An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden stellt sich unsere Redakteurin Emily die Frage, ob und inwiefern der Hype um Schlagerfeatures in der deutschen Rapszene gerechtfertigt ist.
Irgendwie passiert etwas Komisches im deutschen Rap. HipHop ist so sehr im Mainstream angekommen, dass viel mehr Menschen als noch vor 20 Jahren etwas damit anfangen können. Das ist grundsätzlich gut, könnten dadurch doch soziale und politische Themen in Raptexten mehr Raum in der Popkultur einnehmen und damit eine breitere Masse erreichen. Gleichzeitig ergeben sich dadurch Möglichkeiten für Künstler:innen, im HipHop-Game mitzumischen, die damit ansonsten nicht viel bis gar nichts am Hut haben. Ich finde es spannend, dass deutscher Rap sich in so viele Subgenres weiterentwickelt, beispielsweise bin ich großer Fan von Schmyts Musik, der seine extrem gefühlvollen Balladen gerne mit kräftigen 808s unterlegt und schon oft mit Bazzazian zusammengearbeitet hat. Allerdings habe ich ein Problem damit, dass die bekanntesten Rapsongs 2023 ohne Weiteres auf einem Mark Forster-Konzert gespielt werden könnten und es gleichzeitig wohl trotzdem Rap im Pop braucht, um an die Spitze der Charts zu kommen.
Letztes Jahr haben es einige alteingesessene Künstler:innen zum ersten Mal in ihrer Karriere auf die Eins der Singlecharts geschafft – und das mithilfe von Rap. Zum Beispiel wäre da Udo Lindenberg, der als Feature auf Apaches "Komet" dabei war. Ich frage mich ernsthaft, warum dieser Song so dermaßen erfolgreich war, denn weder die Lyrics noch die Melodie hauen mich vom Hocker. Womöglich liegt es daran, dass der Song zwei riesige Gruppen von Hörer:innen zusammengebracht hat: Den Track pumpt nicht nur ein Rap-Fan im Jugendalter. Auch jene, die sonst eher auf Schlager und Radiomusik stehen, haben daran ihren Spaß. "Komet" funktioniert nicht nur als Stream, sondern ebenso im Radio und auf Konzerten.
Außerdem wäre da Helene Fischer, die sich für die Jubiläumsversion von "Atemlos durch die Nacht" Shirin David als Feature geangelt hat. In Shirins Vlog zur Aufnahme des Songs sagt Helene, dass es ihr nicht per se darum ging, einen Rap-Artist auf den Track zu holen, sondern dass das Lied durch die neuen Lyrics eine zusätzliche Bedeutung bekomme. Wobei Shirins Message sich jetzt nicht sehr vom restlichen Text unterscheidet. Allerdings hört man im Vlog auch heraus, dass Helene anscheinend einige Vorurteile gegenüber Rap hat und Shirin als eine Ausnahme – von welchen Stereotypen auch immer – darstellt. Zitat: "Deutschrap ist ja ein komplett anderes Genre für mich und ich fand sie aber mit die Einzige, die da an Poleposition steht. Ich finde sie auch sehr klug und nicht naiv und nicht leichtsinnig." Das klingt so, als sei Rap ein nicht ernst zu nehmendes Genre, dessen Artists naiv und leichtsinnig sind. Außerdem mag Shirin zwar für viele junge Künstler:innen ein Vorbild sein und hat einen wichtigen feministischen Beitrag zum Mainstream-Rap geleistet, allerdings macht sie kaum etwas, was es in der HipHop-Kultur so noch nie gab. Weiter sagt Helene: "Die ist nahbar, obwohl ihr ganzes Äußeres und die Shows, die sie macht, die Musikvideos, die Art und Weise, wie sie rappt – natürlich ist das eine Form von Kunst …" Aber …? Das soll wohl ein Kompliment an Shirin sein, mir ist jedoch unklar, was genau sie hier sagen will. Zudem finde ich, dass man an ihrem Ton heraushört, dass sie Rap als echte Musik und Kunstform infrage stellt und Shirins Aussehen als gegensätzlich zu ihrer netten Persönlichkeit ansieht.
In diesem Zusammenhang ist bei mir die Frage aufgekommen, inwiefern Cultural Appropriation hier eine Rolle spielt. Wo verläuft die Grenze zwischen Cultural Appreciation, dem Überlappen unterschiedlicher Genres und der Aneignung der Rapkultur, um Profit daraus zu schlagen, ohne die Wurzeln des Genres anzuerkennen? Auch wenn sich in den letzten Jahren einiges geändert hat, glaube ich, dass HipHop in vielerlei Hinsicht noch immer den Ruf hat, cool, aber irgendwie verrucht und verboten zu sein. Also, wenn du gut ankommen willst, dann zieh dir weite Klamotten an, häng dir eine Goldkette um den Hals und gröl die Zeilen mit, die von Unterdrückung und Leid sprechen – aber erzähl deinen Eltern ja nichts davon. Oder hol dir eben einen Rap-Artist als Feature auf deinen Schlager- oder Popsong, damit dieser mehr im Trend liegt. Aber pass auf, dass der Text nicht zu hart und aggressiv ist – was Helene auch in Vorbereitung auf die Aufnahme im Vlog zu Shirin sagt. Dass Helene Shirin als eine solche Ausnahme ansieht, verdeutlicht doch, was für eine negative Vorstellung sie von Rap hat. Und dass sie sich trotz dieser Vorurteile eine Rapperin auf ihren Song holt, zeigt auch, dass sie sich vermutlich sehr wenig für die Wurzeln des Genres interessiert.
Laut einem Artikel des Online-Magazins Medium.com ist die Intention also nicht, HipHop- beziehungsweise Schwarze Kultur zu repräsentieren, sondern das wiederzugeben, was in unserer westlichen Gesellschaft als populär angesehen wird. Aus diesem Grund haben BIPoC-Artists auch in Deutschland eher ein klischeehaftes Gangster-Image, während weiße Rapper:innen eben einfach cool und hip sind. Natürlich sind weiße Artists generell nicht das Problem, aber wie sie mit dem Genre umgehen, in dem sie sich bewegen, und inwiefern sie dessen Wurzeln anerkennen, ist ein anderes Thema. Shirin David gehört vermutlich auch nicht zu den wenigen deutschen Artists, die sich besonders offen und transparent mit den Ursprüngen des HipHop auseinandersetzen, vor allem im Hinblick auf die Blackfacing-Geschichte vor ein paar Jahren.
Rapper:innen sollten also vorsichtig sein, wenn sie sich auf Kollaborationen mit Schlager- und Pop-Künstler:innen einlassen. Wie bereits erwähnt, habe ich nichts gegen das Vermischen von Genres und finde es schön, wie vielfältig die Kategorie "Deutschrap" geworden ist. Alle, die sich allerdings nur mit Rap beschäftigen, um neue Hörer:innen zu erschließen und somit den Profit zu erhöhen, ohne sich mit den Hintergründen der Kultur auseinanderzusetzen, haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Genauso ist es ein No-Go, sich kulturelle Elemente von BIPoC-Communities, mit denen man sonst nichts zu tun hat, anzueignen, nur um edgy zu wirken oder irgendeinem TikTok-Trend zu folgen. Deshalb sollten wir vielleicht die Grenzkontrollen an den Deutschrap-Toren etwas verschärfen – und das nicht, um den Zugang zum Genre einzuschränken, sondern um für dessen Ursprung, Wurzeln und Bedeutung für marginalisierte Gruppen zu sensibilisieren.
(Emily Niklas)
(Grafik von Daniel Fersch)