"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Vega hat etwa so viele Outros, wie er Alben hat. Und das sind inzwischen deutlich mehr als die zwei, die er 2012 noch zu verbuchen hatte. Dennoch ist es bis heute Konsens in seiner Fangemeinschaft, dass der Closer zum damals erschienenen Album "Vincent" nicht nur sein bestes Outro ist, sondern insgesamt einer der besten Songs, die er je geschrieben hat. Auch für mich ist das so.
Inhaltlich ist der 40 Zeilen starke Song schnell besprochen. Es geht um Loyalität im Freundeskreis, um diejenigen, die diese gebrochen haben, um Eintracht Frankfurt und um die Familie – die typischen Vega-Themen eben. Auch das Motiv des letzten Abends im Herbst aus dem ebenfalls in Fankreisen hoch gehandelten Song "Winter" taucht auf. Aber was das Outro so besonders macht, sind weniger die Dinge, die Vega anspricht, sondern vielmehr, wie er es tut. Dazu gehören zum einen seine Wortwahl und zum anderen die Art und Weise, wie präzise er jedes Wort an genau die Stelle setzt, an die es gehört, um seine maximale Wirkung zu entfalten. So haben sich Zeilen wie "Endlich daheim sein, Ende der Eiszeit – doch Freund zu sein bedeutet, dass man Wände entzwei reißt" und "Zuhaus' ist, wo dein Herz ist, sagt man, und dein Herz ist hier" tief in mein 18-jähriges Gedächtnis eingebrannt. So tief, dass ich heute mit 29 rückblickend sagen kann, dass dieser und weitere Songs, zu denen ich ohne das Outro vielleicht nie Zugang gefunden hätte, vermutlich mein Denken und Handeln bis hierhin beeinflusst haben. Und das so positiv, dass ich hoffentlich mit 40 ein ähnliches Fazit ziehen werde.
Ich werde hin und wieder gefragt, was mich am Werk von Vega so fasziniert. Eines der ersten Beispiele, die ich dafür anführe, ist das Outro vom Album "Vincent", denn es steht repräsentativ für das Gefühl, das seine Musik in mir auslöst. Und scheinbar stehe ich mit dieser Ansicht nicht alleine da, denn noch heute – nach fast elf Jahren – ist das Outro bei Konzerten von Vega der letzte Song, bevor das Licht wieder angeht.
(Michael Collins)