Disarstar – Bohemien
Keine Zeit mehr für Diplomatie.
Beschießen die uns, dann beschießen wir die.
Als Boheme bezeichnet man die gelebte Kultur des freidenkerischen, intellektuellen Künstlermilieus – eine Kategorie, in der sich viele Linke sehen. Es ist also nicht verwunderlich, dass der linkspolitisch sozialisierte Disarstar sein neues Album "Bohemien" nach den Anhängern besagter Kultur benannt hat.
Der Hamburger war schon immer bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und seine Ansichten in kritische Raps zu verpacken. Konsequenterweise geschieht dies – abgesehen von einigen persönlicheren, zugleich jedoch recht langweiligen Tracks – auch auf "Bohemien" wieder. Dabei ist ihm offenbar bewusst, dass auch er ein Teil dessen ist, was er kritisiert. So kann man das stoisch-pumpende "Nike's x McDonald's" definitiv als Eingeständnis eigener problematischer Konsumentscheidungen verstehen. Auf anderen Songs bemängelt er hingegen das System mitsamt seinen Institutionen aus der Perspektive eines Außenstehenden. Während "Riot" als argumentationsarmer Krawall-Track weder konstruktiv ist noch Denkanstöße bietet, handelt es sich bei "Robocop" um einen der stärkeren Titel der Platte. Hier stellt Disarstar die Polizei als blind-hörige Roboter dar. Leider zeichnet er jedoch ein sehr einseitiges, undifferenziertes Bild, sodass die eigentlich legitime Kritik etwas zu extrem wirkt. Eine echte Alternative zum Status quo präsentiert er jedenfalls nicht. Dafür zerstört er auf "Alice im Wunderland" – dem Highlight des Albums – mal eben eine gewisse Vertreterin der vermeintlichen Alternative für Deutschland. Dies gelingt ihm, indem er besagte Alice in klassischer Battlerap-Manier mit ihren Widersprüchlichkeiten konfrontiert und ihre irrsinnige Traumwelt als ebensolche entlarvt.
Disarstar ist eine vielschichtige Persönlichkeit mit dem Herz am rechten Fleck. Abgesehen von einigen streitbaren und etwas zu undifferenzierten Ansichten, handelt es sich bei "Bohemien" allerdings um ein größtenteils ambitioniertes und spannendes Album.
(Steffen Bauer)