Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2004: Sido – Maske
Yeah, gib mir das Mikro!
Man nennt mich Sido – ich bin 1,86 und wieg' 72 Kilo.
Eine fast schon banale Personenbeschreibung – und dennoch der Anfang von etwas ganz Großem. Nicht nur für mich, sondern wohl auch für eine gewaltige Zahl anderer HipHop-Fans stellten diese Zeilen das Fundament für die heutige (Hass-)Liebe zur Szene dar.
Denn mit Aggro Berlin und ihrem Zugpferd Sido brach für Rap eine völlig neue Ära an. Das Auftreten des Maskenmannes und das marketingtechnische Geschick des jungen Indielabels demonstrierten auf beeindruckende Weise, dass deutscher Rap sich problemlos in der hiesigen Medienwelt positionieren ließ. Die Jugend hatte vermeintlich ihr kiffendes, pöbelndes Sprachrohr gefunden und Erwachsene, Medien und das Musikbusiness den "Rüpel-Rapper", dessen Verhalten und Skandälchen man mit begeistertem Entsetzen zur Kenntnis nehmen konnte. Schließlich war Sido der "Fuffies im Club" werfende Straßenjunge, der von Drogen und Sex in seinem Wohnblock redete, aber gleichzeitig seine Dankbarkeit für die eigene Mutter authentisch rüberbrachte. All das immer mit einem ganz besonderen musikalischen Charme, irgendwo zwischen Untergrundproduktion und "dem Fuß in der Major-Tür", wodurch ein Sound kreiert wurde, der auch gegenwärtig noch im Ohr bleibt. Und auch wenn "Maske" inzwischen natürlich etwas angestaubt anmutet und vieles, was auf dem Album zu finden ist, heute so sicher nicht mehr den gleichen Anklang finden würde, hat die Platte doch ihren Charme behalten. Noch heute werden dutzende Rapfans die Buchstabenreihenfolge "S-I-D-O-B-T-I-G-H-T-A-I-D-S-D-I-E-S-E-K-T-E" auswendig zu jeder Tages- und Nachtzeit fortsetzen können.
Rap mag und wird sich immer weiterentwickeln – qualitativ hochwertiger, moralisch teilweise verwerflicher und alles in allem so ganz anders als zu Zeiten von "Maske". Dennoch höre ich immer wieder gerne in mein erstes Deutschrapalbum rein. Denn wie lauten die letzten Zeilen Sidos auf "Maske"? "Denn egal, wohin du gehst, es kommt drauf an, wo du herkommst."
(Daniel Fersch)
(Grafik von Daniel Fersch)