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Kamp & Whizz Vienna – Versager ohne Zukunft

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Kamp & Whizz Vien­na mit "Ver­sa­ger ohne Zukunft".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Wie ver­dammt oft saß ich schon an die­sem Text. Mal las er sich sach­lich wie eine Wikipedia-​Abhandlung – wird dem Album nicht gerecht. Mal sah ich mich Track für Track erzäh­lend, wie groß­ar­tig jeder ein­zel­ne Satz ist – irgend­wie auch nicht wahr. Heu­te also der 34. Ver­such, der nur einen Anspruch hat: mei­ne Geschich­te und ganz eige­ne Wahr­heit in weni­gen Wor­ten zu "Ver­sa­ger ohne Zukunft" von Kamp zu erzählen.

Sze­ne 1: Ich war extrem ver­liebt. Er war blond, er war groß und er konn­te vor allem eins: rich­tig gut rap­pen. Wir saßen also in einer Som­mer­nacht in sei­nem mini­k­lei­nen, sil­ber­nen Auto irgend­wo in Mün­chen, es reg­ne­te. Wir rede­ten über Rap, er zog an sei­ner Ziga­ret­te und als ich zugab, mich noch nie wirk­lich mit Kamp beschäf­tigt zu haben, mein­te er sowas wie: "Kamp ist der ein­zi­ge deutsch­spra­chi­ge Rap­per, der unkit­schig über die Lie­be rappt." Danach zeig­te er mir all die Geschich­ten aus Wien: über Nora, über Graf­fi­ti, über Lie­be und Tren­nun­gen, über die Haupt­stadt, über Wri­ter … Es fühl­te sich alles, was da aus den Boxen kam, so unfass­bar plas­tisch, nah­bar und echt an. Und ja: Es ging irgend­wie stän­dig um Lie­be, ums Ver­las­sen, ums Trau­ern, ums Zurück­wol­len. Aber es war nie eklig, nie ver­kopft, nie zu viel.
Sze­ne 2: Ich war extrem ver­liebt. Jah­re spä­ter. Ande­rer Mensch, glei­che Plat­te. Wir fah­ren durch die Laven­del­fel­der irgend­wo in Frank­reich und reden tage­lang über Rap. Ich sage sowas wie: "Kamp ist der ein­zi­ge deutsch­spra­chi­ge Rap­per, der unkit­schig über die Lie­be rappt." Ich habe ein biss­chen Angst, ihm die­se Plat­te zu zei­gen, die für mich seit die­ser einen Nacht im Regen so eine gro­ße Bedeu­tung hat, "min­des­tens Top Drei aller deutsch­spra­chi­gen Rap­plat­ten aller Zei­ten" behaup­te ich seit Jah­ren. Er muss sie sich von vor­ne bis hin­ten anhö­ren, sie ist gefühlt ewig lang – und es dau­ert gefühlt auch ewig lang, bis er mir zustimmt: "Rich­tig gutes Album."

Wem es bis hier­hin nicht reicht, nur emo­tio­nal zu die­ser Plat­te gele­sen zu haben: Die Beats sind vom groß­ar­ti­gen, talen­tier­ten Whizz Vien­na, der Sound und Rap kracht – nicht nur auf­grund des Wie­ner Dia­lekts – aus all dem raus, was die letz­ten 15 Jah­re als "modern" beti­telt wur­de und das Album wur­de von Men­schen, die ich als "Rap­ken­ner" beti­teln wür­de (Shou­tout Marc Leo­pold­se­der) als eines der bes­ten, wenn nicht das bes­te, deutsch­spra­chi­ge HipHop-​Album aller Zei­ten beti­telt. Es ist ewig lang, es hat sicher nicht nur Höhen und es macht auch nicht nur gute Lau­ne. Aber: Es ist ein hun­dert­pro­zen­ti­ges Her­aus­kra­men aus der Plat­ten­kis­te wert und Kamp ist – na, was wohl – der ein­zi­ge deutsch­spra­chi­ge Rap­per, der wirk­lich dau­ernd, aber wirk­lich unkit­schig über die Lie­be rappt.

(Flo­rence Bader)