Das deutsche Recht zeichnete über 100 Jahre ein eingleisiges Bild von Sexualität – und zwar ein heteronormatives. Bis 1994 fand sich im Strafgesetzbuch der Paragraph 175, nach dem homosexuelle Handlungen zu ahnden waren, wenngleich sie seit 1969 keine Straftat mehr darstellten. Doch weder ist das Spektrum sexueller Orientierungen mit Hetero- und Homosexualität bereits abgedeckt, noch sind A-, Bi-, Pansexualität oder Transgeschlechtlichkeit in der Gesellschaft gleichermaßen akzeptiert, geschweige denn gleichgestellt. Auch im Rapbusiness dominiert weiterhin eine binäre Sicht auf Sexualität zugunsten von Cis-Männern. Das findet auch Rapperin Finna. Sie bezeichnet sich selbst als pan- und sapiosexuell und löst damit ihre eigene sexuelle Identität bewusst aus einer bipolaren Kategorisierung. In unserem Gespräch zeigt sich Finna von der fehlenden sexuellen Vielfalt im Rap angeödet – und vor allem der fehlenden Realness in puncto Sexualität.
MZEE.com: Du hast auf deinem Instagram-Account am 15. August unter einem Post geschrieben: "Ich bin eine pansexuelle stolze Slut." – Was bedeutet diese sexuelle Orientierung für dich?
Finna: Ich hatte immer das Gefühl, dass ich eine Schublade brauche, in die ich passe und zu der ich mich zugehörig fühle. Irgendwann habe ich festgestellt: Hetero ist es nicht. Also dachte ich lange Zeit: Okay, bin ich halt lesbisch. Bis ich gemerkt habe, dass ich nicht nur auf Cis-, sondern auch auf trans Frauen stehe. Mir ist es auch vollkommen egal, ob jemand non-binary ist. Ich schließe auch Sex mit Männern nicht aus. Den hatte ich in der Vergangenheit auch. Aber oft habe ich festgestellt, dass ich mich außerhalb der Heteronormativität am wohlsten, am safesten und am ehesten davon angezogen fühle. Am Ende hat es "bi" auch nicht richtig beschrieben, "pan" passte da irgendwie am besten für mich.
MZEE.com: Wann bist du erstmals auf den Begriff pansexuell aufmerksam geworden?
Finna: Sehr spät. Vor acht oder neun Jahren, also Anfang 20. Und das Schöne an dem Wort ist, dass es gar nicht von Geschlechtsorganen abhängig ist, sondern es bei Pansexualität eher auf den Vibe und die Connection ankommt.
MZEE.com: Du bezeichnest dich selbst zudem als sapiosexuell. Hinter dem Begriff steckt, dass Menschen sich zum Intellekt einer anderen Person hingezogen fühlen. Welche Denkart findest du attraktiv?
Finna: Ich verbinde Sapiosexualität sehr stark mit Intelligenz, aber gar nicht mit Bildung. Ich beziehe das eher auf eine emotionale Ebene. Intelligenz hat für mich auch nicht unbedingt etwas mit Zugang zu Szenecodes zu tun, es geht wirklich um Empathie und Kommunikation. Fühle ich es? Kann die Person mit mir einfühlsam umgehen und wie redet sie über Sex und Gefühle? Das macht mich wahnsinnig heiß. (lacht)
MZEE.com: Gibt es neben dem Einfühlungsvermögen noch Eigenschaften, die dich sexuell anziehen?
Finna: Ich mag es saugerne, wenn ich das Gefühl habe, dass die andere Person auf eine gewisse Art schlauer ist als ich, wenn sie anders denkt. Es reizt mich, wenn ich von Themen noch nie etwas gehört habe und die Person mich mit ihrer Neugier für Dinge überraschen kann.
MZEE.com: Wann hast du festgestellt, dass du Neugier und Empathie attraktiv findest?
Finna: Ich denke, dass Menschen früh merken, ob etwas passt oder nicht und sie sich mit bestimmten Sachen oder Personen wohlfühlen. Der sexuelle Reiz setzt wahrscheinlich in der Pubertät irgendwann ein und mich hat das Gefühl begleitet, dass Neugier und Empathie Eigenschaften sind, die mich auf eine positive Art ansprechen. Ich merke vor allem, dass das nicht aufhört und ich ständig Neues entdecke, für das ich noch keine Worte habe – außer eben sapio- und pansexuell. Daher bin ich auch gespannt darauf, was ich in zehn Jahren darüber denke. (lacht)
MZEE.com: Hast du ein Beispiel für solche Entdeckungen?
Finna: Vor Kurzem war ich auf einer queeren Sexparty. Das fand ich supercool, weil alle in einem safen Space stressfrei entdecken konnten, was sie so anmacht. Ich habe mir beispielsweise nie Gedanken darüber gemacht, ob es mich heiß macht, wenn ein Mensch im Tutu vor mir steht. Auf der Party dachte ich eben: Ah, hey, cool, dass du da bist. Alle haben im Konsens und mit Respekt miteinander gefeiert.
MZEE.com: Brauchst du Konsens und Respekt, damit du dich sexuell frei ausleben kannst?
Finna: Ich finde nicht, dass man da jetzt einen dicken Konsensvertrag auf den Tisch hauen muss. So nach dem Motto: Das geht, das geht nicht. Einmal bitte hier unterschreiben. Es ist viel angenehmer, immer mal wieder zu fragen, ob die andere Person bestimmte Dinge beim Sex mag. Wenn man ihr erzählt, was einem gerade selbst für ein Experiment vorschwebt, und darüber redet. Wenn man sich also gemeinsam herantastet. Gar nicht unbedingt beim Sex direkt, das geht auch bei einem Film oder beim Kuscheln. Für mich ist Konsens einfach ein viel weitreichenderes Konzept als bloßes Abnicken, das hängt viel mit Sicherheit zusammen. Davon brauche ich viel, damit ich mich locker- und freimachen kann und Bock auf Experimente habe.
MZEE.com: Diese Sicherheit entsteht offenbar in der Interaktion mit anderen Menschen. Kannst du im Austausch mit dir selbst dazu beitragen, dass du dich sicherer fühlst?
Finna: Ich muss eine gewisse Stabilität in mir haben. Ein Gefühl, das mir zeigt: Ich bin nicht auf diesen sexuellen Akt oder diese Person angewiesen. Bei dieser sexuellen Emanzipation hat mir Masturbation viel geholfen, weil ich gemerkt habe, dass ich niemanden brauche, um mich selbst zu befriedigen oder generell glücklich zu machen. Stattdessen kommt das aus mir heraus und alles weitere ist schön und gut.
MZEE.com: Geza Gothe, eine nicht-binäre Person, hat gegenüber dem Onlinemagazin jetzt.de gesagt: "Konsens ist keine komische Pflicht, die man erfüllen muss, um woke zu sein. Dahinter steckt die Freiheit, zu fragen, was die andere Person will, anstatt vorzugeben, dass wir ihre Gedanken lesen können." – Fasst das Zitat deine Auffassung von respektvollem, konsensualem Umgang zusammen?
Finna: Unterschreibe ich. Besonders, weil Konsens häufig als etwas Trockenes dargestellt wird, hier sich aber zeigt, dass es befreiend sein kann, andere zu fragen. Außerdem finde ich an dem Zitat schön, dass es den Mut betont, den man braucht, um zu fragen, da man sich damit verletzlich macht. Schließlich kann die Person abgewiesen werden. Das schafft aber gleichzeitig den Raum für eine Alternative, über die sich Beteiligte austauschen können.
MZEE.com: Du sprichst nicht nur viel über Konsens und Sexualität im Allgemeinen, sondern räumst den Themen auch offen Platz in deiner Musik ein, beispielsweise auf deinem Track "Slutpride" auf dem Album "Zartcore". Wie nimmst du generell den Umgang mit Sexualität in der Rapszene wahr?
Finna: Schwierig. Es wird sich sehr stark auf Männlichkeit fokussiert, sehr patriarchal, sehr hetero. Viele Cis-Frauen werden in der Rapszene schlicht als Objekte dargestellt, die cis-männliche Gelüste bedienen sollen. Unabhängig davon, ob die Rapperinnen das selbstbestimmt und im Einvernehmen machen oder von männlichen Rappern als Selling Point im Video platziert werden. Ich finde das einfach superlangweilig und prüde, weil sexuell nicht wirklich etwas geht. Es gibt leider nichts, was für lesbische, pansexuelle oder trans Menschen gemacht ist. Daher macht mich auch echt wenig davon an.
MZEE.com: Gibt es Rapper:innen, die mit Sexualität queerfreundlich umgehen, sodass du deren Musik und Videogestaltung ansprechend findest?
Finna: Jetzt gerade auf einem guten Weg ist Mariybu, finde ich. Die drängt aber auch immer mehr in den Hyperpop, weil im Rap echt wenig ernsthaft Tacheles über Sex geredet wird. Klar, eine Nicki Minaj schafft es immer wieder, Sexualität anders aufzugreifen. Schwarze Frauen sind meiner Meinung nach ohnehin weit vorne. Ich denke im Deutschrap aber auch an CONNY, der als Typ begriffen hat, dass Feminismus nicht nur FLINTA*-Sache ist. Superschön! Genauso Megaloh, der sich in den letzten Jahren viel reflektiert hat, statt den Kopf einzuziehen und in eine maskuline Kackscheiße abzudriften.
MZEE.com: Female MCs werden häufig in zwei Lager geteilt: Auf der einen Seite stehen etwa Lena Störfaktor oder Die P, die eher für ihre Skills beachtet werden wollen. Und auf der anderen stehen beispielsweise Shirin David, die ihre Sexualität als Selling Point nutzt, oder Eunique, die einmal Brustoperationen verloste.
Finna: Das ist ein spannender Punkt. Natürlich will eine Lena Störfaktor nicht für das cis-männliche Auge sexualisiert werden, aber ich weiß aus zuverlässigen Quellen, dass sie ein Sexsymbol in der Szene ist und viele sie superhot finden, inklusive mir. Aber auch die amerikanische Rapperin Young M.A.: Die ist lesbisch, trägt Baggys und dreht selbst Pornos, explizit nur lesbisch. Das finde ich einfach verdammt sexy. Außerdem ist das real. In Deutschland ist das vergleichbar mit Schwesta Ewa, die einfach von einer Sexualität spricht, die sie als Sexarbeiterin hautnah und authentisch durchlebt hat. Ich bin schlicht kein Fan von Fake – auch beim Sex nicht.
MZEE.com: Dabei geben viele Rapper:innen ständig vor, besonders real zu sein.
Finna: Wahnsinnig schräg. Eigentlich ist gerade das each one teach one-Prinzip das, was Realness in der HipHop-Community überhaupt zulässt und die Musik und die Protagonist:innen nahbar macht. Mir fehlt in der Szene aber die sexuelle Vielfalt. Wo sind die Haare und das Fett am Körper? Mehr "Body's mine"-Attitüde. Stattdessen gehen in Rapvideos alle davon aus, dass ich großbusige oder breitschultrige Kreaturen mit Sixpack sehen will.
MZEE.com: Obwohl du offenbar mit vielen Darstellungen von Sexualität und Körperbildern im Rap nicht einverstanden bist, hast du trotzdem deinen Weg in die HipHop-Szene gefunden. Gab es Künstler:innen, die dich dazu inspiriert haben?
Finna: Auf jeden Fall die queerfeministische Rapperin Sookee und die trans Rapperin FaulenzA. Beide haben einfach die Sachen gemacht, auf die sie Bock hatten, und darauf geschissen, ob das jetzt kommerziell erfolgreich ist. Die konnten mir durch die Auffassung von HipHop den Spaß daran vermitteln. Gleiches gilt für Kobito, alles rund um das Kollektiv Tick Tick Boom hat mich wahnsinnig mitgenommen. Am Ende kommt der Zugang zum Mitmachen aber auch aus anderen Genres. Glitch-Pop von der schottischen trans Künstlerin Sophie fällt mir da ein. Oder Alisa, die unfassbare visuelle Kreationen geschaffen hat und andere, neue Bilder von Körpern zeigen konnte. Dieses sehr kreative Element finde ich dann auch wieder sexy. Am Ende würde ich mir wünschen, dass viel mehr dieser trans Perspektiven in den Rap einfließen. Vielleicht kommt ja irgendwann mal non-binärer Pornorap. (lacht)
(Elias Fischer & Malin Teegen)
(Fotos von Katja Ruge)