Juse Ju – Millenium
"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Juse Ju ist einer der wenigen Künstler:innen, bei denen sich die Diskographie an einem roten Faden entlang hangelt. Dazu trägt auch seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Illustrator Wischnick bei. Dieser ist seit "Übertreib nicht deine Rolle" für Juses Artworks verantwortlich. Wenn ich auf das Cover von "Millennium" blicke, entwickelt sich sofort ein Gefühl aus Freude und Melancholie, das vom Rapper soundtechnisch passend untermalt wird.
Juse Ju leitet seine Zeitreise in die 2000er direkt mit einem "Kranich Kick" ein, der mit hoher BPM-Zahl und JusMeister-typischen Battlelines direkt für eine energetische Stimmung sorgt. Der Rapper erzeugt einen Vibe, der mir mein eigenes "Millennium" – diese diffuse Lebensphase in den 2000ern – direkt vors innere Auge führt. Gekonnt lässt der mittlerweile in Berlin lebende Weltenbummler ehrliche Geschichten und Representer-Tracks miteinander verschwimmen. Diese inhaltliche Fusion wird harmonisch untermalt von Beats, die überwiegend von C.O.W. 牛 stammen, aber auch die weiteren Co-Producer wie Cap Kendricks und Enaka liefern wie gewohnt ab. Es sind diese einzelnen Soundelemente und kurzen Zeilen des Rappers wie "Rap ist dumm, ich liebe es – mein Millennium", die in mir Erinnerungen wecken – und das, obwohl unsere Lebenswege eigentlich nichts eint, mal abgesehen von einem sozialwissenschaftlichen Studium. Auch die Gäste wissen zu überzeugen und fühlen sich nicht wie Fremdkörper auf dieser emotionalen Zeitreise an. Ganz egal, ob mit Milli Dance gegen Rechts geschossen wird oder Panik Panzer und Bonzi Stolle beim Autos zerstören helfen. Mit Mädness wird sogar daran erinnert, was eine gute Lebensweise auszeichnet: "Sei kein Mann, sei entspannt."
Es kommt häufiger vor, dass ich meinen eigenen Lebensweg reflektiere und mir Angst um die Zukunft mache. Zum Glück zeichnet Juses Stimme dann ein sprachlich melancholisches Bild passend zum Cover des Albums. Beides verlangt mir immer wieder ein kleines Lächeln ab. Denn "es reicht vorn und hinten nicht", aber "du könntest Model sein in Tokio".
(Alec Weber)