CHAN LE – ein Gespräch über Kampfsport
Kitana, Kasumi und Chun-Li sind Namen weiblicher Charaktere, mit denen man in einigen bekannten Videospielen kämpfen kann. Insbesondere die Letztgenannte ist interessant, da sie die erste weibliche Figur war, die in einem Kampfspiel zur Auswahl stand – erstmals Anfang der Neunziger in "Street Fighter II: The World Warrior". Dort zeichnete sie sich durch ihre Schnelligkeit und Agilität aus. Passenderweise trifft vieles davon auch auf die Protagonistin dieses Interviews zu. Die Rapperin CHAN LE ist wie der Spielcharakter Chun-Li Kampfsportlerin. Dass die Namen der beiden sich in der Aussprache stark ähneln, ist kein Zufall. Als Kampfsportlerin bewegt sich die Frankfurterin in Bereichen, in denen Frauen oft unterrepräsentiert sind. Derzeit lebt CHAN LE in Bangkok, Thailand, wo ihre Wurzeln liegen und Thaiboxen als Nationalsport gilt. Ihr Fokus liegt aktuell auf Muay Thai, eine Sportart, bei der insbesondere die Beinarbeit im Zentrum steht. Da die Rapperin ein Faible für Kampfsport hat, nahmen wir dies zum Anlass, um mit ihr darüber zu sprechen. Es ging um das richtige Mindset für einen Kampf, die Werte, die der Sport vermittelt und die Unterschiede zwischen Boxvereinen in Deutschland und Thailand.
MZEE.com: Wie sah dein erster Kontakt mit Kampfsport aus?
CHAN LE: Ich habe Anfang 2018 aufgehört Alkohol zu trinken und zu rauchen. Da ich im Alter von 13 Jahren angefangen habe, waren das schon einige Jahre. Als Raucherin ist die Kondition oft sehr schlecht und alles ist anstrengender, daher bin ich sehr froh, im gleichen Jahr, also 2018, das Fitnessboxen für mich entdeckt zu haben. Dadurch kam die Motivation, dort Vollgas zu geben und vom Rauchen und Trinken einfach wegzubleiben. Es hat mir so gut gefallen, dass ich immer die Erste auf der Matte war. Das will schon etwas heißen, denn ich komme in der Regel zu spät. Außerdem war ich immer die Letzte, die gegangen ist, weil ich die Hoffnung hatte, dass mir jemand die Pratzen (Anm. d. Red: Schlagpolster, welches im Kampfsporttraining für das Üben von Schlägen und Tritten verwendet wird) hält. Denn das ist beim Fitnessboxen eigentlich nicht üblich. Mit der Zeit wurde es mir etwas zu langweilig, denn es war ja kein "richtiges" Boxen. Dann habe ich 2020 mit Muay Thai und 2021 dann mit BJJ (Anm. d. Red.: Brazilian Jiu-Jitsu) angefangen. Schrittweise kamen Elemente vom MMA und Ringen dazu.
MZEE.com: War das Fitnessboxen in einem Fitness- oder einem Kampfsportstudio?
CHAN LE: Das war in einem Boxverein. Da waren auch Amateurboxer, die anderes Training hatten. Beim Fitnessboxen wurde schon am Sandsack gearbeitet, aber da hat keiner die Technik verbessert. Es war als Konditions- und Krafttraining ausgelegt.
MZEE.com: Ist Boxen der Sport, der dir am meisten Spaß macht?
CHAN LE: Nein, es ist Kampfsport allgemein. Wenn man mich fragen würde, worauf ich verzichten könnte, würde ich auf gar nichts verzichten wollen. Ich brauche diese Abwechslung. Wenn ich jeden Tag Muay Thai trainiere, dann will ich wieder Boxen trainieren. Oder ich vermisse mein Groundgame beim BJJ. Wenn ich das jedoch zu oft mache, tut mir alles weh und ich habe überall blaue Flecken und möchte wieder mehr Striking (Anm. d. Red.: Striking beinhaltet mehrere Kampfstile, die im Stehen stattfinden) trainieren. Ich bin froh, dass ich alles ein bisschen kann. So kann ich entscheiden, auf was ich gerade Bock habe oder meinen Fokus setzen will.
MZEE.com: Du lebst zurzeit in Bangkok. Machst du dort aktuell hauptsächlich Muay Thai?
CHAN LE: Ich trainiere hauptsächlich im Stand, also Striking. Als ich ein halbes Jahr in Berlin gewohnt habe, bevor ich nach Bangkok gezogen bin, war es komplett nur BJJ. Sechs Mal die Woche, also fast jeden Tag. In dem Zeitraum habe ich nur zwei Mal Muay Thai trainiert. Hier in Bangkok ist es ein bisschen anders, es kommt auch immer auf das Gym an. In Deutschland werde ich sicherlich wieder mehr BJJ trainieren.
MZEE.com: Bist du hauptsächlich für den Kampfsport nach Thailand gezogen?
CHAN LE: Nein, ich habe hier mein Auslandssemester im Rahmen meines Studiums absolviert. Ich habe das auf das Ende meines Studiums gelegt, sodass ich meinen Aufenthalt beliebig verlängern kann. Nun bin ich länger geblieben, um meine Karriere parallel aufzubauen. Natürlich auch wegen des Trainings. Es ist kein Vergleich zu Deutschland. Die Mentalität, die Qualität des Trainings, die Kultur, die Leute und deren Mindset. Ich gehe hier ohne einen negativen Gedanken ins Training. Ich weiß, dass ich willkommen bin. Wir sind alle cool. Ich bin sehr froh, gerade hier zu sein.
MZEE.com: Meinst du mit deiner Karriere den Kampfsport oder die Musik?
CHAN LE: Ich bin keine Kämpferin im Cage, sondern im echten Leben. Jeder sagt mir: "Jetzt geh endlich kämpfen." Aber ganz ehrlich? Ich liebe mein Gesicht, ich habe eine perfekte Nase. Warum soll ich kämpfen? Was habe ich denn davon? Ich fordere mich jeden Tag selbst im Training. Ich mache seit neuestem auch noch Sparring (Anm. d. Red: eine Trainingsform, die das Kämpfen im Wettkampf imitiert). Ich kämpfe somit eigentlich schon. Wenn das Geld dabei stimmen würde, würde ich drüber nachdenken. Warum sollte ich meine Gesundheit aufs Spiel setzen, wenn es nicht einmal lukrativ ist? Ich weiß sehr wohl, wie es ist, zu kämpfen. Ich habe im BJJ an mehreren Turnieren teilgenommen, immer in beiden Divisionen gekämpft und zum Teil sieben Kämpfe am Tag gehabt. Tatsächlich hatte ich eine Boxkampfsimulation mit Buakaw, der Legende des Muay Thai. Aber ich kann es mir weder gesundheitlich noch zeitlich leisten, diese Schäden zu erleiden und davon zu heilen, zumal man ernsthafte Gehirnschäden erleiden kann, die sich nicht heilen lassen. Meine Mama sagte nach dem Kampf mit Buakaw zu mir: "Du bist so intelligent, schön und gebildet. Dir stehen alle Türen der Welt offen. Du musst dich nicht schlagen lassen." Und das hat gesessen. Für mich musste ich diese Erfahrungen sammeln, um mich persönlich weiterzuentwickeln, mich meiner Angst zu stellen und zu wissen, woran ich arbeiten muss, wenn es mal ernst wird und so weiter. Aber das heißt nicht, dass ich das jetzt weiter machen muss.
MZEE.com: Wie wirkt sich der Sport neben der körperlichen Komponente auf andere Lebensbereiche aus?
CHAN LE: Kampfsport vermittelt essenzielle Werte wie Durchhaltevermögen, Disziplin, Respekt und Bescheidenheit. Du lernst außerdem, dein Ego beiseitezulassen. Man kann viel daraus auf andere Bereiche des Lebens übertragen. Ich wünschte, ich wäre früher zum Kampfsport gekommen. Viele in meinem Umfeld haben schon als Kind angefangen. Ich habe erst so richtig vor zwei Jahren angefangen. Überleg mal, wo ich jetzt wäre, wenn ich auch schon so früh angefangen hätte. Dann wäre mir sicher vieles erspart geblieben. Aber es hat mich letztendlich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich wünsche mir für meine Kinder jedoch, dass sie nicht an Drogen und in Kontakt mit Kriminalität kommen. Sondern einfach ihr Training machen, am besten jeden Tag ein bisschen.
MZEE.com: Auf dem Song "Fassade" sprichst du auch von Kriminalität und Drogen. Das klingt wie der Lebenslauf von jemandem, der viel erlebt und gesehen hat. Hat der Sport dir geholfen, auf den geraden Weg zu kommen?
CHAN LE: Ich denke schon. Gerade wenn man jahrelanges Suchtverhalten hatte, ist es normal, dass man diese Gedanken auch weiterhin hat. Vor allem wenn du plötzlich, ohne Entzugsklinik, ohne irgendwelche Hilfe von außen und nur aus deiner eigenen Willenskraft, aufhörst mit gewissen Dingen. Aber du musst dir erst mal bewusst machen, dass du nicht deine Gedanken und nicht dein Verstand bist oder warst. Shoutout an Eckhart Tolle (Anm. d. Red.: Autor spiritueller Bücher) an dieser Stelle. Dadurch, dass du so in diesem Kampfsport-Film bist, setzt du nicht das aufs Spiel, was du dir hart erarbeitet hast – nur für die Betäubung. Was ja, genauer gesagt, wegrennen vor deinen Problemen ist, und nicht, dich diesen zu stellen. Ich trinke jetzt seit fünf Jahren keinen Alkohol und rauche keine Zigaretten mehr, was ich früher unter anderem exzessiv gemacht habe. All das wäre mir nicht so wichtig, wenn ich keinen Kampfsport machen würde. Dann würde ich das vielleicht entspannter sehen. Ich kenne viele Kämpfer, die das machen, aber ich kann das nicht nachvollziehen. Ich kann genauso ohne Alkohol aufgedreht sein und Spaß haben. Ich habe es die ganzen letzten Jahre nicht gebraucht, sondern im Gegenteil hart an mir gearbeitet, reflektiert und mich auf die Reise des Heilens begeben. Du musst deinen Geist natürlich mittrainieren, der Glaube und die Philosophie waren mir schon immer treue Wegbegleiter.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass deine Rap-Karriere von deiner Disziplin als Sportlerin profitiert?
CHAN LE: Ich habe von Natur aus eine sehr starke Willenskraft. Lag es an meiner Mama, wie sie mich erzogen hat, oder liegt es an meinem Aszendenten oder der Natur? Mein Wesen ist einfach ein Kämpferwesen, ein Hustler. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, werde ich alles, was in meiner Macht steht, dafür tun, um es mir holen. Deswegen ist es für mich ein bisschen schwierig, das vom Kampfsport abhängig zu machen. Denn wenn ich dieses Mindset nicht hätte, würde ich im Training auch nicht so durchziehen. Aber ich lerne definitiv immer wieder was, das ich aufs Leben adaptieren kann. Wenn man im Training zum Beispiel denkt, dass man nicht mehr kann, ist man erst bei 60 Prozent, heißt es. Wenn du dir einredest "Ich kann nicht mehr", dann kannst du nicht mehr. Redest du dir stattdessen ein "Ich bin stark und ich kann das", dann kannst du das auch. Und so ist es bei vielen Dingen. Daher solltest du dir immer vor Augen halten, dass du dein Mindset beeinflussen kannst.
MZEE.com: Beim Kämpfen kommt man in eine Art Überlebensmodus. Das hat auch etwas Archaisches. Wie bereitest du dich mental aufs Sparring vor?
CHAN LE: In der Wettkampfvorbereitung habe ich nach YouTube-Videos von Kämpfern oder Sportmentalcoaches gesucht, aus denen ich Informationen rausfiltern konnte. Ich habe dann versucht, gezielt an meinen Schwächen und Unsicherheiten zu arbeiten, indem ich mir positive Affirmationen als Audiodatei aufgenommen und sie dann vor jeder Einheit und sogar vor Wettkämpfen angehört habe. Aktuell arbeite ich zum Beispiel daran, mich an Schläge ins Gesicht zu gewöhnen. Sonst habe ich immer gesagt "ohne Gesicht", aber du lernst es halt nicht, wenn dein Gegner vorher abstoppt und nicht dein Gesicht trifft. Dann verfälschst du die Distanz. Wie willst du Blocken lernen, wenn du keine Schläge oder Tritte abbekommst? Am Anfang habe ich mich gefühlt wie ein Sandsack, aber ich habe mich da durchgeboxt. Am nächsten Tag war ich direkt sicherer. Übung macht den Meister. Du musst dich deiner Angst stellen, um sie zu besiegen.
MZEE.com: Du bist Rapperin und studierst Internationales Immobilienmanagement. Beides sind feste Bestandteile deines Lebens. Ist Sport ein Ausgleich zu deinem stressigen Alltag?
CHAN LE: Viele Leute raten mir, dass ich chillen soll, weil ich so hart arbeite und studiere. Die wissen gar nicht, wie entspannend Kampfsport für mich ist. Ich bin dabei in der Gegenwart, weil wenn nicht, bekomme ich auf die Fresse. Deswegen muss ich konzentriert sein. Das ist Meditation für mich. Es ist Spiritualität. Das ist so viel für mich. Ich wünschte, ich hätte schon früher begonnen. Es macht einen viel selbstbewusster. Du gehst ganz anders durchs Leben. Natürlich werden Männer immer körperlich überlegen sein, aber es ist trotzdem was anderes, wenn du weißt, dass du dich im Ernstfall selbst verteidigen könntest. Ich lasse nichts über mein Training kommen, denn das ist die Zeit, die ich mir für mich selbst nehme. Beim Kampfsport bin ich nicht erreichbar. Kein Handy, keine Anrufe, kein Social Media, denn dort bin ich im Fokus. Im Gym können mich tatsächlich weniger Leute stören als bei der Musik. Im Studio kommt es leider immer mal wieder vor, dass ich Probleme an mich heranlasse, weil ich ja mit dem Handy arbeite. Da muss ich konsequenter werden und das Handy wirklich im "do not disturb"-Modus lassen.
MZEE.com: Im Kampfsport kämpft man für gewöhnlich für sich allein und nicht als Teil eines Teams. Auch auf deinen Songs gibst du dich als Einzelkämpferin, zum Beispiel auf dem Track "Nobody's SiS". Woher kommt dieser Modus?
CHAN LE: Ich war immer eine Außenseiterin, ob man es glaubt oder nicht. Schon als Kind war ich viel allein und habe mich nie zugehörig gefühlt. Als Jugendliche war ich dann in wechselnden Freundeskreisen. Eine eigene Clique mit so richtigen Ride or Dies hatte ich nie. Ich war immer eine Einzelkämpferin. Meine ganze Familie ist hier in Thailand. Ich bin als einziges Kind in Deutschland aufgewachsen. Das heißt, ich war eigentlich grundsätzlich allein. Ich habe die ganzen Sachen auch immer gemacht, um meinen Gedanken, Emotionen und der Einsamkeit zu entfliehen.
MZEE.com: Wie kam es, dass du in Deutschland komplett allein warst?
CHAN LE: Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, meine Eltern waren damit beschäftigt, die Familie zu ernähren. Meine Mama hat ihr Leben in Thailand aufgegeben, um mich nach Deutschland zu bringen und mir ein besseres Leben zu ermöglichen. Natürlich war es für mich als Kind nicht leicht, eine Außenseiterin zu sein, allein und getrennt von meinen Geschwistern aufzuwachsen. Aber mittlerweile bin ich eigentlich am liebsten allein, weil es mir Raum gibt, meinen Hustle durchzuziehen. In Thailand kämpft man auf jeden Fall für sein Gym, in Deutschland ist das im richtigen Umfeld beziehungsweise mit den richtigen Leuten bestimmt ebenfalls so. Vielleicht lag es auch daran, dass ich eine Frau bin. Funfact: Die meisten Frauen in Deutschland haben sich von mir getriggert gefühlt. Hier in Thailand ist das anders, ich bin viel mehr connectet mit Frauen in der Kampfsportszene. Der Support ist ganz anders hier.
MZEE.com: Du sagst, dass andere dich beim Sport sehr unterstützen. Bist du denn selbst auch der Rücken für andere?
CHAN LE: I am the biggest supporter. Sei es jetzt fürs Team oder in Beziehungen. Ich bin "Wifey". Ich brauche einmal mich, als Mann, zum Heiraten – einen Hustler, mit dem gleichen Mindset. Ich unterstütze sogar immer zu sehr. Meine Freunde nennen mich Mommy, weil ich so fürsorglich bin. Ich werde so eine krasse Mutter. (lacht) Ich meine es immer zu gut. Da muss ich aufpassen, denn nicht jeder hat das verdient. Ich stecke meine Energie nur noch in Leute, bei denen ich weiß, dass sie meine Ratschläge auch annehmen und im besten Fall umsetzen und das wertschätzen. Wenn jemand sich nicht helfen lassen will, dann spare ich mir meine Energie.
MZEE.com: Hast du, was die Unterstützung angeht, einen Unterschied festgestellt zwischen den Boxvereinen in Deutschland und Thailand?
CHAN LE: Im Allgemeinen ist Deutschland eine Ich-Kultur und Thailand ist eine Wir-Kultur. Man merkt es an der Mentalität der Menschen, dass Deutschland wesentlich egoistischer ist, und das sind einfach Facts. Aber ich will das nicht generalisieren, denn es kommt wirklich auf das Umfeld an. Überall auf der Welt gibt es gute und schlechte Menschen, manchmal dauert es ewig, bis man an die guten kommt – aber es gibt sie, definitiv. Ich bin sowieso eine Person, die ehrgeizig ist und ihre Extras macht, daher finde ich, Gott sei Dank, früher oder später immer die richtigen Leute um mich rum, die sich Zeit für mich nehmen und mich pushen. Respekt und Anstand sind allerdings next Level bei den Thais. Ich muss eine richtig schöne Szene erzählen. Ich habe mit Yokkao kollaboriert und durfte mit dem mehrfachen World Champion Superlek Kiatmookao trainieren. Er hat mir nach jeder Trainingsrunde Wasser zum Trinken in den Mund geschüttet, so wie man das während dem Kampf in der Corner macht. Das fand ich unglaublich süß. Und dieses Zuvorkommende, Kümmernde ist typisch Thai-Style. Normalerweise wird das aber nur bei den Kämpfern gemacht. Nach den Sparrings in der Wettkampfvorbereitung mit Eiswürfeln den Körper einreiben oder massieren, deine Trainer dehnen dich zwischen den Runden und so weiter. So wie es dann im Kampf auch abläuft. So was habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Hier ist das völlig normal.
MZEE.com: Wie ist das mit der Frauenquote in den Gyms?
CHAN LE: Es kommt drauf an in welcher Stadt, in welchem Gym und in welchem Kurs. Der Frauenanteil hat sich in den letzten Jahren auf jeden Fall gesteigert, würde ich sagen, aber es kommt trotzdem immer wieder vor, dass es sehr wenige Frauen gibt oder ich sogar die einzige im Kurs bin. Was ich jetzt nicht schlimm finde. Aber es ist auch schön, wenn ich eine Trainingspartnerin habe und nicht immer mit den verschwitzten Männern trainieren muss, weil Frauen doch ein bisschen besser riechen. (lacht) Das ist mit ein Grund, warum ich ein bisschen weg vom BJJ bin. Beim Striking hat man weniger Körperkontakt.
MZEE.com: In Deutschland lohnt es sich finanziell kaum für die Sender, Frauen-Boxen im Fernsehen zu übertragen. Als Konsequenz bekommen weibliche Athletinnen keine Sponsoren und können den Sport deshalb selten hauptberuflich betreiben. Sie können sich nicht hundertprozentig auf den Sport fokussieren, was sich auch auf den Erfolg auswirkt. Wie siehst du das?
CHAN LE: Erst mal müssen wir das runterbrechen, wie ungerecht das allgemein ist. Fußball ist voll lukrativ und Kampfsport gar nicht. Ich sage nicht, dass Fußball ungefährlich ist, aber beim Kampfsport ist es ja offensichtlich, dass du alles riskierst. Es ist schon besser geworden durch die UFC und ONE Championship. Bis du aber bei diesen Organisationen kämpfen kannst, hast du oft ein Leben lang voller Vorbereitung hinter dir, welche nicht bezahlt wird. Ich finde das sehr schade. Es passiert schon was, aber es wird noch nicht genug getan. Und in Europa passiert noch weniger. Ich finde, es sollte beispielsweise auch staatliche Aktionen geben, um Frauen Kampfsport näher zu bringen. Zum Beispiel unter dem Motto Selbstverteidigung. Damit würden einfach mehr Frauen dazu ermutigt werden, das zu machen. Es wird schon irgendwelche Möglichkeiten geben, dass da Geld reingebuttert wird, denn wir haben Geld. Die Politik setzt nur andere Prioritäten. Wenn ich Politikerin wäre, hätten wir diese Probleme definitiv nicht. Aber um noch mal auf deine Aussage zurückzukommen: In der Musik ist es ja das Gleiche, wenn nicht noch schlimmer. Ich bin eine Independent-Künstlerin und musste mir auch alles selbst finanzieren. Von dem fehlenden Support in der Szene abgesehen. So ist das ganze Leben, man muss immer Opfer bringen, nimmt Risiken auf sich und weiß oft jahrelang nicht, ob es sich jemals auszahlen wird.
MZEE.com: Selbstverteidigung stärkt das Selbstbewusstsein von Frauen. Für die Gesellschaft wäre es gut, wenn da mental sehr starke Frauen dabei sind. Im Rap-Bereich ist dahingehend schon viel passiert. Wie dort auch bräuchte es im Kampfsport weibliche Vorbilder, oder?
CHAN LE: Ich werde auf jeden Fall weiterhin versuchen, Leute zu motivieren. Zum Beispiel mit einer Trainingssession als Boxinhalt oder so. Viele aus meiner Community schreiben mir, dass sie wegen mir mit Kampfsport angefangen haben, ich sie motiviere, am Ball zu bleiben, und deren Mindset positiv beeinflusst habe. Das macht mich voll glücklich. Wenn jemand wegen mir sein Leben ins Positive verändert, macht mich das stolz und meine Mission ist accomplished. (lacht) Ich erinnere mich, dass es in Offenbach mal einen Vorfall gab, wo eine Kämpferin einen sexuellen Übergriff abwehren konnte. Sie hat mehrere Typen überwältigt, weil sie es konnte. Stell dir mal vor, es würde mehr Frauen geben, die diese Skills haben. Wie viele Straftaten, wie viele sexuellen Übergriffe und im schlimmsten Fall Vergewaltigungen verhindert werden könnten, wenn Frauen wüssten, wie sie sich in so einer Situation besser verteidigen können.
MZEE.com: Kampfsport wird häufig auch als maskulin definiert. In Filmen wie Rocky oder Creed dreht es sich viel um körperliche Überlegenheit und männliche Klischees. Wie kann man deiner Meinung nach mit diesem Klischee brechen?
CHAN LE: Es ist tatsächlich so, dass ich fast immer die einzige Frau im ganzen Gym bin. Dennoch respektiert mich jeder und ich fühle mich nicht ausgeschlossen. Dann liegt es ja an den Leuten, die diese Klischees haben und nicht an uns selbst.
MZEE.com: Ein weiteres Klischee, das in Hollywood-Filmen reproduziert wird, ist die Assoziation von asiatisch gelesenen Menschen mit Kampfkunst. Ein klassisches Beispiel hierfür wäre Jackie Chan oder der Film "Drei Engel für Charlie". Findest du diese stereotypische Darstellung problematisch?
CHAN LE: Ich finde es gut, wenn Frauen in solchen Filmen als Kämpferinnen dargestellt werden. Ich habe gerade erst John Wick gesehen mit der Tochter Akira, die jeden zerstört hat in diesem Film. Mich pusht es dann auch immer voll im Training. Ich würde gerne mal kurz in so eine Situation reinkommen, aber mit einem Notausschalter. Es würde mich einfach interessieren, ob ich mich befreien und mein Leben retten könnte. Ich finde die Darstellung mit Asiatinnen nicht problematisch. Man sollte das als Motivation nehmen. Sie kann das? Dann kann ich das auch. Das hat doch nichts mit der Herkunft zu tun.
MZEE.com: Mit welchem:welcher Rapper:in würdest du gerne mal auf rein sportlicher Basis in den Ring steigen?
CHAN LE: Also Trainingssessions und Vlogs dazu sind auf jeden Fall mit Asche geplant, eigentlich wollte der Gute auch mal nach Thailand kommen.
MZEE.com: Ich habe schon auf Instagram gesehen, dass ihr connectet seid.
CHAN LE: Kampfsport verbindet einfach. Man hat direkt eine ganz andere Connection und ich liebe das. Um deine vorherige Frage zu ergänzen: Anthony Joshua.
MZEE.com: Zum Abschluss würde ich gern von dir wissen, was Kampfsport für dich bedeutet.
CHAN LE: Es ist unglaublich viel. Um es kurz zusammenzufassen, würde ich sagen: eine Toolbox für das ganze Leben.
(Malin Teegen)
(Fotos von Niklas Kamp und Amely Metwally)