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Interview

CHAN LE – ein Gespräch über Kampfsport

"Mei­ne Mama sag­te nach dem Kampf zu mir: 'Du bist so intel­li­gent, schön und gebil­det. Dir ste­hen alle Türen offen. Du musst dich nicht schla­gen las­sen.'" ‒ CHAN LE im Inter­view über die Ent­schei­dung gegen eine Kar­rie­re im Kampf­sport, Selbst­ver­tei­di­gung als Frau und ihr Leben als Einzelkämpferin.

Kita­na, Kasu­mi und Chun-​Li sind Namen weib­li­cher Cha­rak­te­re, mit denen man in eini­gen bekann­ten Video­spie­len kämp­fen kann. Ins­be­son­de­re die Letzt­ge­nann­te ist inter­es­sant, da sie die ers­te weib­li­che Figur war, die in einem Kampf­spiel zur Aus­wahl stand – erst­mals Anfang der Neun­zi­ger in "Street Figh­ter II: The World War­ri­or". Dort zeich­ne­te sie sich durch ihre Schnel­lig­keit und Agi­li­tät aus. Pas­sen­der­wei­se trifft vie­les davon auch auf die Prot­ago­nis­tin die­ses Inter­views zu. Die Rap­pe­rin CHAN LE ist wie der Spiel­cha­rak­ter Chun-​Li Kampf­sport­le­rin. Dass die Namen der bei­den sich in der Aus­spra­che stark ähneln, ist kein Zufall. Als Kampf­sport­le­rin bewegt sich die Frank­fur­te­rin in Berei­chen, in denen Frau­en oft unter­re­prä­sen­tiert sind. Der­zeit lebt CHAN LE in Bang­kok, Thai­land, wo ihre Wur­zeln lie­gen und Thai­bo­xen als Natio­nal­sport gilt. Ihr Fokus liegt aktu­ell auf Muay Thai, eine Sport­art, bei der ins­be­son­de­re die Bein­ar­beit im Zen­trum steht. Da die Rap­pe­rin ein Fai­ble für Kampf­sport hat, nah­men wir dies zum Anlass, um mit ihr dar­über zu spre­chen. Es ging um das rich­ti­ge Mind­set für einen Kampf, die Wer­te, die der Sport ver­mit­telt und die Unter­schie­de zwi­schen Box­ver­ei­nen in Deutsch­land und Thailand. 

MZEE​.com: Wie sah dein ers­ter Kon­takt mit Kampf­sport aus?

CHAN LE: Ich habe Anfang 2018 auf­ge­hört Alko­hol zu trin­ken und zu rau­chen. Da ich im Alter von 13 Jah­ren ange­fan­gen habe, waren das schon eini­ge Jah­re. Als Rau­che­rin ist die Kon­di­ti­on oft sehr schlecht und alles ist anstren­gen­der, daher bin ich sehr froh, im glei­chen Jahr, also 2018, das Fit­ness­bo­xen für mich ent­deckt zu haben. Dadurch kam die Moti­va­ti­on, dort Voll­gas zu geben und vom Rau­chen und Trin­ken ein­fach weg­zu­blei­ben. Es hat mir so gut gefal­len, dass ich immer die Ers­te auf der Mat­te war. Das will schon etwas hei­ßen, denn ich kom­me in der Regel zu spät. Außer­dem war ich immer die Letz­te, die gegan­gen ist, weil ich die Hoff­nung hat­te, dass mir jemand die Prat­zen (Anm. d. Red: Schlag­pols­ter, wel­ches im Kampf­sport­trai­ning für das Üben von Schlä­gen und Trit­ten ver­wen­det wird) hält. Denn das ist beim Fit­ness­bo­xen eigent­lich nicht üblich. Mit der Zeit wur­de es mir etwas zu lang­wei­lig, denn es war ja kein "rich­ti­ges" Boxen. Dann habe ich 2020 mit Muay Thai und 2021 dann mit BJJ (Anm. d. Red.: Bra­zi­li­an Jiu-​Jitsu) ange­fan­gen. Schritt­wei­se kamen Ele­men­te vom MMA und Rin­gen dazu.

MZEE​.com​: War das Fit­ness­bo­xen in einem Fitness- oder einem Kampfsportstudio?

CHAN LE: Das war in einem Box­ver­ein. Da waren auch Ama­teur­bo­xer, die ande­res Trai­ning hat­ten. Beim Fit­ness­bo­xen wur­de schon am Sand­sack gear­bei­tet, aber da hat kei­ner die Tech­nik ver­bes­sert. Es war als Konditions- und Kraft­trai­ning ausgelegt.

MZEE​.com​: Ist Boxen der Sport, der dir am meis­ten Spaß macht?

CHAN LE: Nein, es ist Kampf­sport all­ge­mein. Wenn man mich fra­gen wür­de, wor­auf ich ver­zich­ten könn­te, wür­de ich auf gar nichts ver­zich­ten wol­len. Ich brau­che die­se Abwechs­lung. Wenn ich jeden Tag Muay Thai trai­nie­re, dann will ich wie­der Boxen trai­nie­ren. Oder ich ver­mis­se mein Ground­ga­me beim BJJ. Wenn ich das jedoch zu oft mache, tut mir alles weh und ich habe über­all blaue Fle­cken und möch­te wie­der mehr Striking (Anm. d. Red.: Striking beinhal­tet meh­re­re Kampf­sti­le, die im Ste­hen statt­fin­den) trai­nie­ren. Ich bin froh, dass ich alles ein biss­chen kann. So kann ich ent­schei­den, auf was ich gera­de Bock habe oder mei­nen Fokus set­zen will.

MZEE​.com​: Du lebst zur­zeit in Bang­kok. Machst du dort aktu­ell haupt­säch­lich Muay Thai?

CHAN LE: Ich trai­nie­re haupt­säch­lich im Stand, also Striking. Als ich ein hal­bes Jahr in Ber­lin gewohnt habe, bevor ich nach Bang­kok gezo­gen bin, war es kom­plett nur BJJ. Sechs Mal die Woche, also fast jeden Tag. In dem Zeit­raum habe ich nur zwei Mal Muay Thai trai­niert. Hier in Bang­kok ist es ein biss­chen anders, es kommt auch immer auf das Gym an. In Deutsch­land wer­de ich sicher­lich wie­der mehr BJJ trainieren.

MZEE​.com​: Bist du haupt­säch­lich für den Kampf­sport nach Thai­land gezogen?

CHAN LE: Nein, ich habe hier mein Aus­lands­se­mes­ter im Rah­men mei­nes Stu­di­ums absol­viert. Ich habe das auf das Ende mei­nes Stu­di­ums gelegt, sodass ich mei­nen Auf­ent­halt belie­big ver­län­gern kann. Nun bin ich län­ger geblie­ben, um mei­ne Kar­rie­re par­al­lel auf­zu­bau­en. Natür­lich auch wegen des Trai­nings. Es ist kein Ver­gleich zu Deutsch­land. Die Men­ta­li­tät, die Qua­li­tät des Trai­nings, die Kul­tur, die Leu­te und deren Mind­set. Ich gehe hier ohne einen nega­ti­ven Gedan­ken ins Trai­ning. Ich weiß, dass ich will­kom­men bin. Wir sind alle cool. Ich bin sehr froh, gera­de hier zu sein.

MZEE​.com​: Meinst du mit dei­ner Kar­rie­re den Kampf­sport oder die Musik?

CHAN LE: Ich bin kei­ne Kämp­fe­rin im Cage, son­dern im ech­ten Leben. Jeder sagt mir: "Jetzt geh end­lich kämp­fen." Aber ganz ehr­lich? Ich lie­be mein Gesicht, ich habe eine per­fek­te Nase. War­um soll ich kämp­fen? Was habe ich denn davon? Ich for­de­re mich jeden Tag selbst im Trai­ning. Ich mache seit neu­es­tem auch noch Spar­ring (Anm. d. Red: eine Trai­nings­form, die das Kämp­fen im Wett­kampf imi­tiert). Ich kämp­fe somit eigent­lich schon. Wenn das Geld dabei stim­men wür­de, wür­de ich drü­ber nach­den­ken. War­um soll­te ich mei­ne Gesund­heit aufs Spiel set­zen, wenn es nicht ein­mal lukra­tiv ist? Ich weiß sehr wohl, wie es ist, zu kämp­fen. Ich habe im BJJ an meh­re­ren Tur­nie­ren teil­ge­nom­men, immer in bei­den Divi­sio­nen gekämpft und zum Teil sie­ben Kämp­fe am Tag gehabt. Tat­säch­lich hat­te ich eine Box­kampf­si­mu­la­ti­on mit Bua­kaw, der Legen­de des Muay Thai. Aber ich kann es mir weder gesund­heit­lich noch zeit­lich leis­ten, die­se Schä­den zu erlei­den und davon zu hei­len, zumal man ernst­haf­te Gehirn­schä­den erlei­den kann, die sich nicht hei­len las­sen. Mei­ne Mama sag­te nach dem Kampf mit Bua­kaw zu mir: "Du bist so intel­li­gent, schön und gebil­det. Dir ste­hen alle Türen der Welt offen. Du musst dich nicht schla­gen las­sen." Und das hat geses­sen. Für mich muss­te ich die­se Erfah­run­gen sam­meln, um mich per­sön­lich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, mich mei­ner Angst zu stel­len und zu wis­sen, wor­an ich arbei­ten muss, wenn es mal ernst wird und so wei­ter. Aber das heißt nicht, dass ich das jetzt wei­ter machen muss.

MZEE​.com​: Wie wirkt sich der Sport neben der kör­per­li­chen Kom­po­nen­te auf ande­re Lebens­be­rei­che aus?

CHAN LE: Kampf­sport ver­mit­telt essen­zi­el­le Wer­te wie Durch­hal­te­ver­mö­gen, Dis­zi­plin, Respekt und Beschei­den­heit. Du lernst außer­dem, dein Ego bei­sei­te­zu­las­sen. Man kann viel dar­aus auf ande­re Berei­che des Lebens über­tra­gen. Ich wünsch­te, ich wäre frü­her zum Kampf­sport gekom­men. Vie­le in mei­nem Umfeld haben schon als Kind ange­fan­gen. Ich habe erst so rich­tig vor zwei Jah­ren ange­fan­gen. Über­leg mal, wo ich jetzt wäre, wenn ich auch schon so früh ange­fan­gen hät­te. Dann wäre mir sicher vie­les erspart geblie­ben. Aber es hat mich letzt­end­lich zu dem gemacht, was ich heu­te bin. Ich wün­sche mir für mei­ne Kin­der jedoch, dass sie nicht an Dro­gen und in Kon­takt mit Kri­mi­na­li­tät kom­men. Son­dern ein­fach ihr Trai­ning machen, am bes­ten jeden Tag ein bisschen.

MZEE​.com​: Auf dem Song "Fas­sa­de" sprichst du auch von Kri­mi­na­li­tät und Dro­gen. Das klingt wie der Lebens­lauf von jeman­dem, der viel erlebt und gese­hen hat. Hat der Sport dir gehol­fen, auf den gera­den Weg zu kommen? 

CHAN LE: Ich den­ke schon. Gera­de wenn man jah­re­lan­ges Sucht­ver­hal­ten hat­te, ist es nor­mal, dass man die­se Gedan­ken auch wei­ter­hin hat. Vor allem wenn du plötz­lich, ohne Ent­zugs­kli­nik, ohne irgend­wel­che Hil­fe von außen und nur aus dei­ner eige­nen Wil­lens­kraft, auf­hörst mit gewis­sen Din­gen. Aber du musst dir erst mal bewusst machen, dass du nicht dei­ne Gedan­ken und nicht dein Ver­stand bist oder warst. Shou­tout an Eck­hart Tol­le (Anm. d. Red.: Autor spi­ri­tu­el­ler Bücher) an die­ser Stel­le. Dadurch, dass du so in die­sem Kampfsport-​Film bist, setzt du nicht das aufs Spiel, was du dir hart erar­bei­tet hast – nur für die Betäu­bung. Was ja, genau­er gesagt, weg­ren­nen vor dei­nen Pro­ble­men ist, und nicht, dich die­sen zu stel­len. Ich trin­ke jetzt seit fünf Jah­ren kei­nen Alko­hol und rau­che kei­ne Ziga­ret­ten mehr, was ich frü­her unter ande­rem exzes­siv gemacht habe. All das wäre mir nicht so wich­tig, wenn ich kei­nen Kampf­sport machen wür­de. Dann wür­de ich das viel­leicht ent­spann­ter sehen. Ich ken­ne vie­le Kämp­fer, die das machen, aber ich kann das nicht nach­voll­zie­hen. Ich kann genau­so ohne Alko­hol auf­ge­dreht sein und Spaß haben. Ich habe es die gan­zen letz­ten Jah­re nicht gebraucht, son­dern im Gegen­teil hart an mir gear­bei­tet, reflek­tiert und mich auf die Rei­se des Hei­lens bege­ben. Du musst dei­nen Geist natür­lich mit­trai­nie­ren, der Glau­be und die Phi­lo­so­phie waren mir schon immer treue Wegbegleiter.

MZEE​.com​: Wür­dest du sagen, dass dei­ne Rap-​Karriere von dei­ner Dis­zi­plin als Sport­le­rin profitiert?

CHAN LE: Ich habe von Natur aus eine sehr star­ke Wil­lens­kraft. Lag es an mei­ner Mama, wie sie mich erzo­gen hat, oder liegt es an mei­nem Aszen­den­ten oder der Natur? Mein Wesen ist ein­fach ein Kämp­fer­we­sen, ein Hust­ler. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, wer­de ich alles, was in mei­ner Macht steht, dafür tun, um es mir holen. Des­we­gen ist es für mich ein biss­chen schwie­rig, das vom Kampf­sport abhän­gig zu machen. Denn wenn ich die­ses Mind­set nicht hät­te, wür­de ich im Trai­ning auch nicht so durch­zie­hen. Aber ich ler­ne defi­ni­tiv immer wie­der was, das ich aufs Leben adap­tie­ren kann. Wenn man im Trai­ning zum Bei­spiel denkt, dass man nicht mehr kann, ist man erst bei 60 Pro­zent, heißt es. Wenn du dir ein­re­dest "Ich kann nicht mehr", dann kannst du nicht mehr. Redest du dir statt­des­sen ein "Ich bin stark und ich kann das", dann kannst du das auch. Und so ist es bei vie­len Din­gen. Daher soll­test du dir immer vor Augen hal­ten, dass du dein Mind­set beein­flus­sen kannst.

MZEE​.com​: Beim Kämp­fen kommt man in eine Art Über­le­bens­mo­dus. Das hat auch etwas Archai­sches. Wie berei­test du dich men­tal aufs Spar­ring vor?

CHAN LE: In der Wett­kampf­vor­be­rei­tung habe ich nach YouTube-​Videos von Kämp­fern oder Sport­ment­al­coa­ches gesucht, aus denen ich Infor­ma­tio­nen raus­fil­tern konn­te. Ich habe dann ver­sucht, gezielt an mei­nen Schwä­chen und Unsi­cher­hei­ten zu arbei­ten, indem ich mir posi­ti­ve Affir­ma­tio­nen als Audio­da­tei auf­ge­nom­men und sie dann vor jeder Ein­heit und sogar vor Wett­kämp­fen ange­hört habe. Aktu­ell arbei­te ich zum Bei­spiel dar­an, mich an Schlä­ge ins Gesicht zu gewöh­nen. Sonst habe ich immer gesagt "ohne Gesicht", aber du lernst es halt nicht, wenn dein Geg­ner vor­her abstoppt und nicht dein Gesicht trifft. Dann ver­fälschst du die Distanz. Wie willst du Blo­cken ler­nen, wenn du kei­ne Schlä­ge oder Trit­te abbe­kommst? Am Anfang habe ich mich gefühlt wie ein Sand­sack, aber ich habe mich da durch­ge­boxt. Am nächs­ten Tag war ich direkt siche­rer. Übung macht den Meis­ter. Du musst dich dei­ner Angst stel­len, um sie zu besiegen.

MZEE​.com​: Du bist Rap­pe­rin und stu­dierst Inter­na­tio­na­les Immo­bi­li­en­ma­nage­ment. Bei­des sind fes­te Bestand­tei­le dei­nes Lebens. Ist Sport ein Aus­gleich zu dei­nem stres­si­gen Alltag?

CHAN LE: Vie­le Leu­te raten mir, dass ich chil­len soll, weil ich so hart arbei­te und stu­die­re. Die wis­sen gar nicht, wie ent­span­nend Kampf­sport für mich ist. Ich bin dabei in der Gegen­wart, weil wenn nicht, bekom­me ich auf die Fres­se. Des­we­gen muss ich kon­zen­triert sein. Das ist Medi­ta­ti­on für mich. Es ist Spi­ri­tua­li­tät. Das ist so viel für mich. Ich wünsch­te, ich hät­te schon frü­her begon­nen. Es macht einen viel selbst­be­wuss­ter. Du gehst ganz anders durchs Leben. Natür­lich wer­den Män­ner immer kör­per­lich über­le­gen sein, aber es ist trotz­dem was ande­res, wenn du weißt, dass du dich im Ernst­fall selbst ver­tei­di­gen könn­test. Ich las­se nichts über mein Trai­ning kom­men, denn das ist die Zeit, die ich mir für mich selbst neh­me. Beim Kampf­sport bin ich nicht erreich­bar. Kein Han­dy, kei­ne Anru­fe, kein Social Media, denn dort bin ich im Fokus. Im Gym kön­nen mich tat­säch­lich weni­ger Leu­te stö­ren als bei der Musik. Im Stu­dio kommt es lei­der immer mal wie­der vor, dass ich Pro­ble­me an mich her­an­las­se, weil ich ja mit dem Han­dy arbei­te. Da muss ich kon­se­quen­ter wer­den und das Han­dy wirk­lich im "do not disturb"-Modus lassen.

MZEE​.com​: Im Kampf­sport kämpft man für gewöhn­lich für sich allein und nicht als Teil eines Teams. Auch auf dei­nen Songs gibst du dich als Ein­zel­kämp­fe­rin, zum Bei­spiel auf dem Track "Nobody's SiS". Woher kommt die­ser Modus?

CHAN LE: Ich war immer eine Außen­sei­te­rin, ob man es glaubt oder nicht. Schon als Kind war ich viel allein und habe mich nie zuge­hö­rig gefühlt. Als Jugend­li­che war ich dann in wech­seln­den Freun­des­krei­sen. Eine eige­ne Cli­que mit so rich­ti­gen Ride or Dies hat­te ich nie. Ich war immer eine Ein­zel­kämp­fe­rin. Mei­ne gan­ze Fami­lie ist hier in Thai­land. Ich bin als ein­zi­ges Kind in Deutsch­land auf­ge­wach­sen. Das heißt, ich war eigent­lich grund­sätz­lich allein. Ich habe die gan­zen Sachen auch immer gemacht, um mei­nen Gedan­ken, Emo­tio­nen und der Ein­sam­keit zu entfliehen.

MZEE​.com​: Wie kam es, dass du in Deutsch­land kom­plett allein warst?

CHAN LE: Ich kom­me aus einer Arbei­ter­fa­mi­lie, mei­ne Eltern waren damit beschäf­tigt, die Fami­lie zu ernäh­ren. Mei­ne Mama hat ihr Leben in Thai­land auf­ge­ge­ben, um mich nach Deutsch­land zu brin­gen und mir ein bes­se­res Leben zu ermög­li­chen. Natür­lich war es für mich als Kind nicht leicht, eine Außen­sei­te­rin zu sein, allein und getrennt von mei­nen Geschwis­tern auf­zu­wach­sen. Aber mitt­ler­wei­le bin ich eigent­lich am liebs­ten allein, weil es mir Raum gibt, mei­nen Hust­le durch­zu­zie­hen. In Thai­land kämpft man auf jeden Fall für sein Gym, in Deutsch­land ist das im rich­ti­gen Umfeld bezie­hungs­wei­se mit den rich­ti­gen Leu­ten bestimmt eben­falls so. Viel­leicht lag es auch dar­an, dass ich eine Frau bin. Fun­fact: Die meis­ten Frau­en in Deutsch­land haben sich von mir getrig­gert gefühlt. Hier in Thai­land ist das anders, ich bin viel mehr con­nec­tet mit Frau­en in der Kampf­sport­sze­ne. Der Sup­port ist ganz anders hier.

MZEE​.com​: Du sagst, dass ande­re dich beim Sport sehr unter­stüt­zen. Bist du denn selbst auch der Rücken für andere?

CHAN LE: I am the big­gest sup­port­er. Sei es jetzt fürs Team oder in Bezie­hun­gen. Ich bin "Wifey". Ich brau­che ein­mal mich, als Mann, zum Hei­ra­ten – einen Hust­ler, mit dem glei­chen Mind­set. Ich unter­stüt­ze sogar immer zu sehr. Mei­ne Freun­de nen­nen mich Mom­my, weil ich so für­sorg­lich bin. Ich wer­de so eine kras­se Mut­ter. (lacht) Ich mei­ne es immer zu gut. Da muss ich auf­pas­sen, denn nicht jeder hat das ver­dient. Ich ste­cke mei­ne Ener­gie nur noch in Leu­te, bei denen ich weiß, dass sie mei­ne Rat­schlä­ge auch anneh­men und im bes­ten Fall umset­zen und das wert­schät­zen. Wenn jemand sich nicht hel­fen las­sen will, dann spa­re ich mir mei­ne Energie.

MZEE​.com​: Hast du, was die Unter­stüt­zung angeht, einen Unter­schied fest­ge­stellt zwi­schen den Box­ver­ei­nen in Deutsch­land und Thailand?

CHAN LE: Im All­ge­mei­nen ist Deutsch­land eine Ich-​Kultur und Thai­land ist eine Wir-​Kultur. Man merkt es an der Men­ta­li­tät der Men­schen, dass Deutsch­land wesent­lich ego­is­ti­scher ist, und das sind ein­fach Facts. Aber ich will das nicht gene­ra­li­sie­ren, denn es kommt wirk­lich auf das Umfeld an. Über­all auf der Welt gibt es gute und schlech­te Men­schen, manch­mal dau­ert es ewig, bis man an die guten kommt – aber es gibt sie, defi­ni­tiv. Ich bin sowie­so eine Per­son, die ehr­gei­zig ist und ihre Extras macht, daher fin­de ich, Gott sei Dank, frü­her oder spä­ter immer die rich­ti­gen Leu­te um mich rum, die sich Zeit für mich neh­men und mich pushen. Respekt und Anstand sind aller­dings next Level bei den Thais. Ich muss eine rich­tig schö­ne Sze­ne erzäh­len. Ich habe mit Yok­kao kol­la­bo­riert und durf­te mit dem mehr­fa­chen World Cham­pi­on Super­lek Kiat­moo­kao trai­nie­ren. Er hat mir nach jeder Trai­nings­run­de Was­ser zum Trin­ken in den Mund geschüt­tet, so wie man das wäh­rend dem Kampf in der Cor­ner macht. Das fand ich unglaub­lich süß. Und die­ses Zuvor­kom­men­de, Küm­mern­de ist typisch Thai-​Style. Nor­ma­ler­wei­se wird das aber nur bei den Kämp­fern gemacht. Nach den Spar­rings in der Wett­kampf­vor­be­rei­tung mit Eis­wür­feln den Kör­per ein­rei­ben oder mas­sie­ren, dei­ne Trai­ner deh­nen dich zwi­schen den Run­den und so wei­ter. So wie es dann im Kampf auch abläuft. So was habe ich in Deutsch­land noch nie gese­hen. Hier ist das völ­lig normal.

MZEE​.com​: Wie ist das mit der Frau­en­quo­te in den Gyms?

CHAN LE: Es kommt drauf an in wel­cher Stadt, in wel­chem Gym und in wel­chem Kurs. Der Frau­en­an­teil hat sich in den letz­ten Jah­ren auf jeden Fall gestei­gert, wür­de ich sagen, aber es kommt trotz­dem immer wie­der vor, dass es sehr weni­ge Frau­en gibt oder ich sogar die ein­zi­ge im Kurs bin. Was ich jetzt nicht schlimm fin­de. Aber es ist auch schön, wenn ich eine Trai­nings­part­ne­rin habe und nicht immer mit den ver­schwitz­ten Män­nern trai­nie­ren muss, weil Frau­en doch ein biss­chen bes­ser rie­chen. (lacht) Das ist mit ein Grund, war­um ich ein biss­chen weg vom BJJ bin. Beim Striking hat man weni­ger Körperkontakt.

MZEE​.com​: In Deutsch­land lohnt es sich finan­zi­ell kaum für die Sen­der, Frauen-​Boxen im Fern­se­hen zu über­tra­gen. Als Kon­se­quenz bekom­men weib­li­che Ath­le­tin­nen kei­ne Spon­so­ren und kön­nen den Sport des­halb sel­ten haupt­be­ruf­lich betrei­ben. Sie kön­nen sich nicht hun­dert­pro­zen­tig auf den Sport fokus­sie­ren, was sich auch auf den Erfolg aus­wirkt. Wie siehst du das?

CHAN LE: Erst mal müs­sen wir das run­ter­bre­chen, wie unge­recht das all­ge­mein ist. Fuß­ball ist voll lukra­tiv und Kampf­sport gar nicht. Ich sage nicht, dass Fuß­ball unge­fähr­lich ist, aber beim Kampf­sport ist es ja offen­sicht­lich, dass du alles ris­kierst. Es ist schon bes­ser gewor­den durch die UFC und ONE Cham­pi­on­ship. Bis du aber bei die­sen Orga­ni­sa­tio­nen kämp­fen kannst, hast du oft ein Leben lang vol­ler Vor­be­rei­tung hin­ter dir, wel­che nicht bezahlt wird. Ich fin­de das sehr scha­de. Es pas­siert schon was, aber es wird noch nicht genug getan. Und in Euro­pa pas­siert noch weni­ger. Ich fin­de, es soll­te bei­spiels­wei­se auch staat­li­che Aktio­nen geben, um Frau­en Kampf­sport näher zu brin­gen. Zum Bei­spiel unter dem Mot­to Selbst­ver­tei­di­gung. Damit wür­den ein­fach mehr Frau­en dazu ermu­tigt wer­den, das zu machen. Es wird schon irgend­wel­che Mög­lich­kei­ten geben, dass da Geld rein­ge­but­tert wird, denn wir haben Geld. Die Poli­tik setzt nur ande­re Prio­ri­tä­ten. Wenn ich Poli­ti­ke­rin wäre, hät­ten wir die­se Pro­ble­me defi­ni­tiv nicht. Aber um noch mal auf dei­ne Aus­sa­ge zurück­zu­kom­men: In der Musik ist es ja das Glei­che, wenn nicht noch schlim­mer. Ich bin eine Independent-​Künstlerin und muss­te mir auch alles selbst finan­zie­ren. Von dem feh­len­den Sup­port in der Sze­ne abge­se­hen. So ist das gan­ze Leben, man muss immer Opfer brin­gen, nimmt Risi­ken auf sich und weiß oft jah­re­lang nicht, ob es sich jemals aus­zah­len wird.

MZEE​.com​: Selbst­ver­tei­di­gung stärkt das Selbst­be­wusst­sein von Frau­en. Für die Gesell­schaft wäre es gut, wenn da men­tal sehr star­ke Frau­en dabei sind. Im Rap-​Bereich ist dahin­ge­hend schon viel pas­siert. Wie dort auch bräuch­te es im Kampf­sport weib­li­che Vor­bil­der, oder?

CHAN LE: Ich wer­de auf jeden Fall wei­ter­hin ver­su­chen, Leu­te zu moti­vie­ren. Zum Bei­spiel mit einer Trai­nings­ses­si­on als Boxin­halt oder so. Vie­le aus mei­ner Com­mu­ni­ty schrei­ben mir, dass sie wegen mir mit Kampf­sport ange­fan­gen haben, ich sie moti­vie­re, am Ball zu blei­ben, und deren Mind­set posi­tiv beein­flusst habe. Das macht mich voll glück­lich. Wenn jemand wegen mir sein Leben ins Posi­ti­ve ver­än­dert, macht mich das stolz und mei­ne Mis­si­on ist accom­plished. (lacht) Ich erin­ne­re mich, dass es in Offen­bach mal einen Vor­fall gab, wo eine Kämp­fe­rin einen sexu­el­len Über­griff abweh­ren konn­te. Sie hat meh­re­re Typen über­wäl­tigt, weil sie es konn­te. Stell dir mal vor, es wür­de mehr Frau­en geben, die die­se Skills haben. Wie vie­le Straf­ta­ten, wie vie­le sexu­el­len Über­grif­fe und im schlimms­ten Fall Ver­ge­wal­ti­gun­gen ver­hin­dert wer­den könn­ten, wenn Frau­en wüss­ten, wie sie sich in so einer Situa­ti­on bes­ser ver­tei­di­gen können.

MZEE​.com​: Kampf­sport wird häu­fig auch als mas­ku­lin defi­niert. In Fil­men wie Rocky oder Creed dreht es sich viel um kör­per­li­che Über­le­gen­heit und männ­li­che Kli­schees. Wie kann man dei­ner Mei­nung nach mit die­sem Kli­schee brechen?

CHAN LE: Es ist tat­säch­lich so, dass ich fast immer die ein­zi­ge Frau im gan­zen Gym bin. Den­noch respek­tiert mich jeder und ich füh­le mich nicht aus­ge­schlos­sen. Dann liegt es ja an den Leu­ten, die die­se Kli­schees haben und nicht an uns selbst.

MZEE​.com​: Ein wei­te­res Kli­schee, das in Hollywood-​Filmen repro­du­ziert wird, ist die Asso­zia­ti­on von asia­tisch gele­se­nen Men­schen mit Kampf­kunst. Ein klas­si­sches Bei­spiel hier­für wäre Jackie Chan oder der Film "Drei Engel für Char­lie". Fin­dest du die­se ste­reo­ty­pi­sche Dar­stel­lung problematisch?

CHAN LE: Ich fin­de es gut, wenn Frau­en in sol­chen Fil­men als Kämp­fe­rin­nen dar­ge­stellt wer­den. Ich habe gera­de erst John Wick gese­hen mit der Toch­ter Aki­ra, die jeden zer­stört hat in die­sem Film. Mich pusht es dann auch immer voll im Trai­ning. Ich wür­de ger­ne mal kurz in so eine Situa­ti­on rein­kom­men, aber mit einem Not­aus­schal­ter. Es wür­de mich ein­fach inter­es­sie­ren, ob ich mich befrei­en und mein Leben ret­ten könn­te. Ich fin­de die Dar­stel­lung mit Asia­tin­nen nicht pro­ble­ma­tisch. Man soll­te das als Moti­va­ti­on neh­men. Sie kann das? Dann kann ich das auch. Das hat doch nichts mit der Her­kunft zu tun.

MZEE​.com​: Mit welchem:welcher Rapper:in wür­dest du ger­ne mal auf rein sport­li­cher Basis in den Ring steigen?

CHAN LE: Also Trai­nings­ses­si­ons und Vlogs dazu sind auf jeden Fall mit Asche geplant, eigent­lich woll­te der Gute auch mal nach Thai­land kommen.

MZEE​.com​: Ich habe schon auf Insta­gram gese­hen, dass ihr con­nec­tet seid.

CHAN LE: Kampf­sport ver­bin­det ein­fach. Man hat direkt eine ganz ande­re Con­nec­tion und ich lie­be das. Um dei­ne vor­he­ri­ge Fra­ge zu ergän­zen: Antho­ny Joshua.

MZEE​.com​: Zum Abschluss wür­de ich gern von dir wis­sen, was Kampf­sport für dich bedeutet.

CHAN LE: Es ist unglaub­lich viel. Um es kurz zusam­men­zu­fas­sen, wür­de ich sagen: eine Tool­box für das gan­ze Leben.

(Malin Teegen)
(Fotos von Niklas Kamp und Ame­ly Metwally)