An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzen sich unsere Redakteure Felix und Simon mit dem zunehmend öffentlichkeitswirksamen Auftreten einiger Produzent:innen auseinander.
Es gehört gewissermaßen zum guten Ton eines jeden Rapartists, wenigstens einmal in der Karriere einen richtig schön öffentlich ausgetragenen Streit mit jemandem aus der Szene zu haben. Dabei sollte es auch immer um die großen Themen gehen, aus denen zwischenmenschliche Dramen gestrickt sind: falsche Versprechen, Lügen, Verrat oder Geld. Eine Personengruppe, die man eher weniger mit derartigen Beefs verbindet, sind Produzent:innen – die allermeisten legen viel weniger Wert auf öffentliche Selbstinszenierung als ihr Gegenpart vor dem Mic. Qua ihrer Tätigkeit hinter den Reglern werden sie ohnehin immer ein wenig übersehen. Und das, obwohl der Anteil, den die Produzent:innen am Gelingen eines Songs haben, immer weiter zunimmt, betrachtet man beispielsweise die inzwischen vorhandenen technischen Möglichkeiten zur Stimmmodulierung. Allerdings scheinen auch sie in letzter Zeit verstärkt das teilweise konfliktbeladene Rampenlicht suchen zu müssen.
Die Geschichte um den Streit zwischen den in Deutschland lebenden Producern Gunboi und PVLACE beschreibt diesen Zustand anschaulich. Beide haben durchaus erfolgreich zusammengearbeitet und für national sowie international prominente Artists Beats gebaut. PVLACE schien sogar zeitweise bei dem 808 Mafia Collective aus Atlanta gesignt zu sein und der Kultursender ARTE drehte eine kleine Dokumentation über ihn. Bei beiden läuft es zumindest nach außen hin ganz prächtig. Mitten in diese Scheinidylle platzte Gunboi vor wenigen Wochen mit einigen TikTok-Videos. In diesen behauptet er, PVLACE verkaufe gemeinschaftliche Produktionen nur unter seinem Namen und gäbe sowohl fremde Beats als auch Ideen für Produktionen als die eigenen aus. Das Ganze belegt Gunboi mit Videos und Nachrichten, die ihm auch von anderen Producern in diesem Zusammenhang zugesendet wurden. Die Verbindung zur 808 Mafia scheint ebenfalls nicht so konkret gewesen zu sein wie von PVLACE behauptet. So verneint das Kollektiv, dass er jemals bei ihnen offiziell gesignt war. Der Streit eskalierte in den vergangenen Wochen zunehmend – Drohen mit Anwälten und Video-Löschungen inklusive, wie man es auch bei so manch klassischem Rapbeef erleben konnte.
Neben der Erkenntnis, dass PVLACE kein korrekter Geschäftspartner zu sein scheint, ist das Konglomerat an Umständen interessant, das zu dieser Situation geführt hat. Was hat ihn dazu veranlasst, hinter dem Rücken seiner Geschäftspartner:innen zu agieren und was lässt Gunboi derart öffentlich den Konflikt austragen? Streitigkeiten um geistiges Eigentum und die richtige Aufteilung bezüglich GEMA-Credits bei kreativen Arbeitsprozessen gibt es immer wieder und selten nehmen sie gerade bei Produzent:innen solche Ausmaße an. Einen großen Anteil daran hat vermutlich die veränderte Arbeitsweise und damit einhergehende Wahrnehmung von Producern. Durch die inzwischen niedrigschwelligen Angebote, Musik selbstständig produzieren zu können, den Siegeszug von Rap als inzwischen größtes Musikgenre und in geringerem Maße auch durch "Social Distancing" in den ersten Pandemiemonaten ist in den letzten Jahren eine enorm große Anzahl an guten Produzent:innen aufgetaucht. Zudem sorgt der extrem gestiegene Output an Songs dank Streaming und Social Media für eine dauerhaft hohe Nachfrage nach Beats. Diese Umstände – also ein großes Feld an Konkurent:innen und ohne Pause trendgerechtes Liefernmüssen – erschweren, dass Producer ihren eigenen Trademarksound entwickeln können. Warum muss beispielsweise Flers Hausproduzent Simes bei jedem Song sagen, dass er die "Secret Sauce" hat? Weil sonst niemand erkennen würde, dass es sein Beat ist. Producer-Tags mögen allgemein nichts komplett Neues sein, wie an DJ Drama und DJ Khaled exemplarisch zu sehen ist. Dass sich aber auch in Deutschland so viele Produzent:innen dieses Tricks bedienen, lässt sich erst seit wenigen Jahren beobachten.
Wer also trotz der oben genannten Veränderungen möchte, dass sich auch Artists außerhalb seines Umfelds für Beats an ihn wenden, muss zunehmend auf anderem Wege dafür sorgen, dass sein Name im Gedächtnis bleibt und er aus der Masse heraussticht. Deshalb lohnte es sich für PVLACE so sehr, mit der 808 Mafia assoziiert zu werden und möglichst viele Beats und Ideen als die eigenen zu präsentieren – von den direkten monetären Vorzügen ganz abgesehen. Dabei drängt sich die Vermutung auf, dass auch Gunboi deshalb diesen öffentlichkeitswirksamen Ansatz zur Austragung des Streits gewählt hat. Um anwaltlich Credits zu klären, braucht es kein TikTok-Video. Um alle wissen zu lassen, dass man so gut ist, dass sogar die Kolleg:innen klauen, braucht man es aber umso mehr.
Produzent:innen können sich immer weniger darauf verlassen, dass ihr Sound, ihre spezielle Art zu produzieren, ausreicht, um wahrgenommen zu werden. Sie müssen zunehmend einen Character entwickeln, ihre Eigenständigkeit über den Sound hinaus etablieren, um erkannt zu werden und ihre Kunst verkaufen zu können. Das ist nicht zwangsläufig eine negative Entwicklung. Dass Produzent:innen mehr Ruhm abgreifen, ist längst überfällig. Ob sich das musikalisch und finanziell lohnt, bleibt abzuwarten.
(Simon Back & Fejoso)
(Grafik von Daniel Fersch)