Kategorien
Interview

Daniel Schieferdecker

"Nie­mand macht den Job des Gel­des wegen. Ich wage die Behaup­tung, dass jeder das aus Lie­be zur Sache macht." – In die­ser Interview-​Serie spre­chen wir mit Deutschrap-​Journalisten über Maga­zi­ne und die Sze­ne, Kul­tur und Gos­sip, Kri­tik und Beef. Heu­te mit JUICE-​Chefredakteur Dani­el Schieferdecker.

Deutschrap-​Journalismus. Schon über das Wort lässt sich strei­ten. Die einen mei­nen, "rich­ti­ger" Jour­na­lis­mus im deut­schen Rap exis­tie­re doch gar nicht. Außer­dem kön­ne ja jeder selbst bes­se­re Arti­kel schrei­ben als "die­se Prak­ti­kan­ten". Die ande­ren fin­den, jeder, der im deut­schen Rap jour­na­lis­ti­sche Tätig­kei­ten aus­führt, sei auch ein Jour­na­list. Die nächs­ten füh­ren auf: Ja, im deut­schen Rap sind Redak­teu­re unter­wegs – aber kei­nes­falls Jour­na­lis­ten. Zusam­men­fas­sen lässt sich: Fast jeder hat zumin­dest eine Mei­nung dazu. Aber wie steht es um die Mei­nung der Jour­na­lis­ten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Und so star­tet unse­re neue Serie – eine klei­ne Inter­view­rei­he mit aktu­ell rele­van­ten und akti­ven Jour­na­lis­ten der deut­schen Rap­sze­ne. Dabei möch­ten wir dar­über reden, war­um die Deutschrap-​Medien von so vie­len Sei­ten – auch von der der Künst­ler – immer wie­der unter Beschuss ste­hen und wie die Jour­na­lis­ten die­se Sei­ten­hie­be per­sön­lich emp­fin­den. Wir bespre­chen, wie ein­zel­ne Jour­na­lis­ten ihren Platz in der Rap­sze­ne wahr­neh­men und ob deut­scher Rap­jour­na­lis­mus in Gossip-​Zeiten noch kri­tisch ist. Wir möch­ten erfah­ren, ob sie die Sze­ne noch unter dem Kultur-​Begriff ver­ste­hen oder das Gan­ze für sie aus­schließ­lich ein Beruf (gewor­den) ist. Es kom­men Fra­gen auf, ob es ver­ein­bar ist, in die­sem Auf­ga­ben­be­reich Geld zu ver­die­nen und wie der aktu­el­le Deutschrap-​Journalismus und sei­ne Ent­wick­lung gese­hen wird. Und: Wie steht es über­haupt um die Ent­wick­lung der Rap­sze­ne an sich? Das und vie­les mehr wer­den wir in über zehn Inter­views bespre­chen, in wel­chen es ver­ständ­li­cher­wei­se immer nur um einen Teil­be­reich die­ser gro­ßen The­men­welt gehen kann. Für das fünf­te Inter­view unse­rer Rei­he spra­chen wir mit Dani­el Schie­fer­de­cker, dem Chef­re­dak­teur der JUICE. Neben sei­ner dor­ti­gen Tätig­keit schrieb er als Frei­be­ruf­ler unter ande­rem schon für die Süd­deut­sche Zei­tung, den Spie­gel sowie DIE ZEIT und ver­öf­fent­lich­te zudem gemein­sam mit sei­ner Freun­din ein Buch. Gera­de die­ser Facet­ten­reich­tum an jour­na­lis­ti­schem Arbei­ten mach­te es für uns so inter­es­sant, ihn zum Gespräch zu bit­ten, um sei­ne Mei­nung über deut­schen Rap­jour­na­lis­mus zu erfahren.

MZEE​.com: Fass mir zu Beginn unse­res Inter­views doch mal kurz die wich­tigs­ten Sta­tio­nen dei­ner jour­na­lis­ti­schen Kar­rie­re zusammen.

Dani­el Schie­fer­de­cker: Sta­tio­nen gab es so gese­hen kaum. Ich habe vor 15 Jah­ren mal ein Prak­ti­kum beim BLONDE Maga­zin in Ham­burg gemacht und bin dadurch in den Jour­na­lis­mus rein­ge­kom­men. Dann bin ich zum Stu­die­ren nach Ber­lin und habe von da an immer nur frei­be­ruf­lich als Jour­na­list gear­bei­tet – das tue ich bis heu­te. Ich bin auch als JUICE-​Chefredakteur nicht fest ange­stellt. Geschrie­ben habe ich in der Zwi­schen­zeit für alles und jeden: von der Süd­deut­schen Zei­tung bis ZEIT, vom Tages­spie­gel bis Spie­gel, von Spex bis zur Cos­mo­po­li­tan und dem Luft­han­sa Maga­zin. Und ich habe letz­tes Jahr mit mei­ner Freun­din ein Rei­se­koch­buch über vega­ne chi­ne­si­sche Küche namens "Fore­ver Yang" herausgebracht.

MZEE​.com: Das deckt ein brei­tes Spek­trum ab. Gibt es denn jour­na­lis­tisch gese­hen Zie­le, die du dir gesetzt hat­test oder hast? Und wenn ja, wie vie­le hast du davon bis­her erreicht?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Ach, so rich­ti­ge jour­na­lis­ti­sche Zie­le, die ich mal errei­chen will oder woll­te, hat­te ich eigent­lich nie. Wobei: Ich hab' frü­her tat­säch­lich mal gedacht, dass es bestimmt cool wäre, Chef­re­dak­teur der JUICE zu sein. (grinst) Spoi­ler: Es ist weit weni­ger spek­ta­ku­lär, als man viel­leicht mei­nen wür­de. Und nun ja: Ich hat­te immer mal vor, ein Buch zu schrei­ben und zu ver­öf­fent­li­chen. Das habe ich letz­tes Jahr geschafft. Dass es ein Rei­se­koch­buch wer­den wür­de, hät­te ich aller­dings nie gedacht. Aber beim Jour­na­lis­mus ist es wie bei vie­len ande­ren Beru­fen auch: Alles ist in Bewe­gung, ver­än­dert sich. Das soll­te man im Auge behal­ten. Aber wer weiß, viel­leicht mache ich irgend­wann auch noch mal was ganz ande­res, wenn sich was Span­nen­des ergibt. Es ist zumin­dest nicht so, dass der Jour­na­lis­mus mein Leben wäre. Aber beruf­lich fie­le mir der­zeit erst mal nichts ande­res ein.

MZEE​.com: Gab es in all den Jah­ren Momen­te oder Situa­tio­nen, in denen du dei­ne Arbeit inner­halb der Sze­ne als unan­ge­nehm emp­fun­den hast?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Was meinst du genau mit "dei­ne Arbeit inner­halb der Sze­ne"? Dass mich Hip­Hop genervt hätte?

MZEE​.com: Eher, dass du dei­ne Arbeit inner­halb die­ses "Kos­mos" als unan­ge­nehm oder anstren­gend emp­fun­den hast. Viel­leicht hat sie dich an einem Punkt demo­ti­viert – aus­ge­löst durch eine Situa­ti­on, Hand­lung, Zeit oder Ähnliches …

Dani­el Schie­fer­de­cker: Ja, sicher. Nie so, dass ich mal ernst­haft dar­über nach­ge­dacht hät­te, was ande­res zu machen. Aber gene­rell ist die Arbeit im Kul­tur­jour­na­lis­mus ziem­lich schlecht bezahlt, das ist natür­lich eine ziem­li­che Moti­va­ti­ons­brem­se. Da muss man Stra­te­gien ent­wi­ckeln, damit man über­haupt davon leben kann. Und es ist auch kein Geheim­nis, dass das Arbei­ten mit Rap­pern bis­wei­len durch­aus anstren­gend sein kann – ins­be­son­de­re dann, wenn kei­ne pro­fes­sio­nel­len Struk­tu­ren vor­han­den sind. Das ist halt die Kehr­sei­te einer DIY-​Kultur. Und klar: Wenn du als HipHop-​Journalist das ers­te Mal von einem Rap­per bedroht oder belei­digt wirst, kriegst du auch erst mal einen klei­nen Schreck. Aber man gewöhnt sich dran. (lächelt) Ist mir aber nur sel­ten passiert.

MZEE​.com: Du hat­test Anfang des Jah­res ein Inter­view mit unter ande­rem Ralf Kott­hoff und Götz Gott­schalk, wel­ches sich um die Mög­lich­keit der Mit­ge­stal­tung der Sze­ne gedreht hat. In Bezug auf HipHop-​Journalismus – denkst du, dass auch da heut­zu­ta­ge noch jeder mit­ma­chen kann?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Heu­te wahr­schein­lich sogar noch mehr als frü­her. Damals gab es ja viel weni­ger Output-​Möglichkeiten, näm­lich nur ein paar weni­ge Maga­zi­ne wie die Back­spin, das MZEE Maga­zin et cete­ra. Man hät­te natür­lich jeder­zeit auch selbst ein Maga­zin an den Start brin­gen kön­nen, aber der Auf­wand dafür war immens. Heu­te durch das Inter­net hat man viel mehr Mög­lich­kei­ten. Einer­seits was ent­spre­chen­de Medi­en angeht – mal abge­se­hen davon, dass ein eige­ner YouTube-​Channel bis­wei­len ja schon reicht –, ande­rer­seits was den Auf­wand angeht. Natür­lich funk­tio­niert auch heu­te nichts ein­fach so und man muss ein biss­chen was dafür tun. Aber ich bin der Mei­nung, dass es heu­te viel leich­ter ist, da rein­zu­kom­men. Aller­dings: Die Bedeu­tung von HipHop-​Medien für die Sze­ne hat abge­nom­men, weil vie­le Künst­ler ihre eige­nen Medi­en stel­len, über die sie berichten.

MZEE​.com Ich sehe das stel­len­wei­se anders. Ja, durch das Inter­net und auch durch Social Media ist alles schnell­le­bi­ger und ein­fa­cher erreich­bar. Aber wenn jemand Lust hat, aus der Lie­be zur Sache für ein Maga­zin zu schrei­ben – egal, ob online oder Print –, dann gibt es nicht vie­le Anlauf­stel­len. Natür­lich ist es da wie über­all in der Arbeits­welt auch: Man muss sich sei­nen Platz "erkämp­fen" und mit guter Arbeit überzeugen.

Dani­el Schie­fer­de­cker: Aber heu­te gibt es doch viel mehr "Arbeits­stel­len" als frü­her: JUICE, rap​.de, Back​spin​.de, Splash!-Mag, ALL GOOD​.de, Hip​Hop​.de, MZEE​.com – mal abge­se­hen davon, dass auch ande­re Medi­en heu­te viel offe­ner dafür sind, über Hip­Hop zu berich­ten. Wie aller­dings etwas wei­ter vor­her schon erwähnt: Viel Geld zu holen ist bei den meis­ten Medi­en nicht. Als lukra­ti­ve Berufs­op­ti­on kann ich das jeden­falls nicht empfehlen.

MZEE​.com: Ich ver­ste­he, was du meinst. Ich den­ke bei­spiels­wei­se, dass die­se gan­ze Sze­ne sich aus Lei­den­schaft ent­wi­ckelt hat. Wie sehr geht es dei­ner Mei­nung nach aktu­ell noch im Deutschrap-​Journalismus um die Lie­be zur Sache? 

Dani­el Schie­fer­de­cker: Ganz ehr­lich: Nie­mand macht den Job des Gel­des wegen. Ich wage die Behaup­tung, dass jeder, der über ein Prak­ti­kum hin­aus im Deutschrap-​Journalismus arbei­tet, das aus Lie­be zur Sache macht. Mir wür­de zumin­dest kein ande­rer sinn­vol­ler Grund ein­fal­len. Oder kennst du jeman­den, bei dem das nicht der Fall ist?

MZEE​.com: Ich glau­be, dass vie­le aus der Lie­be zur Sache ange­fan­gen haben, aber die­ser Punkt sich stel­len­wei­se ver­scho­ben hat. Man muss dazu auch beden­ken, was die­se Lie­be beinhal­tet. Sind es die Wer­te, für die Hip­Hop steht? Die Ursprün­ge, war­um sich die­ses Gen­re ent­wi­ckelt hat? Oder doch die Kul­tur, die alles irgend­wie ver­bin­det? Aktu­ell ist Hip­Hop rein vom Erfolg her ganz anders zu bemes­sen als vor 15 Jah­ren. Das gro­ße Geld macht man damit viel­leicht nicht, aber man kann stel­len­wei­se das ein oder ande­re rausholen.

Dani­el Schie­fer­de­cker: Jetzt machst du direkt ver­schie­de­ne Bau­stel­len auf. Für wel­che Wer­te steht Hip­Hop denn heu­te noch? Mal abge­se­hen davon, dass die jeder Hip­Hop­per natür­lich für sich selbst defi­niert, hat ein jun­ger Stra­ßen­rap­per auf Auto­tu­ne heu­te ver­mut­lich ande­re HipHop-​Werte im Kopf als ein Boom bap-​Conscious-​Rapper von vor zwan­zig Jah­ren – wenn über­haupt. Ich bezweif­le auch, dass sich jun­ge Rap­per heu­te noch wahn­sin­nig vie­le Gedan­ken über die Ursprün­ge der Kul­tur machen – ohne das jedem jun­gen Rap­per von vorn­her­ein abspre­chen zu wol­len. Und klar, die Kul­tur ver­bin­det, hat sich mitt­ler­wei­le aber auch so sehr ver­zweigt, dass sich künst­le­ri­sche Ansät­ze und Wege nicht mehr zwangs­wei­se kreu­zen und voll­kom­men unab­hän­gig von­ein­an­der par­al­lel exis­tie­ren kön­nen. Und natür­lich kann man mit HipHop-​Journalismus auch heut­zu­ta­ge Geld ver­die­nen, das tue ich ja auch. Aber wenn ich nicht noch ande­re Sachen machen wür­de, wäre das Monat für Monat ein ziem­li­cher Hust­le. Wenn ich es mal ganz pla­ka­tiv for­mu­lie­re und ohne jetzt thea­tra­lisch wir­ken und Mit­leid erhei­schen zu wol­len: Ich muss auch noch ande­re Sachen machen, um mir den Job "HipHop-​Journalist" über­haupt leis­ten zu können.

MZEE​.com: Gera­de der letz­te Teil dei­ner Ant­wort ist sehr ehr­lich, was sich vie­le viel­leicht gar nicht öffent­lich ein­ge­ste­hen wür­den. Im Zuge dei­ner Aus­sa­gen wür­de ich aber auch ger­ne über Inhal­te spre­chen: Kannst du einen kon­kre­ten Punkt benen­nen, an dem Recher­che und das kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zen mit der Sze­ne und Kul­tur zurück­tre­ten und Gos­sip den Vor­tritt las­sen mussten?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Ich bin mir nicht sicher, ob ich dei­ner The­se zustim­me, dass eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung dem Gos­sip den Vor­tritt las­sen muss­te. Zum einen, weil die jour­na­lis­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Sze­ne "damals" auch nie so kri­tisch war, wie heu­te ger­ne mal behaup­tet wird, zum ande­ren, weil es ja auch heu­te immer noch kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen gibt. Mal abge­se­hen davon, dass ich nicht der Mei­nung bin, dass HipHop-​Journalismus per se eine kri­ti­sche Kom­po­nen­te besit­zen muss. Aber ich wür­de dir zustim­men, dass es heu­te mehr HipHop-​Gossip gibt als frü­her. Das wie­der­um hat mei­ner Mei­nung nach mit dem gestie­ge­nen Inter­es­se an Rap zu tun, das auch von Leu­ten kommt, die ledig­lich an einer ober­fläch­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung und eben Gos­sip inter­es­siert sind. Es hängt aber auch damit zusam­men, dass die Ein­stiegs­bar­rie­ren für Jour­na­lis­ten in mei­nen Augen heu­te nied­ri­ger sind als frü­her und dadurch mög­li­cher­wei­se auch weni­ger gute Leu­te eine bes­se­re Chan­ce haben, Fuß zu fas­sen. Und denen fällt eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mög­li­cher­wei­se schwe­rer. Aber um auf dei­ne Fra­ge zurück­zu­kom­men: Den ers­ten HipHop-​Gossip gab es ver­mut­lich im Zuge des ers­ten Deutschrap-​Hypes 1998, als die BRAVO damals deut­sche Rap­per für sich ent­deckt hat. Stich­wort: "Exklu­siv­in­ter­view" von Max Her­re & Afrob.

MZEE​.com: Was genau hältst du von Click­bai­ting? Ist es heut­zu­ta­ge mög­li­cher­wei­se sogar notwendig?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Von Click­bai­ting als sol­ches hal­te ich per­sön­lich nicht so viel. Aber der Ver­such, eine soge­nann­te "curio­si­ty gap" ent­ste­hen zu las­sen, um einen Leser neu­gie­rig zu machen, ist ja ein voll­kom­men nor­ma­ler und eta­blier­ter jour­na­lis­ti­scher Kniff. Man muss sich aller­dings nichts vor­ma­chen: Jedes HipHop-​Medium, sofern es nicht als Fan­zine oder Hob­by betrie­ben wird, ist auch ein Wirt­schafts­un­ter­neh­men, das sich finan­zi­ell tra­gen muss. Wel­che Wege ein Medi­um beschrei­tet, um sei­ne Exis­tenz zu gewähr­leis­ten, muss dann eben jedes für sich ent­schei­den. Letzt­lich ist es wie immer: Der Kon­su­ment entscheidet.

MZEE​.com: Die­sen wirt­schaft­li­chen Teil, den du gera­de erwähnt hast, wür­de ich spä­ter noch mal auf­grei­fen. Jetzt möch­te ich ger­ne kon­kre­ter auf dei­ne Arbeit zu spre­chen kom­men: Inter­views. Was macht ein inter­es­san­tes Inter­view für dich aus? Wann bleibst du dabei und wann schal­test du ab? Wel­chen Mehr­wert ziehst du even­tu­ell auch daraus?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Das ist schwer all­ge­mein­gül­tig zu beant­wor­ten. Aber gene­rell fin­de ich ein Inter­view dann span­nend, wenn ich dar­aus etwas erfah­re, das ich bis­her noch nicht wuss­te. Dazu gehört auch, dass ich den Inter­view­ten von einer bis­her unbe­kann­ten Sei­te ken­nen­ler­ne. Mich per­sön­lich inter­es­sie­ren gera­de im Hip­Hop eher auf die Musik und Tech­nik fokus­sier­te Inter­views weni­ger. Da habe ich schnell das Gefühl, alles schon hun­dert Mal bei ande­ren Leu­ten genau so gele­sen zu haben. Ich ver­su­che daher oft, mög­lichst per­sön­li­che Gesprä­che mit Künst­lern zu füh­ren, ohne des­halb zu pri­vat wer­den zu müs­sen. Mich inter­es­siert häu­fig mehr der Mensch hin­ter der Kunst­fi­gur. Und einen Mehr­wert zie­he ich vor allem dann aus Inter­views, wenn mir inter­es­san­te Per­spek­ti­ven auf­ge­zeigt wer­den, die mich Din­ge in einem neu­en Licht sehen las­sen und die ich mög­li­cher­wei­se auch auf mein Leben über­tra­gen kann.

MZEE​.com: Bist du damit auch schon mal gegen ver­schlos­se­ne Türen gelau­fen? Eine Kunst­fi­gur ist ja stel­len­wei­se bewusst gewählt, zum Bei­spiel um sich von sei­ner eige­nen Per­son und Per­sön­lich­keit abzukapseln.

Dani­el Schie­fer­de­cker: Ja, natür­lich. Das funk­tio­niert nicht bei jedem Künst­ler. Ins­ge­samt habe ich aber den Ein­druck, dass Künst­ler durch­aus dank­bar sind, wenn sie mer­ken, dass man sich ers­tens vor­be­rei­tet und mit ihnen beschäf­tigt hat und zwei­tens sie nicht zum x-​ten Mal Fra­gen wie "War­um heißt dein neu­es Album so?" und "Wel­che Fea­tures sind auf der Plat­te?" beant­wor­ten müs­sen. Ein Para­de­bei­spiel dafür, wie das bei mir mal kom­plett in die Hose gegan­gen ist, war ein Inter­view mit Jochen Dis­tel­mey­er, dem ehe­ma­li­gen Sän­ger der Band Blum­feld. Mit ihm habe ich mich im Zuge der Ver­öf­fent­li­chung sei­nes Solo­al­bums "Hea­vy" getrof­fen, bei dem ich der Mei­nung war – und nach wie vor bin –, dass es dar­auf an vie­len Stel­len um das The­ma "Schei­tern" geht. Also woll­te ich mit ihm in ers­ter Linie dar­über spre­chen, aber er hat das abso­lut nicht so gese­hen und war, weil ich ihn immer mal wie­der dar­auf ange­spro­chen und Bei­spie­le dafür genannt habe, irgend­wann schon genervt davon. Ich habe aus der Not dann eine Tugend gemacht und im Text dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ich am Schei­tern geschei­tert bin.

MZEE​.com: Ich bin der Über­zeu­gung, dass es sowohl für Künst­ler als auch für Jour­na­lis­ten eine Inter­view­fra­ge gibt, die sie nicht mehr hören oder stel­len wol­len. Sind das die oben erwähn­ten für dich oder gibt es noch ganz andere?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Es gibt natür­lich die "Klas­si­ker", dazu gehö­ren auch die oben erwähn­ten, die oft gestellt wer­den und die man als Künst­ler beim zehn­ten Mal sicher nicht mehr hören möch­te. Trotz­dem kön­nen die auch wich­tig sein und/​oder Türen zu wei­te­ren Fra­gen und Erkennt­nis­sen auf­ma­chen. In der Regel steigt man ja auch nicht mit der krass aus­ge­fuchs­ten Fra­ge in ein Inter­view ein – obwohl auch das mal Sinn machen kann –, son­dern beginnt sach­te, baut Ver­trau­en auf, fin­det eine Ebe­ne, um dann auch etwas gehalt­vol­ler über bestimm­te The­men spre­chen zu können.

MZEE​.com: Auch im Deutschrap-​Journalismus muss man mit der Zeit gehen. Wenn du heu­te als Chef­re­dak­teur auf die Zeit als Leser der JUICE zurück­blickst: Inwie­weit haben sich Kern­wer­te, Struk­tu­ren und Her­an­ge­hens­wei­sen des Maga­zins und der Arbeit verändert?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Über die dama­li­ge Arbeit kann ich nur bedingt etwas sagen, denn die habe ich nicht direkt mit­be­kom­men. Das gilt auch für die Kern­wer­te, denn die der dama­li­gen Chef­re­dak­teu­re ken­ne ich nicht. Ich habe aber den Ein­druck, dass sich an der Grund­aus­rich­tung nicht all­zu viel geän­dert hat – von der zuneh­men­den Pro­fes­sio­na­li­sie­rung, gera­de bei den ers­ten Hef­ten, ein­mal abge­se­hen. Der JUICE geht es immer noch dar­um, im Rah­men der Mög­lich­kei­ten über span­nen­de Künst­ler und Ent­wick­lun­gen der aktu­el­len HipHop-​Szene zu berich­ten. Aber allein in Sachen Aktua­li­tät kann ein alle zwei Mona­te erschei­nen­des Maga­zin natür­lich nicht mit dem Inter­net mit­hal­ten. Und klar: Die Heft­ver­käu­fe und damit auch das Anzei­gen­vo­lu­men sind in den letz­ten Jah­ren über­all ein­ge­bro­chen, das hat auch vor der JUICE nicht halt­ge­macht. Glück­li­cher­wei­se sind unse­re Zah­len aber seit lan­ger Zeit kon­stant – sicher­lich haben wir da auch vom anhal­ten­den HipHop-​Hype pro­fi­tiert. Wir ver­su­chen nach wie vor, mög­lichst gute Arbeit zu machen: Inter­views zu füh­ren, die qua­li­ta­tiv bes­ser sind als die der Kon­kur­renz, und The­men auf­zu­grei­fen, die man anders­wo so nicht zu lesen bekommt.

MZEE​.com: Kom­men wir zu einem The­ma, das für vie­le ein klei­ner Traum ist: Wie geht man an als größ­tes deut­sches Print­me­di­um im Rap an die Ver­ga­be des Covers heran? 

Dani­el Schie­fer­de­cker: Das weiß doch jeder: Wer den größ­ten Bat­zen auf den Tisch legt, gewinnt.

MZEE​.com: Oder glaubt das nur jeder zu wissen?

Dani­el Schie­fer­de­cker: (grinst) Manch­mal wür­de ich mir wün­schen, dass es so ein­fach wäre. Vom Prin­zip ist die Her­an­ge­hens­wei­se immer ähn­lich: Zuerst schau­en wir redak­ti­ons­in­tern, was an rele­van­ten Releases ansteht, und dis­ku­tie­ren die Mög­lich­kei­ten. Dann wer­den die ers­ten Gesprä­che geführt, Musik gehört, Vor­stel­lun­gen aus­ge­tauscht, Mehr­wer­te aus­ge­lo­tet et cete­ra. Wir krie­gen ja häu­fig sol­che Sät­ze zu hören wie: "Rap­per XY war noch nie auf dem JUICE-​Cover. Wie kann das sein?" Dazu muss man sagen, dass es ver­schie­de­ne Kri­te­ri­en gibt, nach denen man da schau­en muss. Sicher gibt es Rap­per, bei denen es von ihrem heu­ti­gen Stan­ding her komisch anmu­tet, dass die noch nie auf dem JUICE-​Cover waren. Aber manch­mal hat im sel­ben Zeit­raum halt immer ein "grö­ße­rer" Rap­per releast, der dann das Cover bekom­men hat. Oder der VÖ-​Termin des Rap­pers lag weit vor dem Erschei­nen des Hef­tes. Das hat manch­mal tat­säch­lich so ver­meint­lich blö­de Grün­de. Aber ein schö­nes Bei­spiel ist RAF Camo­ra, der in der März/​April-​Ausgabe bei uns auf dem Cover war – end­lich! Auch bei ihm hat­te es in der Ver­gan­gen­heit nie geklappt. Aber die Zeit war ein­fach reif und so haben wir ihn auch release­un­ab­hän­gig aufs Cover gepackt. Und das hat – ich glau­be, für bei­de Sei­ten – super geklappt. RAF hat nie ein Cover ein­ge­for­dert, aber als es dann so weit war, ist etwas Gutes dar­aus ent­stan­den. Was mich mitt­ler­wei­le oft nervt: Eini­ge Rap­per wol­len heut­zu­ta­ge nur noch mit der JUICE spre­chen, wenn sie auch das Cover bekom­men – auch wenn sie gera­de mal seit zwei Jah­ren über­haupt erst rap­pen. Dass man mal nach der Mög­lich­keit fragt, fin­de ich voll­kom­men okay. Aber das als Bedin­gung an ein Inter­view zu knüp­fen, hat schon etwas Erpres­se­ri­sches und das machen wir natür­lich nicht mit. Das ist auch kei­ne Basis für eine gute Zusammenarbeit.

MZEE​.com: Muss man dabei auch wirt­schaft­lich denken?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Ja, natür­lich. Das mei­ne ich mit Rele­vanz, die eben nicht nur eine künst­le­ri­sche, son­dern auch eine wirt­schaft­li­che Kom­po­nen­te hat. Wie oben bereits erwähnt ist ein Medi­um wie die JUICE eben auch ein Unter­neh­men, das Geld ver­die­nen will und muss – nicht zuletzt, um unse­re jour­na­lis­ti­schen Arbeits­plät­ze zu sichern. Daher ist einer von vie­len Fak­to­ren bei der Cover-​Vergabe in der Tat auch immer die Fra­ge danach, wie vie­le Hef­te ein Cover mit Rap­per XY mög­li­cher­wei­se ver­kauft. Die Grat­wan­de­rung zwi­schen künst­le­ri­scher und wirt­schaft­li­cher Rele­vanz ist die Kunst bei jeder Cover-​Entscheidung. Aber: Stel­len­wei­se wis­sen wir auch, dass ein bestimm­tes Cover nicht vie­le Hef­te ver­kau­fen wird, machen es aber trotz­dem. Manch­mal muss man eben auch ein State­ment set­zen, gera­de als eine Mar­ke wie JUICE. Aller­dings kann man sich das auch nur dann leis­ten, wenn die Ver­käu­fe sta­bil sind. Denn es hat ja auch nie­mand was davon, außer Hatern und der Kon­kur­renz, wenn wir jetzt ein Jahr lang nur Unter­grund­rap­per aufs Cover packen, die ledig­lich 500 Leu­te inter­es­sie­ren, und dann mit wehen­den Fah­nen untergehen.

MZEE​.com: Du hast eben ange­spro­chen, dass eini­ge Künst­ler nur noch mit euch spre­chen wol­len, wenn sie auf das Cover kom­men kön­nen, was ich sehr erschre­ckend fin­de. Ist es denn dabei schon zu Kon­fron­ta­tio­nen gekommen?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Mei­nes Wis­sens gab es kei­ne Kon­fron­ta­tio­nen, die eska­liert wären. Aber es gab durch­aus Künst­ler, die belei­digt waren, weil sie ein Cover nicht bekom­men haben. Ich ver­ste­he ja auch, wenn ein Künst­ler des­we­gen trau­rig ist, weil ihm ein JUICE-​Cover viel bedeu­tet hät­te. Aber des­we­gen ein­ge­schnappt zu sein, fin­de ich albern. Zum einen ist es hoch­gra­dig unpro­fes­sio­nell, zum ande­ren senkt das natür­lich die Chan­cen, ein ande­res Mal aufs Cover zu kom­men, weil man erah­nen kann, dass das kei­ne ange­neh­me Zusam­men­ar­beit wird. Und klar, es gibt durch­aus auch Künst­ler, die nicht mehr mit der JUICE spre­chen wol­len, weil sie ein – ihrer Mei­nung nach – ver­dien­tes Cover nicht bekom­men haben. Aber dazu muss man ganz klar sagen: Wer auf ein JUICE-​Cover kommt, das bestimmt die JUICE und nicht der Künst­ler. Wie gesagt, man kann immer ver­nünf­tig über alles reden, aber man muss dann eben auch mit einer Absa­ge leben kön­nen. Wir schrei­ben einem Künst­ler schließ­lich auch nicht vor, wel­che Songs und Feature-​Gäste er auf sein Album packen soll.

MZEE​.com: Eini­ge ehe­ma­li­ge Jour­na­lis­ten sind heu­te in PR- oder Manage­ment­be­rei­chen unse­rer Sze­ne unter­wegs. Zu guter Letzt wür­de ich ger­ne von dir erfah­ren, ob man irgend­wann zu alt ist, um Jour­na­list inner­halb der deut­schen Rap­sze­ne zu sein?

Dani­el Schie­fer­de­cker: Die Fra­ge musst du dem lie­ben Falk stel­len. (grinst)

(Lai­la Drewes)
(Fotos von Tra­cy Pallmann)