­te. Er hat dar­aus dann sein eige­nes Ding gemacht und es war dadurch ein gegen­sei­ti­ges Geben und Neh­men, was den Sound angeht. Du fin­dest aber auch, dass es visu­ell stark aus­ein­an­der geht?

MZEE​.com: Eher sti­lis­tisch, wie du rappst und den Inhalt präsentierst.

Ebow: Auf jeden Fall, aber da mache ich das, wor­auf ich Bock habe. Ich den­ke mir nicht, dass sich mein Album so und so anhö­ren muss. Ich lass' mich auf die Beats ein oder ich kom­me mit Sachen um die Ecke, auf die ich Bock habe. Auf dem Album sind auch vie­le R'n'B-lastige Num­mern, was ich frü­her nicht gemacht hät­te. Ich hät­te mir Gedan­ken dar­über gemacht, dass da doch viel Gesun­ge­nes ist und wie ich das dann live rüber­brin­ge. Mitt­ler­wei­le weiß ich: Ey, das ist mein Album und ich will Spaß dar­an haben.

MZEE​.com: Wäh­rend unse­rer Recher­che ist uns auf­ge­fal­len, wie viel Aner­ken­nung du inzwi­schen inner­halb der Sze­ne bekommst – egal, ob von ande­ren Musi­kern oder Jour­na­lis­ten. Des­halb wür­den wir ger­ne zum Abschluss unse­res Gesprächs von dir wis­sen, was dei­ne Zie­le inner­halb der Rap­sze­ne für die nächs­ten fünf Jah­re sind.

Ebow: Mir ist wich­tig, dass ich im deutsch­spra­chi­gen Raum die rele­van­tes­te Rap­pe­rin wer­de. Mir geht es nicht dar­um, den meis­ten Fame zu haben oder YouTube-​Rekorde zu kna­cken. Ich will ein­fach nie die Rele­vanz ver­lie­ren. Das hat M.I.A. (Anm. der Redak­ti­on: eng­li­sche Rap­pe­rin und Akti­vis­tin) auch in ihrer Doku "MATANGI /​ MAYA /​ M.I.A." gesagt und ich fin­de, das trifft es voll gut. Sie mein­te, dass du dir nie dei­ne Rele­vanz neh­men las­sen darfst, weil man dich dann nicht mehr hören wird. Vor allem, weil ich Musik mache, mit der ich empowern will und den Hörern was mit­ge­ben mag, möch­te ich dafür sor­gen, dass die Leu­te das auf dem Schirm haben und wis­sen, dass es da jeman­den mit einer Mes­sa­ge gibt, der etwas zu sagen hat. Ganz egal, ob das die Süd­deut­sche Zei­tung ist oder ihr.

(Lai­la Dre­wes und Jens Paepke)
(Fotos von zombienanny)