Kategorien
Interview

Tua

"Es ist schön, dass ich für 'Grau' zehn Jah­re spä­ter so viel Lob bekom­me. Aber für mich war das damals ein Riesen-​Flop." – Tua im Inter­view über Album-​Klassiker, das Altern als Rap­per, die gemein­sa­me Ver­gan­gen­heit mit Shin­dy und sein Inter­es­sens­ge­biet Transhumanismus.

In einer Zeit, in der Rap­per jähr­lich Alben ver­öf­fent­li­chen und Krea­ti­vi­tät auf der Check­lis­te vie­ler gar nicht erst auf­taucht, ist Tuas Kar­rie­re und sei­ne Her­an­ge­hens­wei­se an Musik eine abso­lu­te Aus­nah­me­erschei­nung. Seit der Ver­öf­fent­li­chung sei­nes letz­ten voll­wer­ti­gen Solo-​Albums, dem Kri­ti­ker­lieb­ling "Grau", sind bereits über zehn Jah­re ins Land gegan­gen. Zehn Jah­re, in denen er alles ande­re als untä­tig war. Neben diver­sen EPs und Alben mit den Orsons war er wäh­rend­des­sen auch als Pro­du­zent für ande­re Künst­ler – wie etwa Joy Den­alane und Cur­se – tätig. Den­noch war­te­ten sei­ne Fans in der Zwi­schen­zeit sehn­süch­tig auf den nächs­ten gro­ßen Wurf, der nun end­lich das Licht der Welt erblickt und den simp­len Namen "TUA" trägt. Wir spra­chen mit dem Mul­ti­ta­lent unter ande­rem über den Ent­ste­hungs­pro­zess der neu­en Plat­te, die Dis­kre­panz zwi­schen Kritiker-​Lorbeeren und Erfolg in Zah­len sowie sei­ne Gedan­ken zum The­ma Transhumanismus.

MZEE​.com: Dei­ne letz­ten Solo-​Releases haben sich immer wei­ter von Rap ent­fernt. War "TUA" denn bereits von Anfang an als Rap-​Album angedacht?

Tua: Ich habe eigent­lich nie in Kate­go­rien wie "Rap-​Album" oder "Nicht-​Rap-​Album" gedacht. Es sind ein­fach ver­schie­de­ne Songs zustan­de gekom­men. Eini­ge davon sind in der Ver­gan­gen­heit ange­sie­delt, sodass Rap das bes­te Mit­tel war, um das zu erzäh­len, was ich erzäh­len woll­te. Des­we­gen sind es dann eben Rap-​Songs geworden …

MZEE​.com: Da du ja nicht nur Rap­per, son­dern auch Sän­ger und Pro­du­zent bist: Hast du an "TUA" wie­der vor­wie­gend allei­ne gearbeitet? 

Tua: Es waren eini­ge außer mir dar­an betei­ligt, aber eher gast­wei­se. Die Beats habe ich alle allei­ne gemacht und ich hat­te auch kei­ne Hil­fe bei den Tex­ten. Ich hab' aber rela­tiv viel mit einer Freun­din von mir, Wan­ja Jan­eva, gear­bei­tet. Sie ist Sän­ge­rin und kann dazu auch noch gut Gei­ge spie­len. Zusätz­lich habe ich mit ver­schie­de­nen Cha­rac­ters gear­bei­tet, die ab und zu mal bei mir in der Nähe auf­tau­chen, zum Bei­spiel Jop­ez von den Juggl­erz und Aud­hen­tik. Er hat bei "Vater" mit­ge­hol­fen und ihr könnt ihn euch auf jeden Fall mal rein­zie­hen. Er hat letz­tens eine EP namens "Tris­tesse" ver­öf­fent­licht, auf der ich auch drauf bin … Ansons­ten sind auf dem Album noch ein paar Cameo-​Auftritte. Das sind aber kei­ne Fea­tures im klas­si­schen Sin­ne. Statt­des­sen habe ich ein paar Leu­te in die Songs ein­ge­pflegt, bei denen ich das Gefühl hat­te, dass sie gut rein­pas­sen würden.

MZEE​.com: Eini­ge die­ser Künst­ler sind uns beim Hören des Albums bereits auf­ge­fal­len: Afrob und Bau­sa auf "Vor­stadt" oder RAF Camo­ra auf "FFWD". Wer durf­te denn sonst noch sei­ne Stim­me in dein Album ein­flie­ßen lassen?

Tua: Tarek von K.I.Z, Max Her­re, KAAS, Vasee und Tris­tan Brusch. (über­legt) Ich glau­be, das war's …

MZEE​.com: Sind die­se Cameo-​Auftritte eher durch Zufall ent­stan­den oder hast du die Künst­ler aktiv dazu ein­ge­la­den, dich auf den Songs zu unterstützen?

Tua: Erst gab es die Songs und dann habe ich mir über­legt, dass der ein oder ande­re aus ver­schie­de­nen Grün­den gut pas­sen wür­de, und den­je­ni­gen dann dar­um gebe­ten, das zu machen. Das hat auch immer ganz ein­fach hin­ge­hau­en. Bei man­chen – wie bei Tarek – war ich in ihrem Stu­dio zu Gast und ande­re – wie Bau­sa – sind dafür dann zu mir gekommen.

MZEE​.com: Gibt es auf dem Album auch gan­ze Rap-​Parts von ande­ren Künst­lern zu hören?

Tua: Nee, Rap-​Parts von ande­ren gibt es dar­auf gar nicht. Es gibt nur ein Fea­ture mit der Sän­ge­rin einer ukrai­ni­schen Band namens KAZKA. Das hat aber eben auch nichts mit Rap zu tun …

MZEE​.com: Du hast über die neue Plat­te geschrie­ben, dass sie dir viel Kopf­zer­bre­chen und Zwei­fel beschert hat. Wor­über machst du dir einen grö­ße­ren Kopf – über die aus­ge­feil­te Pro­duk­ti­on oder dar­über, was du sagst und wie du es sagst?

Tua: Sehr gute Fra­ge … Ich glau­be, das kann man gar nicht von­ein­an­der tren­nen. Am Ende mache ich mir ein­fach einen Kopf dar­über, wie ich den best­mög­li­chen Song schrei­be. Oft braucht es meh­re­re Ver­su­che, bis ich ein The­ma, das mir wich­tig ist, über­haupt ganz ver­ste­he. Ich ver­su­che dann, den rich­ti­gen Weg zu fin­den, um das Gan­ze zu einem Song zu machen, der am bes­ten das trifft, was ich aus­sa­gen möch­te. Des­we­gen habe ich oft vie­le Anläu­fe gebraucht, um eines der rund zwölf The­men, die auf dem Album sind, festzunageln.

MZEE​.com: Gibt es einen spe­zi­el­len Track, den du immer wie­der aus der Track­list genom­men und an ihm gefeilt hast, nur um ihn spä­ter wie­der mit aufzunehmen?

Tua: (grinst) Es gibt kei­nen ein­zi­gen, bei dem es nicht so war. Alle zwölf sind so entstanden.

MZEE​.com: (lacht) Wie ist es denn, wenn man zugleich für Beat und Text ver­ant­wort­lich ist? Bei vie­len Rap­pern ist zuerst der Beat da, bevor der Text kommt – oder eben umge­kehrt. Dann passt man die eine der ande­ren Kom­po­nen­te an. Ent­steht bei dir bei­des gleich­zei­tig? Hast du schon Melo­dien im Kopf, wenn du einen Text schreibst? Oder pro­du­zierst du ein Instru­men­tal und dir fällt dazu ein The­ma ein?

Tua: Als aller­ers­tes spü­re ich etwas zu ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten in mei­nem Leben. Das heißt, irgend­ein Gefühl kommt wie­der­holt auf oder eine Geschich­te wie­der­holt sich. Machen wir das mal an einem Bei­spiel fest: Es gibt einen Song auf dem Album namens "Tief­blau". Dar­in geht es um das Gefühl, dass es nach lan­ger Zeit wie­der berg­auf geht. Ich habe etli­che Ver­su­che unter­nom­men, das auf den Punkt zu brin­gen, und am Ende ist es ein Track gewor­den, bei dem die Musik von unten nach oben geht. Es gibt dar­in Kon­tras­te zwi­schen hohen und tie­fen Tönen, zwi­schen dunk­len und hel­len Momen­ten – außer­dem weni­ger Text und dafür mehr Atmo­sphä­re und Hall. So kommt das Gan­ze nach und nach, Stück für Stück zusam­men. Der Ursprung ist oft die Idee, ein bestimm­tes Gefühl fest­zu­hal­ten oder eine bestimm­te Geschich­te zu einem Song zu machen. Und dann fin­det das Gan­ze sei­nen Weg – manch­mal auch mit vie­len Umwegen.

MZEE​.com: Ist es leich­ter oder schwie­ri­ger für dich, wenn ande­re Künst­ler an einem Song betei­ligt sind?

Tua: (über­legt) Das ist von Song zu Song unter­schied­lich, muss ich sagen. Bei Wan­ja ist es zum Bei­spiel schön, dass sie sehr gut Gei­ge spie­len und sin­gen kann und dadurch als Musi­ke­rin eine gute Anspiel­part­ne­rin ist. Wenn ich etwas fer­tig­stel­le, kann ich sie fra­gen: "Passt hier noch eine Gei­ge hin? Passt hier noch Gesang hin?" Sie ist dabei sehr expe­ri­men­tier­freu­dig. Für sie ist es auch total in Ord­nung, wenn ich ihre Stim­me rauf- und run­ter­schrau­be, umdre­he oder kaputt mache. Es ist okay für sie, als Instru­ment zu funk­tio­nie­ren. Wir haben halt oft voll den Flash gehabt. So etwas gibt einem Album natür­lich die rich­ti­ge Far­be und dafür bin ich sehr dankbar.

MZEE​.com: Emp­fin­dest du es als etwas Beson­de­res, dass dir jemand so viel Spiel­raum gibt und erlaubt, sei­ne Stim­me als Instru­ment ein­zu­set­zen? Bei Rap­pern ste­hen ja oft auch Eitel­kei­ten im Vor­der­grund, was das Ver­än­dern der eige­nen Kunst angeht.

Tua: Ich glau­be, bei mir ist das so unfass­bar Rap-​untypisch, wie man es sich nur vor­stel­len kann. Die­se Rap-​Herangehensweise ist bei mir schon lan­ge vor­bei. Rap ist wirk­lich nur Mit­tel zum Zweck. Ich weiß, dass das natür­lich für vie­le Leu­te ein wich­ti­ges Ding ist. Vie­le mögen Rap eben ganz beson­ders gern. Aber mir per­sön­lich ist es völ­lig egal, wenn es nicht das rich­ti­ge Mit­tel zum Zweck ist. Viel wich­ti­ger ist mir die Aus­sa­ge, die getrof­fen wird. Oder noch bes­ser: das Gefühl, das ver­mit­telt, und die Atmo­sphä­re, die geschaf­fen wird. Wenn ich dafür rap­pen muss: voll ger­ne. Aber irgend­wel­che Eitel­kei­ten – ob bei mir oder bei ande­ren – ste­hen dabei nur im Weg. Wenn ich ein Gefühl ver­mit­teln möch­te und dabei eitel bin, dann wird das Gefühl mit Sicher­heit auf kei­nen Fall vermittelt.

MZEE​.com: Dein Album "Grau" wur­de gera­de stol­ze zehn Jah­re alt und gilt als abso­lu­ter Klas­si­ker im deut­schen Rap. Inwie­fern beein­flus­sen dich die Erwar­tun­gen der Sze­ne bei der Pro­duk­ti­on eines neu­en Releases? Fühlst du dich unter Druck gesetzt oder kannst du das ausblenden?

Tua: Nö, ich hab's tat­säch­lich nicht aus­ge­blen­det. Also, erst mal fin­de ich es natür­lich total schön, dass "Grau" nach so vie­len Jah­ren noch so viel Auf­merk­sam­keit bekommt und Leu­te es immer noch zu wür­di­gen wis­sen. Beim Pro­du­zie­ren des neu­en Albums hat das schon auch eine Rol­le gespielt. Inso­fern, als dass ich die gan­zen Zwi­schen­schrit­te seit "Grau" noch mal zurück­ge­gan­gen bin und mich gefragt habe, von wo aus ich damals los­ge­lau­fen bin. Auf eine gewis­se Art und Wei­se schließt das neue Album auch dar­an an. In den ers­ten Songs geht es zeit­lich gese­hen dort­hin zurück, wo es damals war. Und die Geschich­te wird noch mal erzählt. Ich habe musi­ka­lisch gese­hen sogar ein­zel­ne Stel­len dar­aus zitiert. "FFWD" oder auch "Bru­der II" sind bei­spiels­wei­se Songs, die auch ein Teil von "Grau" hät­ten sein kön­nen und damals auch the­ma­tisch gut gepasst hät­ten, da sie von Leu­ten aus der Zeit han­deln. Das spielt bei mir natür­lich mit rein. Es ist aber auch ein guter Ort zum Los­lau­fen, um dann davon wegzukommen …

MZEE​.com: Meinst du, ohne "Grau" hät­te sich die deut­sche Rap­sze­ne in den letz­ten zehn Jah­ren genau­so entwickelt?

Tua: Das kann ich über­haupt nicht ein­schät­zen. Ich fin­de es total schön, dass mir so vie­le Leu­te sagen, dass es sie berührt hat und ich im Nach­hin­ein so viel Lob dafür bekom­me – zehn Jah­re spä­ter. Aber für mich war das damals halt ein Riesen-​Flop. Ich hab' unfass­bar viel inves­tiert und mir krass den Arsch auf­ge­ris­sen. Und dann ist nichts pas­siert. Für vie­le, die zu der Zeit nicht dabei waren, klingt das so, als wäre zu der Zeit rich­tig was pas­siert. Aber das Album ist erst mal sang- und klang­los unter­ge­gan­gen. Es hat sich dann über Jah­re hin­weg so ent­wi­ckelt, dass man als Klas­si­ker davon spricht. Aber ich habe vor zehn Jah­ren kein Geld damit ver­dient und bin des­we­gen wahn­sin­nig geworden.

MZEE​.com: Damals wur­den eini­ge Plat­ten von heu­ti­gen Deutschrap-​Größen ver­öf­fent­licht, bei denen das ganz genau­so abge­lau­fen ist. Wor­an liegt es, dass der Respekt teil­wei­se erst fünf bis zehn Jah­re spä­ter gezollt wur­de? Glaubst du, dass die Musik ihrer Zeit vor­aus oder die Sze­ne schlicht­weg zu klein dafür war?

Tua: Ich glau­be, das war ein­fach kei­ne Musik, die die brei­te Mas­se ange­spro­chen hat. Sie war nicht so ziel­ge­rich­tet, effi­zi­ent und zurecht­ge­strickt wie ande­re Musik, die viel­leicht ähn­li­che Wege ging, aber an der ent­schei­den­den Stel­le zugäng­li­cher war. Und ich war auch nie der Typ, der etwas vor­spie­len oder ver­kör­pern konn­te, was er nicht ist. Außer­dem war die Musik viel bes­ser, als ich als Typ damals war …

MZEE​.com: Kom­men wir zu einem ande­ren gro­ßen Künst­ler: Aktu­ell wird wie­der viel über Shin­dy gespro­chen – mit dem du 2005 einen Song auf­ge­nom­men hast. Wie kam es damals dazu und habt ihr gele­gent­lich noch Kon­takt zueinander?

Tua: Wir hat­ten eine Zeit lang öfter mit­ein­an­der zu tun. Er war hin und wie­der in Reut­lin­gen und wir waren ab und an bei denen drü­ben. Aber da war Shin­dy auch noch sehr jung – viel­leicht 15 oder 16. Und ich selbst viel­leicht 18 – also graue Vor­zeit … Es gibt sogar noch mehr Tracks. Ich glau­be nur, dass die nie­mand mehr hat. Aus denen ist auch nie etwas gewor­den – wir haben die ein­fach nie ver­öf­fent­licht. Ich glau­be, einer ist mal im Netz gelan­det. Und wir hat­ten immer mal wie­der Kon­takt, aber irgend­wann hat sich das dann ver­lau­fen. Ich habe schon seit Jah­ren nichts mehr von ihm gehört. Aber alles gut: Ich ver­fol­ge, was er macht, und freue mich über sei­nen Erfolg.

MZEE​.com: Schon inter­es­sant, dass der Süden so gut ver­netzt war.

Tua: Ich kann­te ja auch Bau­sa von damals. Mit ihm habe ich zu der Zeit auch Musik gemacht. Es gibt noch einen Song von anno dazu­mal, auf dem wir bei­de einen Part haben … Ich glau­be, der wur­de aber auch nie ver­öf­fent­licht. Wir haben das damals alle als Hob­by betrie­ben und kei­ner wuss­te so recht, wohin. Und ich bin ja fast noch eine Gene­ra­ti­on über den bei­den – zumin­dest drei, vier Jah­re älter. Damals waren wir halt wirk­lich noch Pis­ser und nicht volljährig.

MZEE​.com: Apro­pos voll­jäh­rig … Auf "Die­ser Jun­ge" hast du vor zehn Jah­ren gerappt: "Ich bin die­ser Jun­ge, der sich fragt, ob er für 'Ich bin die­ser Jun­ge' nicht zu alt ist." – Warst du damals der Mei­nung, dass man irgend­wann zu alt für Rap ist? Und wie siehst du das heute?

Tua: (grinst) Ich den­ke das immer noch. Und ich den­ke vor allem, dass ich jetzt zu alt dafür bin. (lacht) Nein, ich glau­be, es gibt kein pau­scha­les Alter, ab dem man nicht mehr rap­pen soll­te. Es ist eher so eine Sache, die man mit sich in eine Linie brin­gen muss. Wenn man Inhal­te fin­det, die man mit Rap gut rüber­brin­gen kann, die dem eige­nen Alter ent­spre­chen und dann auch noch Leu­ten gefal­len, fin­de ich das voll in Ord­nung. Rapp von mir aus mit 75 noch. Pau­schal gibt es nichts dage­gen zu sagen. Ich für mei­nen Teil hab' das Gefühl, dass ich nur bestimm­te Inhal­te mit klas­si­schem Rap ver­mit­teln kann. Vie­le ande­re Sachen, die ich ger­ne sagen möch­te, las­sen sich grund­sätz­lich bes­ser durch Gesang ausdrücken.

MZEE​.com: Hip­Hop gibt es ja noch gar nicht so lan­ge. Viel­leicht fühlt es sich des­we­gen ein biss­chen merk­wür­dig an, dass zum ers­ten Mal 50-​Jährige rap­pen … Glaubst du, dass es für Hörer in 20 Jah­ren völ­lig nor­mal sein wird, dass Men­schen mit 50 oder 60 noch rappen?

Tua: Ich glau­be, es geht um die Inhal­te. Bei Jay-​Z fin­det es auch kei­ner komisch, weil er einen Weg gefun­den hat, sei­nen Sta­tus immer und immer wie­der mit sei­nen Raps zu repro­du­zie­ren. Bei ihm ist alles in einer Linie. Er hat sich einen The­men­be­reich geschaf­fen, den man ihm abkauft. Man glaubt ihm eben, dass er der reichs­te, kras­ses­te und erfolg­reichs­te Typ ist. Dann kann er trotz­dem das machen, was Rap aus­macht – näm­lich einen tol­len Beat picken und inter­es­san­te Rhyme-​Patterns drü­ber rap­pen. Ich fän­de es pein­lich, wenn Jay-​Z jetzt kras­se Freak-​Geschichten erzäh­len wür­de. Da wür­de ich mir auch den­ken: "Okay, weiß ich nicht, Alter." Oder wenn er ernst­haft dar­über rap­pen wür­de, dass er die gan­ze Zeit 18-​jährige Mädels klar­macht. Da wür­de ich mir auch den­ken: "Okay, dann bist du halt komisch, wenn du dop­pelt so alt bist – oder drei­mal." (lacht) In den Staa­ten gibt es eini­ge Leu­te, die schon älte­ren Semes­ters sind und bei denen das voll in Ord­nung ist. Wie gesagt: Es geht dar­um, was man sich für einen The­men­be­reich schafft – über was man redet und wie man das tut.

MZEE​.com: Wir haben noch ein The­ma fern­ab von Rap für dich dabei. Du beschäf­tigst dich ja offen­kun­ding mit dem The­ma "Trans­hu­ma­nis­mus". Was ist denn dei­ne per­sön­li­che Pro­gno­se für die Ent­wick­lung der Mensch­heit in den nächs­ten 100 Jah­ren in Bezug auf das Ver­schmel­zen mit Technologie?

Tua: Ich hab' über­haupt kei­ne Ahnung und käme mir unfass­bar lächer­lich dabei vor, wenn ich jetzt eine ernst­haf­te Pro­gno­se abge­ben wür­de. (über­legt) Ich habe voll die Freu­de dar­an, mich damit zu beschäf­ti­gen, aber ich habe wirk­lich über­haupt kei­ne Ahnung. Ich fin­de, das ist so unein­schätz­bar. Es gibt ja die Theo­rie der expo­nen­ti­el­len Ent­wick­lung, bei der man sagt, dass immer eine Ent­wick­lung zu etwas ande­rem führt, was dann die Kur­ve noch mehr anzieht, wodurch es im Grun­de unvor­her­seh­bar ist, was letzt­end­lich pas­sie­ren wird. Wenn ich mir vor­stel­le, was es vor 100 Jah­ren alles nicht gab, das heu­te für uns kom­plet­te Rea­li­tät und nicht mehr weg­zu­den­ken ist, den­ke ich: "Krass, was wird wohl in 100 Jah­ren sein?"

MZEE​.com: Das The­ma wird recht kon­tro­vers dis­ku­tiert. Fin­dest du, dass es in die­sem Bereich Gren­zen gibt? Wenn ja, wo fan­gen sie an und wo hören sie auf?

Tua: Also, mora­lisch möch­te ich das gar nicht bewer­ten. Das ist ja noch mal was ganz ande­res. Ansons­ten gibt es eben Defi­ni­ti­ons­gren­zen. Zum Bei­spiel, ab wel­chem Moment es eine neue Schöp­fung gibt. In dem Moment, in dem Maschi­nen sich ohne mensch­li­ches Zutun selbst wei­ter­ent­wi­ckeln, repro­du­zie­ren, ver­än­dern und frei­heit­lich bewe­gen kön­nen, ist eine Gren­ze erreicht. Aber nicht mei­ne. Ich fin­de den Begriff "Gren­ze" eh schwie­rig … Wollt ihr von mir wis­sen, bis wohin ich es gut­hei­ße, dass Mensch und Maschi­ne sich vermischen?

MZEE​.com: Genau.

Tua: Das weiß ich nicht. Ich fin­de, es ist ja jetzt schon auf eine gewis­se Art und Wei­se so. Wel­chen Unter­schied macht es denn noch, ob man sein Han­dy die gan­ze Zeit bei sich hat oder ob es sich im Kör­per befin­det? Das sind ja fast nur noch Kin­ker­litz­chen … Wenn du ohne die Hil­fe eines Mobil­funk­ge­räts mit Inter­net kaum mehr durch die Stadt fin­dest, dann ist es eben auch fast egal, ob du das Han­dy in dir oder an dir hast. Das soll jetzt aber gar nicht so kri­tisch klin­gen. Ich will nicht wie so ein alter Mann klin­gen, der dar­über jam­mert, dass man nicht mal mehr durch eine Stadt fin­det. Ich fin­de es schlicht­weg inter­es­sant, mir Gedan­ken dar­über zu machen und die Ent­wick­lung zu verfolgen.

MZEE​.com: Es ist also ein rei­nes Inter­es­sens­ge­biet von dir und du fin­dest es jetzt nicht beson­ders unheimlich …

Tua: Ich fin­de es ein­fach nur span­nend und inter­es­sant, mir Din­ge, die so oder so pas­sie­ren, ab und zu mehr ins Bewusst­sein zu rufen, anstatt sie ein­fach nur hin­zu­neh­men. Es ist tota­le Nor­ma­li­tät für uns alle, mit dem Han­dy umzu­ge­hen – oder mit Smart Wat­ches und Lap­tops. Mein gan­zes Büro wäre ohne die­se Tech­nik nicht mög­lich, genau­so wie mei­ne Ver­mark­tungs­stra­te­gien. Außer­dem könn­te der Kon­su­ment mei­ne Musik nicht so kon­su­mie­ren, wie er es macht. All das wäre nicht mög­lich. Es ist ganz nor­mal für mich – aber es ist eben gera­de über­haupt nicht nor­mal. All das ist erst seit sehr kur­zer Zeit mög­lich. Und das fin­de ich spannend.

MZEE​.com: Zu guter Letzt wür­den wir ger­ne noch wis­sen, ob du der Mei­nung bist, dass du genau die Aner­ken­nung als Künst­ler bekommst, die dir zusteht …

Tua: Nein. (lacht) Das ist jetzt aber eine fie­se End­fra­ge. Die kann ich natür­lich nicht in einem Satz beant­wor­ten. Gib mir kurz eine Vier­tel­se­kun­de, um über eine Ant­wort nach­zu­den­ken. (über­legt kurz) Ich glau­be, Ende des Jah­res kann ich mehr dar­über sagen. Ich fin­de es schwie­rig, das genau dann zu beant­wor­ten, wenn ich gera­de zum ers­ten Mal seit zehn Jah­ren ein Album raus­haue. Ich den­ke, das Jahr wird auf jeden Fall inter­es­sant für mich, weil ein­fach wahn­sin­nig viel pas­siert. Am Ende des Jah­res wird man sehen, wie es aussieht.

MZEE​.com: Dann fra­gen wir dich viel­leicht irgend­wann anders noch mal. (grinst)

Tua: Oh ja, ger­ne. (lacht) Lass uns doch ein­fach Ende des Jah­res noch mal spre­chen und dann sage ich euch ent­we­der wie ein gries­grä­mi­ger alter Mann oder wie ein sur­fen­der, Hawaiihemden-​tragender Flitzpiepen-​Joe, was bei mir abgeht.

(Flo­rence Bader und Lai­la Drewes)
(Fotos von David Daub)