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Interview

Mach One – ein Gespräch über Tätowierungen

"Wäre ich plötz­lich Mil­lio­när, wür­de ich nichts anders machen, son­dern immer noch in mei­nem Kabuff sit­zen und Leu­te umsonst täto­wie­ren. Ich lie­be das." – Mach One im Inter­view über sei­ne Lei­den­schaft zum Täto­wie­ren, Graf­fi­ti und die HipHop-Kultur.

Sich für eine Täto­wie­rung zu ent­schei­den, kann ver­schie­de­ne Beweg­grün­de haben. Eini­ge ent­ste­hen auf­grund per­sön­li­cher Erfah­run­gen, die man mit einem Tat­too auf dem Kör­per fest­hal­ten will, ande­re aus einer Lau­ne her­aus oder um eine Facet­te der eige­nen Per­sön­lich­keit zu beto­nen. Doch Tat­toos kön­nen auch die Zuge­hö­rig­keit zu einer Grup­pe aus­drü­cken, wie man es bei­spiels­wei­se von Gang­mit­glie­dern kennt. Auch außer­halb davon wer­den bestimm­te Sym­bo­le wie bei­spiels­wei­se Trä­nen mit einem Straßen-​Lebenstil asso­zi­iert und erzeu­gen ein bestimm­tes Image. Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit, Loya­li­tät und Image sind Aspek­te, die nicht nur in der Tattoo-​Szene, son­dern auch in der HipHop-​Kultur als wich­tig gel­ten. Zudem sind es zwei Kunst­for­men, die für Rebel­li­on und Selbst­aus­druck ste­hen kön­nen. Ein Künst­ler, der sowohl in den Wel­ten von Graf­fi­ti und Rap als auch des Täto­wie­rens zu Hau­se ist, ist der Kreuz­ber­ger Mach One. Ein Blick auf sein Instagram-​Profil zeigt, dass der Ber­li­ner nicht nur am Mic und der Sprüh­do­se, son­dern auch an der Täto­wier­ma­schi­ne talen­tiert ist. Grund genug, um mit ihm dar­über zu spre­chen, wie er sei­nen Weg über Graf­fi­ti und Rap hin zum Täto­wie­ren gefun­den hat. Es ging außer­dem dar­um, wel­che Tattoo-​Aufträge ihn beson­ders berührt haben und was in sei­nen Augen zur Ver­ant­wor­tung von guten Tätowierer:innen gehört.

MZEE​.com​: Du bist in Ber­lin Kreuz­berg auf­ge­wach­sen, einem Stadt­teil, in dem Tags und Graf­fi­ti omni­prä­sent sind, und hast schon als Kind gern gezeich­net. Daher ist es nahe­lie­gend, dass du irgend­wann den Weg zum Graf­fi­ti gefun­den hast. Dann kam Anfang der 2000er Rap dazu, ein wei­te­res Ele­ment der Kul­tur. Mitt­ler­wei­le arbei­test du seit elf Jah­ren als Täto­wie­rer. Ist die­ser Job für dich mit der HipHop-​Kultur verknüpft?

Mach One: In der osma­ni­schen Armee haben sich die Sol­da­ten schon täto­wiert und in Gefäng­nis­sen sowie unter See­leu­ten haben Leu­te durch Täto­wie­run­gen ihre Zuge­hö­rig­keit zu ver­schie­de­nen Grup­pen aus­ge­drückt. Eine Täto­wie­rung zeigt, dass man außer­halb der gesell­schaft­li­chen Norm exis­tiert, und signa­li­siert, dass man anders ist. Inzwi­schen täto­wie­ren vie­le, die wie ich aus der Graffiti-​Szene kom­men. Als Wri­ter macht man, wenn man es ernst­haft betreibt, im Grun­de eine Gra­fik­aus­bil­dung, denn man beschäf­tigt sich mit For­men und Far­ben. Vie­le gute Künst­ler, die ich ken­ne, sind min­des­tens so gut wie aus­ge­bil­de­te Gra­fi­ker, wenn nicht bes­ser. Dann ist Täto­wie­ren auch nur noch eine Technik.

MZEE​.com​: Wie wür­dest du den Beruf Tätowierer:in am ehes­ten einordnen?

Mach One: Als Täto­wie­rer bist du recht­lich gese­hen Dienst­leis­ter. Ich fin­de das eine Schwei­ne­rei. Man müss­te wenigs­tens die Mög­lich­keit haben, sich irgend­wie bewei­sen zu kön­nen, weil es unter­schied­li­che Täto­wie­rer gibt. Es gibt Leu­te, die zu Hau­se sit­zen, sich im Inter­net eine Maschi­ne bestellt haben, sich mit Keta zubal­lern, ihre Leu­te täto­wie­ren und noch Pro­mo übers Inter­net machen, weißt du? Gefühlt ist es so, dass du ein Tattoo-​Studio auf­ma­chen kannst, sobald du dir eine Maschi­ne kaufst. Dann gibt es natür­lich Täto­wie­rer, die täto­wie­ren dir das, was du ihnen vor­legst. Das ist sehr unkrea­tiv und eine Art Drucker-​Arbeit. Dann gibt es Leu­te wie mich und vie­le ande­re, die sich mit Kal­li­gra­phie beschäf­ti­gen und ihr Leben ver­schie­de­nen Tech­ni­ken der Kunst gewid­met haben. In mei­nem Leben als Künst­ler war Täto­wie­ren ein­fach so unfass­bar groß­ar­tig, denn Kunst wol­len alle haben, aber kei­ner will sie bezah­len. Beim Täto­wie­ren kom­men Leu­te mit ihren Vor­stel­lun­gen zu dir, die meis­tens visu­ell nicht beson­ders stark sind. Sie sind dann sehr begeis­tert, wenn ihnen jemand die rich­ti­gen Fra­gen stellt, bis er ver­steht, was sie ger­ne hät­ten. Manch­mal weiß man es als Täto­wie­rer bes­ser als die Leu­te, die täto­wiert wer­den wol­len. Die sind glück­lich, wenn du ihnen ein Design vor­stellst, was denen gefällt, denn es bleibt für immer auf der Haut. Daher bezah­len sie es unfass­bar gern, wenn es gute Arbeit ist. Dar­um ist es für mich eine Kunst­form. In der Hin­sicht ist Sprü­hen im Gegen­satz zum Täto­wie­ren undankbar.

MZEE​.com​: Ein Bekann­ter von mir hat mal gesagt: "Graf­fi­ti ist ein Hob­by, bei dem man rich­tig viel drauf­zahlt." – Wür­dest du dem zustimmen?

Mach One: Graf­fi­ti ist kein Hob­by. Graf­fi­ti ist etwas, für das du dei­ne Frei­heit ris­kierst. Es ist etwas, für das du sehr viel Aben­teu­er auf dich nimmst. Es hat einen eige­nen Geruch. Das ist eine eige­ne Welt mit sehr vie­len unter­schied­li­chen und ver­rück­ten Men­schen. Den Aus­druck "Sze­ne" fin­de ich zu klein. Graf­fi­ti ist eine eige­ne Welt. Es gibt Leu­te, die von außen drauf­schau­en, aber inner­halb sind Men­schen, die raus­ge­hen und U-​Bahn-​Linien aus­che­cken. Sie fah­ren die Lines hoch und run­ter, gehen in die U-​Bahn-​Schächte und pla­nen gemein­sa­me Aktio­nen. Es ist Van­da­lis­mus, aber es ist auch Kunst. Sprü­her sind so wie Ninja-​Kämpfer. Manch­mal kennt man nur das Pseud­onym und die bür­ger­li­che Iden­ti­tät ist nicht bekannt. Als Sprü­her ist man zu etwas zuge­hö­rig. Man exis­tiert plötz­lich in einer Welt, die man nur ver­steht, wenn man Teil davon ist.

MZEE​.com​: Das ist ja das Span­nen­de an dei­nem Wer­de­gang: Du malst, täto­wierst, rappst, pro­du­zierst und sprühst. Und das alles tat­säch­lich auf pro­fes­sio­nel­lem Niveau.

Mach One: Ich wur­de mal im Rah­men einer ARTE-​Doku über Street Art inter­viewt und vor­ab saß ich in einer Run­de mit ver­schie­de­nen Künst­lern und Leu­ten aus der Grafik-​Szene zusam­men. Einer hat mich gefragt, was ich mache. Ich habe ihm gesagt, ich mache Musik, Gra­fik und kom­me aus dem Graffiti-​Bereich. Damals habe ich noch nicht täto­wiert. Der hat mich dann als "Uni­ver­sal­di­let­tant" beti­telt. Wenn ich Leu­ten erzäh­le, was ich alles mache, dann kommt das als nor­ma­le und völ­lig nach­voll­zieh­ba­re Reak­ti­on. Es ist immer sehr kom­pli­ziert, mich hin­zu­set­zen und zu erklä­ren, dass ich das wirk­lich gut kann. Weißt du, was ich mei­ne? Ohne mich jetzt selbst abzu­fei­ern, aber ich habe noch nie­man­den getrof­fen, der in so vie­len Berei­chen auf einem so hohen Niveau arbei­tet. Ich habe vie­le Men­schen ken­nen­ge­lernt, die in jedem ein­zel­nen Bereich, den ich tief erforscht habe, teil­wei­se beein­dru­ckend viel bes­ser sind als ich. Ich will mich über­haupt nicht zum Maß aller Din­ge machen. Es gibt so vie­le Berei­che, die mich inter­es­sie­ren und wenn mich etwas fängt, dann wer­de ich manisch. Ich schla­fe dann auch nicht mehr. Es gab mal eine Situa­ti­on, in der ich fast drei Näch­te nicht geschla­fen habe, bis ich Illus­tra­tor (Anm. d. Red.: Design­soft­ware) "besiegt" habe. Ich habe mir alles ange­eig­net, was mich als Künst­ler visu­ell interessiert.

MZEE​.com​: Ist es bei dir so, dass dir schnell lang­wei­lig wird und du dann neue Her­aus­for­de­run­gen brauchst?

Mach One: Es gab vor eini­gen Jah­ren ein Gespräch, in dem ich ver­sucht habe, das zu ergrün­den. Mein klei­ner Bru­der Flo Boden­ham­mer ist ein unfass­ba­rer Skate­boar­der. Ich bin auch sechs Jah­re lang sehr inten­siv Skate­board gefah­ren. Die Ska­ter­sze­ne war aller­dings sehr eli­tär. An der Natio­nal Gal­lery, wo wir ska­ten gegan­gen sind, waren Pro Ska­ter wie Sami Hari­thi und sei­ne Gang. Wir haben ihn bewun­dert und er hat uns immer nur wie Schei­ße behan­delt. Wir haben uns dann von unten nach oben gekämpft, bis mein Bru­der und ich zwei Spon­so­ren hat­ten. Du hast mich gefragt, ob mich Sachen schnell lang­wei­len. Das dach­te ich auch immer. Aber es war eher so, dass ich zum Nächs­ten gesprun­gen bin, wenn etwas gut lief. Als Nächs­tes habe ich mit der Graffiti-​Scheiße ange­fan­gen, was auch sehr inten­siv war. Mei­ne Crew und ich sind in Froh­nau unter­wegs gewe­sen und haben her­aus­ge­fun­den, wie man Züge malt. Damals gab es noch Graffiti-​Magazine wie zum Bei­spiel "Over­kill". Die Wän­de, auf denen wir unse­re Bil­der gemalt haben, waren in den Maga­zi­nen abge­druckt, aller­dings mit allen Bil­dern außer unse­ren. Wir hat­ten das Gefühl, wir wer­den unten gehal­ten. Also haben wir uns hoch­ge­kämpft, bis wir in jedem Maga­zin waren und uns jede Crew kann­te. Als ich das erreicht hat­te, habe ich mit Musik ange­fan­gen. Damals stand Ber­lin für Graf­fi­ti und Break­dance, aber nicht für Rap. Es gab Leu­te aus Ham­burg und Stutt­gart, die fet­te Sachen pro­du­zier­ten und kras­se Stu­di­os hat­ten. Am Anfang hat­ten wir gar nichts. Ein Vier­spur­ge­rät, eine Play­sta­ti­on und einen komi­schen DJ-​Sampler. Akte (Anm. d. Red.: Akte One) und ich haben uns dann ein Acht­spur­ge­rät geholt. "Aus Schei­ße Bon­bon machen", hat mei­ne Oma immer gesagt. Das ist Kunst. Auch da haben wir uns wie­der durch­ge­setzt, bis über uns berich­tet wur­de. Mit "Meis­ter­stück 2" hät­te ich mei­nen Durch­bruch haben kön­nen. Wir haben eine erfolg­rei­che Tour und Kon­zer­te vor 2 000 Leu­ten im Post­bahn­hof gespielt, ohne Vor­grup­pe und Büh­nen­show. Wir hat­ten nur schwar­zen Mol­ton, einen DJ und zwei Mics. Dann habe ich ange­fan­gen zu tätowieren.

MZEE​.com​: Wie hat sich das dann für dich entwickelt?

Mach One: Da habe ich auch wie­der die glei­che Erfah­rung gemacht. Am Anfang haben die Leu­te sich gefragt, war­um man zu einem Rap­per und nicht zu einem rich­ti­gen Täto­wie­rer geht. Auch da habe ich mich hoch­ge­ar­bei­tet und bin inzwi­schen ein respek­tier­ter und guter Täto­wie­rer. Ich ken­ne in Ber­lin nur weni­ge Bes­se­re. An die­ser Stel­le wür­de ich ger­ne Neon Judas und Knis­ter­fuchs erwäh­nen. Letz­te­rer ist auch ein Sprü­her und bei­de sind unfass­bar gute Tätowierer.

MZEE​.com​: Und was hast du dir als Nächs­tes angeeignet?

Mach One: Das habe ich mich auch gefragt, aber es kam nichts. Ich habe aus­ge­lernt. (lacht) Ich könn­te einen kom­plet­ten Film dre­hen, ohne dass ich dafür jemals eine Aus­bil­dung gemacht habe. Obwohl ich schon mit Pro­fis zusam­men­ge­ar­bei­tet habe, habe ich in mei­nem Leben weni­ge Men­schen getrof­fen, die mei­ne Ansprü­che über­tref­fen. Nils Fal­ler ist einer davon. Er ist ein Genie, was Mixing und Mas­te­ring angeht. Ich bin auch ein Engi­neer, habe ein sehr gutes Ohr und war eine Wei­le maß­geb­lich am Sound von Ber­lins Rap betei­ligt. Gera­de des­halb fiel es mir schwer, die eige­nen Sachen aus der Hand zu geben. Am Anfang habe ich ihm wider­wil­lig Tracks von mir geschickt. Als die zurück­ka­men, hat­te ich das Gefühl, dass er nicht die glei­chen Spu­ren hat­te wie ich. Als hät­te er ein Instru­ment dazu gespielt. Er hat auch mein letz­tes Album gemischt und gemas­tert und dabei wie­der mei­ne Ansprü­che über­trof­fen. So etwas pas­siert mir sehr sel­ten. Wie ich mich hier die gan­ze Zeit selbst fei­er' … (lacht) Aber dar­über zu reden, wie gut ich bin, habe ich mir in den letz­ten Jah­ren sehr hart erarbeitet.

MZEE​.com​: Das sieht man auch dar­an, dass du in drei unter­schied­li­chen Kunst­for­men, die alle viel Zeit bean­spru­chen, sehr ver­siert bist. Wie fin­dest du die Ener­gie dafür?

Mach One: Ich neh­me sie alle sehr ernst und bin einer der glück­li­chen Men­schen, die auf die Welt gekom­men sind und ein­fach wuss­ten, wofür sie da sind. Ich bin ein Künstler-​Freak. Ich mache das nicht, weil ich das kann oder will. Son­dern weil ich muss. Ich könn­te auch nicht in den Urlaub fah­ren und am Strand sit­zen. Ich wür­de dort anfan­gen, Sand­fi­gu­ren zu bau­en. Weil ich da bin, um etwas zu schaf­fen. Wäre ich plötz­lich Mil­lio­när, wür­de ich nichts anders machen, son­dern immer noch in mei­nem Kabuff sit­zen und Leu­te umsonst täto­wie­ren. Ich lie­be das. Das ist nicht über­trie­ben. Das Schlim­me ist, dass das nie­mand ver­steht. Als Künst­ler musst du dich gegen dei­ne Fami­lie, dich selbst und das Finanz­amt durch­set­zen. Alle mei­ne Bezie­hun­gen sind dar­an geschei­tert, trotz­dem hat Kunst mir immer den Arsch geret­tet. Ich rede nur noch mit mei­nem Vater und mei­nem klei­nen Bru­der, sonst mit fast kei­nem mehr aus mei­ner Fami­lie. Mei­ne Fami­lie ver­steht mei­ne Kunst nicht und will, dass ich "was Rich­ti­ges" mache. Mir sind die­se gesell­schaft­li­chen Ansprü­che egal. Mei­ne Oma hat an mei­nem 30. Geburts­tag zu mir gesagt, dass ich frü­her so talen­tiert gewe­sen sei, aber nichts aus mir gemacht hät­te. Zu dem Zeit­punkt war ich erfolg­rei­cher Musi­ker. Wäre ich mit mei­nem Talent in Ame­ri­ka gewe­sen, wäre es viel­leicht anders gelau­fen. In Deutsch­land pei­len die Leu­te es nicht, wenn du kei­nen Schein in der Hand hältst.

MZEE​.com​: Beim Täto­wie­ren geht es auch um den künst­le­ri­schen Anspruch. Gibt es Din­ge, die du satt hast zu stechen?

Mach One: Es kamen schon Frau­en in mei­nem Alter zu uns ins Stu­dio, die ein Arsch­ge­weih woll­ten. Davon haben wir ihnen abge­ra­ten. Ich täto­wie­re Arsch­ge­wei­he umsonst, aber nur Ker­len und die haben dann kein Mit­spra­che­recht. Dann gibt es ein rich­tig klas­si­sches Tribal-​Arschgeweih. Wenn ein Kerl das durch­zieht, respek­tie­re ich ihn. Kennst du den Rap­per Taha? Der ist cool. Dem täto­wie­re ich zum Bei­spiel dem­nächst eins.

MZEE​.com​: Gibt es beim Täto­wie­ren Trends, die du beobachtest?

Mach One: Gera­de kommt die­ses Dark-​Thema wie­der. Dann gab es eine Zeit lang die­se "Buena­vis­ta Tat­too Club"-Motive. Die sind cha­rak­te­ris­tisch rot-​schwarz. Momen­tan ist der Igno­rant Style (Anm. d. Red.: schein­bar unsin­ni­ge Moti­ve) sehr beliebt. Die Leu­te sol­len machen, was sie wol­len. Ich per­sön­lich mache gern Comic- und rea­lis­ti­sche Tat­toos, ger­ne auch bunt. Es gibt im Grun­de nichts, was ich nicht ger­ne mache. Okay, eine lie­gen­de Acht oder Eule muss es nicht sein. Wenn Leu­te sich ein Tat­too ste­chen las­sen wol­len, dann goog­len man­che "Tat­too". Weißt du, wie dumm das ist? Über­leg dir doch ein­fach, was du geil fin­dest. Denn täto­wie­ren kann man alles. Dann musst du dir auch nicht das täto­wie­ren las­sen, was alle ande­ren schon haben.

MZEE​.com​: Mitt­ler­wei­le ist jeder ach­te Mensch in Ber­lin täto­wiert. Ist ein Tat­too zu haben somit eine Form der Anpassung?

Mach One: Es gibt Leu­te, bei denen das tat­säch­lich so ist. Die den­ken, wenn sie täto­wiert sind, kom­men sie bes­ser an und wir­ken "coo­ler". Ich habe letz­tens einem Freund von mir die Brust täto­wiert. Ein ziem­lich gro­ßes, radi­ka­les Ding. Das macht ihn aber ein­fach aus und gehört zu sei­nem Erschei­nungs­bild. Es ist eine Kör­per­er­wei­te­rung. Täto­wie­ren bedeu­tet: Du holst dir dei­nen Kör­per zurück und ent­schei­dest dar­über. Es bedeu­tet auch, das, was in dir ist, aus dir raus­zu­ho­len. An dem Kör­per, mit dem du gebo­ren wur­dest, kannst du nichts ändern, doch wer du drin­nen bist, sieht ja kei­ner. Ich hat­te selbst die Schnau­ze voll davon, dass mich Leu­te angu­cken und den­ken zu wis­sen, wen sie sehen. Vor 20 Jah­ren habe ich mir das Joker-​Lachen aus mei­nem Lieblings-​Batman-​Comic ste­chen las­sen. In Form eines roten "HaHa­Ha­Ha". Es sieht aus wie auf­ge­schnit­ten. Das habe ich gemacht, um die Ober­flä­che zu stö­ren und mehr ich zu sein. Ich glau­be, die Fra­ge, die du gestellt hast, ist nicht so leicht zu beant­wor­ten. Man kann sich aus den rich­ti­gen und aus den fal­schen Grün­den täto­wie­ren las­sen. Du kannst zum Täto­wie­rer gehen und ein Tat­too bestel­len wie beim Bäcker irgend­ein Gebäck. Du kannst aber auch mit einer sehr genau­en Vor­stel­lung von dem, was du haben willst, da hingehen.

MZEE​.com​: Ein Kum­pel von mir hat gesagt, dass du bekannt dafür bist, beson­ders gut Graf­fi­ti auf den Kör­per brin­gen zu kön­nen. Ist das für dich eine Art Alleinstellungsmerkmal?

Mach One: Nein, das stimmt nicht. Ein befreun­de­ter Rap­per hat sich von Dejoe, einem sehr kras­sen Ber­li­ner Sprü­her, sei­nen Namen desi­gnen las­sen, um ihn sich auf den Ober­arm täto­wie­ren zu las­sen. Das Ergeb­nis sah kata­stro­phal aus, weil der Täto­wie­rer kei­ne Lini­en ste­chen konn­te. Leu­te, die nur rea­lis­ti­sche Sachen machen, ver­nach­läs­si­gen oft Linework-​Techniken. Ich selbst brauch­te drei Jah­re, um kei­ne Angst mehr vor Lini­en zu haben. Inzwi­schen kannst du mich in der Nacht wecken und ich täto­wie­re dir Lini­en auf den Arm. Ich habe ein Gefühl dafür, aber das ist wie ein Mus­kel, den man trai­nie­ren muss. Dazu kommt, dass Leu­te, die kei­ne Ahnung von Graf­fi­ti haben, sich nie mit die­ser Art, Buch­sta­ben zu gestal­ten, aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Selbst wenn ich denen eine Sten­cil (Anm. d. Red.: eine Scha­blo­ne) auf die Haut set­ze, schaf­fen sie es nicht, die­se Lini­en so nach­zu­ste­chen, dass sie authen­tisch sind. Um Graf­fi­ti zu täto­wie­ren, musst du es ver­ste­hen. Ich muss­te dann die­sen ver­hunz­ten Graffiti-​Schriftzug kor­ri­gie­ren. Man, das war so scha­de, weil Dejoe eins mei­ner Vor­bil­der ist. Ich bin nie­mand, der bekannt dafür ist, beson­ders gut Graf­fi­ti zu ste­chen. Ich bin bekannt dafür, alles sehr gut zu ste­chen. (lacht) Ich kom­me aus der Ecke und ver­ste­he das, aber fin­de mei­ne Tags schlecht und bin nicht der Stärks­te, was Buch­sta­ben angeht. Ich bin ein sehr guter Charakter-​Maler. Dar­in wer­de ich immer bes­ser und arbei­te sehr hart an mir. Wür­de mein Kum­pel Akte täto­wie­ren, wür­de er abrei­ßen. Er ist eine Art Mathe­ma­ti­ker und ich füh­le das eher.

MZEE​.com​: Eini­ge Fans las­sen sich Song­zi­ta­te oder Por­träts von ihren Lieblingskünstler:innen ste­chen. Hast du dazu eine per­sön­li­che Geschich­te erlebt, die du erzäh­len möchtest?

Mach One: Ich erzäh­le dir eine Geschich­te, die pas­siert ist, als ich selbst erst frisch dabei war. Jemand kam zu mir und woll­te ein Mach One-​Tattoo über den gan­zen Unter­arm. Ich habe wirk­lich ver­sucht, es ihm aus­zu­re­den. Aber der Typ hat dar­auf bestan­den. Ich habe gesagt: "Was, wenn als Nächs­tes mein Schla­ger­al­bum kommt?" Dann hat er gesagt, dass er das dann auch geil fin­den wird. Jetzt, Jah­re spä­ter, hat er tat­säch­lich in unse­rem Stu­dio ange­ru­fen und mei­nen Kol­le­gen gefragt, ob er mich fra­gen könn­te, das Tat­too zu covern. Dicker, ganz ehr­lich, ich habe so inten­siv ver­sucht, es ihm aus­zu­re­den, und er hat so hart­nä­ckig dar­auf bestan­den. Der soll sich jemand ande­res suchen, um das zu covern. Hat er inzwi­schen auch. Aber hey, falls jemand ein Por­trät von mir haben will, bin ich selbst­ver­liebt genug, um das zu tun. (lacht)

MZEE​.com​: Was ist die schöns­te Tat­too­ge­schich­te, die du bis­her erlebt hast?

Mach One: Ich hat­te einen Ter­min mit jeman­dem, den ich vor­her schon mal täto­wiert hat­te. Das ers­te Tat­too war sehr groß über den gan­zen Rücken. Dann kam er erneut zu uns, aber wuss­te vor­her noch nicht, was er haben woll­te. Wir haben dann ange­fan­gen, Bil­der anzu­schau­en. Jedes Mal, wenn eine ein­sa­me Figur im Wald zu sehen war, fand er das cool. Der Typ hat­te eh eine sehr dunk­le Aus­strah­lung. Dann habe ich acht Stun­den lang mit ihm dar­über gere­det, war­um er sei­ne Ein­sam­keit auf sei­nem Kör­per mani­fes­tie­ren will. Wenn sein gan­zes Umfeld ihn für einen weir­den Ein­zel­gän­ger hält, ist es viel­leicht kei­ne gute Idee, sich ein düs­te­res Tat­too ste­chen zu las­sen. Er war kein Typ dafür. Er hat es nur immer so erlebt. Das war kein State­ment, son­dern Nor­ma­li­tät für ihn. Außer­dem war er Bag­ger­fah­rer und moch­te das Gefühl, wenn man so eine gro­ße Maschi­ne steu­ert. Wir haben uns am Ende für eine dicke, bun­te Comic-​Hummel auf der Wade ent­schie­den. Dar­über war noch eine Sprech­bla­se mit einem Bag­ger. Mei­ner Mei­nung nach hat das sein Leben zum Posi­ti­ven ver­än­dert. Leu­te neh­men ihn anders wahr. Er kam spä­ter auch noch mal ins Stu­dio und hat das bestä­tigt. Das ist die Ver­ant­wor­tung eines jeden Täto­wie­rers, wenn du mich fragst.

MZEE​.com​: Man hört raus, dass du dir sehr vie­le Gedan­ken machst und empa­thisch mit dei­nen Kund:innen umgehst. Des­we­gen ist es auch viel mehr als eine Dienst­leis­tung, oder?

Mach One: Gut, dass du dar­auf zurück­kommst. Abso­lut. Es gibt natür­lich Dienst­leis­ter. Aber auch wel­che, die unfass­bar gut sind und alles selbst desi­gnen. Wenn du wüss­test, was ich hier für the­ra­peu­ti­sche Arbeit leis­te. Das ist wahn­sin­nig. Dazu kommt, dass mein Raum ein Safe Space ist. Ich habe auf­ge­hört, über Men­schen zu urtei­len. Jeder wird hier ver­arscht, aber auch ver­stan­den. (lacht) Es kom­men Leu­te her, die sich noch nie irgend­wo gese­hen gefühlt haben. Die über­all jemand sein muss­ten. Bei mir gibt es auch kei­ne Tattoo-​Termine, es gibt Tattoo-​Sessions. Wenn Leu­te die­se Friseur-​Nummer haben wol­len, sind sie hier an der fal­schen Adres­se. Man muss immer das kom­plet­te Paket neh­men und auch mit dem Freak leben, der das gei­le Tat­too sticht. Aber dafür hast du am Ende etwas, das dich zu dir selbst macht. Das gehört für mich dazu. Ich muss wis­sen, war­um ich wem was täto­wie­re. Eine Kun­din woll­te etwas geco­vert haben, was aber eine super Arbeit war. Ich habe sie dann gefragt, ob sie noch ande­re Tat­toos hat. Sie hat mir dann ein zwei­tes Cover-​up auf der Schul­ter gezeigt. Da habe ich gesagt, ich wür­de glau­ben, dass sie kei­ne Tat­toos haben will. Sie mein­te, dass sie das auch eigent­lich lasern woll­te. Ich habe ihr dann die Anzah­lung zurück­ge­zahlt und die Num­mer von einer Laser­kli­nik gege­ben. Ich hät­te die Koh­le ein­ste­cken kön­nen, aber dann wäre sie wie­der unglück­lich gewe­sen. Ein klei­nes Bei­spiel noch: Am Anfang muss man jeden Scheiß täto­wie­ren, denn man will ja üben. Es kamen immer wie­der Leu­te, die ein Todes­da­tum woll­ten, wenn zum Bei­spiel ein Freund ver­stor­ben ist. War­um zum Teu­fel willst du den Todes­tag dei­nes Freun­des auf dei­nem Kör­per fest­hal­ten? War­um denn nicht das Leben? So ein simp­les Bei­spiel. Das ver­steht jeder. Auch das ist die Ver­ant­wor­tung eines Tätowierers.

(Malin Teegen)
(Foto 1 von JotPe)