Der Schauplatz ist Deutschlands größte Battlerap-Veranstaltung: "Rap am Mittwoch" in Berlin. Auf der Bühne stehen sich die Kontrahenten Mighty Mo und SSYNIC gegenüber, die beide bereits in unzähligen Battles ihr Können unter Beweis gestellt haben und zu den Besten ihres Fachs zählen. Vor den Augen des mit Erwartung und Vorfreude aufgeladenen Publikums kommt es zum Aufeinandertreffen dieser Battlerap-Champions. Es soll sich nichts geschenkt werden und so geht es von Anfang an heiß her. SSYNIC, welcher sich selbst auch "Mr. Respektlos" nennt, kennt nahezu kein Tabu auf der Bühne und ist dafür bekannt, jede Angriffsfläche seines Gegners gnadenlos auszunutzen. Er macht in der ersten Runde selbst davor keinen Halt, in abfälliger Weise über die neugeborene Tochter seines Gegenübers zu rappen. Mighty Mo reagiert daraufhin in seiner Runde mit einem spektakulären Konter, in dem er sich von seinem Konkurrenten abwendet und eine emotionale Rede in die Kamera direkt an seine Tochter richtet. Das Publikum ist außer sich vor Begeisterung.
Im weiteren Verlauf des Schlagabtauschs sinniert Mighty Mo über die Rolle von SSYNIC und wirft ihm vor, er habe keine Daseinsberechtigung im Battlerap, da er ursprünglich aus dem Stand-up-Comedy-Bereich komme. Er zieht hier einen Vergleich zu einem politischen Konflikt im Nahen Osten und hält seinem Kontrahenten vor, sich im Battlerap breit zu machen, wie Israel dies in Palästina täte. Daraufhin fallen seitens Mighty Mo die Worte "israelisches Judenpack". Im Publikum ist nur zögerlicher Jubel zu hören. Doch das Gesicht des jüdischen Moderators von Rap am Mittwoch, Ben Salomo, wirkt wie erstarrt. Es scheint ihm schwer zu fallen, sich bei diesen Worten im Zaum zu halten und das Battle weiterlaufen zu lassen. Nach der Veranstaltung und einem deutlichen Sieg Mighty Mos kommt es bei den anschließenden Interviews zu einer Aussprache zwischen Rapper und Moderator. Letzterer lässt seiner Empörung nun freien Lauf und geht noch mal explizit auf das Thema "Rassismus" ein. Salomo betont, dass ein derart rassistischer Begriff wie der benutzte in einem Battle keinen Platz habe. Er zieht hier also eine klare Grenze, wie weit Battlerap gehen dürfe. Diese sei laut seiner Aussage überschritten, wenn ganze Bevölkerungsgruppen auf rassistische Weise diskriminiert würden.
"'Judenpack', das ist für mich ein absolut rassistischer Begriff … Davon möchte ich mich distanzieren und auch unsere Plattform davon distanzieren … HipHop hat 'ne Ethik. Rassismus und einzelne Begriffe, die sich – egal, wie sehr man sie seziert – nicht außerhalb des Rassismus bewerten lassen, haben meiner Meinung nach im Battlerap nichts verloren", sagt Ben Salomo nachträglich zu der Situation. Der Vorfall wird daraufhin auch in den sozialen und HipHop-Medien heiß diskutiert und wirft gerade in Zeiten, in denen Rassismus aufgrund der Flüchtlingsdebatte aktueller ist denn je, einige berechtigte Fragen auf. Wie weit darf Battlerap in Deutschland gehen? Was darf gesagt werden und was nicht? Wo ist die Grenze? Gibt es überhaupt eine? Diese fundamentalen Fragen beschäftigen überwiegend den intellektuellen Teil der Deutschrapszene schon seit geraumer Zeit und sorgen – auch aufgrund der wachsenden Popularität von Battlerap-Veranstaltungen – immer wieder für Diskussionsstoff.
Potenziell rassistische Zeilen sind in der Szene jedoch kein Novum. An dieser Stelle sind zwei weitere Battles hervorzuheben. Sie könnten exemplarisch dafür stehen, dass die Grenze im Battlerap stark vom persönlichen Empfinden über die Art und Weise des Gerappten abhängig ist. In einem Battle, ebenfalls bei Rap am Mittwoch, zwischen Fresh Polakke und Rapsta geht Ersterer in einigen Zeilen auf sehr beleidigende Weise auf die Herkunft seines Kontrahenten ein ("Ich gehe zu deiner türkischen Mama, kitzle an ihrem türkischen Loch rum, geb' ihr 'ne Kopfnuss, lass' mir einen blasen und wichs' ihr aufs Kopftuch."). Die Reaktion im Publikum ist gespalten. Es ist zwar Jubel zu hören, aber auch durchweg viele Buhrufe.
Nach einem Freestyle Battle zwischen Finch und Gugo kommt es sogar zu einem Eklat zwischen Rap am Mittwoch-Host Ben Salomo und einem empörten Gast, der sich scheinbar aufgrund einiger Zeilen von Finch ("Deine Mutter Doggystyle, immer Richtung Mekka … Wie deine Mutter ihre Beine spreizt, in ihrer Fotze stecken hundert Kilo Schweinefleisch.") in so hohem Maße provoziert fühlt, dass er laut um sich schreit. Finch entgegnet: "Für mich ist es nur Rap." Die Stimmung im Saal erhitzt sich zunehmend und da sich der empörte Gast nicht mehr zu beruhigen scheint, richtet nun Ben Salomo das Wort direkt an ihn und das zunehmend unruhiger werdende Publikum. Er hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die Kunstfreiheit im Rap und betont, dass im Battlerap Diskriminierungen aller Ethnien gleichermaßen mit Humor verstanden werden sollten und fordert das Publikum zu mehr Toleranz auf. "Wie oft habt ihr gelacht, als Juden-Lines da waren … als Schwulen-Lines … als Schwarzen-Lines da waren? Das ist eine Bühne, hier wird über jeden und alles gelacht. Das musst du verstehen, sonst bist du im Battlerap zu sensibel. Entweder alles oder nichts. Erst wenn wir gelernt haben, über alles und jeden zu lachen … Erst dann haben wir Normalität in unserem Land und in unserer gemeinsamen HipHop-Kultur erreicht."
Es drängt sich nun die Frage auf, ob hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird und sich der Zuhörer in deutlich höherem Maße empört fühlt, wenn eine Zeile gegen die eigene Volks- oder Religionsgemeinschaft gerappt wird. Fakt ist, dass bei der "Judenpack"-Line von Mighty Mo deutlich weniger Buhrufe im Publikum zu hören waren als bei besagter Zeile im Battle zwischen Fresh Polakke und Rapsta. Geht man nun davon aus, dass die Grenze im Battlerap rassistisch vorbelastete Begriffe sind, so müsste man die Aussagen im Battle zwischen Fresh Polakke und Rapsta neutral betrachtet als weniger diskriminierend einstufen. In diesem sind weniger dieser laut Ben Salomo rassistisch vorbelasteten Begriffe aufgetaucht, jedoch ist die negative Reaktion im Publikum deutlich stärker ausgefallen. Dies könnte daraufhindeuten, dass die eigene Herkunft eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie man gewisse Zeilen auffasst.
Es kristallisieren sich im Folgenden nun zwei Extreme heraus. Für die eine Seite ist es einfach Battlerap, ein Schlagabtausch mit Worten, in dem alles gesagt werden darf und es praktisch auf verbaler Ebene keine Grenzen gibt. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die solche Äußerungen als klaren Rassismus betiteln und daraufhin mitunter emotional reagieren, sogar wenn es nicht um die eigene Herkunft oder Religion geht. Es gilt, die persönlichen Werte und die eigene Toleranzgrenze zu erforschen. Mighty Mo selbst sagt hierzu: "Ich hab' einfach 'ne Karte gespielt, die in meiner Hand lag. Das war die Rassistenkarte und ich erwarte nicht, dass ich dafür Verständnis kriege. Wer mich kennt, der weiß, ich schere niemanden über einen Kamm … Das war einfach nur 'ne Karte, die ich gespielt habe, sonst nichts."
Wie weit die Empörung bei einigen Zuschauern gehen kann, zeigt ein Anfang 2017 stattgefundenes Battle bei DLTLLY auf der Tapefabrik zwischen Pilz und Nedal Nib. Hier zieht sich die Rapperin Pilz ein Kopftuch an, rappt auf kontroverse Weise über ein stereotypes Frauenbild im Islam und bezieht dies unter anderem mit folgenden Zeilen auf Nedal Nib: "Darf ich dann deine muslimische Frau sein? Ich trag' dir auch die ALDI-Tüten ins Haus rein … Und wenn es okay für dich ist, geh' ich auch in die Moschee mit dir mit, aber nur, wenn du mich da auf dem Gebetsteppich fickst." Nach diesem Auftritt bekommt Pilz in sozialen Medien sogar vermehrt Morddrohungen, womit ohne Zweifel eine Grenze überschritten wurde. Nedal Nib äußert sich im Nachhinein öffentlich mit einem Statement: "Im Battle gibt es keine vorgeschriebenen Grenzen, diese Grenze legt jeder für sich und seine moralischen Vorstellungen selber fest … Im Endeffekt ist es aber jedem komplett selbst überlassen, was und in welchem Ausmaß er sowas sagt … Jeder muss selbst wissen, was er tut und rappt, und muss am Ende des Tages dafür gerade stehen." Er zieht im Weiteren den Vergleich zu einem Sportler während eines Wettkampfs und appelliert an seine Fans, friedlich zu bleiben.
Wenn sich Menschen von Aussagen, die in einem Rap-Battle getroffen werden, persönlich in einem so hohen Maße angegriffen fühlen, muss man sich die Frage nach dem "Warum" stellen, wobei es wieder um das ganz persönliche Empfinden geht. Bei Betrachtung der Fakten scheint es also keine universell gültige, feste Grenze im Battlerap zu geben. Jedes Individuum empfindet sie anders, bedingt durch Lebenserfahrung und kulturelle Prägung. Was für den einen schwarzer Humor oder Satire ist, kann für den anderen bereits unverhohlener Rassismus sein. Die Rapszene als Kollektiv ist ein Spiegel der Gesellschaft und solange dort Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und mangelnde Toleranz stattfinden, wird sich dies auch im Rap bemerkbar machen – sei es in Battles oder in Tracks. Wo auch immer die Schmerzgrenze des Einzelnen liegen mag: Fest steht, gelebter Rassismus hat in unserer gemeinsamen HipHop-Kultur nichts verloren.
Doch wie weit darf Kunst gehen? Diese Frage stellen wir uns nicht erst seit Jan Böhmermanns hochgradig kontroversen "Schmähgedicht" über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Sie scheint auch im Rap allgegenwärtig zu sein und es gibt unzählige Meinungen dazu. Man kann es sportlich sehen oder kritisch. Wie auch immer, die Grenzen sind individuell und fließend. Der Comedian Serdar Somuncu umschrieb es mit den Worten: "Jede Minderheit hat das Recht auf Diskriminierung", es müsse nur gleichermaßen geschehen. Er fragte das Publikum bei einer Show: "Ist es schlimmer, dass ich die Witze mache oder dass ihr darüber lacht?" Das bedeutet, solange die Mehrheit der Zuschauer solche kontroversen Zeilen feiert, wird es sie vermutlich auch weiterhin geben. Erst wenn das nicht mehr der Fall ist, werden sie Stück für Stück verschwinden. Der Zuschauer hat im Endeffekt die Macht, zu bestimmen, was er sehen möchte und was nicht. Einerseits wäre es wünschenswert, dass kreative und durchdachte Zeilen nicht pauschal verurteilt werden, sondern sachlich darüber diskutiert werden kann, wobei alle Beteiligten gleichermaßen zu Wort kommen dürfen. Nur so kann die Situation entschärft werden und sich Verständnis und Toleranz zwischen den verschiedenen Parteien entwickeln. Sollten einzelne Zeilen bewusst darauf abzielen, in einem humoristischen Kontext rassistische Kontroversen zu erzeugen, so muss die Wortwahl und deren Folgen ganz genau bedacht werden. Andererseits sollte sich auch das rappende Individuum die Frage stellen, wie weit es in einem verbalen Duell gehen möchte und wie andere Menschen gewisse Zeilen auffassen könnten. Das Ziel sollte sein, Menschen nicht mehr aufgrund ihrer Religion oder Herkunft auf beleidigende Weise abzuwerten. Rassistische Zeilen sind kein legitimes Stilmittel im Battlerap. Sie zeigen eher die Ohnmacht des Kontrahenten, sich keiner besseren Angriffsfläche bedienen zu können, von denen es aber mehr als genug gibt. Polarisieren – aber nicht um jeden Preis.
Mehr Empathie und Toleranz kann allen Seiten nur von Nutzen sein. Und sind das nicht Werte, für die wahrhaftiger HipHop schon immer gestanden hat? Blicken wir auf die Geschichte zurück, so war das ursprüngliche Ziel der Live Battles, die Gewalt von den Straßen zu holen und Konflikte nicht physisch, sondern mit Worten auszutragen. Battlerap ist demnach Kunst und Sport zugleich. In jedem Sport gibt es Regeln und Konventionen. Letztere können wir nur in einem gemeinsamen Dialog bestimmen. Am Ende des Tages liegt die Verantwortung beim Künstler selbst, wie "sportlich" er sich verhält. Und wir, das Publikum, entscheiden, wo unsere ganz persönliche Toleranzgrenze liegt. Dabei sollten wir zumindest eines bedenken: Gute Unterhaltung endet spätestens dort, wo Toleranz und Nächstenliebe der Fremdenfeindlichkeit und dem Rassenhass weichen.
(Ray Huebel)
(Foto von Porli Parker)