Nicht zuletzt durch den bundesweiten Einzug der AfD in die Landtage hat sich das politische Klima in Deutschland verändert. Nach den Entwicklungen der letzten Jahre scheint rechtes Gedankengut nun endgültig in der Gesellschaft angekommen zu sein. Genau an diesem Punkt setzen Neonschwarz mit ihrem neuen Album "Clash" an: Wie schon bei vorigen Releases kritisieren die Hamburger die hiesigen gesellschaftlichen und politischen Zustände. Wir haben uns daher mit Captain Gips, Johnny Mauser, Marie Curry und Spion Y zusammengesetzt und neben Politik auch über eine ideale Gesellschaft sowie Anfeindungen aus der rechten Szene gesprochen. Außerdem verriet uns die Band einiges über die vielschichtigen Einflüsse ihres neuen Albums sowie die Unterschiede zwischen Solo- und Gruppenprojekten.
MZEE.com: Knapp zweieinhalb Jahre sind seit "Metropolis" vergangen. Johnny Mauser und Captain Gips haben letztes Jahr noch Solo-Releases veröffentlicht. Wann habt ihr mit den Arbeiten zu "Clash" angefangen?
Johnny Mauser: Im Herbst des letzten Jahres. Wir haben ein gutes Jahr lang sehr intensiv daran gearbeitet.
Captain Gips: Manchmal hat man ja schon Zeilen, die man sich irgendwann mal aufgeschrieben hat. Also, so ganz genau kann man es jetzt nicht sagen.
Marie Curry: Eigentlich auch noch eher als Herbst, weil man es ja immer zeitiger abgeben muss. Aber insgesamt haben wir so ein Jahr an dem Album gesessen.
MZEE.com: Ist es euch wichtig, neben der Band auch als eigenständige Künstler wahrgenommen zu werden?
Johnny Mauser: Wir waren ja eigenständige Künstler, bevor wir zur Band wurden. Ist halt so mittelwichtig. Es geht vor allem um Neonschwarz. Captain Gips und ich hatten einfach andere Sachen nebenbei geschrieben – das musste auch raus. Darauf haben wir aber nicht lange den Fokus gelegt, es war so ein wenig zwischengeschoben.
Captain Gips: Andererseits zeichnet uns das ja als Band ein bisschen aus, dass wir alle auch einzelne Künstler sind.
MZEE.com: Der Titel des neuen Albums ist eine Anlehnung an die britische Punkrockband The Clash. Haben die Musiker um Joe Strummer eure Musik noch über den Namen hinaus geprägt?
Marie Curry: Es wäre auf jeden Fall gelogen, wenn wir das sagen würden. Stattdessen geht es eher um diese Grundstory, die Johnny ganz wunderbar erzählen kann.
Johnny Mauser: Es geht gar nicht wirklich um die Musik, auch wenn wir die geil finden, sondern eher darum, welchen Stellenwert The Clash hatten und mit wem sie zusammengearbeitet haben. Die haben einen New Yorker Graffiti-Artist der ersten Stunde mit nach Europa genommen, der hier zum ersten Mal bomben gegangen ist. Da ist diese Punk-Band aus einer ganz anderen Richtung mit einem Sprayer zusammengekommen, was dann später ein Teil der HipHop-Kultur wurde. Das passt auch gut zu Neonschwarz, weil wir uns nicht ganz eindeutig in der HipHop-Szene verorten lassen. Wir haben auch mit Anti-Elementen zu tun oder spielen in autonomen Zentren, wo Punker rumlaufen. Deswegen passt das zu uns und steht für unsere Vielfältigkeit.
MZEE.com: Ihr vereint viele Stile und adaptiert auch moderne Einflüsse. Packt ihr die schweren Themen eurer Musik bewusst in eine leichtere musikalische Form? Beim Hören von "2018" beispielsweise kriege ich tatsächlich Lust aufs Tanzen.
Marie Curry: Grundsätzlich sind wir alle einfach positive Menschen und nicht so verbissen, dass wir mega-ernst auf der Bühne rumstehen wollen. Es macht gerade auf Konzerten einfach Bock, wenn gute Stimmung ist und die Leute tanzen. Das ist jetzt gar nicht so kalkuliert, sondern passiert eher automatisch, dass wir viele positive Elemente und Stimmungen in unseren Songs haben.
Captain Gips: Es geht ja darum, dass man Party machen kann, auch wenn man politisch interessiert ist. Man muss nicht immer traurig sein.
Johnny Mauser: Wenn man sich über die Dinge beschwert, die einen ankotzen oder die scheiße sind, hat man ja im Umkehrschluss auch immer die Gegenperspektive, wie wir uns das vorstellen. Teilweise haben wir den Song "2015" gespielt und danach "Love will never die", in dem es um Liebe geht. Dann konnten wir als Übergang sagen: "Ey, klar gibt es total viele Wichser da draußen, Rassismus und den Rechtsruck." Das funktioniert jetzt auch mit "2018". Aber eigentlich wollen wir eher eine positive Message verbreiten – in Bezug darauf, wie die Leute zusammenleben sollten. Deswegen hat das schon etwas miteinander zu tun.
Marie Curry: Das haben wir schon mit unserem Debütalbum "Fliegende Fische" begonnen. Es gab einerseits eine Komponente, die die Zustände um uns herum kritisierte, und andererseits eine hoffnungsvolle und utopische Komponente, die behandelte, was wir uns wünschen. Das war uns schon immer wichtig.
MZEE.com: Auf "2018" thematisiert auch, dass jeder von uns am immer stärker werdenden Rechtsruck eine Mitschuld trage und man innerhalb der eigenen Blase oftmals gar nicht mitbekomme, wie gefährlich die Lage inzwischen sei. Wie kann man eurer Meinung nach aktiv etwas gegen diese Mitschuld tun und sich ein Bild von der Situation außerhalb der eigenen Filterblase machen?
Johnny Mauser: Mit der Blase meinen wir, dass man sich in seinen Wohlfühlzonen bewegt. In St. Pauli kriegst du nicht so viel vom Rechtsruck mit. Das ist das eine Ding, was aber auch verständlich ist. Das andere ist die Kritik an jeden, natürlich auch uns, dass die gesellschaftlichen Zustände so krass geworden sind. Hätten einige Menschen vor zehn Jahren Sachen wie heute gesagt, hätte man sich gedacht: "Dagegen gehe ich definitiv auf die Straße." Und jetzt sitzen wir am Freitagabend vielleicht doch vor dem Fernseher, chillen mit unseren Freunden oder machen etwas anderes, das nicht zur gesellschaftlichen Verbesserung beiträgt. Man ist so ein bisschen eingelullt und gewöhnt sich daran – die Sprache verrutscht nach rechts, alles Mögliche. Alle meinen, sie stehen auf, aber so wirklich passiert das nicht.
Marie Curry: Ganz konkret im Alltag kann jeder Haltung zeigen, in Diskussionen seine Meinung vertreten und Argumente bringen.
Captain Gips: Es ist auch schwer, eine Empfehlung auszusprechen, was man machen soll. Wir nutzen die Musik dafür oder fahren jetzt bald in kritische Zonen nach Ostdeutschland und unterstützen dort alternative Zentren durch Soli-Konzerte. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was er macht.
Johnny Mauser: Es hängt ja auch von der jeweiligen Lebenswelt ab. Wenn du Lehrer an einer Schule bist, kannst du den Schülern vielleicht etwas Gutes mit auf den Weg geben. Zum Beispiel eine antirassistische Haltung, du kannst einen Tag gegen Rechts an der Schule organisieren. Wenn du im Sportverein Fußball spielst und beim Kreisligaspiel eine rassistische Beleidigung von der anderen Trainerbank kommt, gehst du vielleicht hin und sagst deine Meinung, bevor du einfach leise bleibst.
MZEE.com: Hat sich die Gegenwehr aus der rechten Ecke euch gegenüber verschärft? Ich habe mir nämlich ein paar Kommentare unter euren Videos angeschaut …
Johnny Mauser: Da hast du wahrscheinlich schon mehr Kommentare gelesen als wir. (lacht)
Spion Y: Vielleicht im Laufe der Zeit, in der wir ein bisschen größer geworden sind, sind die Nazis dann auch aufmerksamer auf uns geworden, was dann zu solchen Kommentaren führt. Insgesamt gucken wir aber gar nicht so häufig unter jedem Video nach. Ab und zu stößt man mal darauf, aber es sind eben so viele Kommentare und so krasse Diskussionen, dass man sich das nicht komplett durchliest.
Marie Curry: Letzten Endes ist es aber Fakt, dass die Rechten in den sozialen Medien viel besser organisiert sind, systematisch kommentieren und extrem aktiv sind. Ich glaube, das war vor ein paar Jahren nicht so krass. Bei uns ist es dann noch abhängig davon, in welchem Medium wir auftreten, ob es mit den Kommentaren mal doller oder mal weniger ist. Aber man merkt, dass es reißerische rechte Kommentare sind. Wir haben schon das Gefühl, dass die uns in letzter Zeit ein bisschen mehr auf dem Kieker haben, auf uns aufmerksam geworden sind und wir häufiger rechte Trolle auf unseren Profilen haben.
Johnny Mauser: Wir sind aber nicht so betroffen von rechter Gewalt oder Stimmungsmache wie ganz viele andere. So richtig trifft uns das zum Glück nicht.
Captain Gips: Auf meinem eigenen Profil hab' ich, glaube ich, so einen, der mich irgendwie abstechen oder mich in den Keller zerren und mir den Kopf abschneiden will. So ein Irrer. (lacht) Ich lache auch darüber und fühle mich nicht bedroht, aber dass es passiert und man darüber lacht, ist schon so ein Zeichen. Das sowas Normalität ist, ist ja eigentlich das Tragische.
Marie Curry: Wenn man kein dickes Fell hat und sowas noch nicht erlebt hat, ist das natürlich noch viel krasser.
MZEE.com: Wart ihr da schon immer dickhäutig?
Marie Curry: Ich glaube, durch solche Kommentare kriegt man ein immer dickeres Fell, je mehr man in der Öffentlichkeit ist.
Spion Y: Ehrlich gesagt haben wir uns das nie so wirklich zu Herzen genommen, weil man in diesem Internet-Zeitalter groß geworden ist und das daher nicht so persönlich genommen hat. Es gibt halt immer irgendwelche Trash-Kommentare. In den meisten Fällen sind das irgendwelche Loser, die hinter dem Bildschirm sitzen. (lacht)
Johnny Mauser: Es ist aber natürlich so, dass heutzutage Nazis auch auf der Straße in größerer Zahl präsent sind als früher, weil sie sich einfach mehr trauen. Trotzdem standen auch schon damals Nazis vor den HipHop-Jams oder Konzerten, auf denen wir waren. Das ist natürlich schlimmer, als wenn irgendeiner im Internet etwas sagt. Wir waren auch schon mit Nazis konfrontiert, bevor es Facebook oder Instagram gab.
MZEE.com: In Berlin fand im vergangenen Monat die Unteilbar-Demo mit über 200 000 Teilnehmern statt. Im September gab es das #wirsindmehr-Konzert, das sehr große mediale Aufmerksamkeit bekommen hat. Habt ihr den Eindruck, dass die mehrheitliche Gesellschaft nun endlich gegen den Rechtsruck aufsteht?
Johnny Mauser: Die mehrheitliche Gesellschaft? Nein …
Marie Curry: Aber mehr als vorher.
Captain Gips: Es ist ja überhaupt schon mal gut, dass es so riesige Demos gab. Ich meine, wie lange ist das her? Ob das jetzt wirklich was gebracht hat und ob die Mehrheit der Gesellschaft wirklich dahintersteht, wage ich auch zu bezweifeln. Aber es ist schon ein geiles Zeichen, wenn 200 000 Leute auf die Straße gehen.
Marie Curry: Was früher nur in Antifa-Kreisen kursierte, nämlich, dass es immer schlimmer wird, ist jetzt bei viel mehr Leuten angekommen. Sie merken, dass eine Dringlichkeit da ist, dass man auf die Straße gehen und sich wehren muss, weil es sonst brenzlig wird. Da ist es natürlich gut mitzukriegen, dass viele Leute einen Handlungsbedarf sehen. Aber es ist natürlich wichtig, dass es nicht bei ein paar Großdemos bleibt, sondern dass es in den Alltag einkehrt und sich nicht darin erschöpft, dass man jedes halbe Jahr mal auf eine Demo geht.
Johnny Mauser: Du musst auch nicht die AfD wählen oder ein konkreter Fascho sein. Die breite Masse, die die Volksparteien wählt, trägt ja auch Asylrechtsverschärfungen, neue Polizeigesetze oder krasse Armeen an den Außengrenzen Europas mit. Das findet ja nicht nur der Nazi gut, sondern in großen Zahlen auch der Durchschnittsdeutsche. Die Nazis haben ihren Teil dazu beigetragen, dass der Mainstream nach rechts gerückt ist. Das, was früher rechts war, ist heute schon Teil der Mitte.
MZEE.com: Sollte deutscher Rap für euch politischer sein?
Spion Y: Zurzeit machen ja vermehrt Leute Statements oder äußern sich im Rahmen von Sammelbewegungen auf Instagram politisch – das ist schon mal sehr, sehr gut. Auch, dass die Fans wissen, wo die Künstler politisch stehen, und darüber nachdenken. Und insgesamt gibt es ja auch mehr politische Äußerungen in Tracks, die die Leute zum Nachdenken anregen. Also, linksgerichtet glücklicherweise.
Marie Curry: Na ja, rechten Rap gibt es ja auch.
Spion Y: Ja, aber deutlich weniger im Vergleich.
Johnny Mauser: Es gibt aber immer noch rückständige Bilder. Zum Beispiel das Frauenbild hat ja nichts mit einer linken Einstellung zu tun. Dann sind die Leute vielleicht gegen Nazis, aber sehen trotzdem ein krass verschobenes Machtverhältnis zwischen Mann und Frau. Das feiern wir nicht gerade ab, deswegen wirkt die HipHop-Szene auf mich nicht sonderlich progressiv. Auch wenn es immer wieder Lichtblicke gibt. Da freut man sich, wenn jemand, der sonst nur über einen AMG Mercedes rappt, sagt, dass die AfD scheiße ist und er keinen Bock auf Rassisten in der Stadt hat. Aber eigentlich ist damit nicht viel erreicht, wenn sonst sehr rückständige Inhalte transportiert werden.
MZEE.com: Ich würde euch gerne mit einem Zitat konfrontieren, das ich in einem Artikel in DIE ZEIT gelesen habe. "Dass man, selbst wenn man alles kontrolliert und alles gewinnt, trotzdem eigentlich ein armes Schwein ist – das ist das Herzstück weißer Identitätspolitik." In dem Artikel ging es zwar mehr um Sexismus, jedoch finde ich, dass diese Attitüde genauso gut zur AfD passt …
Johnny Mauser: Klar, das ist ja auch eine Strategie der AfD, dass sie sich immer in die Opferrolle drängen wollen. Das funktioniert leider auch ganz gut.
Captain Gips: Auch diese Lügenpresse-Geschichten, die sie gerne nutzen. Das ist ja auch immer nach dem Motto: "Wir Armen, die von der bösen Presse diffamiert werden."
Marie Curry: Es ist eigentlich total faszinierend, dass es bei erwachsenen Menschen funktioniert, so einen Opferstatus durchzudrücken oder zu kommunizieren.
MZEE.com: Könnt ihr euch erklären, wieso das so gut funktioniert?
Spion Y: Der Opferstatus ist da wohl eher das Meckern über die Zustände und darüber, was in Deutschland nicht funktioniert.
Johnny Mauser: Also, den Leuten, die da meckern, geht es ja sehr gut in Deutschland. Rein wirtschaftlich betrachtet sind die Leute, die die AfD wählen, gar nicht so schlecht aufgestellt. Aber sie haben, gerade im Kapitalismus, vielleicht noch das Gefühl, dass sie durchrutschen könnten. Und dann wird immer schnell nach unten getreten – das ist ein psychologisches Phänomen. Da schießt man sich dann lieber auf den Flüchtling ein, der ein Smartphone hat, anstatt auf die Idee zu kommen, dass mein Chef, der zwei SUVs fährt, eigentlich das Ziel meiner Kritik ist.
MZEE.com: Neben der politischen Lage kritisiert ihr auch den klassischen Nine-to-five-Job. Wie sieht denn für euch eine ideale Gesellschaft aus?
Marie Curry: Was Arbeit angeht auf jeden Fall, dass man einem Job nachgeht, der sinnvoll ist und einem Spaß macht. Eigentlich dieses Karl-Marx-Ding, dass man keine entfremdete Arbeit macht, sondern etwas, worin man aufgeht.
Johnny Mauser: Die Technologie ist ja auch eigentlich schon so weit, dass es gar nicht mehr notwendig wäre, dass Leute 40 Stunden die Woche ackern gehen. Das wird ja gemacht, um Konzernen Profite in die Kasse zu spülen. Wenn die Wirtschaft so organisiert wäre, dass sie den Bedürfnissen der Menschen zugutekommt und nicht dem Portemonnaie einiger weniger, dann müssten die Leute auch nicht in diesem Ausmaß arbeiten. Dazu ist ja kein Zwang da. Generell täte es der Gesellschaft sicherlich gut, wenn Arbeit und die damit verbundenen Sachen wie Autofahren, einen Fernseher besitzen und so weiter nicht an erster Stelle stehen würden. Andere Sachen wie Gemeinschaft, Kultur oder Natur würden dann wohl viel höher in der Bedeutung stehen.
Marie Curry: Ich würde auch sagen, dass unser Ziel eine Gesellschaft ist, die für den Menschen konzipiert ist und in der es nicht vordergründig um Geld geht, sondern um die Bedürfnisse der Menschen.
Johnny Mauser: Es klingt eigentlich so banal, aber da es nicht gegeben ist, muss man das einfach so einfordern.
(Sam Levin)
(Fotos: Malte Schmidt & Robin Hinsch)