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Interview

Hanna Noir – ein Gespräch über Drum 'n' Bass in Deutschland

"Es gibt mir ein ähn­li­ches Gefühl wie die­ses HipHop-​Ding. Das hat sich auch an einem Punkt in mei­nem Leben so sehr mani­fes­tiert, dass es eine Lebens­ein­stel­lung wur­de." – Han­na Noir im Inter­view über die Fra­ge, wel­chen Stel­len­wert Drum 'n' Bass in ihrem Leben hat.

Drum 'n' Bass ist eine Musik­rich­tung, die in den 90ern in Eng­land ent­stand und seit­dem durch den Ein­fluss auf die dor­ti­ge Club-​Kultur für gro­ßes Auf­se­hen sorgt. Break­beats, Sam­pling, eine mul­ti­kul­tu­rel­le Sze­ne und klas­si­sche MCs – all das fin­det sich auch in die­sem Musik­gen­re wie­der. Und auch die Rap­mu­sik der 2000er in Eng­land wur­de stark durch D'n'B beein­flusst. Dies wird bei vie­len Grime- und Drill-​Acts deut­lich, die Genre-​Grenzen ver­schwim­men las­sen und Rap und D'n'B immer wei­ter fusio­nie­ren – wie zum Bei­spiel Tinie Tem­pah. Visu­ell und sound­äs­the­tisch gibt es aber immer noch eini­ge Unter­schie­de, da der Rave wei­ter­hin als Kern­ele­ment der Drum 'n' Bass-​Kultur gilt: Par­ty­äs­the­tik und schnel­le Beats jen­seits der 170 BPM gehen hier Hand in Hand. Eine Künst­le­rin, die in Deutsch­land in die­sem Bereich her­aus­sticht, ist die Ham­bur­ge­rin Han­na Noir. Seit 2020 ver­öf­fent­licht sie kon­se­quent Drum 'n' Bass, wobei Visu­als, Inhal­te und Sound in einem span­nen­den Gesamt­kunst­werk fusio­nie­ren. Trotz­dem ist die Musi­ke­rin auch in der hie­si­gen Untergrund-​Rapwelt ver­an­kert: mit über­wie­gend per­sön­li­chen und sozi­al­kri­ti­schen Lyrics, die in der Club-​Kultur des D'n'B eher sel­ten zu fin­den sind, aber im Rap-​Kosmos Anklang fin­den. Wie das Gan­ze zusam­men­passt und war­um die­se Musik­rich­tung auch in Deutsch­land funk­tio­niert, haben wir mit Han­na Noir in unse­rem Gespräch näher beleuch­tet. Außer­dem spra­chen wir über ihre emo­tio­na­le Bezie­hung zu Beats und ihren Ansatz, Tex­te zu schreiben.

MZEE​.com​: Lass uns mal mit den Basics star­ten: Wel­che Drum 'n' Bass-​Acts haben dich beson­ders beein­flusst und wie hast du das Gen­re entdeckt?

Han­na Noir: Dadurch, dass ich erst in den 90s gebo­ren wur­de, bin ich mit Musi­kern wie Diz­zee Ras­cal und Craig David in den 2000ern auf­ge­wach­sen – mei­ner Mei­nung nach Pio­nie­re des Garage- und Grime-​Sounds. (Anm. d. Red.: Gara­ge hat die glei­chen musi­ka­li­schen Ursprün­ge wie D'n'B und beein­fluss­te spe­zi­ell in den 2000ern Rap-​Subgenres wie Grime enorm.) Aktu­ell fin­de ich Nia Archi­ves sehr krass. Glei­ches gilt für Cha­se & Sta­tus, die sind aber schon wesent­lich län­ger aktiv. Und auch Grime-​Acts wie Tinie Tem­pah und Bug­zy Mal­o­ne sind stark durch Drum 'n' Bass beein­flusst. In Deutsch­land ist man natür­lich unbe­wusst durch Euro­dance und Techno-​inspirierte Gen­res an das Gan­ze her­an­ge­führt wor­den. Alles, was tanz­bar ist, hat auch einen elek­tro­ni­schen bezie­hungs­wei­se Drum 'n' Bass-Vibe.

MZEE​.com​: Drum 'n' Bass und Hip­Hop haben eini­ge Über­schnei­dun­gen – zum Bei­spiel ein­deu­ti­ge Berüh­rungs­punk­te mit Funk und Reg­gae. Wie nah lie­gen die Kul­tu­ren für dich aneinander?

Han­na Noir: Sehr. Aktu­ell ent­ste­hen zum Bei­spiel vie­le Remi­xe, die bei­de Gen­res ver­ei­nen. Jemand wie Sean Paul ist ein Pio­nier in die­sem Bereich, weil er Dancehall-​Einflüsse in das Gen­re gebracht hat. Die Kul­tu­ren sind super­dicht bei­ein­an­der, aber auch sehr weit ent­fernt und das ist das Gei­le dar­an. Gera­de der Umgang mit Hits der 2000er zum Bei­spiel: Sie wer­den noch­mal auf­ge­grif­fen und es wird Musik pro­du­ziert, die meh­re­re Gene­ra­tio­nen bewegt, weil man sie noch aus der Kind­heit kennt. Ins­be­son­de­re in UK ist das der Fall. Es gibt Songs, die jede:r mit­sin­gen kann. Ob da jetzt schnel­le­re oder lang­sa­me­re Drums drun­ter sind, juckt die Leu­te nicht, solan­ge es "dancy" ist.

MZEE​.com​: Wie wür­dest du es denn fin­den, wenn jemand eine 2000er-​Hook ver­wen­det und nur schnel­le­re Drums drunterpackt?

Han­na Noir: Mein Fall ist es nicht. Ich den­ke, dass das alles sehr kurz­le­big ist. In sol­chen Fäl­len wird nicht mehr auf den Act oder die Geschich­te hin­ter dem Song geach­tet, es geht nur nach vor­ne und die Haupt­sa­che ist: Sprin­gen, Mosh­pit und Tan­zen. Aber die­se Her­an­ge­hens­wei­se tut auch etwas dafür, dass sich Kul­tu­ren mehr ver­mi­schen, das befür­wor­te ich immer. Davon, dass Gen­res wie Jungle, Drum 'n' Bass und Hip­Hop ent­stan­den sind und sich gegen­sei­tig beein­fluss­ten, wur­den wir als die etwas jün­ge­re Gene­ra­ti­on geprägt. Wir haben mit ver­schie­de­nen Kul­tu­ren zu tun und hocken nicht nur in der eige­nen Bubble. Das gibt uns einen Sound­track fürs Miteinander-​Sein. Aber man­che machen das bes­ser und ande­re schlech­ter. Wobei das auch schwie­rig zu defi­nie­ren ist. Solan­ge Musik bewegt, wird sie in irgend­ei­ner Art und Wei­se Anklang fin­den – auch wenn es humo­ris­tisch ist. Gera­de dadurch, dass wir vie­le neue Gen­res und Instru­men­te im Sin­ne von Samples haben, sind wir in der Lage, noch indi­vi­du­el­le­re Musik zu machen. Du kannst noch gei­le­re neue Sachen machen, die nicht ein­fach nur etwas bereits Exis­tie­ren­des mit schnel­le­ren Drums wie­der­ho­len. Aber das mensch­li­che Ohr mag nun mal Din­ge, die es schon kennt. Vie­les wie­der­holt sich dadurch. Des­halb sind Hits der 80er immer noch Hits und wer­den wei­ter­hin geremixt.

MZEE​.com​: Kom­men wir zurück zu D'n'B. Drum 'n' Bass-​Beats sind meis­tens mini­ma­lis­ti­scher und wesent­lich schnel­ler als klas­si­sche Rap-​Beats – zum Bei­spiel aus dem Boom bap-​Bereich. Was reizt dich daran?

Han­na Noir: Na ja, ich bin jah­re­lang ein kras­ser Rap-​Nerd gewe­sen, weil ich sehr viel Ami-​Rap gediggt habe und auch aus dem UK-​Bereich vie­le Acts ken­ne. Aber ab dem Punkt, an dem ich gemerkt hab', Musik gibt mir unter­schied­li­che Arten von Ener­gie, wur­de es span­nend. Ich habe etwas gebraucht, das mich frü­her auf­ste­hen und viel­leicht mei­nen Kaf­fee erset­zen lässt. Da ist Drum 'n' Bass das Gen­re! Es ist im Prin­zip eigent­lich nur Break­beat in Schnel­ler. Wenn du zum Bei­spiel jah­re­lang Nas gehört und auf jede Zei­le geach­tet hast, ist es jetzt ein­fach nur noch schnel­ler … (lacht) Und ein biss­chen weni­ger Text. Durch den Lock­down hat­te ich ein lang­sa­me­res Leben, wodurch sich wie­der­um mein Hör­ver­hal­ten ver­än­dert hat. Ich habe etwas gebraucht, um das aus­zu­glei­chen. Denn ich wür­de mich als Per­son beschrei­ben, die Bock auf ein auf­re­gen­des Leben und viel Adre­na­lin hat. Hip­Hop hat irgend­wann mei­nen Kopf durch­ge­matscht, weil ich zu sehr auf die Lyrics geach­tet habe. Es ist mir zwar wich­tig, auf Tex­te zu ach­ten, aber mir sind die Beats auf ein­mal wich­ti­ger gewor­den als der Text – und das als Texterin.

MZEE​.com​: Bezüg­lich dei­ner musi­ka­li­schen Sozia­li­sa­ti­on war Rap also lan­ge vor Drum 'n' Bass da?

Han­na Noir: Ja, begon­nen habe ich mit ame­ri­ka­ni­schem Rap und R 'n' B in den 2000ern. Dance­hall habe ich aber auch viel gehört. Dann kam der Punkt, an dem ich gecheckt habe, dass Dance­hall in Eng­land viel gei­ler klingt, weil sich dort Eng­land und Jamai­ka kul­tu­rell ver­mischt haben. Daher kommt die Fusi­on zwi­schen Rap und Dance­hall, die Drum 'n' Bass heißt. Und dar­in habe ich das meis­te Poten­zi­al für mich gese­hen. Das ist das, was mir am meis­ten Ener­gie gibt, weil ich zum Bei­spiel die Melo­dien im Dance­hall viel kras­ser fin­de. Bei HipHop-​Musik geht es oft pri­mär um Rap. Im Drum 'n' Bass hat man dann "the best of both worlds", im Sin­ne von: Da ist ein kras­ser Sound und es gibt hef­ti­ge Melo­dien. Wenn dann der Text noch stimmt …

MZEE​.com​: In Deutsch­land gilt der nicht mehr exis­tie­ren­de milk! Club in Mann­heim als Ursprungs­ort der Drum 'n' Bass-​Szene. Siehst du dich denn als Teil die­ser Szene?

Han­na Noir: Ich wür­de mich auf jeden Fall als Teil der Sze­ne sehen, allein weil ich die­se Musik mache. Aber ich bin natür­lich längst nicht so lan­ge dabei wie teil­wei­se DJs, die ich ken­ne. Die legen seit Jah­ren nur die­se Musik auf. Gera­de auch von Leu­ten, die schon län­ger am Start sind, krie­ge ich sehr viel Zuspruch. Es gibt mir ein ähn­li­ches Gefühl wie die­ses HipHop-​Ding. Das hat sich auch an einem Punkt in mei­nem Leben so sehr mani­fes­tiert, dass es eine Lebens­ein­stel­lung wur­de. Ich wür­de also schon sagen, dass ich da ein biss­chen dazu­ge­hö­re. Allein dadurch, dass ich jetzt "nur" Drum 'n' Bass mache, kom­bi­niert mit Garage-​Elementen und allem, was nach Eng­land klingt. In Ham­burg habe ich es natür­lich etwas leich­ter durch die bereits exis­tie­ren­de Drum 'n' Bass-​Szene. Aber zum Bei­spiel auch in Bre­men ist viel los.

MZEE​.com​: Dort gibt es auch eini­ge Untergrund-​Artists aus dem Bereich.

Han­na Noir: Genau! Man lernt sich hier ken­nen und ist sofort auf einer Wave. Es fühlt sich an, als wür­de das gera­de einen rich­ti­gen Auf­schwung erle­ben, weil es die letz­ten Jahr­zehn­te sehr under­ground war und jetzt immer mehr auf der Bild­flä­che erscheint. Auf ein­mal sind Drum 'n' Bass-​Songs in den Charts und in Eng­land ist das Gen­re bereits rie­sig, wodurch meh­re­re Gene­ra­tio­nen erreicht wer­den. Das ist nice mit­an­zu­se­hen, wenn man ein Teil davon ist. Aktu­ell habe ich ein ähn­li­ches Gefühl, wie damals, als plötz­lich vie­le deut­sche Rap­songs in den Charts waren. Das war ein rich­tig gei­les Gefühl!

MZEE​.com​: Gera­de weil die Drum 'n' Bass-​Szene in Deutsch­land nicht ganz so groß ist: Wie leicht fiel es dir, ande­re Künstler:innen in die­sem Bereich ken­nen­zu­ler­nen? Oder auch Producer:innen zu fin­den – wie unter ande­rem Clip­Car­tel – um dei­nen Sound zu kreieren?

Han­na Noir: Am Anfang war das auf jeden Fall ziem­lich ver­rückt, weil ich sehr viel in Ses­si­ons erklä­ren muss­te. Mei­ne ers­ten Drum 'n' Bass-​Songs habe ich 2020 gemacht und da war das ein Ding von: "Also, es gibt einen Spongebob-​Song, der hat bestimm­te Drums an der und der Stel­le. Ich hät­te ger­ne, dass Groo­ve und BPM ähn­lich sind." Je mehr ich mich dar­über aus­ge­tauscht habe, umso ein­fa­cher ist es mir gefal­len, ein pas­sen­des Umfeld zu fin­den. Wenn du eine bestimm­te Art Out­put hast, kom­men auch Leu­te dazu, die das schon seit Jah­ren machen. Das ist ein schö­nes Gefühl, weil man nicht immer wie­der alles erklä­ren muss. Zu mei­nem Umfeld zählt zum Bei­spiel auch MARY – ein kras­ser Drum 'n' Bass-​Produzent, der auf Insta­gram "prod­by­ma­ry" heißt. Die ers­ten Songs habe ich aber mit CAN'T.BE.BOUGHT gemacht. Der bewegt sich im Rap-​Kosmos, aber fährt auch die­se elek­tro­ni­sche Schie­ne ganz gut. Wie gesagt: Drum 'n' Bass ist da die per­fek­te Fusi­on zwi­schen HipHop-​Beats und Elektro-​Sachen. Clip­Car­tel sind natür­lich auch nice. Pol­dy ist schon län­ger Drum 'n' Bass-​DJ und ein Vier­tel des Clip­Car­tels. Es gibt noch drei ande­re Jungs, von denen min­des­tens zwei in einem Drum 'n' Bass-​Kontext statt­fin­den. Es ist über die Mona­te und Jah­re immer ein­fa­cher gewor­den zu con­nec­ten und wird immer mehr. Ich freue mich auch jedes Mal, wenn das bei Rap-Hörer:innen oder Leu­ten, die eigent­lich nur Elektro-​Scheiß pum­pen, Anklang fin­det. Die haben auf ein­mal doch Bock, ein biss­chen Text zu hören.

MZEE​.com​: Es ist bei dir also sehr schnell orga­nisch gewach­sen und du muss­test nicht lan­ge den "Erklär­bär" spielen?

Han­na Noir: Das lebt davon, dass man sich ein Umfeld mit emotional-​intelligenten Wesen schafft. Men­schen, die ein­fach zuhö­ren, bei denen man sich zu Hau­se fühlt und mit denen es ange­nehm ist zusam­men­zu­ar­bei­ten. Ich habe auf jeden Fall sehr gro­ßes Glück gehabt. Orga­ni­sches Wachs­tum ist auch für die See­le super­gut, weil du das Gefühl hast, es geht vor­an. Es ist nicht so, dass du einen Hit hast und dich Leu­te nur wegen einer Zei­le ken­nen. Son­dern da sind Leu­te, die einen über Jah­re beglei­ten und blei­ben. Ich che­cke lang­sam, wer die­se Musik fei­ert und war­um. Orga­ni­sches Wachs­tum ist als Independent-​Künstlerin etwas sehr Schönes.

MZEE​.com​: Du hast vor­hin erwähnt, dass Drum 'n' Bass bei Rap-Hörer:innen inzwi­schen Anklang fin­det. Wenn man sich dei­ne bis­he­ri­gen Fea­tures ansieht, könn­te man dich auch im deut­schen Rap-​Untergrund ver­or­ten. Wür­dest du sagen, dass spe­zi­ell in die­sem Umfeld das Inter­es­se an dem Gen­re wächst?

Han­na Noir: Auf jeden Fall! Das ist eben das Wit­zi­ge. Rapper:innen dig­gen immer neue Sounds und wol­len, dass es inno­va­ti­ver und nicer wird. Der Unter­schied zwi­schen Rapper:innen, die wirk­lich Rap machen, und mir ist, dass die nur für ein paar Songs die­ses Gen­re fah­ren. Sie mer­ken dann aber: Viel­leicht doch lie­ber 90 BPM-​Kopfnicker anstatt 174. Die­se Bekannt­schaf­ten und Fea­tures sind vor allem ent­stan­den, weil man sich schätzt. Der HipHop-​Gedanke – die­se Wert­schät­zung für Tex­te und Authen­ti­zi­tät – spielt bei mir eine gro­ße Rol­le. Das ist mir wich­ti­ger, als den nächs­ten Hype zu suchen. So ist die­se Sym­pa­thie ent­stan­den, glau­be ich. Also anders kann ich mir das nicht erklä­ren. Die emp­feh­len dich auch wei­ter, wenn du mit zwei bis drei von denen cool bist. Du spielst dann Support-​Shows und hast Mög­lich­kei­ten, die du sonst gar nicht hät­test. Des­halb ist es mir wich­tig, per­sön­li­che Bezie­hun­gen mit Künstler:innen zu pfle­gen, mit denen ich Songs mache. Ich wür­de jetzt nicht oder nur ungern mit jeman­dem arbei­ten, den ich nicht ken­ne und des­sen Back­ground oder Freund:innen ich nicht verstehe.

MZEE​.com​: Du wärst also nicht für "Schick mal einen Feature-​Part an XY" zu haben?

Han­na Noir: Kommt drauf an. Ich wür­de eher sagen: Lass uns mal tref­fen und gucken. Wenn man sich ver­steht, dann auf jeden Fall. Aber "Sachen weg­schi­cken" wür­de ich jetzt nur, wenn ich das rich­tig krass fei­er' und das Gefühl habe, dass es musi­ka­lisch gut zusam­men­passt und mich auch auf ein ande­res Level hebt.

MZEE​.com​: Bei wel­chen Künstler:innen könn­test du dir das vorstellen?

Han­na Noir: Also ein Diz­zee Rascal- und Craig David-​Feature wür­de ich sofort machen. Aber was deut­sche Artists angeht, den­ke ich mir immer: Okay, wir woh­nen im glei­chen Land. Dann lass uns doch erst mal tref­fen. (lacht)

MZEE​.com​: Lass uns noch mal mehr über dei­ne eige­ne Musik spre­chen: Drum 'n' Bass ist über­wie­gend Club-​Musik, die zum Fei­ern anregt. Dem­ge­gen­über ste­hen dei­ne Lyrics, die oft per­sön­lich und sozi­al­kri­tisch sind. Wie pas­sen die­se schein­bar gegen­sätz­li­chen Ele­men­te für dich zusammen?

Han­na Noir: Ich fin­de das schwie­rig, weil Musik ein Stim­mungs­trä­ger ist. Ich höre kaum trau­ri­ge Songs, weil das viel mit mir macht. (über­legt) Aber ich fin­de trotz­dem, dass trau­ri­ge oder nach­denk­li­che Songs guten Input lie­fern. Es ist schön, wenn ich einen nach­denk­li­chen Song höre und das Gefühl habe, ich könn­te dazu im Club wei­nen und tan­zen. Das klingt ein biss­chen gestört, aber das gibt mir eine Sicher­heit. Gera­de, wenn ich eigent­lich voll lost bin und einen Text höre, der mir zeigt: "Du bist nicht die Ein­zi­ge, die sich so fühlt. Ich ver­ste­he das. Aber ich gebe dir mit dem Sub­bass und dem schnel­len Break­beat das Gefühl, dass du mor­gen auf­ste­hen und alles schaf­fen kannst." Auch klas­si­sche Musik nimmt mich teil­wei­se so mit, dass ich das nur schwer hören kann. Aber wenn ich die­se Kom­bi­na­ti­on aus trau­ri­gen Ele­men­ten und einem schnel­len dancy Rhyth­mus höre, wer­de ich mor­gens aus dem Club gehen und den­ken: "Ja!" Ich kann mich jetzt auf eine komi­sche Art bes­ser ver­ste­hen, weil ich mer­ke, dass mein Leben wei­ter­geht, auch wenn es mir gera­de schei­ße geht. Ich hof­fe, das ergibt Sinn.

MZEE​.com​: War es für dich ein Pro­zess fest­zu­stel­len, dass du trau­ri­ge Songs nur ungern hörst?

Han­na Noir: Je mehr du als Per­son in den 20ern erlebst, umso mehr merkst du auch, wie dich Din­ge über die Jah­re beein­flus­sen. Egal, ob das etwas ist, das sehr posi­tiv oder nega­tiv war. Du schwelgst in Erin­ne­run­gen oder über­legst, was du mit dei­nem Leben machst. Du kannst es nicht gebrau­chen, dich von etwas run­ter­zie­hen zu las­sen, was so prä­sent ist, wenn du sowie­so alles reflek­tierst und immer nach­denkst. Ich fin­de, Musik ist eines der wich­tigs­ten Din­ge im Leben. Des­halb möch­te ich kei­ne Musik hören, die mich selbst in eine Stim­mung bringt, in der ich nachts schlech­ter schla­fe. Glei­ches gilt für Medi­en, die einen dazu brin­gen, irgend­et­was Nega­ti­ves zu ver­spü­ren. Man wird dadurch nur noch älter und nach­denk­li­cher. Ich möch­te mei­nen Medi­en­kon­sum zwar reflek­tie­ren, aber auch manch­mal drauf schei­ßen. Ich mache das Bes­te draus und ver­su­che mich bewusst mit Musik in eine Rich­tung zu drü­cken, in der es mir gut geht. Ich glau­be, das kann einen sehr stark beeinflussen.

MZEE​.com​: Also funk­tio­niert das für dich wie eine Art emo­tio­na­ler Selbstschutz?

Han­na Noir: Voll! Vie­le Artists nut­zen Musik als eine Form der The­ra­pie. Ich fin­de, das soll­te man nicht so sehen. Songs, die du als Kind im Radio gehört hast, bei denen du rum­ge­sprun­gen bist und getanzt hast … Die­ses Gefühl will ich mir kon­ser­vie­ren. Ich möch­te das Gefühl haben, dass ich vie­le Jahr­zehn­te älter wer­den, aber trotz­dem die­sen Leicht­sinn und die­ses Naiv-​Sein bei­be­hal­ten kann – auch, wenn das ein doo­fes Wort ist. Ich möch­te nicht das Gefühl haben, dass alles ernst und schei­ße gewor­den ist, weil wir alle erwach­sen sind und Pro­ble­me haben.

MZEE​.com​: Du hast bis­her noch kein Album releast und trotz­dem wir­ken dei­ne ein­zel­nen Sin­gles und EPs wie aus einem Guss, weil die Drum 'n' Bass- und Garage-​Elemente alles ver­ei­nen. Könn­test du dir trotz­dem vor­stel­len, in Zukunft mal in ande­re Sound­wel­ten einzutauchen?

Han­na Noir: Ich glau­be, ich wer­de bei mei­nem Mus­ter blei­ben. Man ver­än­dert sich zwar und des­halb kann es immer sein, dass man irgend­was anders macht. Aber für mein jet­zi­ges Lebens­ge­fühl ist es auf jeden Fall Drum 'n' Bass, Jungle und viel­leicht noch Grime und Drill. Ich bin ein Gewohn­heits­mensch und mag es, mir gute Ange­wohn­hei­ten anzu­eig­nen. Dazu gehört auch, einen Geschmack zu ent­wi­ckeln. Ähn­lich wie bei Freund­schaf­ten: Wenn ich jeman­den rich­tig gern­ha­be, wird die Per­son mich nicht mehr los. Das ist bei die­sem Gen­re ähn­lich – die Musik hat mir in einer dunk­len Pha­se echt gehol­fen. Seit­dem asso­zi­ie­re ich die­sen schnel­len Break­beat mit einer war­men Umar­mung. (lacht) Das ist ein hoff­nungs­vol­les Gefühl. Es ist zwar auch nice, sich immer wie­der neu zu erfin­den. Aber es ist mir wich­ti­ger, dass ich mei­ne Tex­te auf ein neu­es Level brin­ge oder ein Pro­jekt mache, das zusam­men­hän­gend ist. Also so was wie ein Album. Zum Bei­spiel kann ich, weil ich sowie­so schon im Drum 'n' Bass ver­or­tet bin, Sachen auf Samples ohne Drums machen. Oder in Rich­tung Spo­ken Word gehen und mich dar­auf fokus­sie­ren, was ich erzäh­le. Damit ich die Hörer:innen nicht stän­dig über­for­de­re. Du kriegst zwar nur die­sen einen Sound, aber dafür vie­le Facet­ten von mir als Per­son geliefert.

MZEE​.com​: Neben dei­nem Sound wei­sen spä­tes­tens seit 2022 auch dei­ne Visu­als auf Social Media und in Musik­vi­de­os eine kla­re Strin­genz auf. Alles scheint einer Visi­on zu fol­gen – spe­zi­ell durch die Far­be Weiß und dei­ne Mas­ke. Wie wich­tig ist dir die­se visu­el­le Kontextualisierung?

Han­na Noir: Gera­de wenn du inde­pen­dent bist, soll­te die Wir­kung nach außen so pro­fes­sio­nell wie mög­lich sein. Dazu gehört eine Ästhe­tik, eine eige­ne Mar­ke und eine Mög­lich­keit, die Tex­te und Beats auf dem bes­ten Weg an die Leu­te zu brin­gen. Ich fin­de, dass Künstler:innen zum Rest ihrer Kunst pas­sen müs­sen. Wenn ich zum Bei­spiel nur trau­ri­ge Songs hät­te, aber voll auf eine Par­ty­äs­the­tik gehen wür­de, wür­de mich das durch­ein­an­der­brin­gen. Ich möch­te die­se Ruhe und die­ses Hoff­nungs­vol­le auch in Bil­dern haben. Die­se Umar­mung, von der ich eben gespro­chen habe, hat auch bestimm­te Far­ben: sanf­te Blau­tö­ne, ein biss­chen glo­wy und auf jeden Fall Weiß. Ich weiß mitt­ler­wei­le lan­ge vor Ver­öf­fent­li­chun­gen, wie das unge­fähr spä­ter aus­se­hen wird. Wenn du dann mit Leu­ten arbei­test, die Visu­als für dich machen, musst du nicht mehr die Welt erklä­ren. Son­dern du kannst immer mehr Ideen ein­brin­gen, die trotz­dem gut zusam­men­pas­sen. Das ist ein lan­ger Pro­zess gewe­sen, aber ich habe jetzt einen Art Direc­tor, der spricht mit mir Sachen durch und ist qua­si mein zwei­tes Gehirn. Das ist Lukas Hertlein aus Ber­lin, ein ganz kras­ser visu­el­ler Kopf.

MZEE​.com​: Beim Blick auf dei­ne Dis­ko­gra­phie fällt auf, dass The­men wie Ein­sam­keit, Self­ca­re und der Kampf gegen Sexis­mus immer wie­der auf­tau­chen. Zum Abschlusss wür­de ich ger­ne wis­sen, was dir hilft – abseits von dei­ner Musik – mit die­sen The­men umzugehen?

Han­na Noir: Das sind haupt­säch­lich Gesprä­che, gera­de bei dem jet­zi­gen poli­ti­schen Gesche­hen. Auch wenn es super­be­drü­ckend ist, will ich nie das Gefühl der Macht­lo­sig­keit haben. Wenn man Gesprächspartner:innen hat, mit denen man über Sachen reden kann, die einen gera­de sehr krass beschäf­ti­gen, löst das die­sen Welt­schmerz etwas auf. Ich will aber auch nicht in 20 Jah­ren das Gefühl haben, nichts getan zu haben und Deutsch­land scheißt völ­lig ab. Ich fin­de es sausch­wie­rig und benut­ze dann mei­ne Musik dafür, mei­ne Gedan­ken an die Leu­te zu brin­gen. Ich hof­fe, dass mei­ne Lyrics rich­tig ver­stan­den wer­den und ich viel­leicht irgend­wen kurz zum Nach­den­ken brin­gen kann. Ich hof­fe auch, dass es nicht zu pla­ka­tiv rüber­kommt, denn es soll auch Leu­te, die "anders" den­ken, dazu brin­gen, noch mal dar­über nach­zu­den­ken … oder wenigs­tens für einen Moment von: "Okay, viel­leicht hat sie doch Recht" sor­gen. Die­se Saat möch­te ich ger­ne säen. Aber es ist super­schwie­rig, damit umzu­ge­hen, wenn man nicht genau weiß, wie es ankommt. Dafür habe ich dann mei­ne Leu­te, die da noch mal drü­ber­hö­ren und mir glück­li­cher­wei­se ehr­li­ches Feed­back geben. Ohne Kom­mu­ni­ka­ti­on funk­tio­niert wenig. Ich glau­be, das funk­tio­niert haupt­säch­lich, weil man sich sehr viel austauscht.

(Alec Weber)
(Fotos von ANNAVPEAK und Jan Werk)