Als ich im redaktionsinternen Chat erklärte, ich wolle ein Interview rund um das VBT machen, kam keine Minute später prompt die erste Antwort: "Geil. Hast du Eis?" Ein Insider-Witz aus einer Battle-Runde von Weekend, den keine:r versteht, die:der die Ära von Videobattleturnieren auf YouTube nicht selbst miterlebt hat, und der mir doch ein Grinsen abverlangte – satte zwölf Jahre, nachdem ich ihn das erste Mal gehört hatte. Damals klickte ich selbst erstmals auf die Website von rappers.in und stieß dort auf ein Format, das mich für Jahre nicht loslassen sollte: Rapper:innen wurden in einer Turnierbaum-Logik einander gegenübergestellt, um sich auf kreativste Art und Weise zu beleidigen. Nach Jury- und Publikumsvote zog die Person eine Runde weiter, die die meisten Menschen von sich überzeugen konnte und das bessere Produkt aus Song und Video ablieferte. Ein Battle-Konzept, welches rapferne Menschen meist eher irritiert zurücklässt, begeisterte zeitweise Millionen von Zuschauer:innen und bescherte Rapper:innen wie 3Plusss, Lance Butters oder Weekend einen ersten Hype, Plattenverträge und splash!-Auftritte. Mit Scotch und Tamo-Flage, zwei ehemaligen Teilnehmern des VBT und Hosts ihres gemeinsamen Podcasts "Mundmische", schwelgte ich in Erinnerungen und ging der Frage nach, was Videobattleturnieren zu ihrem Hype verhalf. Außerdem wollte ich von den beiden erfahren, was diese Faszination für das Format eigentlich auslöste.
MZEE.com: Ihr beide seid quasi Veteranen des VBT – dem wohl bekanntesten und langjährigsten Videobattleturnier, das zwischen 2007 und 2018 stattfand. Kenner:innen beschreiben Außenstehenden das Ganze oft als "etwas ganz Besonderes" und "etwas, das man nur so richtig versteht, wenn man Teil davon war". Könnt ihr einmal erklären, was daran so faszinierend war?
Scotch: Ich glaube, diese Faszination entstand über die Zeit hinweg. Am Anfang verstand man überhaupt nicht, was alles aus dem VBT werden würde. Als ich mich erstmals 2010 anmeldete, entstand das nur aus dem Gefühl heraus, battlen und Videos drehen zu wollen. Kurz zuvor erschien mein allererstes Musikvideo und ich hatte den Drang, noch mehr machen zu wollen. Dass das so groß und lebensverändernd wird, konnte keiner ahnen.
Tamo-Flage: Mich haben verschiedene Dinge fasziniert: Erst mal konnte man bei den ersten VBTs sehen, dass es deutschlandweit sehr viele Menschen gab, die raptechnisch auf ähnlichem Level waren. Diesen Einblick hattest du in deiner eigenen Bubble mit Homies einfach nicht – da kanntest du deinen Kreis und die großen, nicht zu greifenden Stars, dazwischen war wenig. Außerdem faszinierte mich immer schon das komplette Selfmade-Ding. Man machte einfach, hat sich eine Kamera organisiert und gerappt. Das ist heutzutage kaum noch nachzuvollziehen, weil jeder ein Handy und TikTok oder Schnittprogramme besitzt. Damals war das ein bisschen schwieriger – mit geliehenem Camcorder von Mutti und einer gecrackten Schnittsoftware.
Scotch: Das hat in jedem so ein Feuer entfacht. Man hat sich damit gegenseitig angesteckt. Ich kann heute sagen, dass ich auf nichts in meinem Leben jemals so viel Bock hatte wie auf Battlen zu der Zeit. Mit der positiven Resonanz hat sich das auch verselbstständigt.
MZEE.com: Wie entstand diese Motivation, dieses Feuer bei euch? War es nur die positive Resonanz oder auch der Gedanke, besser als der:die andere battlen zu können?
Scotch: Ich glaube, mit "besser als die anderen sein" hatte das wenig zu tun. Man wusste aber natürlich, dass es da richtig krasse Rapper gab, und es war einfach cool, sich mit denen zu messen – egal, ob man gewann oder verlor. Für mich hatte das natürlich auch etwas mit Selbstdarstellung zu tun … Vielleicht sogar mit ein bisschen zu viel Selbstdarstellung. (Tamo lacht)
Tamo-Flage: Der Gedanke, besser zu sein, hat mich auch nicht getrieben. Das VBT hat für uns in dem Moment eine Eigen- und Gruppendynamik angenommen, als wir als Crew gemeinsam beschlossen, da mitzumachen. Wir wollten das einfach machen und es hatte auch einen positiven Effekt auf uns. Als Stoney Styles-Crew haben wir vorher schon länger Musik gemacht, aber erst das VBT hat uns richtig zusammengeschweißt und eine ganz einzigartige Synergie geschaffen.
Scotch: Das Crew-Ding war auch superwichtig. Die meisten waren mit ihren Homies unterwegs. Ich mit Bestes von Town, Tamo mit den Stoneys, dazu SML, die Reimebude, Eypro, KWU … Die wenigsten haben das komplett allein gemacht. Wenn man sich dann sah, hatte das was von einer großen Familie. Eine große Familie, die während der Battles gnadenlos auf Mutter geht. (alle lachen)
MZEE.com: Diese positive Resonanz, die ihr für eure Runden erhalten habt, multiplizierte sich spätestens im Jahr 2011, als Rapper wie Lance Butters, 3Plusss oder Battleboi Basti auf den Plan traten. Da gingen die Klickzahlen in die …
Scotch: (unterbricht) Ich hab' mich während einer VBT-Jam 2011 mit Alligatoah unterhalten, der völlig fassungslos war, dass ich auf einer VBT-Runde erstmals die Marke von einer Million Klicks hatte. Der war komplett vor den Kopf gestoßen. Kein Wunder, er macht die ganze Zeit Kunst und wir VBT-Rapper machen eben sowas! (lacht)
MZEE.com: Das ist aber auch absurd im Nachhinein. Könnt ihr nachvollziehen, wo dieser plötzliche Hype herkam?
Scotch: Ich würde sagen: Der Hype hat sich schon im Jahr zuvor angekündigt, also 2010. Da gab es die ersten Runden mit 100 000 Klicks und dieses sehr ernste und emotionale Finale zwischen Djin und GeOT. Das gab den Startschuss für 2011 und hat die ganzen Rapper um Weekend oder Battleboi Basti erst dazu motiviert, teilzunehmen und damit das gesamte Turnier auf ein ganz anderes Level zu heben.
Tamo-Flage: Das stimmt. Ich kann ansonsten auch nur mutmaßen, wieso das so plötzlich solche Dimensionen annahm. Ich kann mir einen anderen Aspekt zusätzlich gut vorstellen: Damals gab es Social Media in der Form ja noch nicht – nur YouTube und Facebook. Die Rapper, die damals teilnahmen, hatten einen ähnlichen Effekt auf die Leute, wie es heute Influencer auf Instagram haben. Man mag sie, man findet sie witzig. Es waren normalere und greifbarere Menschen als beispielsweise Kool Savas, der mit Eko Fresh Beef hatte. Diese Nahbarkeit, dieser Selfmade-Charakter – das hatte schon etwas von einer Serie, die du gern verfolgst. Jede Woche hast du in Form der Runden auch neue Folgen bekommen. Das war schon qualitativ recht hochwertiges Entertainment für die Zeit.
Scotch: Dieser Vergleich mit Influencern ist gar nicht so verkehrt. Das VBT hat ja eine ganze Subkultur hervorgebracht mit Trollen, Meme-Seiten wie "Katzenshizzle" und so weiter. Wir als Rapper hingegen haben alle schon unsere ersten Merch-Artikel an Fans verkauft. Das alles, bevor der Begriff "Influencer" überhaupt entstanden ist.
MZEE.com: Man kann sich kaum vorstellen, wie merkwürdig es ist, innerhalb weniger Wochen und Monate plötzlich sechs- bis siebenstellige Klickzahlen mit Battlerap zu erreichen. Was hat das mit euch gemacht?
Scotch: (überlegt) Das hat alles verändert. (lacht) In meiner Heimatstadt war es für mich zeitweise kaum möglich, durch die Innenstadt zu laufen, ohne ein Foto schießen zu müssen. Das macht etwas mit einem, wenn man 18, 19 Jahre alt ist. Es veränderte sich auch die Art und Weise, wie man an Battles ranging – mir ging die Leichtigkeit und Unbeschwertheit bestimmt ein Stück weit abhanden.
Tamo-Flage: Man war durch diesen Hype gezwungen, innerhalb kürzester Zeit künstlerisch enorm zu wachsen. Ich wäre niemals so gut geworden oder im Turnier so weit gekommen, wenn ich diesen Druck nicht gehabt hätte. Man musste wahnsinnig viel schreiben und mit Kritik umgehen lernen, was nicht immer leicht ist. Arbeitsmoral, Kreativität, wie man mit Feedback umgeht – das wurde alles bei mir geformt.
MZEE.com: Bei dir, Tamo, kam auch eine ganz besondere Form von Druck auf, weil du 2011 in das VBT-Finale gegen Weekend eingezogen bist. Damals wollten viele Anhänger:innen eigentlich ein Finale zwischen Battleboi Basti und Weekend sehen.
Tamo-Flage: Genau. Dank mir musste rappers.in die VBT splash!-Edition überhaupt erst erfinden, um das nachzuholen. (lacht) Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass ich damals einigermaßen verblendet war. Ich habe wahnsinnig viel negatives Feedback bekommen und trotzdem weiterhin gedacht, ich sei der Krasseste. Das hat mir in der Situation ein Stück weit geholfen, damit klarzukommen. Ab und an hatte die Kritik aber auch Hand und Fuß und bestand nicht einfach nur aus Beleidigungen – seit dem Finale gegen Weekend mach' ich nicht mehr so viele Wie-Vergleiche zum Beispiel. (lacht) Das spielte sich aber alles im Nachhinein ab. In der Situation selbst war man im Tunnel. Danach hat mich diese Situation durchaus noch mal geerdet.
Scotch: Da gab es aber auch immer einen Reality-Check: Wenn man bei VBT-Jams dann so sah, wer sich die Runden wirklich so intensiv reinfährt, dann wusste man, woran man ist – und bekam die Erkenntnis, dass es Internetrambos schon immer gab und wie jung die teilweise sind. "Der klassische YouTube-Kommentarmensch" hat Persteasy das, glaub' ich, mal genannt.
MZEE.com: Bevor wir zu tief in ebenjene Kommentarspalten abrutschen, gibt es noch einen anderen Aspekt: Innerhalb von zwei Wochen einen Song aufnehmen, einrappen, Video drehen – immer und immer wieder – und ab Zeitpunkt X sogar in Hin- und Rückrunden mit einem Gegner messen. Das VBT ging schon mit einem enormen Zeitaufwand einher. Wie war das überhaupt machbar?
Scotch: Für mich war das damals kein Problem, weil das VBT den Lebensmittelpunkt gebildet hat. Das Hobby war "Battlen" und dieses Hobby hat man auch mit all seinen Freunden und Bekannten geteilt. In der Schule war ich superschlecht darin, Vokabeln auswendig zu lernen – aber den eigenen Text für einen Videodreh auswendig zu lernen, war nur kurze Zeit später gar kein Problem. Das ging mit diesem enormen Spaß einher.
Tamo-Flage: (überlegt) Zu 80 Prozent geh' ich d'accord mit dem, was Malte sagt. Zu den restlichen 20 Prozent will ich sagen: Es gab immer mal wieder Wochen, in denen gefühlt alles gegen einen war. Man musste länger arbeiten, das Footage des Videos ging verloren, die Audio-File wurde nicht ordentlich verarbeitet und so weiter. Es gab schon eine Menge Struggle, aber im Großen und Ganzen hat die ganze Crew an einem Strang gezogen. Was ich rückblickend auch faszinierend finde in dem Zusammenhang: Man hat zu Beginn quasi kein Geld für dieses Hobby ausgegeben. Jeder kannte jemanden, der eine Lampe für den Dreh hatte, eine Kamera stellte oder eine Idee für die Location hatte.
Scotch: Man hat gelernt, Dinge zu organisieren. Das nimmt man fürs Leben mit. Hinter so einem semiprofessionellen Video steckte immer eine Menge Organisation und man hat das so autodidaktisch gelernt.
Tamo-Flage: Druck ist in dem Zusammenhang auch gar nicht schlecht. Die meisten Rapper, mich eingeschlossen, hätten niemals so unglaublich viel neue Musik veröffentlicht, wenn man nicht diesen Druck dazu gehabt hätte. Das hat einen sogar eine gewisse Arbeitsmoral gelehrt.
Scotch: … und das alles als verklatschter 20-Jähriger, das ist das eigentliche Wunder! (alle lachen) Das VBT hat einem auch immer neue Connections eingebracht, also Dinge zu organisieren, wurde auch einfacher. Irgendwann wusste ich, wo ich mir ein Fahrrad leihen kann. Oder ich habe eine Frau im Nachbardorf kennengelernt, die mir ihre Schlange für den Videodreh um den Hals gehangen hat. Einmal haben wir für den Dreh eine Kiste Bengalos von Fußballfans organisiert bekommen. Am Ende wusste man nie, wieso das alles funktioniert hat, aber irgendwie hat es das meistens.
MZEE.com: "Und? Was hast du vom VBT mitgenommen?" – "Joa, ich kenne jetzt 'ne Frau mit 'ner Schlange und 'nen Kerl, der spontan eine Kiste Bengalos verschenkt." (alle lachen)
Tamo-Flage: Es gab da gute und schlechte Erfahrungen. Irgendjemand meinte mal, dass ich unbedingt eine vergoldete Uhr im Video tragen müsse. Er hat mir dann sehr freundschaftlich dazu geraten, seine zu tragen und meinte: "Keine falsche Bescheidenheit! Du darfst das!" (lacht) Danke, dass ich das darf, aber ich will eigentlich gar nicht. Man lernt auch, wie Dinge gut aussehen und bekommt ein ungeahntes Gefühl für Ästhetik. In einem Club zu drehen, klang zum Beispiel super und erst später merkt man, wie lame das tagsüber eigentlich ist.
Scotch: Das hat auch berufliche Möglichkeiten im Hintergrund erschlossen. Mein Videoproduzent hat sich im Nachhinein selbstständig gemacht. Solche Karrieren haben oft mit dem VBT begonnen.
Tamo-Flage: Ab einem gewissen Level gab es nur noch wenige Leute, die komplett eigenständig unterwegs waren. Einige Skills hat man sich zu Beginn selbst draufgeschafft, aber Unterstützung gab es von anderen eigentlich immer.
Scotch: Voll. Meine Beats habe ich von Neek bekommen, Calli hat sich meistens um meine musikalischen Hooks gekümmert, mein Videoproduzent war da – ohne die wär' das in der Form kaum möglich gewesen.
MZEE.com: Die meisten Rapper hatten eine Crew hinter sich, die sie unterstützte. Auch untereinander schätzte man sich zumeist. Mit wie vielen anderen Crews haltet ihr denn bis heute Kontakt?
Scotch: Mein näherer Freundeskreis besteht immer noch aus dieser Zeit, obwohl ich selbst kaum noch Musik mache. Ob es jetzt mein Podcast mit Tamo ist, Streams bei Kico, den ich aus dem VBT kenne, meine frühere WG mit MC Baum oder zahllose Leute, mit denen man regelmäßig Kontakt hält – diese VBT-Zeit haben wir alle gemein und die hat uns verbunden.
Tamo-Flage: Mit Neek, dem VBT-Produzenten von Scotch, habe ich zuletzt erst Musik gemacht. Auch die Jungs aus der Royal Family waren neulich erst wieder bei uns. Man bleibt also wirklich verbunden. Natürlich kann man sich mit Rappern auch immer auf eine Konstante wirklich einigen.
Scotch: Mit Mitte 20 war es natürlich auch toll, in ganz Deutschland einen Freundeskreis und plötzlich fast überall eine Couch zum Pennen zu haben. Das war auch immer nett. Es gab wirklich wenige Arschlöcher in dem Kreis.
MZEE.com: Über zehn, teils zwölf Jahre später hat man immer noch so enge Beziehungen zu Menschen aus diesem Battlerap-Kosmos. Ihr sprecht ja auch immer mal wieder in eurem gemeinsamen Podcast "Mundmische" über diese Zeit. Was sind die prägendsten Erinnerungen, die euch sofort einfallen, wenn ihr an das VBT denkt?
Scotch: Das Ende vom VBT 2010. Da habe ich diese ganzen Rapper erstmals im echten Leben kennengelernt, beispielweise mit den Jungs von Eypro ein Wochenende verbracht oder mit Kico und Pimf, die eine Woche später bei mir waren. Es fühlte sich wirklich gut an, auf Menschen zu treffen, mit denen man sofort auf einer Wellenlänge ist … und die genauso Bock hatten zu saufen. Einfach toll. (alle lachen)
Tamo-Flage: Schöne Community, alle Bock auf saufen! Ich würde das splash! 2011 ergänzen, als ich diese Leute erstmals kennengelernt habe. Das hat sich wie ein Klassentreffen angefühlt. Damals wurden die Rundenfristen sogar noch verlängert, weil eben das splash! war und alle ein wenig länger Zeit brauchten.
Scotch: Ja, das splash! war irre. 2010 oder 2011 saß ich gemeinsam mit den Eypro-Jungs auf dem Zeltplatz, als die meinten, ich solle mein Zelt später aufbauen, wir müssten jetzt zum JAW-Auftritt als Statisten. Da bekamen wir dann alle eine weiße Zwangsjacke angezogen und waren die Zelleninsassen bei seiner Show, als er "Meine Fans" gespielt hat. Das ist völlig abstrus im Nachhinein, aber auch eine so wunderbare Erinnerung.
Tamo-Flage: Ja, aber die eigenen Auftritte waren auch so krass. VBT-Jam in Aurich vor über 1 000 Menschen, die deine Texte mitrappen. Was für ein Gefühl.
Scotch: (überlegt) Im Nachhinein könnte das aber auch ein Kipppunkt gewesen sein. Wir waren alle Anfang, Mitte 20 und dann prasselt plötzlich so ein riesiger Hype auf einen ein. Das hat einen abheben lassen. Das hätte auch richtig in die Hose gehen können. Ich würde heute auf jeden Fall sagen, dass ich mein damaliges Ich auch nicht so cool finden würde. (lacht) Man hat ja ein Ego gebraucht, um überhaupt am VBT teilzunehmen. Das wurde natürlich auch noch mal ordentlich gefördert durch all die Resonanz.
Tamo-Flage: Dir wurde damals sogar noch ein bisschen mehr Honig ums Maul geschmiert als mir. Für mich war es, egal ob live oder in den Monaten danach, eine sehr erdende Erfahrung, mit all dem Hate umzugehen. Allgemein ist der Stellenwert und die Intensität der VBT-Zeit als Erinnerung fast schon absurd.
MZEE.com: Hattet ihr jemals Interesse, auch an anderen Battle-Formaten teilzunehmen, beispielsweise A cappella-Battles wie Rap am Mittwoch oder DLTLLY?
Tamo-Flage: Gejuckt hat es mich schon. Die kamen aber zur falschen Zeit hoch, da war ich gerade in Australien unterwegs und danach hatte ich das Gefühl, dass das Kapitel für mich abgeschlossen ist.
Scotch: Es gab mal einen Abend, an dem ich in Hamburg mit der Reimebude und vielen weiteren Leuten zusammensaß, als der Chief von DLTLLY anrief und fragte, ob einer von uns ein DLTLLY-Battle auf dem splash! bestreiten möchte. Da waren wir alle im Vollrausch ziemlich motiviert, bis ich am Morgen gemerkt habe, dass ich das auf gar keinen Fall tun sollte. (lacht) Irgendwo auf dem splash!, am besten noch am zweiten oder dritten Tag. Ich bin heute noch so glücklich, dass ich diese Einsicht früh genug hatte, wenn ich mir rückblickend das Battle von Happy Beckmann und 4tune gegen Juskah und Petschino anschaue. (lacht) Genau so hätte das bei mir auch ausgesehen! Ganz viel Liebe an die Jungs – aber ich musste die ganze Zeit in den Pulli einer Freundin vor mir beißen, weil ich live vor Ort damals nur noch wollte, dass es endet.
MZEE.com: Im Jahr 2018 fand sich der letzte, offizielle VBT-Gewinner, ehe 2020 noch ein Nachfolger-Turnier namens "1Battle" auf den Plan trat. Viel Aufmerksamkeit wurde damit aber nicht generiert. Sind die Leute nach all den Jahren satt von Battles? Man könnte ja meinen, dass die Pandemiejahre ideal gewesen wären für ein Format, das man überwiegend allein von zu Hause aus gestalten kann.
Scotch: Ich fand, im Verhältnis zu der Zeit hat das "1Battle" sogar noch einigermaßen Aufmerksamkeit bekommen. Ich glaube aber, dass die meisten einfach andere Sorgen hatten und das Konzept irgendwann durch war. Tamo und ich haben selbst in den Hochzeiten der Pandemie bei Twitch viele Battles noch mal geguckt und beide gemerkt, wie durch wir mit dem Thema sind. Wir können keine Battlerunden mehr hören, das Thema ist auserzählt. Das ist bestimmt schade, weil es auch 2018 noch sehr krasse Rapper wie Frank Hemd oder Engine Itano gab, aber die Zeit einfach nicht mehr dafür war. Es wurde auch zu viel gebattlet.
Tamo-Flage: Ich weiß nicht einmal, ob es zu viel war. Ich glaube, die Zeit war einfach vorbei. Alle, die früher das VBT geguckt haben, sind inzwischen rausgewachsen und neue Leute hat es zu wenig angezogen. Es lag nicht an den Rappern, man hat sich irgendwann einfach sattgesehen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Zeit irgendwann wieder reif dafür ist.
Scotch: Man kann das Gefühl von damals auch nicht reproduzieren oder neu aufleben lassen. Aktuell guckt zum Beispiel Kico ganz viele Battles noch mal auf Twitch und da schauen auch immer ein paar hundert Menschen zu, die mit ihm in Nostalgie schwelgen wollen. Den Moment noch mal aufleben zu lassen, ist aber deutlich schwieriger.
MZEE.com: Zum Abschluss wollen wir noch ein kleines Gedankenspiel veranstalten: Angenommen, im Jahr 2024 würde das VBT wie Phönix aus der Asche steigen. Was müssten für euch Rahmenbedingungen sein, damit ihr selbst wieder Lust hättet mitzumachen? Ist das komplett ausgeschlossen oder würde es euch noch mal in den Fingern jucken?
Tamo-Flage: Darf ich für Scotch antworten? Nein, niemals würde er das machen. (lacht) Hab' ich recht?
Scotch: Jap. Auf gar keinen Fall. Ich habe mich im Laufe der Jahre so sehr verändert, ich könnte das nicht mehr. Den Hunger, den ich bräuchte, um das durchzuziehen, bringe ich mittlerweile für andere Themen viel eher auf. Diese Leidenschaft bündle ich mittlerweile in anderen Tätigkeiten. Ich würde es auch peinlich finden, als Mitte 30-Jähriger bei irgendeinem Fremden gottlos auf Mutter zu gehen. (lacht)
Tamo-Flage: Ich würde sagen, zu 80 Prozent nein. Ich könnte …
Scotch: (unterbricht) Du hast ja sogar noch mal mitgemacht!
Tamo-Flage: Stimmt, 2018 war ich noch mal dabei. Ich war damals eigentlich auf dem Weg ins Studio, um etwas ganz anderes zu machen, aber durch reinen Zufall habe ich eine uralte Runde von Mikzn gesehen. Das wurde aber als aktuelle Bewerbung eingereicht. Das hat mich so sehr an die alte Zeit erinnert, dass ich sofort wieder Bock hatte. Als ich im Studio ankam, habe ich mal ganz, ganz, ganz hypothetisch in den Raum gefragt, wer noch Bock hätte. (lacht) Es war auch nicht mehr das, was es mal war, aber Spaß hat es trotzdem noch gemacht. Es kam auch aus dem Aspekt heraus, wie man solche Runden so viele Jahre später angehen würde. Natürlich hatte ich damals viele unangenehme Zeilen, die ich nicht mehr so machen würde. Das ist ein Gedanke, der mich auch heute noch reizt, wenn auch nicht mehr so stark wie früher. Wie würde ich heute jemanden beleidigen, ohne eben auf die Mutter zu gehen, und trotzdem einen Scotch zum Schmunzeln bringen? Das ist aber das Einzige, das einen reizt. Mein damaliges Umfeld hat ja gar nicht mehr die Zeit, das heute noch zu tun.
Scotch: Stattdessen battlen Tamo und ich uns heute eben auf andere Arten. Wer kann schneller 200 km Fahrradfahren oder irgendeinen Megamarsch besser bestreiten? Die Energie, die früher im VBT steckte, stecke ich heute in das Outdoor-Thema. Dafür brenne ich zurzeit. Inzwischen würde ich auch lieber einen Tamo-Flage-Song hören als eine gute Runde von dir.
Tamo-Flage: Kommt bald! Sogar noch vor dem nächsten VBT. (alle lachen)
(Sven Aumiller)