MZEE.com: Unser letztes Interview mit dir ist gut zwei Jahre her. Um diese Zeit trat neben GReeeN auch dein Alter Ego Grinch Hill das erste Mal in Erscheinung und aktuell stehen zwei EPs der beiden an. Kannst du zu Beginn des Interviews kurz zusammenfassen, wie sich der Charakter von Grinch Hill in den zwei Jahren entwickelt hat?
GReeeN: Ich hab' ziemlich lange gebraucht, bis ich als Grinch Hill meinen Style gefunden hatte, ohne dass es einfach wirkt wie GReeeN mit anderen Texten. Gut, ich hab' in einem Song auch gesagt, dass der einzige Unterschied zwischen GreeeN und Grinch die Texte seien, um da vorwegzugreifen. Aber der Flow eines Künstlers ist halt der Fingerabdruck – den kriegst du nicht los. Ich kann nicht auf einmal komplett anders rappen oder meine Stimme pitchen wie Marsi. Aber in den vergangenen zwei Jahren hab' ich viele Lieder geschrieben und der Unterschied zwischen den beiden Charakteren hat sich herauskristallisiert. Und ich find's fantastisch, dass Grinch Hill jetzt eine eigene Stimmfarbe hat, in der er rappt. Die ist näher an meiner normalen Sprechstimme und eher tief. GReeeN rappt und singt ja eher hoch. Ansonsten sind die Beats bei Grinch Hill etwas düsterer und einfach mehr HipHop – Boom bap und Kopfnicker-Sound, trotzdem mit modernen Komponenten.
MZEE.com: Bist du an diese Charakterentwicklung konzeptionell herangegangen oder hat sich das alles eher mit der Zeit entwickelt?
GReeeN: Beides. Mein größtes Problem war schon immer, dass meine Stimmfarbe sehr dehnbar ist. Bei manchen Songs nervt einige die Stimme von GReeeN, bei anderen feiert die jeder ab. Es kommt echt drauf an, in welcher Tonlage ich singe oder rappe. Von daher musste ich konzeptionieren, welche Beats Grinch Hill in welcher Tonlage braucht. Da musste ich mich schon herantasten und mir das genau ausmalen. Ich hab' auch mit mir gekämpft, ob ich die Stimme pitchen soll … aber das kam eigentlich gar nicht in Frage. Ich will einen eigenständigen Künstler ohne technische Hilfsmittel kreieren. Ich lass' es mir aber auch offen, als Grinch Hill eine Hook zu singen, eben in der GReeeN-Stimmfarbe.
MZEE.com: Sind denn beide Charaktere klare Images für dich?
GReeeN: Grinch Hill ist definitiv ein Image, obwohl natürlich auch ein Kern Wahrheit dahinter steckt. Jeder von uns hat eine dunkle Seite in sich. Bei GReeeN würde ich sagen: teils teils. GReeeN bin zu hundert Prozent ich, da trage ich mein Innerstes nach außen. Aber ist das auch ein Image? Ich rappe als GReeeN zwar keine Dinge, die nicht wahr sind, aber überspitze natürlich.
MZEE.com: Aber es ist nicht konstruiert.
GReeeN: Nee, auf keinen Fall. Dann ist Grinch Hill eher konstruiert und GReeeN mein mehr oder weniger reines Ich als Pasquale.
MZEE.com: Du hast gerade gesagt, dass jeder Mensch eine dunkle Seite in sich trägt. Hat denn auch jeder Mensch eine gute Seite – egal, was er gemacht hat?
GReeeN: Ja, das glaub' ich schon. Also, es gibt ja beispielsweise Psychopathen, die überhaupt keine Emotionen in sich tragen. Da kann man wahrscheinlich stundenlang drüber diskutieren. Aber ich glaube, dass jeder Mensch als leeres Blatt auf die Welt kommt. Oder sogar gut. Ein Baby ist eher gut und wird vielleicht durch seine Eltern, Umstände und Eindrücke geformt. Du kannst das leere Blatt ja ganz schnell zu einem Haufen Scheiße erziehen. Klar, Gene spielen natürlich auch eine Rolle. Deine Charakterzüge und Erlebnisse sind ja in deiner DNA gespeichert und wenn du Kinder kriegst, können sie bei denen auch hervortreten oder eben nicht. Das kann man ja nicht pauschalisieren. Kann sein, dass du aus einer Familie voller Psychopathen stammst. Aber dein Charakter ist ja erstmal sehr dehnbar und es kommt darauf an, welche Eindrücke auf dich wirken, wo du geboren wirst und was du daraus machst. Ach, das ist ein sehr schwieriges Thema …
MZEE.com: Kommen wir mal zurück zu GReeeN und Grinch Hill. Ist dir einer der beiden Charaktere lieber?
GReeeN: Vor einem Jahr hätte ich darauf ganz klar mit "GReeeN" geantwortet. Aber mittlerweile hab' ich Grinch Hill total lieben gelernt. Auch weil er sich selbst erst vergangenes Jahr wirklich gefunden hat. Der Startschuss war die Qualifikation fürs JBB 2017. In dem Video hat er 'ne tote Frau auf seinem Schoß und baut einen Joint auf ihrem Rücken. (lacht) Im zweiten Video erdrosselt er ein Kind, der Gegner David Nine war halt erst neun Jahre alt, da nimmt Grinch natürlich keine Rücksicht. Das ist für mich einfach Entertainment pur. Ich wollte immer schon Schauspieler werden oder als Regisseur Filme kreieren. Und Grinch Hill ist genau das auf musikalischer Ebene. Da kann ich in eine Rolle schlüpfen, die mit meinem Leben nichts gemein hat. Das dient höchstens als Ventil, um Aggressionen verbaler Art freien Lauf zu lassen. Und der Wettkampf dahinter, den Gegner verbal plattzumachen, ist eben auch einfach geil. Solange man sich danach die Hand geben kann wie im Sport. Ich hab' grad ein Video rausgehauen, in dem ich wie ein Wikinger aussehe. Das sieht so krass aus, Arthur Rewak hat das gedreht – und du denkst, das wär' vom Regisseur von Game of Thrones. Das ist einfach ein Film geworden. Um auf die Frage zurückzukommen: Ich kann nicht sagen, dass mir der eine Charakter mehr Spaß macht … aber wahrscheinlich wird GReeeN immer eine Nasenspitze vorne sein, weil das einfach mein Tagebuch, meine Gedankenwelt und mein wahres Ich ist.
MZEE.com: Anders als zunächst angekündigt, bringen GReeeN und Grinch Hill jetzt doch keine gemeinsame EP heraus, sondern zwei voneinander getrennte Platten. War das von Anfang an so geplant?
GReeeN: Nein, ich wollte eigentlich wirklich ne Kollabo-EP machen. (lacht) Die sollte halt passend zum Titel "Ach du grüne Neune" neun Tracks haben. Aber neun GReeeN-Lieder fand ich zu viel für eine EP. Also wollte ich fünf GReeeN-Songs und vier Grinch Hill-Songs machen. So kam der Gedanke der Kollabo-EP auf. Aber plötzlich hatte ich 20 GReeeN-Songs und dachte mir nur: Scheiße, Alter. (lacht) Dazu kamen dann noch vier, fünf Lieder von Grinch Hill und ich musste überlegen, wie ich das alles unterbringe. Spotify war auch so ein Problem: Wie wird das dann aufgelistet? Das ist ja auch ein bisschen bescheuert. Deshalb hat Grinch Hill sich einfach abgeseilt und wir haben dann daraus das Konzept erarbeitet, dass er eben Beef mit GReeeN anfängt.
MZEE.com: Willst du den Charakter Grinch Hill denn längerfristig am Leben halten?
GReeeN: Mal gucken. Ich glaube schon, dass er bleibt. Das ist ja meine düstere Fantasie und die ist unendlich. Mal sehen, wie lange ich das machen werde, aber die nächste Zeit auf jeden Fall. Grinch Hill soll Deutschrap einfach umkrempeln und richtig in den Arsch ficken.
MZEE.com: Neben den beiden EPs steht auch noch eine Tour im Herbst/Winter diesen Jahres an. Das ist alles sehr zeitintensiv und erfordert sicherlich auch einiges an Kraft und Organisation. Kannst du denn aktuell von deiner Musik und deinen Projekten leben?
GReeeN: Mehr als gut, ja. Das entwickelt sich gerade zu einer Firma, von deren Ertrag nicht nur ich, sondern auch meine Jungs um mich herum leben können. Ich kann Stück für Stück jeden von der Crew für die Projekte "freikaufen".
MZEE.com: Die Frage ist ja immer auch, ob man sich als Künstler so auf die Musik festlegen will. Manche brauchen ja auch etwas "Normales" als Ausgleich.
GReeeN: Klar, da hast du Recht. Die Gedanken hatte ich auch. Ich würde jedem raten, wenn er einen Traum hat, sich auch nebenher etwas Gleichwertiges aufzubauen. Es gibt so viele Dinge, für die man sich interessieren kann. Ich hätte auch Archäologie studieren können und hab' auch mal mit Lehramt angefangen … Aber ich legte mich eben schon mit 18 ziemlich auf die Musikkarriere fest. Ich wusste, das ist der Grund, weshalb ich hier bin, dass mich nichts aufhält und ich wollte den Leuten zeigen, dass man alles erreichen kann. Egal, welche Umstände es gibt und welchen Hintergrund du hast. Es liegt an deinem Ehrgeiz und deinem Fleiß, wie lange du dabei bleibst. Ich hatte am Anfang nichts und arbeitete mich Stück für Stück nach oben. Das hat auch nichts mit Glück zu tun. Auch wenn man das Wort Glück verschieden interpretieren kann. Der Ausgleich ist schon sehr wichtig. Den hatte ich die letzten Jahre überhaupt nicht, deshalb hab' ich auch zwei Monate Lehramt studiert. (lacht)
MZEE.com: Was ist denn jetzt dein Ausgleich? Und jetzt sag nicht Grinch Hill …
GReeeN: (lacht) Ja, doch. Grinch Hill schon ein bisschen. Aber vor allem Familie, Natur, Sport, auf 'ner Wiese liegen und was lesen, mit Freunden abhängen, hier und da mal 'ne Reise machen. Das ist mein Ausgleich. Ich könnte mir aktuell aber auch gar keinen anderen Beruf neben der Musik vorstellen. Es ist einfach zu zeitintensiv und eben eine richtige Firma geworden. Der ganze Kram ist ja auch quasi ein Ausgleich zum Songs schreiben und Aufnehmen. Aber mein Heiligtum und das Wichtigste sind Familie und Freunde.
MZEE.com: Lass uns kurz zu einem Thema kommen, das sicherlich viele deiner Fans interessieren wird: Battlerap. Wieviele Jahre machst du noch beim JBB mit?
GReeeN: (lacht) Das Schöne ist: Ich hab' 2013 zum ersten Mal mitgemacht, danach erst wieder 2016 beim JMC. Also offiziell waren es eigentlich nur zwei Male.
MZEE.com: Ja, und wieviele Battles hast du sonst noch gemacht? (lacht)
GReeeN: Beim VBT hab' ich eine Qualifikation für die splash!-Edition eingereicht und beim normalen VBT noch zwei Runden gemacht … und jetzt ist Grinch Hill beim JBB dabei, das bin ja nicht ich. (grinst) Aber das wird jetzt auch das letzte Mal sein. Das Turnier hat ja vor eineinhalb Jahren angefangen, da gab es eine einjährige Pause. Ich hab' da auch nicht mitgemacht, um neue Fans zu generieren, da kennt mich, glaube ich, eh schon jeder. Aber es hat mir halt einfach Spaß gemacht, wieder gegen Gegner zu rappen. Das ist ein Hobby, 'ne Kampfsportart, bei der ich mich verbal mit anderen Rappern prügel. Das braucht Grinch Hill einfach. Der will jemanden zusammenkloppen und der Beste sein. Dieser Ansporn ist halt geil. Das ist wie ein Chef, der dir sagt, wann du irgendwelche Dinge abgeben musst. Das hab' ich ansonsten nicht, ich bin ja mein eigener Chef. Diese Deadlines tun tatsächlich auch mal gut. Aber das war, wie gesagt, das letzte Mal. Ich find's immer noch geil, aber ich hab' keine Zeit dafür. Wenn überhaupt, mache ich mal was eigenes oder so …
MZEE.com: Wie steht's denn um deinen Wunsch, mal live zu battlen?
GReeeN: Das würde ich schon gerne mal machen. Aber da sind wir wieder bei der Zeit. Ich mach' ja auch aktuell beim JBB mit und muss dafür schreiben, obwohl ich eigentlich dafür schon keine Zeit habe. Live-Battles würde ich, glaube ich, dann machen, wenn ich mal wieder chillen kann und eigentlich nichts zu tun habe. So als Hobby. Ich kann mir das in Zukunft schon spaßeshalber vorstellen, aber nicht total ernsthaft.
MZEE.com: In der nächsten Zeit ist also in der Richtung nichts geplant.
GReeeN: Nee, auf keinen Fall. Ich bin zu sehr mit meinen eigenen Projekten beschäftigt und kann mich da schon kaum vor Arbeit retten. Außer Julien hätte jetzt die Idee, quasi mit dem JBB auf Tour zu gehen und JBB-Battles einfach live zu spielen. Das würde ich jederzeit machen. Das hab' ich ihm auch schon mal vorgeschlagen und ich verstehe nicht, warum er das bisher nicht gemacht hat. Ich versteh' auch nicht, dass SpongeBOZZ nicht auf Tour geht – er würde Hallen ausverkaufen. Macht er aber einfach nicht. Und bei Julien muss es Bequemlichkeit sein. Er hätte locker 500er- oder sogar 1 000er-Hallen vollbekommen.
MZEE.com: Es gab ja auch 'ne erfolgreiche VBT-Tour. Und das VBT hatte auf jeden Fall weniger Klicks als das JBB …
GReeeN: Es ist echt schade, dass er das nicht macht. Es sind ja auch immer nur 10 Rapper beim JBB. Mich hat beim VBT immer gestört, dass es so wahnsinnig viele Teilnehmer gab und ich meine Zeit mit jemandem verschwenden musste, der eine Cornflakes-Packung auf dem Kopf und noch nie gerappt hatte. Deshalb bin ich damals auch ausgestiegen.
MZEE.com: Wir würden gerne noch ein Thema anschneiden, das dir auch am Herzen liegt: Du thematisierst in deiner Musik ganz offen den Konsum von Cannabis – ein Thema, das sich aktuell oft in der Politik wieder findet. Wie stehst du zur Legalisierung von Cannabis?
GReeeN: Ich finde das absolut legitim. Wäre Alkohol illegal, könnte man einer Legalisierung von Cannabis kritisch gegenüberstehen, dann wäre eben keine Droge erlaubt. Aber Alkohol ist meiner Meinung nach als größtes Gift der Welt legal und Cannabis nicht … Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn.
MZEE.com: Eine Legalisierung kann ja auch Probleme mit sich bringen. Die Niederlande zum Beispiel müssen sich immer wieder mit sogenannten "Drogen-Touristen" auseinandersetzen.
GReeeN: Auf der anderen Seite bringt es Steuereinnahmen ohne Ende und Touristen sind doch immer etwas Gutes. (grinst) Besonders bekiffte. Die sind doch voll lieb und schlafen nur.
MZEE.com: In einigen Vororten und auch in Amsterdam selbst musste man in Coffeeshops zeitweise eine Sperre für Touristen einführen. Die ist jetzt zwar wieder aufgehoben, aber damals hielt man das wohl für nötig …
GReeeN: Also, es wird ja auf der ganzen Welt gekifft. Die Illegalität schafft doch nur mehr Probleme. Das nährt den Schwarzmarkt. Wieso sollte da nicht der Staat seine Hand aufhalten und dem Schwarzmarkt den Teppich unter den Füßen wegziehen? Außerdem könnten die Jugendlichen so viel besser über die Droge aufgeklärt werden. Etwas einfach zu illegalisieren und zu sagen, dass es ganz schlimm ist, verhindert ja auch nicht, dass die Leute es ausprobieren. Es probiert ja fast jeder aus und merkt, dass es gar nicht so schlimm ist. Klar, wir müssen nicht darüber reden, was passiert, wenn du jeden Tag kiffst, aber das müssen wir bei Alkohol auch nicht. Und wenn Jugendliche sehen, dass Cannabis zwar illegal, aber gar nicht so schlimm ist, dann denken sie das gleiche vielleicht auch über Ecstasy oder sonstige Pillen und Drogen.
MZEE.com: Was ist denn deine Meinung zu härteren Drogen?
GReeeN: Ich hab' keine Erfahrungen damit gemacht, weil ich mit Chemie noch nie was zu tun haben wollte und das auch nicht brauche. Selbst das hochgezüchtete Holland-Weed geht mir mittlerweile richtig auf die Eier. Das hat nichts mehr mit dem Cannabis zu tun, das Gott erschuf. Cannabis sollte auch aktiv und kreativ machen können, sodass du rausgehen willst und redselig wirst. Dieses gezüchtete Zeug wirkt ja mittlerweile wie Wodka, das ist schon 'ne harte Droge. Wenn es legal wäre, könntest du das viel besser kontrollieren. Und die Leute könnten das Cannabis kaufen, das sie wollen, nämlich Sativa-lastiges, das eher high und nicht total stoned macht. Damit kannst du dein Leben auf jeden Fall eher auf die Reihe kriegen als mit diesem Holland-Weed. Allgemein ist die Kriminalisierung von Menschen, die Drogen nehmen, ein Problem. In Portugal find ich's geil. Da gibt es eine liberale Drogenpolitik: Da werden auch Leute, die Koks nehmen, nicht in ein Gefängnis gesperrt. In erster Linie sind das Menschen, die Hilfe brauchen und therapiert werden müssen. Sowas sollte man in Deutschland einrichten. Ich finde trotzdem, dass diese Substanzen verboten sein sollten. Ich bin total dagegen. Trotzdem bringt es nichts, einen Heroin-Junkie mit Geld- und Freiheitsstrafen zu belegen.
MZEE.com: Drogen sind ja allgemein ein krasses Thema. In den USA werden gerade beispielsweise Tests mit dem Wirkstoff DMT durchgeführt, auf dem Ayahuasca basiert. Der Stoff greift quasi aufs Gehirn zu und konfrontiert den Konsumenten mit Erlebnissen aus seinem Leben. Da wird überprüft, ob DMT Traumapatienten helfen kann, weil sie sich dadurch ihrem Trauma stellen müssen und nicht davor weglaufen können.
GReeeN: Ich frage mich immer, ob es so gut ist, Dinge in der Therapie so krass aufzuarbeiten und Revue passieren zu lassen. Stell dir mal vor, du hast als Kind schon irgendetwas verarbeitet und bist mittlerweile ein glücklicher Mensch. Dann wird das wieder aufgebrochen und du wirst wegen etwas, das 20 Jahre her ist, total depressiv. Ich weiß nicht, ob das immer so gut ist. Bei einer Droge kommt natürlich noch dazu, wie kontrollierbar das Ganze ist. Aber auch allgemein frage ich mich, ob es so eine gute Therapie ist, die Erlebnisse so intensiv aufzuarbeiten.
MZEE.com: Ich denke schon, dass viele Menschen Sachen verdrängen und dass das definitiv nicht immer schlecht ist.
GReeeN: Das ist auch wieder wahr. Wir haben alle Dinge erlebt, die nicht schön sind. Jedoch gibt es nichts Schlimmeres, als die wieder aufleben zu lassen. Klar, wenn das immer noch in deinem Inneren rumort und du deshalb aggressiv oder traurig bist, ist es ein Problem. Aber warum immer die Büchse der Pandora öffnen?
MZEE.com: Die Droge würde dann ja wahrscheinlich nur bei Trauma-Patienten eingesetzt werden, wenn man davon ausgeht, dass der Patient ansonsten eben davor wegläuft, sich aber seinem Problem stellen muss.
GReeeN: Ich würde da eh ganz anders herangehen. Klar, ich hab' nicht Psychologie studiert. Aber ich würde mit Menschen, denen schlimme Dinge passiert sind, anders umgehen. Ich würde sie nicht alles nochmal und nochmal erzählen lassen. Klar, das wird gemacht, damit die Menschen damit abschließen können. Ist ja auch gut …
MZEE.com: Meine Mutter ist Mentalcoach und hat mir letztens von Krisenintervention erzählt. Da kann es um alles gehen, auch um total krassen Liebeskummer oder sowas. Dabei gibt es verschiedene Persönlichkeitsmuster, die sich daraus ergeben, wie Menschen aufgewachsen und aufgezogen worden sind. Das muss vom Coach erst herausgefunden werden, um sie dann dort emotional abzuholen. Und erst dann kann er rational mit der Person an dem Problem arbeiten. Wenn ein Coach die Intervention mit einem Menschen macht, braucht er zwei Wochen, um wieder besser klarzukommen und das Thema anders sehen zu können – ohne Intervention angeblich zwei Jahre. Du steckst dann einfach so extrem in diesem Muster und der Emotion fest.
GReeeN: Versteh' ich voll. Unser Gehirn wird eben durch unsere Erlebnisse programmiert. Da prallen auch alle Aufmunterungen und Ermutigungen ab, wenn du immer wieder an die gleiche Scheiße denkst. Um das umzuprogrammieren, braucht es zumindest alleine wirklich viel Zeit und Geduld. Man hat ja auch herausgefunden, dass bestimmte Bereiche im Gehirn eher für das Positive und andere für das Negative zuständig sind. Menschen, die depressiv sind, haben ihre negative Seite eben extrem stark "trainiert". Das wieder umzupolen, ist echt 'ne Aufgabe. Mir fällt es beispielsweise unfassbar leicht, positiv zu denken. Ich bin schon immer ein positiver Mensch und ich kann auch nur so mit Negativem umgehen. Es gab zwar auch Zeiten, in denen ich mich in Melancholie gesuhlt habe. Das kann ja auch schön sein. Aber ich hab's immer geschafft, rechtzeitig da rauszukommen und fröhlich zu sein. Das schaffen aber manche Menschen eben nicht. Über das Thema könnten wir noch stundenlang reden. Vielleicht beim nächsten Mal … (grinst)
MZEE.com: Das Problem ist, denke ich, dass Menschen die Vergangenheit auch total glorifizieren. Dann verlieren sie beispielsweise etwas oder jemanden und stürzen sich nur noch in die Vergangenheit. Und gleichzeitig wird allen eingetrichtert, dass sie immer glücklich sein müssen.
GReeeN: Das ist ja auch Bullshit. Es ist wunderschön, mal traurig zu sein. Von 365 Tagen im Jahr bin ich vielleicht an 60 Tagen traurig. Das ist ein Superschnitt. Wenn es 180 Tage wären, würde ich natürlich depressiv werden, dann würde ich den Gehirnbereich zu intensiv trainieren. Ich hab' zuletzt auch etwas sehr Trauriges erlebt und Tränen vergossen. Aber das gehört zum Leben dazu und wir gehen diesen Weg alle. Natürlich ist es schlimm, wenn jemand sehr früh aus deinem Leben gerissen wird. Aber früher oder später wirst du es eh erleben …
MZEE.com: Letzte Frage: Da wir wissen, dass du gerne die Welt entdeckst – erzähl uns doch noch zum Abschluss unseres Gesprächs deine schönste Reisegeschichte aus den letzten zwei Jahren.
GReeeN: Also, ich war auf Kreta, gemeinsam mit meiner Schwester, meinem Cousin und meiner Oma. Die hatte sich das gewünscht und uns die Reise geschenkt. Irgendwann habe ich mich abgeseilt, weil ich es auch liebe, mal allein mit mir selbst und der Natur zu sein. Kreta ist ja für seine sehr hohen Berge bekannt. Dann hab' ich einen der Berge angesteuert und wollte bis ganz nach oben laufen. Ich bin einfach abseits der Berge losmarschiert und steile Felsklippen hochgeklettert. Das war vielleicht teilweise ein bisschen lebensmüde. Aber ich liebe es einfach, komplett losgelöst in der Badehose durch die Natur zu laufen. Ich bin dann fast bis zur Spitze gekommen, fünfhundert Meter haben vielleicht gefehlt. Aber die Aussicht von diesem Felsvorsprung konnte ich einfach nur genießen. Meine Beine waren nach den anderthalb Stunden, die ich gelaufen bin, total zerrissen. Ich bin einmal gestürzt und hab' fast ne Lawine ausgelöst. (lacht) Ich konnte es aber immer noch ganz gut einschätzen. Das sind meine glücklichsten Momente im Leben. Abseits der Wege in der Natur, wo vielleicht noch nie jemand war. Auch wenn der Gedanke natürlich absurd ist. Das ist mein Balsam für die Seele.
(Florence Bader und Laila Drewes)
(Fotos von Arthur Rewak)