Credibil
Rückblick: Anfang 2016 sprachen wir mit Credibil über sein damals aktuelles Album "Renæssance". Als wir ihn danach fragten, ob er schon Pläne für ein nächstes Projekt habe, war sich der Rapper bereits darüber im Klaren, dass kein "stinknormales Album" folgen würde. Er wolle nächstes Mal vielleicht die Geschichte von jemand anderem erzählen, alles einfacher verpacken oder seine eigene Geschichte fortführen. Im Frühjahr 2018 angekommen, hat Credibil mit "Nie wieder Bahnhof" bereits eine fremde Geschichte in Kooperation mit dem WDR veröffentlicht. Ende 2018 folgt das übrige Vorhaben: Mit seinem zweiten Studioalbum "Semikolon" präsentiert er neue Facetten und gewohnte Stärken. Wir führten mit dem Frankfurter ein Gespräch darüber, inwiefern sich der Schreibprozess durch die neue Herangehensweise verändert hat und was "Semikolon" von seinem Vorgänger unterscheidet. Außerdem teilte uns Credibil seine Gedanken zum Rechtsruck in Deutschland mit und erklärte seine geduldige Haltung im Bezug auf Erfolg.
MZEE.com: Dein Album "Semikolon" öffnet ein neues Kapitel: In Abtrennung zum eher düsteren Vorgänger "Renæssance" bezeichnest du die Platte als helles Licht, das keine Lust mehr auf Dreck habe. Was hat sich für dich persönlich verändert, sodass dein Leben und dein kreatives Schaffen aufgehellt worden ist?
Credibil: Das Album davor hatte dieselbe Haltung. Es sollte auch Liebe verbreiten, allerdings ging es vordergründig um mich als Person und meine Vergangenheit. Ich habe dort von meinen Schwächen, von meinen Fehlern, von den schweren Zeiten, die ich hatte, erzählt. Dementsprechend habe ich es verpackt. Die Verpackung bei Semikolon ist eine andere: Der Wunsch ist es, noch immer von diesen Dingen zu erzählen, aber auf eine andere Art und Weise. Ich fühle mich freier, leichter und positiver. Dadurch, dass ich ein paar Jahre habe vergehen lassen, kann ich jetzt besser mit Problemen umgehen. Ich habe einiges in meinem Leben geklärt und dazu gelernt – von Geduld bis hin zu Durchhaltevermögen; ich bin ein entspannter Künstler, was das angeht und habe da nicht so viele Sorgen.
MZEE.com: Du hast davon gesprochen, dass der Inhalt anders verpackt ist. Heißt das auch, dass Stilmittel wie Metaphern wegfallen oder was kann man sich darunter genauer vorstellen?
Credibil: Der Schreibstil hat sich ein bisschen verändert. Wenn ich zum Beispiel ein Problem aus meinem Leben beschreibe, kann ich das entweder aus meiner Sicht oder es anders verpacken und so verstecken. Dadurch, dass ich das Kind nicht beim Namen nenne, wirkt es für die Leute fremder und leichter. Ich habe dieses Mal versucht, mit meiner Kunst den nächsten Schritt zu gehen. Ich muss die Dinge nicht mehr offensichtlich darlegen, einen Song wie "Augenblick" machen und damit quasi einen Brief an meinen Vater schreiben. Es ist leichter und lockerer, aber dennoch schwerer zu entschlüsseln, weil man den genauen Sinn in den Songs selbst finden muss. Man muss die Überleitung zwischen dem ersten und dem zweiten Album verstehen. Es gibt gleichermaßen Parallelen zwischen "Renæssance" und "Semikolon". Beide Alben fangen düster an und hören positiv auf. Es ist alles etwas versteckter, aber ich glaube auch, dass ich das nicht universell erklären kann. (überlegt) Ich habe nur meine Sicht der Dinge darauf. Das Album lässt genügend Spielraum, damit es jeder für sich interpretieren kann.
MZEE.com: Die Inhalte entsprechen also nach wie vor deinem State of Mind. Geht es immer noch um dich als Person?
Credibil: Es geht um meine Person, aber nicht mehr um meine Vergangenheit. Das Album ist keine Drei-Akt-Geschichte mehr, durch die man Einblicke in meine Familie und Umstände bekommt. Das haben wir jetzt auf einem ganz anderen Weg gelöst – die Art der Mitteilung hat sich verändert. Der Ton macht die Musik, wie man so schön sagt. Jeder Song auf "Semikolon" hat einen Sinn, wenn man ihn sucht und den Track vom richtigen Blickwinkel aus betrachtet. Es gibt Songs wie die erste Single "Wenn du willst", auf der es um Liebe geht, was gleichermaßen der Kern der ganzen Semikolon-Geschichte ist. Ich habe mit dem Kern angefangen, damit die Leute sich selbst herantasten können. Außerdem bewege ich mich mit dem Inhalt nicht mehr auf gewohnten Beats, weil ich etwas Neues ausprobieren wollte. Ich will nicht zwei Mal dasselbe Album machen, sondern immer wieder einen neuen Weg finden, um mich und meine Gedanken mitzuteilen.
MZEE.com: Wie hat sich dadurch der Schreibprozess konkret verändert?
Credibil: Es gibt Songs wie "Vay Vay", wo es immer noch straight up Zeile für Zeile konkrete Bilder gibt, aber auch Lieder wie "Step by Step". In dem Track geht es nicht um den Akt des Fremdgehens, sondern um den Prozess des Fremdwerdens. Es ist alles ein wenig versteckter. Vielleicht habe ich später auch wieder Lust, den Leuten mit offensichtlichen Zeilen zu sagen, was Sache ist. Doch im Moment wollte ich die Texte so runterschreiben, dass ich sie selbst hören kann, wenn ich mit anderen Leuten im Raum bin. Das ist eine große Veränderung zu "Renæssance". Beim letzten Album habe ich teilweise den Raum verlassen, weil es mir zu persönlich war. Ich habe dort Zeile für Zeile ganz offensichtlich mich und meine Vergangenheit wiedergegeben. Das ist bei "Semikolon" glücklicherweise nicht der Fall. Das Semikolon bedeutet weitermachen, den Satz weiterschreiben. Das spiegelt sich im Schreibprozess und letztlich der Musik wieder – es klingt nach einer viel offeneren und helleren Ansicht auf mich und meine Sache.
MZEE.com: Wenn wir bereits beim Thema Schreiben sind: Es ist kein Geheimnis, dass viele aktuelle Hits in "Songwriting-Camps" geschrieben werden. Haben dich diesmal Künstler beim Texten unterstützt?
Credibil: Ich miete mir keine fremden Künstler ein. Es waren die Leute im Studio, die mich seit dem Beginn meiner Karriere begleiten. Wenn ich mich frage, wie beispielsweise eine Zeile enden soll, dann können das ausschließlich die beantworten, die mich auch wirklich kennen. Alle anderen Ratschläge wären fremde Kost. Alles, was ich mache, mache ich selber. Wir haben Gott sei Dank die Möglichkeit, Produzenten nach Frankfurt zu holen, wie zum Beispiel MYVISIONBLURRY. Er ist mittlerweile auch jemand, den ich um Rat fragen kann, wenn ich bei einem Song nicht weiß, ob etwas nach links oder rechts gehen sollte.
MZEE.com: Wie würdest du dich denn im Allgemeinen zum Thema Ghostwriting positionieren?
Credibil: Ich feiere Ghostwriting, wenn es von meinen Jungs kommt. (lacht) Wenn nicht, dann müssen die Leute abliefern. Und wenn nicht abgeliefert wird, dann ist es mir eigentlich auch egal, wer es geschrieben hat. Wenn's nicht cool ist, ist es nicht cool, egal, wie erfolgreich es ist. Da lege ich keinen Wert drauf. Die meisten kaufen sich ein Produkt ein, weil sie hoffen, dass dabei ein Mehrwert entsteht. Und wenn der nicht im Inhalt oder Finanziellen liegt, dann wurde ein Fehler begangen. Das passiert leider auch oft.
MZEE.com: Bist du denn selbst als Ghostwriter aktiv?
Credibil: Ich weiß es nicht, sag du es mir. (lacht) Wenn es so wäre, dürfte ich dir ja leider nicht verraten, für wen.
MZEE.com: Dann gehen wir zum nächsten Thema über. Du hast die AfD mehrmals zum Gegenstand einzelner Textzeilen gemacht und damit Stellung bezogen. Wie erklärst du dir die aktuellen und vergangenen Wahlergebnisse, in denen der Rechtsruck deutlich zu erkennen ist?
Credibil: Ich glaube, dass mehrere Faktoren eine wichtige Rolle spielen, aber der größte ist Angst. Angst vor etwas Unbekanntem, das irgendwo dort draußen ist. Etwas, das von anderen und vor allem den Medien beschrieben wird. Das, was oft auf den Titelseiten landet und dadurch aufgebauscht wird. Du musst dich fragen, was Brisanz für die Medien bedeutet – dadurch gibt es den falschen Blickwinkel auf die Sachen. So finden Parteien wie die AfD großen Anklang, obwohl sie sich eigentlich durchgehend widersprechen. Sie behaupten, dass sie eine europäische und parlamentarische Partei seien, die keinerlei rechtes Gedankengut habe. Trotzdem zeigen sie in jeder Kundgebung, dass es nicht so ist. Sie suchen genau diese Menschen, die bereits verängstigt sind, damit sie sich auf die Seite der AfD stellen. Es ist wie eine Hetzjagd. Sie wollen uns spalten, aber ich sage dir ehrlich: Ich lasse mein Deutschland nicht so behandeln. Nicht, solange ich schreiben kann.
MZEE.com: Glaubst du, dass es abseits der Medien und Kundgebungen weitere Auslöser für diese Angst gibt?
Credibil: Unsicherheit. Einfach nur Unsicherheit. Ich glaube nicht, dass jemand, der in der Großstadt lebt und Multikulturalismus kennt, losgeht und die AfD wählt. Dort sehe ich eher weniger das Problem. Die AfD bekam allerdings 14,2% in Baden-Württemberg, wo es viel Land- und Bauernfläche gibt. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die Leute einfach nicht wissen, wem sie ihre Stimme gegeben haben und das Wahlergebnis bloß die Angst oder ein Gefühl der Unruhe durchsickern lässt. Ich habe mal gelesen, dass der Ursprung der Angst vor einer Sache oft darin liege, dass man selbst nicht so wie diese Sache ist. Die Paranoia geht hier aber nach hinten los.
MZEE.com: Bist du denn an sich mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland zufrieden?
Credibil: Ich bin kein Politiker, das ist mein erster Satz dazu, der ist ganz wichtig. Ich schreibe gerne. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass ich irgendwann in die Politik gehe, wenn ich Bock darauf bekäme. (lacht) Bis dahin befasse ich mich aber nur oberflächlich mit den Themen. Ich muss auch oberflächlich bleiben, damit der kleine Mann mein Wort versteht. Das, was die Politiker dort treiben, ist für viele zu vertieft. Es wird viel über die falschen Dinge gesprochen. Sie könnten mehr über das Schulsystem sprechen und wirklich in die Zukunft investieren, jedoch wird eher vier Jahre über eine Entscheidung gesprochen, die in den nächsten vier Jahren wieder verworfen wird. Vielleicht brauchen wir längere Amtszeiten. Jemanden, der länger verantwortlich ist. Vor allem brauchen wir Politiker, die sich auch an den einfachen Bürger wenden. (überlegt) Es ist schwer, sich in meiner jetzigen Lage dazu zu äußern, weil mich noch niemand ernst nimmt. Wenn wir Gold oder Platin gegangen sind, dann habe ich eine ganz andere Reichweite und kann noch mehr bewirken, zum Beispiel mehr Transparenz einfordern und zu vielem meine Meinung abgeben. Wir haben 2018 und müssen zum Wählen noch immer in Wahllokale gehen – es gibt einen Weg, aber der ist für manche noch immer zu weit. Ich habe vieles in meinem Kopf, aber dort bleibt es auch so lange, bis ich es ausgearbeitet habe und dann kandidieren gehe. (lacht)
MZEE.com: Lass uns über das Soundbild von "Semikolon" sprechen, das durchaus neu ist. Unter anderem sind The Cratez, MYVISIONBLURRY und Moses P. für den Sound verantwortlich. Du selbst hast an der Produktion von "Vallah" mitgewirkt. Wer hat noch auf dem Album produziert und warst du an weiteren Beats beteiligt?
Credibil: Unter anderem noch Macloud und Martin Haas. Da waren einige beteiligt. Die Sachen, von denen du sprichst, die so krass extrovertiert sind und anders klingen, sind die Dinger, die ich mitproduziert habe. Ich hatte volle Entscheidungsgewalt. Ich habe lustigerweise letztens mal durchgezählt, wie viele Tracks denn für mich anders klingen und wie viele für mich ganz normal klingen – beziehungsweise, welche Songs für mich mehr nach "Renæssance" klingen als nach "Semikolon". Und wenn du mich fragst, ist es gar nicht so ein großer Unterschied. Da wird immer noch gesungen. Ich mache keine Fabrikarbeit. Es gibt Leute, die mich für eine Sache schätzen, für die ich weiterhin stehe – und das ist der Inhalt. Dafür bin ich verantwortlich. Für das, was ich sage, und das, was ich bin. Nicht, ob dir die Clap oder die Flöte auf dem Song gefällt.
MZEE.com: Kommen wir zu deinem Hörspiel "Nie wieder Bahnhof". Wird es die Tracks, die dafür entstanden sind, auch nochmal separat irgendwo zu hören geben?
Credibil: Einen Song davon habe ich mit auf das Album genommen, weil ich ihn einfach passend fand – auch in der Story des Albums. "Step by Step" ist auch der einzige Song, der auf "Nie wieder Bahnhof" von den Cratez produziert wurde. Den Rest habe ich gemeinsam mit Jungs aus dem Viertel produziert, die nichts mit Mucke zu tun haben. Aber es hat einfach ultra Bock gemacht. Und ich habe das Ding an den WDR verkauft. (lacht) Also müsstest du das eigentlich den WDR fragen. Ich weiß nicht, ob die das nochmal irgendwo hochladen wollen oder nicht. Ich bin zufrieden damit, wie es gelaufen ist. Ich wollte das den Leuten vor dem Album schenken, die eine offensichtliche Story wie bei "Renæssance" haben wollten, damit ich bei "Semikolon" tun und lassen kann, was ich will. Ich hoffe, dass die Songs gehört werden. Wenn sie verschwinden, ist es auch okay. Dann gibt es von Credibil eben ein Projekt, das unter den Tisch fällt und als Geheimtipp gilt – so, wie Credibil ein Geheimtipp ist und bleibt. Bis wir mit jedem Geheimtipp mehr, der weitergegeben wird, riesige Hallen füllen, bleibt das Ding erst mal da, wo es ist, glaube ich.
MZEE.com: Seit "Molokopf" tragen deine Veröffentlichungen Namen, deren Bedeutung sich einem nicht sofort erschließt. Beruht das auf einer bewussten Entscheidung?
Credibil: Nein, ich benenne meine Alben nach Gefühl. Angefangen hat es ja mit der "Ehrlich gesagt EP", dann habe ich das "Deutsche Demotape" rausgebracht, dann "Molokopf", "Renæssance" und jetzt "Semikolon". Ich habe in der Vergangenheit nicht darauf geachtet, dass es so sein muss. Das könnte ich, glaube ich, auch gar nicht. Es passiert einfach im Laufe des Prozesses. Ich stehe auf, irgendetwas gefällt mir – ein Bild oder eine Metapher. Ich habe aber ein Faible für Leute, die gerne zweimal hingucken, wenn du es so sehen willst.
MZEE.com: In einem anderen Interview erwähnst du, dass du dich in Geduld geübt hast. In diesem Zuge haben wir dir ein Zitat von Konfuzius mitgebracht: "Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern." Würdest du das so unterschreiben?
Credibil: Auf die großen und kleinen Dinge kann ich keinen Bezug nehmen. Ich weiß, dass es im Allgemeinen nur von Vorteil sein kann, Dinge, die man nicht ändern kann, abzuwarten und zu akzeptieren. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und mache mir sehr häufig einen Kopf über Sachen, die ich nicht ändern kann. Das ist wahrscheinlich auch Teil meiner Kunst. Aber in meinem Leben habe ich jetzt endlich gelernt, damit umzugehen und auch mal zu sagen: "Ey, es ist okay. Ich bin zwar ready und kann schießen, aber wenn es nicht soweit ist, dann ist es nicht soweit." Egal, wie es gerade läuft, egal, was es ist, das dich gerade stoppt – es wird vorbeigehen und danach werde ich immer noch ready sein. Und wenn meine Zeit kommt, dann treff' ich.
(Steffen Bauer & Jens Paepke)