Das ist Hardcore Entertainment – Hollywoodsfinest.
Und die deutsche Rapszene sitzt voll in der Scheiße.
Nachtrag: Auch wenn Hollywood Hank sich am Ende seiner Karriere gegen Faschismus, Sexismus und Rechtsradikalismus positionierte, möchten wir als MZEE früher gerappte Zeilen, die in die gegenteilige Richtung gehen, unbedingt verurteilen.
Kurz nach Weihnachten 2023 hallte ein Paukenschlag durch die Deutschrapszene: Ausgehend von einem Discord-Channel mit bis dato ein paar wenigen hundert Mitgliedern verbreitete sich das Gerücht um den Tod des Rappers Hollywood Hank, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit rund einer Dekade von der Bildfläche verschwunden war. Die anfängliche Skepsis, die der Meldung vielerorts entgegengebracht wurde, war verständlich: Immerhin war Hollywood Hank seit jeher ein Mysterium und Nachrichten über seinen angeblichen Verbleib oder Tod in unregelmäßigen Abständen keine Seltenheit. Ein erstes Indiz für den Wahrheitsgehalt des dort geposteten Textes, der zunächst mehr Fragen als Antworten aufwarf, war allerdings der Verfasser: Dieser galt in Hanks harter Kern-Community als vertrauenswürdiger, langjähriger Kontakt zu dem Rapper und dessen Familie. Als sich nach und nach weitere frühere Weggefährten zu Wort meldeten, kam die traurige Gewissheit: Hollywood Hank ist im Alter von 38 Jahren am 03. Dezember 2023 im spanischen Segovia verstorben. Was folgte, waren Beileidsbekundungen aus allen Ecken der Deutschrap-Szene – von langjährigen Kollabo-Partnern wie JAW und Favorite über namhafte Künstler wie Kollegah und Morlockk Dilemma bis hin zu Acts wie FiNCH und Marteria, die auf den ersten Blick wohl niemand mit Hank assoziiert hätte. Die große Anteilnahme der Deutschrap-Szene zeigte vor allem eines: Über Hanks Einfluss und Talent herrschte trotz stets provokanter Texte eine klare Einigkeit.
Sven Pingel, so Hollywood Hanks bürgerlicher Name, wurde am 16. September 1985 geboren und wuchs mit zwei älteren Schwestern im damaligen Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg auf, wo er laut eigener Aussage eine glückliche Kindheit verlebte. Als er im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie ins sächsische Oderwitz zog, nahm sein Leben eine prägende Wendung. Zum einen kam er durch Künstler wie Samy Deluxe, Absolute Beginner und Torch zum ersten Mal mit deutschem HipHop in Kontakt und begann daraufhin, mit Freunden selbst Musik im heimischen Kinderzimmer zu produzieren. Zum anderen nahm er bereits im Alter von 15 Jahren Drogen, litt unter Angstpsychosen und wurde in Therapie geschickt – Auslöser hierfür war laut Pingel unter anderem, dass er in seiner neuen Heimat Opfer rechter Gewalt durch die hiesige Neonazi-Szene wurde. All diese Faktoren führten letztlich zur Erschaffung einer kontroversen Kunstfigur: Hollywood Hank war geboren. Mit seinem Alter Ego inszenierte er sich selbst als emotionsloser, sadistischer Psychopath und Menschenfeind – oder wie er es nannte: als "Einzelkämpfer", um sich gegen die Anfeindungen seiner Außenwelt in Form von Battlerap zur Wehr zu setzen.
Diese Entwicklung in seiner Jugend gipfelte schließlich in der Gründung einer Rapcrew mit Johnny Flexxx. Im Jahr 2003 veröffentlichte das "Projekt Alzheimer", wie die beiden sich als Duo nannten, das Kollabo-Album "Nur ein Versuch", das zunächst nur im kleinen Bekanntenkreis weitergegeben wurde. Kurz darauf folgte eine Anmeldung bei der Online-Battle-Liga RBA, wo Sven Pingel unter den Pseudonymen "Faulty Brain", "Dr. Love", "Dr. Frost" und "Dr. Hollywood" sowohl musikalisch als auch im berüchtigten RBA-Forum aktiv war und erste Kontakte zu späteren Weggefährten wie JAW knüpfte. Daneben erschienen diverse Free-Tracks sowie Featureparts an unterschiedlichen Stellen, insbesondere mit anderen Mitgliedern der Liga. Auch das ostdeutsche Independent-Label Rapz-Records wurde zu dieser Zeit auf ihn aufmerksam und nahm ihn 2006 unter Vertrag. Noch im selben Jahr erschien Hollywood Hanks Debütalbum "Soziopath", das bis heute einen Meilenstein in der Deutschrap-Historie darstellt: Die roughen, selbst produzierten Beats gepaart mit Texten, die Drogenabhängigkeit, Gewaltorgien, Sadismus und andere Gräuel auf einem bis dato nicht gekannten technischen Niveau glorifizierten, waren seinerzeit einzigartig und machten den Charme des provokanten Werks aus. Bis heute gelang der Versuch, die DNA von "Soziopath" zu klonen, niemandem – probiert haben es insbesondere im Deutschrap-Untergrund viele. So prägte der eloquente, schwarzhumorige Horrorcore-Stil, der nicht nur durch seine morbiden Inhalte, sondern gerade auch durch die textliche sowie technische Finesse faszinierte, eine ganze Generation damals junger Talente, die heute Star-Status in Deutschland genießen.
Nach dem Release von "Soziopath" geschah, was Hollywood Hank-Fans in der Folgezeit noch öfter erleben sollten: Er tauchte ab. Hank zeigte sich stets öffentlichkeitsscheu und hielt das Mysterium um seine Person gekonnt aufrecht, obgleich hier bereits Anzeichen für seine zweifelhafte Freizeitgestaltung, Drogenprobleme und psychische Leiden durchschimmerten. Auf "Soziopath" folgte zwei Jahre später das Kollabo-Album "Schläge für Hip Hop" mit dem Selfmade Records-Rapper Favorite, das noch vor seinem offiziellen Release restlos ausverkauft war und in einer mehrwöchigen Studio-Party-Session mit den 257ers in einem Essener Studio entstand. Darauf führte Hank fort, was er auf "Soziopath" begonnen hatte – wieder waren es die von ihm produzierten "Schrott-Beats", wie sie unter Kennern liebevoll genannt wurden, gepaart mit morbiden, provokanten Battle-Lyrics. Gerade durch den Stempel "Selfmade Records" war Hollywood Hank damit letztlich auch im damaligen Deutschrap-Mainstream angekommen. Zwar hatte das Ruhrpotter Label noch nicht den Status, den es ein paar Jahre später durch seine mit "Jung Brutal Gutaussehend 2" losgetretene Charterfolg-Serie haben sollte, dennoch war Sven Pingel nun nicht mehr nur dem Untergrund ein Begriff.
Ein Jahr später kam es letztlich zu der bereits seit RBA-Zeiten ersehnten Kollaboration mit JAW, nachdem sich die beiden Rapper auf ihren jeweiligen Soloprojekten regelmäßige Featureplätze einräumten. "Menschenfeind", aufgenommen in JAWs damaligem Wohnsitz im Baden-Württembergischen Freiburg, war im Jahr 2009 das letzte musikalische Lebenszeichen der Kunstfigur Hollywood Hank und spiegelte nach altbekanntem Schema exakt das wider, was der Titel zu verstehen gab.
Ab diesem Zeitpunkt wurde es still um den Rapper – am Leben hielten ihn nach wie vor wilde Gerüchte. So startete das Label Selfmade Records beispielsweise eine groß angelegte "Findet Hank!"-Kampagne, re-releaste das "Soziopath"-Album und veröffentlichte einen angeblichen Brief von Hank aus einem Gefängnis in Frankreich. Vermeintliche Todesmeldungen, Berichte über psychische Probleme und mehr häuften sich. Die Situation änderte sich erst im September 2014, als sich Sven Pingel überraschend auf Facebook sowie im RBA-Forum zurückmeldete und aus dem Nichts eine EP unter dem Pseudonym Bak Ta Ehli zum Download bereitstellte. In einem ausgedehnten Statement bezeichnete er den Charakter Hollywood Hank retrospektiv als ein "soziales Experiment" und gab bekannt, von nun an unter neuem Namen Musik zu machen, die wirklich eine Bedeutung habe. Dazu gab er viele autobiografische Details in ausufernden, zum Teil jedoch auch wirren Statements preis – und Ansichten, die so gar nicht zu seiner bisherigen musikalischen Karriere passen wollten: "Ich wollte die Welt verändern, wollte anderes Papier, damit nicht so viele Bäume sterben müssen, ich wollte helfen, doch meine Mama hatte Angst, und meinte immer, ihr wäre nicht mehr zu helfen und die Menschen Egoisten und wenn du diesen Weg gehst, wirst du nichts weiter als Ärger bekommen, und ich glaubte ihr nicht." Der Mix aus musikalischem Friedensaktivismus, der ein oder anderen Verschwörungstheorie und Disses an alte Weggefährten stieß dabei vielen Fans vor den Kopf – nicht zuletzt wegen der Audioqualität, die eine Headset-Aufnahme vermuten ließ. Nach rund einer Woche und mehreren kryptischen Textbeiträgen, in denen weitere wilde Theorien aufgestellt wurden – so habe Kollegah etwa seinen Computer und sein Handy gehackt –, verschwand Sven Pingel ebenso schnell, wie er zurückgekommen war, wieder in der Versenkung.
Die folgenden neun Jahre prägten immer wieder aufkeimende Gerüchte um psychische Probleme, eine angebliche Angst vor elektronischen Wellen, eine Unterbringung in einem Berliner Wohnheim und vieles mehr. Auch sickerten immer wieder mal Gerüchte um einen bereits fertig gestellten "Soziopath"-Nachfolger durch – bis zu ebenjenem Discord-Post. "Da der psychische Zustand von Sven sehr grenzwertig gewesen war, wusste niemand, was tatsächlich im Leben der Legende abging", heißt es im offiziellen Statement auf der Instagram-Seite von Rapz-Records. Der Geschäftsführer des Labels, Franz S., resümierte auch mit persönlichen Worten über seine Erfahrungen mit Hank: "Mit Ihm habe ich die krassesten Gespräche meines Lebens geführt. Seine Welt war eine absolut andere, aber er war einer der ehrlichsten Menschen die ich je kennen gelernt habe.Von seinem Talent ganz abgesehen. Ich hätte ihm gewünscht, dass der Krieg in seinem Kopf endet und er die Kurve kriegt!"
Wie wichtig Hollywood Hank tatsächlich für die Szene war, zeigte sich nicht nur in sämtlichen Beileidsbekundungen, sondern auch auch in der im folgenden Januar von seiner Familie gestarteten Spenden-Kampagne zur Rückführung seines Leichnams aus Spanien nach Deutschland. In weniger als 24 Stunden war das Spendenziel von 10.000 Euro bereits überschritten – nur ein Indiz dafür, mit welchen Erfolgen ein eventuelles Comeback des Rappers hätte gekrönt sein können. Nur war Sven Pingel ebendiese Bekanntheit nie wichtig. Mit Hollywood Hank alias Bak Ta Ehli alias Sven Pingel ist einer der wohl prägendsten Künstler der Deutschrapszene und ein Pionier seines eigenen Genres von uns gegangen, der zu Lebzeiten nie den Ruhm bekam, den er verdient hatte. Wir wünschen ihm von ganzem Herzen, dass er endlich seinen Frieden findet.
(Pascal Ambros)
(Grafik von Daniel Fersch)