HipHop gleich Rap – oder? Zugegeben: Rapmusik nimmt einen großen Teil der Subkultur ein, was wohl auch ein Stück weit am stark angestiegenen "medialen Hype" der letzten Jahre liegt. Doch in Zeiten, in denen Sprechgesang regelmäßig die Charts anführt, rückt der ursprüngliche Community-Gedanke – zumindest oberflächlich betrachtet – zusehends in den Hintergrund. Dabei gibt es nach wie vor genug Menschen, deren Schaffen fernab von Booth und MPC stattfindet und die ihrerseits einen nicht unerheblichen Beitrag zur HipHop-Kultur leisten. In dem MZEE.com-Format "Das hat mit HipHop was zu tun" wollen wir ebendiese Leute zu Wort kommen lassen, die sich in irgendeiner Form, vielleicht sogar aus einer tatsächlichen Leidenschaft heraus, mit HipHop auseinandersetzen, als "Nicht-Rapper" jedoch selten im Rampenlicht stehen.
Kinder, die mit Sprühdosen experimentieren, während andere sich in Freestyle-Battles messen oder ihre ersten Töne beim Beatboxing erzeugen – Organisationen, die soziale Arbeit mit HipHop verbinden, um Jugendlichen zu einer kreativen Ausdrucksform zu verhelfen, gibt es zahlreiche. Viele von ihnen sind in ihrer Arbeit sehr erfolgreich, jedoch fehlt oft die angemessene Plattform, die Früchte dieser Arbeit zu ernten und zu präsentieren. Den Ergebnissen der Jugendlichen eine Bühne zu bieten, ist genau der Ansatz, den Ata Anat mit seinem Projekt "Rap for Refugees" verfolgt. Neben zahlreichen Workshops, die Anat mithilfe seines Teams anbietet, soll die Arbeit der Jugendlichen auch ihr Publikum finden: "Uns war es zu wenig, wie viel der HipHop als Statement für die Geschichten gewisser Zielgruppen, seien es nun Geflüchtete oder junge Menschen von der Straße, gesetzt hat."
Die Idee für Rap for Refugees trägt Anat vor der Gründung des Projekts bereits seit zwei Jahren mit sich, jedoch halten ihn fehlende Mitarbeiter und der erst kurz zuvor erfolgte Umzug nach Hamburg noch von der Realisierung ab. Dies ändert sich, als er seine Kollegin Lina kennenlernt, die in einer Booking-Agentur arbeitet. Nach einem ersten erfolgreich organisierten Benefizfestival im Jahr 2017 nimmt die Idee der Workshops Form an, denn auch das Team wächst weiter. Anat, der vor dem Umzug selber kurzzeitig als Sozialarbeiter in Dortmund tätig ist, holt sich weitere Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern an Bord, die sich fortan um die Verwaltung von Fördermitteln, die Öffentlichkeitsarbeit oder die Kommunikation zwischen Projektverantwortlichen und Teilnehmern kümmern. Auch Coaches für verschiedene Disziplinen wie Graffiti, Rap oder Beatboxing zeigen Interesse an einer Kooperation, um den Teilnehmern eine Hand zu reichen. Der "Each one teach one"-Gedanke ist im gesamten Projekt omnipräsent. Erste Workshops werden organisiert, doch es erweist sich als kompliziert, das gewünschte Publikum auch zu erreichen. Zu den ersten Veranstaltungen, die durch Freundes- und Bekanntenkreise beworben werden, kommen knapp über 20 Leute.
Teilnehmer beim Graffiti-Workshop.
Um die Ergebnisse der Workshops zu präsentieren, organisiert Anat mit seinem Team Anfang dieses Jahres erneut ein Benefizfestival in der Markthalle Hamburg. Neben Auftritten von etablierten Künstlern wie BSMG, Amewu oder Disarstar, die gleichzeitig als Zugpferde innerhalb der Community agieren, wird auch den Workshopteilnehmern ermöglicht, ihre neu erlernten Fähigkeiten vor 1 000 Leuten vorzuführen. Besonders berührt ist Anat dabei von einem Jungen, der sich trotz mäßiger Sprachkenntnisse traut, einen Text auf Deutsch zu rappen. Auch die emotionale Nachricht eines anderen Teilnehmers nach dem Festival, in der sich dieser für die Chance bedankt, auf einer großen Bühne zu performen, bestätigt das Team darin, gute Arbeit zu leisten. Für die nächste Workshop-Phase fängt Rap for Refugees an, seine Arbeit bei interkulturellen Treffpunkten oder sozialen Medien zu bewerben. Inzwischen melden sich Interessierte außerdem schon selbstständig an.
Die Erlöse des Festivals werden zu 50 Prozent an den lokalen Partner "basis & woge e.V." gespendet, der sich für junge Menschen in prekären Lebenssituationen in Hamburg einsetzt. Den Schritt, einen anderen Verein als Unterstützer miteinzubeziehen, erklärt Anat vor allem mit der Qualität der Arbeit von basis & woge. Ihm selbst ist es nebenbei möglich, sein eigenes Projekt stabil aufzubauen und sich nach seinem Umzug in die Hansestadt sicher zu sein, dass mit dem Erlös an den richtigen Stellen geholfen wird. Weitere fünf Prozent werden an "Mission Lifeline", eine Organisation für in Seenot befindliche Menschen, gespendet und der Rest des Geldes in eigene Workshops investiert.
BSMG (Megaloh, Musa & Ghanaian Stallion) beim Benefizfestival 2018.
Doch bei diesen und dem Festival soll es nicht bleiben. Anat und sein Team möchten weitere Veranstaltungen aufziehen, um ein noch größeres Publikum zu erreichen und zu verbinden. Am 17. März steigt die BLOCK PARTY Vol. 2 und auch ein Skate&Rap Festival ist geplant. Denn obwohl die Veranstaltungen in der Metropole Hamburg stattfinden, der man eine gewisse Weltoffenheit nachsagt, können viele Leute aus Anats Publikum das Nachtleben nicht frei von Abweisung genießen. "Diese Erfahrungen machen Freunde von uns noch oft genug. Daher wollen wir interkulturelle Treffpunkte schaffen, wo wirklich jeder Mensch, der einfach nur offen ist und Spaß haben will, kommen kann und eine schöne Zeit verbringt."
Diese Herangehensweise kommt bisher durchweg positiv an. Gerade die Künstler sind sehr angetan von der familiären und positiven Atmosphäre auf den Festivals. Darauf legt Anat auch großen Wert, da es ihm äußerst wichtig ist, dass sich alle Beteiligten bei seinen Veranstaltungen wohlfühlen. Lediglich von den Managements der Künstler würde sich Anat mehr Weitsicht wünschen, um zu erkennen, welche Projekte großes Potenzial haben. Angetrieben von dieser positiven Resonanz findet das Benefizfestival dieses Jahr auch erstmals in Berlin statt. Anfänglich will das Team eine größere Anzahl an Städten bespielen, jedoch ist der Aufwand zu groß, um eine hohe Qualität der Festivals zu gewährleisten.
Negative Kritik bleibt hingegen gänzlich aus. Dies liegt vermutlich daran, dass sich das Team ausschließlich auf seine Arbeit konzentriert und sich nicht an politischen Diskussionen beteiligen möchte. Ein weiterer Grund ist, dass Anat auch den Begriff des Geflüchteten breiter erklärt: "Wir verstehen in der Gesellschaft unter dem Wort 'Refugees' oftmals leider nur Menschen, die aus einem anderen Land hergekommen sind. Dieser Ansatz ist vollkommen nachvollziehbar, wir versuchen jedoch, dieses Wort allgemeiner zu betrachten. Für uns sind alle Menschen potenzielle Geflüchtete. Die einen aus ganz schwierigen Verhältnissen und Ländern, die anderen aus den verschiedensten Lebenssituationen, die sie in die Enge treiben. Nicht umsonst nennt man die Jugendlichen von der Straße 'Disconnected Youth'." Somit nimmt das Team direkt Leuten den Wind aus den Segeln, die in dem Projekt eine Bevorzugung von Flüchtlingen sehen.
Aufführung beim Festival 2018.
In Bezug auf die seit Jahren andauernde Flüchtlingsdebatte sieht er eine Verantwortung bei der HipHop-Community: "Alles, was eine große Reichweite hat, hat eine große Verantwortung, da sich die Jugend danach richtet. Demnach kann man nicht sagen: 'Ich interessiere mich nicht dafür!' oder 'Was bringt das jetzt?' Es geht darum, einfach nur zu sagen: 'Wir haben als HipHop eine Verantwortung, die Jugend ohne Barrieren im Kopf und mit offenem Verstand zu erziehen. Nicht nur die Eltern, sondern alle, die auf die Jugend einprasseln. Und das nicht gerade erst seit 2015!'" Auf die Untergrundszene bezogen hat Anat das Gefühl, dass sich viele Künstler äußern, jedoch sieht er das selten bei größeren Künstlern. Hier zieht er aber auch die Medien zur Verantwortung, die namhaften wie unbekannten Künstlern, die ihre Stimme erheben, gleichermaßen kaum Gehör schenken und somit ein Echo verstummen lassen. Es müsse sich grundsätzlich schlauer und empathischer verhalten werden. Menschen, die in Zukunft auf die Bühne gehen, um ihre Geschichten zu erzählen, solle der nötige Respekt entgegengebracht und der Mut gegeben werden, dies weiterhin zu tun.
Ata Anat und sein Team sind hochmotiviert, mit dem Projekt Rap for Refugees Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen diese Möglichkeit zu geben. Und so wird weiter an Konzepten gearbeitet und Festival nach Festival organisiert.
Weitere Infos zu Rap for Refugees findet Ihr hier.
Rap for Refugees wird dieses Jahr durch unser Sozialprojekt unterstützt.
(Lennart Wenner)
(Fotos 1, 2 und 3 von ThisIsJulia Photography, Foto 4 von AnniJonsson Photography)