Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: form
Polarisierung ist leider ein zunehmender Bestandteil des deutschen Raps – ob es nun frauenverachtend anmutende Zeilen von RIN oder Cro sind, fragwürdige Aussagen in Absztrakkts aktueller Musik oder das neueste Album von Prezident. Gerade Letzteres sorgt zunehmend für gespaltene Meinungen, wie unter anderem auch wir schon feststellen mussten. Der Rapper form hat sich dem Album ebenfalls einmal angenommen. Während die meisten Stimmen bisher meist einseitig auf Prezidents aktuelle Aussagen eingegangen sind, schafft form es, das Ganze weitestgehend distanziert zu betrachten. So zeigt er auf der einen Seite Verständnis für die Meinung des Wuppertalers zur #metoo-Debatte, erklärt aber andererseits, weshalb diese nach außen sehr herablassend wirkt. Alles in allem ein zu langer Text, um hier gebührend darauf einzugehen, aber gleichzeitig äußerst sachlich und fundiert. Und daher ist es fast schon wünschenswert, dass form noch ein ausführliches Interview mit Prezident zu seinem Album führt, welches dann auch ungekürzt veröffentlicht wird.
Video: Curly – Venice Beach
Curlys neuestes Video hat alles zu bieten, was einem beim Titel "Venice Beach" in den Sinn kommt: ein dicker, weißer SUV, ein Luxusapartment in Strandnähe und schöne Frauen am Pool. Das Besondere ist jedoch, dass Curly für den Clip nicht wirklich eine Reise nach Los Angeles angetreten hat, sondern in die virtuelle Zwillings-Stadt Los Santos aus GTA V eintaucht. Mit Kamerafahrten über die Vinewood Hills, Burnouts auf einem Golfplatz und Szenen in einem illegalen Growhaus zaubert Videoproduzent Timo Milbredt einen Streifen, der einen völlig vergessen lässt, dass alles, was man sieht, aus einem Computerspiel stammt. Selbst der dafür erstellte Spielecharakter sieht Curly zum Verwechseln ähnlich. Die Idee, Clips aus dem von Rockstar Games stammenden Spiel für Musikvideos zu nutzen, ist – zugegeben – nicht neu. Trotzdem sieht man selten animierte Versionen von Rappern an Orten, an denen man selbst schon die ein oder andere Schießerei oder Verfolgungsjagd hatte. Das dürfte "Venice Beach" zumindest für die meisten GTA-Spieler interessant machen.
Song: MCNZI – The Funk
Sommer 2018: Deutschland gleicht einem karibischen Traum und Temperaturen über 30 Grad sind keine Seltenheit. Passend dazu erlöst uns MCNZI in seinem neuen Song "The Funk" durch einen akustischen Sprung ins kühle Nass. Dabei kommt die typische Life from Earth-Atmosphäre natürlich nicht zu kurz, denn das Credo "Hauptsache anders" wird auf allen Ebenen umgesetzt. So cruist der Wahlberliner im Video im Ferrari-roten Schnellboot mit drei reizenden Damen über den Wannsee und spittet dabei mit kaum zu vergleichender Leichtigkeit einige englische Reime über einen 90s G-Funk-Beat, der kaum lässiger sein könnte. Inhaltlich wird über die Möglichkeiten philosophiert, die der Sommer bietet – wie zum Beispiel grillen, baden und abhängen. Klingt übertrieben, ist jedoch ein extrem melodischer Sommerhit mit unfassbar lässigem Vibe, der selbst die größten Couchpotatoes zum Rausgehen animieren wird.
Instrumental: Summer Cem – Alles vorbei (prod. by Miksu)
Miksu – ehemals als Joshimixu bekannt – ist schon lange kein unbeschriebenes Blatt im deutschen Produzenten-Game mehr. Dass er nach über zehn erfolgreichen Jahren immer noch zu den Besten des Landes gehört, beweist sein Instrumental für Summer Cems "Alles vorbei". Durch den Einsatz minimalistisch-sphärischer Sounds und Streicher wird hier ein Klangteppich geschaffen, der sich hervorragend als Grundlage für Summers angeberisch-brachiale Ansagen eignet. Trotz Verwendung der für Trap typischen 808 kommt eine Ästhetik zustande, die mitunter mehr an die Loops und geradlinigen Drums von spätem 90er Jahre-HipHop erinnert als an kontemporären Einheitsbrei. Durch die Mischung aus alten und neuen Elementen entsteht hier ein Produkt, das dermaßen eiskalt, böse und zugleich erfrischend anders klingt, dass es Miksus Status als Spitzenproduzent einmal mehr untermauert.
Line: Moop Mama – Molotow
Ich bin ein Cop und sie 'ne Chaotin.
Wir sind verschieden, diese Liebe verboten.
Liebe kann so schön sein und doch auch so unterschiedlich. Diese durchaus ausgelutschte Kühlschrankmagneten-Poesie rückt Moop Mama mit "Molotow" in ein neues Licht. Die Deutschrap-Band mit verschiedensten musikalischen Einflüssen erzählt von der ungewöhnlichen Liebe zweier Menschen, die auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen: sie eine politische Demonstrantin, er Polizist – klingt nach vorprogrammiertem Ärger. Und doch finden die beiden zueinander, nicht nur dank "Liebesbriefen per Flaschenpost". Die Ambivalenz ihres Verhältnisses bringt unsere Line des Monats kurz und knapp auf den Punkt. Während die Gefühle der unterschiedlichen Charaktere gesellschaftlich so einige Rahmen sprengen dürften, ist die Idee hinter der Liebe beider Parteien doch so schön, dass sie einem ein dickes Lächeln auf die Lippen zaubert.
(Lukas Päckert, Steffen Uphoff, Jan Menger, Steffen Bauer, Sven Aumiller)
(Grafik von Puffy Punchlines)