Oft wird Rapper:innen auch abseits der Lyrics eine Nähe zum kriminellen Milieu nachgesagt. Nicht umsonst, denn einige von ihnen zeigen sich seit jeher fast schon als Botschafter verschiedenster Gangs und geraten nicht selten selbst mit dem Gesetz in Konflikt. So müssen sich beispielsweise Young Thug und sein Label Young Slime Life seit Mai diesen Jahres in einem Verfahren mit 56 Anklagepunkten verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, enge Verbindungen zu einer kriminellen Organisation zu pflegen und diese in ihren Texten zu representen. Damit sind sie kein Einzelfall, denn schon früh in der HipHop-Historie gab es Rapper:innen mit kriminellem Hintergrund. Aber warum geht es im HipHop eigentlich so oft um Kriminalität? Und welchen Einfluss hatten Gangmitglieder in der Vergangenheit auf das HipHop-Business?
Crips & Bloods – wie die zwei bekanntesten Gangs entstanden
Bedingt durch strukturellen Rassismus und eine ohnehin schon schlechte wirtschaftliche Lage sind die Zustände während der 60er Jahre in vielen sozial schwachen Vierteln wie South Central Los Angeles mehr als prekär. Die überwiegend afroamerikanischen Bewohner:innen dieser Viertel beginnen, sich in kleinen Straßenbanden zusammenzufinden, um sich vor der vorherrschenden Gewalt – vor allem durch die Polizei – schützen zu können. So auch Raymond Lee Washington. Dieser wird 1953 in Los Angeles geboren und erlebt schon in seiner frühesten Kindheit Gewalt und Armut. Bereits in jungen Jahren wird er von mehreren Schulen verwiesen und ist als aggressiver Schläger bekannt. Fasziniert vom Zusammenhalt innerhalb der Black Panther-Bewegung – einer sehr einflussreichen, antirassistischen, afroamerikanischen Organisation – sucht Washington ebendiesen mit gerade mal 15 Jahren in einer örtlichen Gang, den "Avenues". Allerdings verlässt er diese wegen eines Streits mit dem Anführer recht schnell wieder und gründet seine eigene Gang, die "Baby Avenues" – so benannt aufgrund ihres jungen Alters. Diese wächst mit der Zeit und gewinnt einiges an Reputation auf den Straßen, bis Washington im Jahr 1969 auf Stanley Tookie Williams – ebenfalls ein Gangleader mit großem Gewaltpotenzial – trifft und sie beschließen, ihre Gangs zu vereinen. So gründen sie gemeinsam die "Crips". Der Name ist eine Abwandlung des Wortes "crib" ( zudeutsch "Krippe"), welches sie ebenfalls aufgrund ihres jungen Alters wählen, denn die meisten Mitglieder sind nicht einmal 18 Jahre alt. Zu dieser Zeit entwickeln die Crips auch einen eigenen Kleidungsstil als Erkennungszeichen. Das heute bekannteste modische Merkmal ist die Farbe Blau.
Zwar tragen Gangs bereits eine gewisse kriminelle Energie in sich und sind oft gewalttätig, jedoch haben sie noch eine wirkliche Schutzfunktion, halten zum Beispiel Drogendealer und Einbrecher von ihren Vierteln fern, starten sogar Straßenreinigungsaktionen. Jedoch gibt es für junge, Schwarze Männer in dieser Zeit wenige Perspektiven und so verfallen viele Mitglieder der stetig wachsenden Crips der Kriminalität. Im März 1971 geschieht dann der erste mit den Crips assoziierte Mord.
Seitdem entwickeln sich die Crips zur vorherrschenden Macht auf den Straßen von Los Angeles. Nur noch vereinzelte Gangs und Jugendliche ohne Gang-Zugehörigkeit weigern sich, sich ihnen anzuschließen. So zum Beispiel Sylvester Scott and Benson Owens. Als Raymond Washington die beiden zum Übertritt zu den Crips überreden will, kommt es zum Streit und Washington greift die beiden mit seinen Gang-Kollegen an. In Folge dessen gründen die beiden die "Pirus". Viele der Nicht-Crip-Mitglieder nennen sich zu diesem Zeitpunkt "Blood" und so wird diese Redensart in einer Gang, die als Gegenbewegung zu den Crips gegründet wird, natürlich schnell übernommen.
Währenddessen nehmen die Gewalttaten durch Mitglieder der Crips immer weiter zu. Im März 1972 wird ein Jugendlicher von 20 Crips totgeschlagen. Der Fall erhält landesweit Medien-Präsenz und zum ersten Mal wird auch die Öffentlichkeit auf die Gang aufmerksam. Kaum drei Monate später geschieht ein weiterer Mord durch die Crips. Dieses Mal trifft es allerdings das Mitglied einer anderen Gang. So schließen sich die Pirus, welche sich nun noch mehr bedroht fühlen, mit anderen Straßenbanden zusammen, um eine Allianz gegen die vorherrschenden Crips zu bilden: Die "Bloods" sind geboren. Da sie als Gegenbewegung zu den Crips agieren, wählen sie in ihrem Kleidungsstil die Farbe Rot, um sich abzugrenzen. Weil sie trotz ihres Zusammenschlusses zahlentechnisch unterlegen sind, greifen die Mitglieder der Bloods zu brutaler Gewalt, um sich Territorien zu erkämpfen. So entbrennt der wohl bekannteste Straßenkrieg der Welt, welcher bis heute anhält. Besonders die Crack-Epidemie in den frühen 80er Jahren bietet Straßengangs zwar eine lukrative Einnahmequelle, allerdings wachsen damit auch die Rivalitäten. Mit dem Einsturz des Kokainpreises gegen Ende der 70er bieten Dealer:innen eine rauchbare Variante ihrer Ware an: Crack. Dies macht um einiges schneller abhängig und der Rausch hält nur sehr kurz an, sodass Kunden oft mehrmals am Tag für Nachschub sorgen müssen und damit die Kassen der Dealer:innen füllen. Diese kämpfen dann wiederum um Territorien und Verkaufsspots. Unter anderem steigt deshalb im Jahr 1980 die Mordquote in Los Angeles um knapp 50 Prozent. Viele der Morde geschehen an Gang-Mitgliedern und auch durch diese, welche daraufhin inhaftiert werden. Durch fast schon missionarische Arbeit der inhaftieren Gangmember verbreiten sich die beiden Gruppierungen schnell über die gesamten Vereinigten Staaten. Heutzutage verfügen die Crips über mehr als 30 000 und die Bloods über knapp 20 000 Mitglieder im ganzen Land.
Wie finden Kriminalität und Gang-Kultur ihren Weg zum Rap?
Da Gangs ganz besonders in sozialen Brennpunkten aktiv sind und die HipHop-Kultur aus ebenjenen stammt, finden sich im Verlauf der HipHop-Historie auch zahlreiche Schnittpunkte. Zwar entsteht HipHop in den Armenvierteln von New York, jedoch hat er in seinen Ursprüngen nichts mit Kriminalität zu tun. Ganz im Gegenteil, denn die "Back 2 School Jam" im Jahr 1973 sollte Geld für Schulutensilien einbringen und Kool DJ Herc hat sogar oft vor dem Gangleben gewarnt. Nichtsdestotrotz ist bereits ein anderer Urvater der HipHop-Kultur ein Gang-Mitglied. So ist Afrikaa Bambaataa ein hochrangiger Offizier der "Black Spades" – einer Straßengang, welche trotz krimineller Aktivitäten zu dieser Zeit noch mehr als Bürgerwehr wahrgenommen werden kann. In einem Interview macht Kool DJ Herc die Gang sogar weitestgehend für die Verbreitung von HipHop verantwortlich, da diese Musik mit Mitgliedern aus anderen Bezirken und Städten austauschen. Somit ist Rap eine gewisse Verbindung zur Gang-Kultur quasi in die Wiege gelegt worden.
HipHop war von Anfang an sehr politisch und will auf Missstände aufmerksam machen, jedoch wird in den Lyrics so gut wie nie explizit von Waffen, Drogen und Kriminalität – welche mit ebendiesen Missständen einhergehen – erzählt. Dies ändert sich ganz besonders mit einem Protagonisten: Schoolly D. Im Jahr 1985 releast der aus Philadelphia stammende Rapper den Song "P.S.K. What does it mean?". P.S.K. steht dabei für Park Side Killas, zu welchen Schoolly damals zählt. Damit repräsentiert ein Rapper erstmals ganz offen eine Gang und den Lifestyle als Hustler. Dies inspiriert eine ganze Reihe weiterer Rapper:innen, ganz unverblümt von ihren Erlebnissen auf der Straße zu erzählen. Allen voran L.A. Rapper Ice-T, der oft als Erfinder des "Gangsterrap" angeführt wird und eng mit den Crips verbandelt ist. Er releast am 28. Juli 1987 sein Debütalbum "Rhyme Pays" – die erste Platte, die den bekannten "parental advisory"-Aufkleber trägt. Besonders der darauf enthaltene Track "6 'n the Mornin'" soll eine Blaupause für Gangsterrap werden. Der Song beginnt mit den Zeilen: "6 'n the mornin' police at my door. Fresh Adidas squeak across the bathroom floor. Out the back window, I make an escape. Don't even get a chance to grab my old school tape." Und weiter: "Fuckin' blue lights, L.A.P.D. pigs searched our car, their day was made. Found an uzi, 44 and a hand granade. Threw us in the county high power block. No freaks to see, no beats to rock." So direkt berichtet bis dato kein anderer Rapper über das Leben als Krimineller. In etwa zeitgleich mit "Rhyme Pays" erscheint auch "Criminal Minded" von Boogie Down Productions – der Crew aus Brooklyn um KRS-One. Abgesehen vom einschlägigen Namen finden sich auf der Platte Songs wie "9 mm Goes Bang", auf dem KRS-One davon erzählt, wie er einen Crack-Dealer und seine Gang in Notwehr erschießt. Darüber hinaus ist "Criminal Minded" das erste HipHop-Plattencover, das Schusswaffen zeigt. Dies birgt eine traurige Ironie, denn kurz nach dem Release des Albums wird Scott La Rock, der DJ der Gruppe, nach einem Streit in den Project Blocks der South Bronx erschossen. Dies ist das vielleicht erste Mal, dass die Brutalität der Straße die HipHop-Szene so direkt trifft. Danach ändert sich der Stil von Boogie Down Productions und die Lyrics von KRS-One. Viel öfter werden nun positive Werte vermittelt und vom Leben als Krimineller abgeraten.
Der absolute Durchbruch für Gangsterrap ist aber "Straight Outta Compton" von N.W.A. aus dem Jahr 1988. Das Album zeichnet nicht nur ein ungeschöntes Bild des Lebens in Compton und hat mit Eazy-E einen kredibilen Kriminellen mit Verbindungen zu den Crips, sondern kann auch extremen kommerziellen Erfolg verbuchen. So ist es das erste Gangsterrap-Top Ten-Album und bringt das Phänomen erstmals an die breite Masse. Das Rolling Stone Magazine beschreibt das Album abschließend mit: "Wallows in gangs, doping, drive-by shootings, brutal sexism, cop slamming and racism." Somit wird es auch im Mainstream salonfähig, als Rapper explizit vom Gangleben zu reden und dieses gar zu glorifizieren, was natürlich den Weg für den Erfolg einer ganze Riege an Rappern wie beispielsweise Kool G Rap, Slick Rick und EPMD ebnet.
Haben Gangs also direkten Einfluss auf die Rap-Szene?
Zwar gibt es in den späten 80ern bereits einige Rapper:innen mit krimineller Vorgeschichte, die auch von dieser berichten oder nach wie vor Probleme mit dem Gesetz haben, jedoch gibt es bis heute keine Person, die so viel kriminelle Energie in die HipHop-Szene bringt und sie damit nachhaltig prägt, wie Marion Hugh "Suge" Knight. Dieser wurde am 19. April 1965 in Los Angeles, Compton – einem Hotspot der Bloods – geboren und hatte in seiner frühen Jugend wenig mit Gangs und Kriminalität zu tun. Er erhielt sogar ein Sport-Stipendium als Football-Spieler, verließ Compton und schaffte es letztendlich zum Profi. Auf dem Spielfeld zeigte er große Aggressivität, welche sich leider auch auf sein Privatleben übertrug. So griff er sogar seine damalige Freundin an und schnitt ihr auf offener Straße die Haare ab. Für diese und andere Straftaten – unter anderem versuchten Mord – erhielt er im Oktober des Jahres 1987 lediglich eine mehrjährige Bewährungsstrafe. Darüber hinaus verlor er auch seinen Spielervertrag und kehrte zurück nach Compton, wo der Großteil seines alten Umfelds in die Gang-Kriminalität abgerutscht war. Darum ist er gleich bei seiner Rückkehr sehr gut mit den örtlichen Piru Bloods vernetzt, welche die ursprüngliche Gruppe repräsentieren und als besonders brutal gelten. Zurück in Compton schlägt er sich im Nachtleben als Türsteher durch und wird der Bodyguard des Sängers Bobby Brown. Er erhält erstmals Einblick in die Musikbranche und beschließt im Jahre 1989, selbst Künstler:innen zu managen. Zu diesen zählen Namen wie Mary J. Blige und Chocolate. Letzterer soll am Welthit "Ice Ice Baby" von Vanilla Ice mitgewirkt, allerdings nie eine Bezahlung erhalten haben. Angeblich lauert Suge Vanilla Ice mehrere Male in Begleitung von einigen Blood-Schlägern auf, um diesen zu konfrontieren und einzuschüchtern. Dies soll darin gegipfelt sein, dass Suge und seine Begleiter den Rapper an den Fußgelenken festhalten und ihn vom Balkon eines Hotelzimmers hängen lassen, um ihn zur Unterschrift einer Rechteabtretung zu bewegen. So macht er sich einen Namen als erbarmungsloser und brutaler "Problemlöser" mit weitreichenden Kontakten.
Ebendieser Ruf eilt ihm bereits voraus, als er Ende der 80er Jahre auf Dr. Dre trifft, der gerade in einem Clinch mit seinem Label Ruthless Records und dessen Inhaber Eazy-E steht. Dre bittet Suge, der schon Erfahrung mit unterbezahlten Künstler:innen hat, seine Verträge zu prüfen. Nachdem Suge entdeckt, dass Dre kaum Geld an seinen eigenen Platten verdienen soll, versucht er, den Vertrag aufzulösen. Eazy-E, dem ganz bewusst ist, wie wertvoll Dre für sein Label ist, weigert sich allerdings, ihn gehen zu lassen. Als Suge davon hört, wird Eazy-E unter falschen Vorwänden in ein Studio gelockt und dort von Suge und seiner Entourage bedrängt. Erst als Suge Eazy-Es Familie bedroht, gibt dieser nach. Zwar gibt es auch andere Aussagen zu diesen Ereignissen, Fakt ist allerdings, dass die Verträge aufgelöst wurden.
Daraufhin beschließen Dre und Suge, ein gemeinsames Label zu gründen. Zu dieser Zeit ist Dr. Dre der wohl beste Produzent im US-HipHop und mit seinem G-Funk-Sound fast ein Hitgarant. Darüber hinaus verfügt Suge Knight über gute Kontakte, sowohl im Musikbusiness als auch im kriminellen Milieu, und ist fest entschlossen, beides auf ein neues Level zu heben. So besucht er zu Beginn der 90er Jahre Michael "Harry-O" Harris im Gefängnis. Dieser ist kein gewöhnlicher Insasse, sondern einer der größten Drogendealer der damaligen Zeit, dessen Verkaufsnetzwerk zeitweise 2 Millionen Dollar am Tag umgesetzt hat. Er soll unter anderem mit Manuel Noriega – Ex-Diktator von Panama, der tief in den internationalen Kokainhandel verstrickt war – persönlich Geschäfte gemacht haben. Durch seine Investitionen in legale Unternehmen konnte er auch in der Unterhaltungsindustrie Fuß fassen und produzierte sogar einen Independent-Film mit Denzel Washington in der Hauptrolle. Somit kann er Suges Vorhaben auf mehreren Ebenen unterstützen und soll Teilhaber am neuen Label werden. Er überredet ihn, knapp 1,5 Millionen Dollar zu investieren. Somit wird die Gründung eines der heute bekanntesten Rap-Labels der Welt, Death Row Records, durch Drogengeld finanziert. Dies ist darüber hinaus auf geschäftlicher Ebene das erste Mal, dass Kriminelle einen so direkten Einfluss auf die HipHop-Kultur nehmen. Auch wächst das kriminelle Umfeld um das Label herum. So sind einige der Acts wie Snoop Dogg selbst Mitglieder von Gangs – in diesem Fall sogar den Crips, welche mit den mit Suge Knight assoziierten Bloods verfeindet sind. Snoop wird kurz nach dem Erscheinen seines ersten Albums 1993 sogar des Mordes beschuldigt. Des Weiteren holt Suge Knight immer mehr Gangmitglieder ins Umfeld des Labels, um sich vor Angreifer:innen zu schützen.
Im Jahr 1995 wird dann Tupac Shakur verhaftet. Die Kaution für den Rapper auf der Höhe seines Schaffens beträgt ganze 1,4 Millionen Dollar. Suge sieht seine Chance und verspricht 2Pac, die Kaution zu zahlen, sofern er bei ihm signen würde. Auch 2Pac sieht in Suge eine Chance, denn mittlerweile bahnt sich der bekannte East- gegen Westcoast-Konflikt an. Was darauf folgt, ist der wohl legendärste HipHop-Beef der Geschichte. Als The Notorious B.I.G. den Song "Who Shot Ya?" releast, sieht 2Pac dies als Anspielung auf einen Anschlag auf ihn im vorangegangenen Jahr. Daraufhin greift Suge Knight die gesamte Bad Boy Records-Crew rund um Biggie auf der Bühne der Source Awards verbal an. Aus Angst vor Suge und seinen Blood-Verbindungen heuern Puff Daddy und Bad Boy Records die Southside Crips an, um ihren Schutz zu gewährleisten. Da die Crips eine mittlerweile Jahrzehnte lange Fehde mit den Piru Bloods – der ersten Blood-Gang, mit der Suge Knight eng verbunden ist – austragen, schüttet Bad Boy damit noch mehr Öl ins Feuer. Im September 1995 wird dann der Death Row-Angestellte und Blood-Mitglied Jake Robles erschossen. Verdächtigt wird ein Bad Boy Records-Angestellter. Einen Monat später wird dann 2Pac aus dem Gefängnis entlassen und releast den vielleicht bekanntesten Diss-Song der Welt: "Hit Em Up". Daraufhin folgen mehrere Ausschreitungen zwischen Mitgliedern von Death Row Records und Bad Boy Records – den Bloods und den Crips. Die Auseinandersetzung findet ihren Höhepunkt, als 2Pac und seine Entourage am 13. September 1996 bei einem Boxkampf in Las Vegas ein Crip-Member angreifen. Später am selben Abend werden Suge Knight und Tupac Shakur in ihrem Wagen von mehreren Kugeln getroffen. Tragischerweise wird 2Pac diesen Anschlag nicht überleben. Nur drei Monate später wird auch sein Kontrahent The Notorious B.I.G. nach einer Party erschossen. In beiden Fällen ist der Täter bis heute offiziell unbekannt.
Dieses Ereignis veränderte die HipHop-Szene für immer. Denn ursprünglich sollten in Rap-Battles Streitigkeiten ausgetragen werden, die sonst zu Gewalt geführt hätten. In diesem Fall eskaliert aber ein Konflikt, der als Rap-Battle beginnt und in einer gewalttätigen Auseinandersetzung endet. Nichtsdestotrotz kopieren viele Kriminelle das System von Suge Knight und bieten Rapper:innen ihre Unterstützung auf der Straße an, um deren Konflikte aus dem Weg zu räumen und ihnen Narrenfreiheit bei ihren Texten zu geben.
Welche Rolle spielt Rap in der Gang-Kultur?
Im Laufe der Zeit gewinnen verschiedene kriminelle Organisationen wie die Crips und die Bloods immer mehr Einfluss auf die HipHop-Szene und schon bald gibt es so gut wie keine US-Rapper:innen, welche nicht in irgendeiner Form mit Gangs in Verbindung stehen. Denn auch für Kriminelle bietet die Musikindustrie interessante Möglichkeiten, abgesehen von Schutzgeld von Rappern:innen zu beziehen. So etablieren sich Demetrius "Big Meech" Flenory und Terry "Southwest T" Flenory aus Detroit Anfang der 2000er Jahre mit ihrer Promotion-Agentur und Plattenfirma BMF Entertainment. Benannt nach der Black Mafia Family, einer kriminellen Organisation, die die Brüder 1985 gegründet hatten. Sie arbeiten mit vielen Superstars der damaligen Zeit, wie beispielsweise Diddy, Trina, T.I. und Fabolous, vor allem aber Young Jeezy zusammen. Der einzige jemals direkt auf dem Label gesignte Rapper ist allerdings Bleu Davinci. Das mehrere Jahre lang nach außen erfolgreiche Unternehmen bricht im Jahr 2005 in sich zusammen. Die Brüder Flenory werden verhaftet und es wird bekannt, dass BMF Entertainment lediglich eine Scheinfirma zur Geldwäsche ist. Die beiden hatten gemeinsam mit ihrer Gang in den Jahren vor der Gründung des Labels eines der größten Drogennetzwerke des Staates Michigan aufgebaut und verkauften täglich mehrere Kilo Kokain. Sie sollen bis zu ihrer Verhaftung knapp 230 Millionen Dollar auf illegalem Wege verdient haben, welche sie mit BMF Entertainment sauber waschen wollten. Im Jahr 2021 erscheint mit "BMF" eine Serie über die damaligen Ereignisse, produziert von niemand Geringerem als 50 Cent. Ebenfalls im Jahr 2005 wurde der Murda Inc.-Mitbegründer Irving Gotti festgenommen. Er soll circa eine Million Dollar für seinen Beschützer gewaschen haben, den Gangsterboss Kenneth "Supreme" McGriff. Dieser gilt als Anführer der "Supreme Team"-Gang, welche schon 1994 auf "Illmatic" Erwähnung findet. Darüber hinaus sind sie laut der Polizei für den Anschlag auf 50 Cent im Jahr 2000 verantwortlich und angeblich auch in den Tod von Jam Master Jay verwickelt. Irving Gotti wird später jedoch auf freien Fuß gesetzt. Im Jahr 2007 wird Supreme dann zu lebenslanger Haft verurteilt. Er gab im Jahr 2001 den Auftrag zum Mord am Rapper E-Moneybags – welcher 2 Jahre zuvor einen Freund von Supreme getötet hatte – und zahlte 50.000 Dollar an die Täter.
Teilweise benutzen Gangs aber auch Rapper:innen als "Testimonial". Sie bieten einem:einer Rapper:in Schutz gegen Konkurrenten und demonstrieren ihre Macht auf den Straßen. So bildet sich ein Mythos um ebendiese Gangs und lockt Jugendliche, welche Mitglied werden wollen, an. Das wohl plakativste Beispiel für einen solchen Fall ist Tekashi 6ix9ine. Dieser präsentiert sich im Jahr 2017 im Video zu seinem Durchbruch "GUMMO" mit Mitgliedern und Symbolik der Nine Trey Gangster Bloods, einer als besonders brutal geltenden Gang aus New York. Und das, obwohl er zu Beginn seiner Karriere eher den Crips zugeordnet werden konnte. Er wird zur Galionsfigur der Gang und repräsentiert diese über den gesamten Globus, wodurch sie natürlich viele Anhänger:innen gewinnt. Tekashi, welcher selbst mehrfach wegen verschiedener Straftaten verurteilt wurde, beginnt Streitigkeiten mit vielen Rapper:innen und lässt diese dann von seiner Entourage aus dem Weg räumen. So ordnet er im Jahr 2018 für 20.000 Dollar einen Anschlag auf den Chicagoer Chief Keef an, bei dem dieser glücklicherweise nicht verletzt wird. Im selben Jahr noch wird Tekashi selbst überfallen und gekidnappt, kann allerdings seinen Angreifern entkommen. Später stellt sich heraus, dass es sich um Mitglieder der Nine Trey Gangster Bloods handelt – der Gang, die er stetig repräsentierte und ihm Narrenfreiheit bot. Angeblich hat die Führungsriege rund um Mel Murda, einem der Anführer der Nine Trey Bloods, genug von seinem aggressiven Auftreten und will ihm daher einen Denkzettel verpassen. Als Tekashi 2019 gemeinsam mit der gesamten Gang in einem RICO-Verfahren angeklagt wird, entschließt er sich, gegen alle Nine Trey Bloods auszusagen, und wird zum Kronzeugen. Dies tut er, um einer Strafe zu entgehen, denn bei einem RICO-Verfahren werden vereinfacht gesagt alle Mitglieder einer Organisation für die Straftaten Einzelner angeklagt. Darum nennt man das entsprechende Gesetz auch den "Mafia Paragraphen".
Mel Murda ist ein Paradebeispiel dafür, wie eng die HipHop- und Gang-Kultur in den Vereinigten Staaten miteinander verbunden sind, denn bereits zu Beginn der 2000er Jahre war er zusammen mit Jim Jones in der Rapcrew "Byrd Gang". Mel Murda – oder Mel Matrix, wie er sich damals nannte – war bereits ein hochrangiges Gangmitglied und hat schon damals als "Mann im Hintergrund" bei der legendären Dipset-Crew agiert. Im Verlauf der Gerichtsverhandlung rund um Tekashi 6ix9ine wird dann die Aufnahme eines Telefonats geleakt, welche ein Gespräch zwischen Mel und Jones enthält. In diesem lässt Jim Jones verlauten, dass Tekashi niemals ein echtes Mitglied der Bloods war. Außerdem erklärt Mel, er wolle ihn "super duper" misshandeln. Cam'Ron – ebenfalls ein ehemaliges Dipset-Mitglied – schreibt 2020 sogar einen Brief an den Richter des Falls, um für einen der Angeklagten zu bürgen.
All diese Ereignisse zeigen, wie tief Gangs und Kriminelle im HipHop verankert sind. Sie haben sich früh ihren Weg in die Szene gebahnt, dort viel Geld verdient und teils großen Schaden hinterlassen. Der aktuelle RICO-Fall um Young Thug und die Slime Gang zeigt erneut, dass auch heutzutage noch kriminelle Strukturen von Teilen der HipHop-Szene getragen werden. So werden 27 Mitglieder von Young Thugs Label Young Slime Gang verschiedener Straftaten – unter anderem Mord und Drogenhandel – und einer "Affiliation with the national Bloods Gang" beschuldigt. Selbstverständlich werden diese Anklagepunkte nicht aus der Luft gegriffen sein, nichtsdestotrotz bedeutet das natürlich nicht, dass die HipHop-Kultur von Grund auf kriminell oder mit der Gang-Kultur gleichzusetzen ist. In dem gerade erwähnten Fall scheint genau das zu geschehen, denn hier werden Rap-Lyrics als Beweise angeführt und Rap-Crew- mit Gangsymbolen verwechselt. Dies beweist tatsächlich, wie oft der Rap-Szene mehr Kriminalität angedichtet wird, als dort ohnehin schon vorhanden ist.
(Nico Maturo)
(Grafik von Daniel Fersch)