Drum 'n' Bass ist eine Musikrichtung, die in den 90ern in England entstand und seitdem durch den Einfluss auf die dortige Club-Kultur für großes Aufsehen sorgt. Breakbeats, Sampling, eine multikulturelle Szene und klassische MCs – all das findet sich auch in diesem Musikgenre wieder. Und auch die Rapmusik der 2000er in England wurde stark durch D'n'B beeinflusst. Dies wird bei vielen Grime- und Drill-Acts deutlich, die Genre-Grenzen verschwimmen lassen und Rap und D'n'B immer weiter fusionieren – wie zum Beispiel Tinie Tempah. Visuell und soundästhetisch gibt es aber immer noch einige Unterschiede, da der Rave weiterhin als Kernelement der Drum 'n' Bass-Kultur gilt: Partyästhetik und schnelle Beats jenseits der 170 BPM gehen hier Hand in Hand. Eine Künstlerin, die in Deutschland in diesem Bereich heraussticht, ist die Hamburgerin Hanna Noir. Seit 2020 veröffentlicht sie konsequent Drum 'n' Bass, wobei Visuals, Inhalte und Sound in einem spannenden Gesamtkunstwerk fusionieren. Trotzdem ist die Musikerin auch in der hiesigen Untergrund-Rapwelt verankert: mit überwiegend persönlichen und sozialkritischen Lyrics, die in der Club-Kultur des D'n'B eher selten zu finden sind, aber im Rap-Kosmos Anklang finden. Wie das Ganze zusammenpasst und warum diese Musikrichtung auch in Deutschland funktioniert, haben wir mit Hanna Noir in unserem Gespräch näher beleuchtet. Außerdem sprachen wir über ihre emotionale Beziehung zu Beats und ihren Ansatz, Texte zu schreiben.
MZEE.com: Lass uns mal mit den Basics starten: Welche Drum 'n' Bass-Acts haben dich besonders beeinflusst und wie hast du das Genre entdeckt?
Hanna Noir: Dadurch, dass ich erst in den 90s geboren wurde, bin ich mit Musikern wie Dizzee Rascal und Craig David in den 2000ern aufgewachsen – meiner Meinung nach Pioniere des Garage- und Grime-Sounds. (Anm. d. Red.: Garage hat die gleichen musikalischen Ursprünge wie D'n'B und beeinflusste speziell in den 2000ern Rap-Subgenres wie Grime enorm.) Aktuell finde ich Nia Archives sehr krass. Gleiches gilt für Chase & Status, die sind aber schon wesentlich länger aktiv. Und auch Grime-Acts wie Tinie Tempah und Bugzy Malone sind stark durch Drum 'n' Bass beeinflusst. In Deutschland ist man natürlich unbewusst durch Eurodance und Techno-inspirierte Genres an das Ganze herangeführt worden. Alles, was tanzbar ist, hat auch einen elektronischen beziehungsweise Drum 'n' Bass-Vibe.
MZEE.com: Drum 'n' Bass und HipHop haben einige Überschneidungen – zum Beispiel eindeutige Berührungspunkte mit Funk und Reggae. Wie nah liegen die Kulturen für dich aneinander?
Hanna Noir: Sehr. Aktuell entstehen zum Beispiel viele Remixe, die beide Genres vereinen. Jemand wie Sean Paul ist ein Pionier in diesem Bereich, weil er Dancehall-Einflüsse in das Genre gebracht hat. Die Kulturen sind superdicht beieinander, aber auch sehr weit entfernt und das ist das Geile daran. Gerade der Umgang mit Hits der 2000er zum Beispiel: Sie werden nochmal aufgegriffen und es wird Musik produziert, die mehrere Generationen bewegt, weil man sie noch aus der Kindheit kennt. Insbesondere in UK ist das der Fall. Es gibt Songs, die jede:r mitsingen kann. Ob da jetzt schnellere oder langsamere Drums drunter sind, juckt die Leute nicht, solange es "dancy" ist.
MZEE.com: Wie würdest du es denn finden, wenn jemand eine 2000er-Hook verwendet und nur schnellere Drums drunterpackt?
Hanna Noir: Mein Fall ist es nicht. Ich denke, dass das alles sehr kurzlebig ist. In solchen Fällen wird nicht mehr auf den Act oder die Geschichte hinter dem Song geachtet, es geht nur nach vorne und die Hauptsache ist: Springen, Moshpit und Tanzen. Aber diese Herangehensweise tut auch etwas dafür, dass sich Kulturen mehr vermischen, das befürworte ich immer. Davon, dass Genres wie Jungle, Drum 'n' Bass und HipHop entstanden sind und sich gegenseitig beeinflussten, wurden wir als die etwas jüngere Generation geprägt. Wir haben mit verschiedenen Kulturen zu tun und hocken nicht nur in der eigenen Bubble. Das gibt uns einen Soundtrack fürs Miteinander-Sein. Aber manche machen das besser und andere schlechter. Wobei das auch schwierig zu definieren ist. Solange Musik bewegt, wird sie in irgendeiner Art und Weise Anklang finden – auch wenn es humoristisch ist. Gerade dadurch, dass wir viele neue Genres und Instrumente im Sinne von Samples haben, sind wir in der Lage, noch individuellere Musik zu machen. Du kannst noch geilere neue Sachen machen, die nicht einfach nur etwas bereits Existierendes mit schnelleren Drums wiederholen. Aber das menschliche Ohr mag nun mal Dinge, die es schon kennt. Vieles wiederholt sich dadurch. Deshalb sind Hits der 80er immer noch Hits und werden weiterhin geremixt.
MZEE.com: Kommen wir zurück zu D'n'B. Drum 'n' Bass-Beats sind meistens minimalistischer und wesentlich schneller als klassische Rap-Beats – zum Beispiel aus dem Boom bap-Bereich. Was reizt dich daran?
Hanna Noir: Na ja, ich bin jahrelang ein krasser Rap-Nerd gewesen, weil ich sehr viel Ami-Rap gediggt habe und auch aus dem UK-Bereich viele Acts kenne. Aber ab dem Punkt, an dem ich gemerkt hab', Musik gibt mir unterschiedliche Arten von Energie, wurde es spannend. Ich habe etwas gebraucht, das mich früher aufstehen und vielleicht meinen Kaffee ersetzen lässt. Da ist Drum 'n' Bass das Genre! Es ist im Prinzip eigentlich nur Breakbeat in Schneller. Wenn du zum Beispiel jahrelang Nas gehört und auf jede Zeile geachtet hast, ist es jetzt einfach nur noch schneller … (lacht) Und ein bisschen weniger Text. Durch den Lockdown hatte ich ein langsameres Leben, wodurch sich wiederum mein Hörverhalten verändert hat. Ich habe etwas gebraucht, um das auszugleichen. Denn ich würde mich als Person beschreiben, die Bock auf ein aufregendes Leben und viel Adrenalin hat. HipHop hat irgendwann meinen Kopf durchgematscht, weil ich zu sehr auf die Lyrics geachtet habe. Es ist mir zwar wichtig, auf Texte zu achten, aber mir sind die Beats auf einmal wichtiger geworden als der Text – und das als Texterin.
MZEE.com: Bezüglich deiner musikalischen Sozialisation war Rap also lange vor Drum 'n' Bass da?
Hanna Noir: Ja, begonnen habe ich mit amerikanischem Rap und R 'n' B in den 2000ern. Dancehall habe ich aber auch viel gehört. Dann kam der Punkt, an dem ich gecheckt habe, dass Dancehall in England viel geiler klingt, weil sich dort England und Jamaika kulturell vermischt haben. Daher kommt die Fusion zwischen Rap und Dancehall, die Drum 'n' Bass heißt. Und darin habe ich das meiste Potenzial für mich gesehen. Das ist das, was mir am meisten Energie gibt, weil ich zum Beispiel die Melodien im Dancehall viel krasser finde. Bei HipHop-Musik geht es oft primär um Rap. Im Drum 'n' Bass hat man dann "the best of both worlds", im Sinne von: Da ist ein krasser Sound und es gibt heftige Melodien. Wenn dann der Text noch stimmt …
MZEE.com: In Deutschland gilt der nicht mehr existierende milk! Club in Mannheim als Ursprungsort der Drum 'n' Bass-Szene. Siehst du dich denn als Teil dieser Szene?
Hanna Noir: Ich würde mich auf jeden Fall als Teil der Szene sehen, allein weil ich diese Musik mache. Aber ich bin natürlich längst nicht so lange dabei wie teilweise DJs, die ich kenne. Die legen seit Jahren nur diese Musik auf. Gerade auch von Leuten, die schon länger am Start sind, kriege ich sehr viel Zuspruch. Es gibt mir ein ähnliches Gefühl wie dieses HipHop-Ding. Das hat sich auch an einem Punkt in meinem Leben so sehr manifestiert, dass es eine Lebenseinstellung wurde. Ich würde also schon sagen, dass ich da ein bisschen dazugehöre. Allein dadurch, dass ich jetzt "nur" Drum 'n' Bass mache, kombiniert mit Garage-Elementen und allem, was nach England klingt. In Hamburg habe ich es natürlich etwas leichter durch die bereits existierende Drum 'n' Bass-Szene. Aber zum Beispiel auch in Bremen ist viel los.
MZEE.com: Dort gibt es auch einige Untergrund-Artists aus dem Bereich.
Hanna Noir: Genau! Man lernt sich hier kennen und ist sofort auf einer Wave. Es fühlt sich an, als würde das gerade einen richtigen Aufschwung erleben, weil es die letzten Jahrzehnte sehr underground war und jetzt immer mehr auf der Bildfläche erscheint. Auf einmal sind Drum 'n' Bass-Songs in den Charts und in England ist das Genre bereits riesig, wodurch mehrere Generationen erreicht werden. Das ist nice mitanzusehen, wenn man ein Teil davon ist. Aktuell habe ich ein ähnliches Gefühl, wie damals, als plötzlich viele deutsche Rapsongs in den Charts waren. Das war ein richtig geiles Gefühl!
MZEE.com: Gerade weil die Drum 'n' Bass-Szene in Deutschland nicht ganz so groß ist: Wie leicht fiel es dir, andere Künstler:innen in diesem Bereich kennenzulernen? Oder auch Producer:innen zu finden – wie unter anderem ClipCartel – um deinen Sound zu kreieren?
Hanna Noir: Am Anfang war das auf jeden Fall ziemlich verrückt, weil ich sehr viel in Sessions erklären musste. Meine ersten Drum 'n' Bass-Songs habe ich 2020 gemacht und da war das ein Ding von: "Also, es gibt einen Spongebob-Song, der hat bestimmte Drums an der und der Stelle. Ich hätte gerne, dass Groove und BPM ähnlich sind." Je mehr ich mich darüber ausgetauscht habe, umso einfacher ist es mir gefallen, ein passendes Umfeld zu finden. Wenn du eine bestimmte Art Output hast, kommen auch Leute dazu, die das schon seit Jahren machen. Das ist ein schönes Gefühl, weil man nicht immer wieder alles erklären muss. Zu meinem Umfeld zählt zum Beispiel auch MARY – ein krasser Drum 'n' Bass-Produzent, der auf Instagram "prodbymary" heißt. Die ersten Songs habe ich aber mit CAN'T.BE.BOUGHT gemacht. Der bewegt sich im Rap-Kosmos, aber fährt auch diese elektronische Schiene ganz gut. Wie gesagt: Drum 'n' Bass ist da die perfekte Fusion zwischen HipHop-Beats und Elektro-Sachen. ClipCartel sind natürlich auch nice. Poldy ist schon länger Drum 'n' Bass-DJ und ein Viertel des ClipCartels. Es gibt noch drei andere Jungs, von denen mindestens zwei in einem Drum 'n' Bass-Kontext stattfinden. Es ist über die Monate und Jahre immer einfacher geworden zu connecten und wird immer mehr. Ich freue mich auch jedes Mal, wenn das bei Rap-Hörer:innen oder Leuten, die eigentlich nur Elektro-Scheiß pumpen, Anklang findet. Die haben auf einmal doch Bock, ein bisschen Text zu hören.
MZEE.com: Es ist bei dir also sehr schnell organisch gewachsen und du musstest nicht lange den "Erklärbär" spielen?
Hanna Noir: Das lebt davon, dass man sich ein Umfeld mit emotional-intelligenten Wesen schafft. Menschen, die einfach zuhören, bei denen man sich zu Hause fühlt und mit denen es angenehm ist zusammenzuarbeiten. Ich habe auf jeden Fall sehr großes Glück gehabt. Organisches Wachstum ist auch für die Seele supergut, weil du das Gefühl hast, es geht voran. Es ist nicht so, dass du einen Hit hast und dich Leute nur wegen einer Zeile kennen. Sondern da sind Leute, die einen über Jahre begleiten und bleiben. Ich checke langsam, wer diese Musik feiert und warum. Organisches Wachstum ist als Independent-Künstlerin etwas sehr Schönes.
MZEE.com: Du hast vorhin erwähnt, dass Drum 'n' Bass bei Rap-Hörer:innen inzwischen Anklang findet. Wenn man sich deine bisherigen Features ansieht, könnte man dich auch im deutschen Rap-Untergrund verorten. Würdest du sagen, dass speziell in diesem Umfeld das Interesse an dem Genre wächst?
Hanna Noir: Auf jeden Fall! Das ist eben das Witzige. Rapper:innen diggen immer neue Sounds und wollen, dass es innovativer und nicer wird. Der Unterschied zwischen Rapper:innen, die wirklich Rap machen, und mir ist, dass die nur für ein paar Songs dieses Genre fahren. Sie merken dann aber: Vielleicht doch lieber 90 BPM-Kopfnicker anstatt 174. Diese Bekanntschaften und Features sind vor allem entstanden, weil man sich schätzt. Der HipHop-Gedanke – diese Wertschätzung für Texte und Authentizität – spielt bei mir eine große Rolle. Das ist mir wichtiger, als den nächsten Hype zu suchen. So ist diese Sympathie entstanden, glaube ich. Also anders kann ich mir das nicht erklären. Die empfehlen dich auch weiter, wenn du mit zwei bis drei von denen cool bist. Du spielst dann Support-Shows und hast Möglichkeiten, die du sonst gar nicht hättest. Deshalb ist es mir wichtig, persönliche Beziehungen mit Künstler:innen zu pflegen, mit denen ich Songs mache. Ich würde jetzt nicht oder nur ungern mit jemandem arbeiten, den ich nicht kenne und dessen Background oder Freund:innen ich nicht verstehe.
MZEE.com: Du wärst also nicht für "Schick mal einen Feature-Part an XY" zu haben?
Hanna Noir: Kommt drauf an. Ich würde eher sagen: Lass uns mal treffen und gucken. Wenn man sich versteht, dann auf jeden Fall. Aber "Sachen wegschicken" würde ich jetzt nur, wenn ich das richtig krass feier' und das Gefühl habe, dass es musikalisch gut zusammenpasst und mich auch auf ein anderes Level hebt.
MZEE.com: Bei welchen Künstler:innen könntest du dir das vorstellen?
Hanna Noir: Also ein Dizzee Rascal- und Craig David-Feature würde ich sofort machen. Aber was deutsche Artists angeht, denke ich mir immer: Okay, wir wohnen im gleichen Land. Dann lass uns doch erst mal treffen. (lacht)
MZEE.com: Lass uns noch mal mehr über deine eigene Musik sprechen: Drum 'n' Bass ist überwiegend Club-Musik, die zum Feiern anregt. Demgegenüber stehen deine Lyrics, die oft persönlich und sozialkritisch sind. Wie passen diese scheinbar gegensätzlichen Elemente für dich zusammen?
Hanna Noir: Ich finde das schwierig, weil Musik ein Stimmungsträger ist. Ich höre kaum traurige Songs, weil das viel mit mir macht. (überlegt) Aber ich finde trotzdem, dass traurige oder nachdenkliche Songs guten Input liefern. Es ist schön, wenn ich einen nachdenklichen Song höre und das Gefühl habe, ich könnte dazu im Club weinen und tanzen. Das klingt ein bisschen gestört, aber das gibt mir eine Sicherheit. Gerade, wenn ich eigentlich voll lost bin und einen Text höre, der mir zeigt: "Du bist nicht die Einzige, die sich so fühlt. Ich verstehe das. Aber ich gebe dir mit dem Subbass und dem schnellen Breakbeat das Gefühl, dass du morgen aufstehen und alles schaffen kannst." Auch klassische Musik nimmt mich teilweise so mit, dass ich das nur schwer hören kann. Aber wenn ich diese Kombination aus traurigen Elementen und einem schnellen dancy Rhythmus höre, werde ich morgens aus dem Club gehen und denken: "Ja!" Ich kann mich jetzt auf eine komische Art besser verstehen, weil ich merke, dass mein Leben weitergeht, auch wenn es mir gerade scheiße geht. Ich hoffe, das ergibt Sinn.
MZEE.com: War es für dich ein Prozess festzustellen, dass du traurige Songs nur ungern hörst?
Hanna Noir: Je mehr du als Person in den 20ern erlebst, umso mehr merkst du auch, wie dich Dinge über die Jahre beeinflussen. Egal, ob das etwas ist, das sehr positiv oder negativ war. Du schwelgst in Erinnerungen oder überlegst, was du mit deinem Leben machst. Du kannst es nicht gebrauchen, dich von etwas runterziehen zu lassen, was so präsent ist, wenn du sowieso alles reflektierst und immer nachdenkst. Ich finde, Musik ist eines der wichtigsten Dinge im Leben. Deshalb möchte ich keine Musik hören, die mich selbst in eine Stimmung bringt, in der ich nachts schlechter schlafe. Gleiches gilt für Medien, die einen dazu bringen, irgendetwas Negatives zu verspüren. Man wird dadurch nur noch älter und nachdenklicher. Ich möchte meinen Medienkonsum zwar reflektieren, aber auch manchmal drauf scheißen. Ich mache das Beste draus und versuche mich bewusst mit Musik in eine Richtung zu drücken, in der es mir gut geht. Ich glaube, das kann einen sehr stark beeinflussen.
MZEE.com: Also funktioniert das für dich wie eine Art emotionaler Selbstschutz?
Hanna Noir: Voll! Viele Artists nutzen Musik als eine Form der Therapie. Ich finde, das sollte man nicht so sehen. Songs, die du als Kind im Radio gehört hast, bei denen du rumgesprungen bist und getanzt hast … Dieses Gefühl will ich mir konservieren. Ich möchte das Gefühl haben, dass ich viele Jahrzehnte älter werden, aber trotzdem diesen Leichtsinn und dieses Naiv-Sein beibehalten kann – auch, wenn das ein doofes Wort ist. Ich möchte nicht das Gefühl haben, dass alles ernst und scheiße geworden ist, weil wir alle erwachsen sind und Probleme haben.
MZEE.com: Du hast bisher noch kein Album releast und trotzdem wirken deine einzelnen Singles und EPs wie aus einem Guss, weil die Drum 'n' Bass- und Garage-Elemente alles vereinen. Könntest du dir trotzdem vorstellen, in Zukunft mal in andere Soundwelten einzutauchen?
Hanna Noir: Ich glaube, ich werde bei meinem Muster bleiben. Man verändert sich zwar und deshalb kann es immer sein, dass man irgendwas anders macht. Aber für mein jetziges Lebensgefühl ist es auf jeden Fall Drum 'n' Bass, Jungle und vielleicht noch Grime und Drill. Ich bin ein Gewohnheitsmensch und mag es, mir gute Angewohnheiten anzueignen. Dazu gehört auch, einen Geschmack zu entwickeln. Ähnlich wie bei Freundschaften: Wenn ich jemanden richtig gernhabe, wird die Person mich nicht mehr los. Das ist bei diesem Genre ähnlich – die Musik hat mir in einer dunklen Phase echt geholfen. Seitdem assoziiere ich diesen schnellen Breakbeat mit einer warmen Umarmung. (lacht) Das ist ein hoffnungsvolles Gefühl. Es ist zwar auch nice, sich immer wieder neu zu erfinden. Aber es ist mir wichtiger, dass ich meine Texte auf ein neues Level bringe oder ein Projekt mache, das zusammenhängend ist. Also so was wie ein Album. Zum Beispiel kann ich, weil ich sowieso schon im Drum 'n' Bass verortet bin, Sachen auf Samples ohne Drums machen. Oder in Richtung Spoken Word gehen und mich darauf fokussieren, was ich erzähle. Damit ich die Hörer:innen nicht ständig überfordere. Du kriegst zwar nur diesen einen Sound, aber dafür viele Facetten von mir als Person geliefert.
MZEE.com: Neben deinem Sound weisen spätestens seit 2022 auch deine Visuals auf Social Media und in Musikvideos eine klare Stringenz auf. Alles scheint einer Vision zu folgen – speziell durch die Farbe Weiß und deine Maske. Wie wichtig ist dir diese visuelle Kontextualisierung?
Hanna Noir: Gerade wenn du independent bist, sollte die Wirkung nach außen so professionell wie möglich sein. Dazu gehört eine Ästhetik, eine eigene Marke und eine Möglichkeit, die Texte und Beats auf dem besten Weg an die Leute zu bringen. Ich finde, dass Künstler:innen zum Rest ihrer Kunst passen müssen. Wenn ich zum Beispiel nur traurige Songs hätte, aber voll auf eine Partyästhetik gehen würde, würde mich das durcheinanderbringen. Ich möchte diese Ruhe und dieses Hoffnungsvolle auch in Bildern haben. Diese Umarmung, von der ich eben gesprochen habe, hat auch bestimmte Farben: sanfte Blautöne, ein bisschen glowy und auf jeden Fall Weiß. Ich weiß mittlerweile lange vor Veröffentlichungen, wie das ungefähr später aussehen wird. Wenn du dann mit Leuten arbeitest, die Visuals für dich machen, musst du nicht mehr die Welt erklären. Sondern du kannst immer mehr Ideen einbringen, die trotzdem gut zusammenpassen. Das ist ein langer Prozess gewesen, aber ich habe jetzt einen Art Director, der spricht mit mir Sachen durch und ist quasi mein zweites Gehirn. Das ist Lukas Hertlein aus Berlin, ein ganz krasser visueller Kopf.
MZEE.com: Beim Blick auf deine Diskographie fällt auf, dass Themen wie Einsamkeit, Selfcare und der Kampf gegen Sexismus immer wieder auftauchen. Zum Abschlusss würde ich gerne wissen, was dir hilft – abseits von deiner Musik – mit diesen Themen umzugehen?
Hanna Noir: Das sind hauptsächlich Gespräche, gerade bei dem jetzigen politischen Geschehen. Auch wenn es superbedrückend ist, will ich nie das Gefühl der Machtlosigkeit haben. Wenn man Gesprächspartner:innen hat, mit denen man über Sachen reden kann, die einen gerade sehr krass beschäftigen, löst das diesen Weltschmerz etwas auf. Ich will aber auch nicht in 20 Jahren das Gefühl haben, nichts getan zu haben und Deutschland scheißt völlig ab. Ich finde es sauschwierig und benutze dann meine Musik dafür, meine Gedanken an die Leute zu bringen. Ich hoffe, dass meine Lyrics richtig verstanden werden und ich vielleicht irgendwen kurz zum Nachdenken bringen kann. Ich hoffe auch, dass es nicht zu plakativ rüberkommt, denn es soll auch Leute, die "anders" denken, dazu bringen, noch mal darüber nachzudenken … oder wenigstens für einen Moment von: "Okay, vielleicht hat sie doch Recht" sorgen. Diese Saat möchte ich gerne säen. Aber es ist superschwierig, damit umzugehen, wenn man nicht genau weiß, wie es ankommt. Dafür habe ich dann meine Leute, die da noch mal drüberhören und mir glücklicherweise ehrliches Feedback geben. Ohne Kommunikation funktioniert wenig. Ich glaube, das funktioniert hauptsächlich, weil man sich sehr viel austauscht.
(Alec Weber)
(Fotos von ANNAVPEAK und Jan Werk)