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Reportage

Crime Pays – über US-​Rap und Gang-Kriminalität

Kri­mi­na­li­tät ist in der US-​amerikanischen Rap-​Historie qua­si all­ge­gen­wär­tig, sowohl in den Lyrics als auch hin­ter den Kulis­sen. Aber war­um ist das eigent­lich so? Und wel­chen Ein­fluss hat­ten Gangs auf die HipHop-​Historie? Über kri­mi­nel­le Rapper:innen und Gangs im ame­ri­ka­ni­schen HipHop-Business.

Oft wird Rapper:innen auch abseits der Lyrics eine Nähe zum kri­mi­nel­len Milieu nach­ge­sagt. Nicht umsonst, denn eini­ge von ihnen zei­gen sich seit jeher fast schon als Bot­schaf­ter ver­schie­dens­ter Gangs und gera­ten nicht sel­ten selbst mit dem Gesetz in Kon­flikt. So müs­sen sich bei­spiels­wei­se Young Thug und sein Label Young Slime Life seit Mai die­sen Jah­res in einem Ver­fah­ren mit 56 Ankla­ge­punk­ten ver­ant­wor­ten. Ihnen wird vor­ge­wor­fen, enge Ver­bin­dun­gen zu einer kri­mi­nel­len Orga­ni­sa­ti­on zu pfle­gen und die­se in ihren Tex­ten zu repre­sen­ten. Damit sind sie kein Ein­zel­fall, denn schon früh in der HipHop-​Historie gab es Rapper:innen mit kri­mi­nel­lem Hin­ter­grund. Aber war­um geht es im Hip­Hop eigent­lich so oft um Kri­mi­na­li­tät? Und wel­chen Ein­fluss hat­ten Gang­mit­glie­der in der Ver­gan­gen­heit auf das HipHop-Business?

 

Crips & Bloods – wie die zwei bekann­tes­ten Gangs entstanden

Bedingt durch struk­tu­rel­len Ras­sis­mus und eine ohne­hin schon schlech­te wirt­schaft­li­che Lage sind die Zustän­de wäh­rend der 60er Jah­re in vie­len sozi­al schwa­chen Vier­teln wie South Cen­tral Los Ange­les mehr als pre­kär. Die über­wie­gend afro­ame­ri­ka­ni­schen Bewohner:innen die­ser Vier­tel begin­nen, sich in klei­nen Stra­ßen­ban­den zusam­men­zu­fin­den, um sich vor der vor­herr­schen­den Gewalt – vor allem durch die Poli­zei – schüt­zen zu kön­nen. So auch Ray­mond Lee Washing­ton. Die­ser wird 1953 in Los Ange­les gebo­ren und erlebt schon in sei­ner frü­hes­ten Kind­heit Gewalt und Armut. Bereits in jun­gen Jah­ren wird er von meh­re­ren Schu­len ver­wie­sen und ist als aggres­si­ver Schlä­ger bekannt. Fas­zi­niert vom Zusam­men­halt inner­halb der Black Panther-​Bewegung – einer sehr ein­fluss­rei­chen, anti­ras­sis­ti­schen, afro­ame­ri­ka­ni­schen Orga­ni­sa­ti­on – sucht Washing­ton eben­die­sen mit gera­de mal 15 Jah­ren in einer ört­li­chen Gang, den "Ave­nues". Aller­dings ver­lässt er die­se wegen eines Streits mit dem Anfüh­rer recht schnell wie­der und grün­det sei­ne eige­ne Gang, die "Baby Ave­nues" – so benannt auf­grund ihres jun­gen Alters. Die­se wächst mit der Zeit und gewinnt eini­ges an Repu­ta­ti­on auf den Stra­ßen, bis Washing­ton im Jahr 1969 auf Stan­ley Too­kie Wil­liams – eben­falls ein Gan­glea­der mit gro­ßem Gewalt­po­ten­zi­al – trifft und sie beschlie­ßen, ihre Gangs zu ver­ei­nen. So grün­den sie gemein­sam die "Crips". Der Name ist eine Abwand­lung des Wor­tes "crib" ( zudeutsch "Krip­pe"), wel­ches sie eben­falls auf­grund ihres jun­gen Alters wäh­len, denn die meis­ten Mit­glie­der sind nicht ein­mal 18 Jah­re alt. Zu die­ser Zeit ent­wi­ckeln die Crips auch einen eige­nen Klei­dungs­stil als Erken­nungs­zei­chen. Das heu­te bekann­tes­te modi­sche Merk­mal ist die Far­be Blau.

Zwar tra­gen Gangs bereits eine gewis­se kri­mi­nel­le Ener­gie in sich und sind oft gewalt­tä­tig, jedoch haben sie noch eine wirk­li­che Schutz­funk­ti­on, hal­ten zum Bei­spiel Dro­gen­dea­ler und Ein­bre­cher von ihren Vier­teln fern, star­ten sogar Stra­ßen­rei­ni­gungs­ak­tio­nen. Jedoch gibt es für jun­ge, Schwar­ze Män­ner in die­ser Zeit weni­ge Per­spek­ti­ven und so ver­fal­len vie­le Mit­glie­der der ste­tig wach­sen­den Crips der Kri­mi­na­li­tät. Im März 1971 geschieht dann der ers­te mit den Crips asso­zi­ier­te Mord.

Seit­dem ent­wi­ckeln sich die Crips zur vor­herr­schen­den Macht auf den Stra­ßen von Los Ange­les. Nur noch ver­ein­zel­te Gangs und Jugend­li­che ohne Gang-​Zugehörigkeit wei­gern sich, sich ihnen anzu­schlie­ßen. So zum Bei­spiel Syl­ves­ter Scott and Ben­son Owens. Als Ray­mond Washing­ton die bei­den zum Über­tritt zu den Crips über­re­den will, kommt es zum Streit und Washing­ton greift die bei­den mit sei­nen Gang-​Kollegen an. In Fol­ge des­sen grün­den die bei­den die "Pirus". Vie­le der Nicht-​Crip-​Mitglieder nen­nen sich zu die­sem Zeit­punkt "Blood" und so wird die­se Redens­art in einer Gang, die als Gegen­be­we­gung zu den Crips gegrün­det wird, natür­lich schnell übernommen.

Wäh­rend­des­sen neh­men die Gewalt­ta­ten durch Mit­glie­der der Crips immer wei­ter zu. Im März 1972 wird ein Jugend­li­cher von 20 Crips tot­ge­schla­gen. Der Fall erhält lan­des­weit Medien-​Präsenz und zum ers­ten Mal wird auch die Öffent­lich­keit auf die Gang auf­merk­sam. Kaum drei Mona­te spä­ter geschieht ein wei­te­rer Mord durch die Crips. Die­ses Mal trifft es aller­dings das Mit­glied einer ande­ren Gang. So schlie­ßen sich die Pirus, wel­che sich nun noch mehr bedroht füh­len, mit ande­ren Stra­ßen­ban­den zusam­men, um eine Alli­anz gegen die vor­herr­schen­den Crips zu bil­den: Die "Bloods" sind gebo­ren. Da sie als Gegen­be­we­gung zu den Crips agie­ren, wäh­len sie in ihrem Klei­dungs­stil die Far­be Rot, um sich abzu­gren­zen. Weil sie trotz ihres Zusam­men­schlus­ses zah­len­tech­nisch unter­le­gen sind, grei­fen die Mit­glie­der der Bloods zu bru­ta­ler Gewalt, um sich Ter­ri­to­ri­en zu erkämp­fen. So ent­brennt der wohl bekann­tes­te Stra­ßen­krieg der Welt, wel­cher bis heu­te anhält. Beson­ders die Crack-​Epidemie in den frü­hen 80er Jah­ren bie­tet Stra­ßen­gangs zwar eine lukra­ti­ve Ein­nah­me­quel­le, aller­dings wach­sen damit auch die Riva­li­tä­ten. Mit dem Ein­sturz des Koka­in­prei­ses gegen Ende der 70er bie­ten Dealer:innen eine rauch­ba­re Vari­an­te ihrer Ware an: Crack. Dies macht um eini­ges schnel­ler abhän­gig und der Rausch hält nur sehr kurz an, sodass Kun­den oft mehr­mals am Tag für Nach­schub sor­gen müs­sen und damit die Kas­sen der Dealer:innen fül­len. Die­se kämp­fen dann wie­der­um um Ter­ri­to­ri­en und Ver­kaufs­spots. Unter ande­rem steigt des­halb im Jahr 1980 die Mord­quo­te in Los Ange­les um knapp 50 Pro­zent. Vie­le der Mor­de gesche­hen an Gang-​Mitgliedern und auch durch die­se, wel­che dar­auf­hin inhaf­tiert wer­den. Durch fast schon mis­sio­na­ri­sche Arbeit der inhaf­tie­ren Gang­mem­ber ver­brei­ten sich die bei­den Grup­pie­run­gen schnell über die gesam­ten Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Heut­zu­ta­ge ver­fü­gen die Crips über mehr als 30 000 und die Bloods über knapp 20 000 Mit­glie­der im gan­zen Land.

Crips and Bloods 80s interview

 

Wie fin­den Kri­mi­na­li­tät und Gang-​Kultur ihren Weg zum Rap?

Da Gangs ganz beson­ders in sozia­len Brenn­punk­ten aktiv sind und die HipHop-​Kultur aus eben­je­nen stammt, fin­den sich im Ver­lauf der HipHop-​Historie auch zahl­rei­che Schnitt­punk­te. Zwar ent­steht Hip­Hop in den Armen­vier­teln von New York, jedoch hat er in sei­nen Ursprün­gen nichts mit Kri­mi­na­li­tät zu tun. Ganz im Gegen­teil, denn die "Back 2 School Jam" im Jahr 1973 soll­te Geld für Schu­lu­ten­si­li­en ein­brin­gen und Kool DJ Herc hat sogar oft vor dem Gan­g­le­ben gewarnt. Nichts­des­to­trotz ist bereits ein ande­rer Urva­ter der HipHop-​Kultur ein Gang-​Mitglied. So ist Afri­kaa Bam­baat­aa ein hoch­ran­gi­ger Offi­zier der "Black Spa­des" – einer Stra­ßen­gang, wel­che trotz kri­mi­nel­ler Akti­vi­tä­ten zu die­ser Zeit noch mehr als Bür­ger­wehr wahr­ge­nom­men wer­den kann. In einem Inter­view macht Kool DJ Herc die Gang sogar wei­test­ge­hend für die Ver­brei­tung von Hip­Hop ver­ant­wort­lich, da die­se Musik mit Mit­glie­dern aus ande­ren Bezir­ken und Städ­ten aus­tau­schen. Somit ist Rap eine gewis­se Ver­bin­dung zur Gang-​Kultur qua­si in die Wie­ge gelegt worden.

Hip­Hop war von Anfang an sehr poli­tisch und will auf Miss­stän­de auf­merk­sam machen, jedoch wird in den Lyrics so gut wie nie expli­zit von Waf­fen, Dro­gen und Kri­mi­na­li­tät – wel­che mit eben­die­sen Miss­stän­den ein­her­ge­hen – erzählt. Dies ändert sich ganz beson­ders mit einem Prot­ago­nis­ten: School­ly D. Im Jahr 1985 releast der aus Phil­adel­phia stam­men­de Rap­per den Song "P.S.K. What does it mean?". P.S.K. steht dabei für Park Side Kil­las, zu wel­chen School­ly damals zählt. Damit reprä­sen­tiert ein Rap­per erst­mals ganz offen eine Gang und den Life­style als Hust­ler. Dies inspi­riert eine gan­ze Rei­he wei­te­rer Rapper:innen, ganz unver­blümt von ihren Erleb­nis­sen auf der Stra­ße zu erzäh­len. Allen vor­an L.A. Rap­per Ice-​T, der oft als Erfin­der des "Gangs­ter­rap" ange­führt wird und eng mit den Crips ver­ban­delt ist. Er releast am 28. Juli 1987 sein Debüt­al­bum "Rhy­me Pays" – die ers­te Plat­te, die den bekann­ten "paren­tal advisory"-Aufkleber trägt. Beson­ders der dar­auf ent­hal­te­ne Track "6 'n the Morn­in'" soll eine Blau­pau­se für Gangs­ter­rap wer­den. Der Song beginnt mit den Zei­len: "6 'n the morn­in' poli­ce at my door. Fresh Adi­das squeak across the bath­room flo­or. Out the back win­dow, I make an escape. Don't even get a chan­ce to grab my old school tape." Und wei­ter: "Fuck­in' blue lights, L.A.P.D. pigs sear­ched our car, their day was made. Found an uzi, 44 and a hand gra­n­a­de. Threw us in the coun­ty high power block. No freaks to see, no beats to rock." So direkt berich­tet bis dato kein ande­rer Rap­per über das Leben als Kri­mi­nel­ler. In etwa zeit­gleich mit "Rhy­me Pays" erscheint auch "Cri­mi­nal Min­ded" von Boo­gie Down Pro­duc­tions – der Crew aus Brook­lyn um KRS-​One. Abge­se­hen vom ein­schlä­gi­gen Namen fin­den sich auf der Plat­te Songs wie "9 mm Goes Bang", auf dem KRS-​One davon erzählt, wie er einen Crack-​Dealer und sei­ne Gang in Not­wehr erschießt. Dar­über hin­aus ist "Cri­mi­nal Min­ded" das ers­te HipHop-​Plattencover, das Schuss­waf­fen zeigt. Dies birgt eine trau­ri­ge Iro­nie, denn kurz nach dem Release des Albums wird Scott La Rock, der DJ der Grup­pe, nach einem Streit in den Pro­ject Blocks der South Bronx erschos­sen. Dies ist das viel­leicht ers­te Mal, dass die Bru­ta­li­tät der Stra­ße die HipHop-​Szene so direkt trifft. Danach ändert sich der Stil von Boo­gie Down Pro­duc­tions und die Lyrics von KRS-​One. Viel öfter wer­den nun posi­ti­ve Wer­te ver­mit­telt und vom Leben als Kri­mi­nel­ler abgeraten.

Der abso­lu­te Durch­bruch für Gangs­ter­rap ist aber "Straight Out­ta Comp­ton" von N.W.A. aus dem Jahr 1988. Das Album zeich­net nicht nur ein unge­schön­tes Bild des Lebens in Comp­ton und hat mit Eazy-​E einen kre­di­bi­len Kri­mi­nel­len mit Ver­bin­dun­gen zu den Crips, son­dern kann auch extre­men kom­mer­zi­el­len Erfolg ver­bu­chen. So ist es das ers­te Gangsterrap-​Top Ten-​Album und bringt das Phä­no­men erst­mals an die brei­te Mas­se. Das Rol­ling Stone Maga­zi­ne beschreibt das Album abschlie­ßend mit: "Wal­lows in gangs, doping, drive-​by shoo­tings, bru­tal sexism, cop slamming and racism." Somit wird es auch im Main­stream salon­fä­hig, als Rap­per expli­zit vom Gan­g­le­ben zu reden und die­ses gar zu glo­ri­fi­zie­ren, was natür­lich den Weg für den Erfolg einer gan­ze Rie­ge an Rap­pern wie bei­spiels­wei­se Kool G Rap, Slick Rick und EPMD ebnet.

Ice-​T- 6 'N The Mornin'

 

Haben Gangs also direk­ten Ein­fluss auf die Rap-Szene?

Zwar gibt es in den spä­ten 80ern bereits eini­ge Rapper:innen mit kri­mi­nel­ler Vor­ge­schich­te, die auch von die­ser berich­ten oder nach wie vor Pro­ble­me mit dem Gesetz haben, jedoch gibt es bis heu­te kei­ne Per­son, die so viel kri­mi­nel­le Ener­gie in die HipHop-​Szene bringt und sie damit nach­hal­tig prägt, wie Mari­on Hugh "Suge" Knight. Die­ser wur­de am 19. April 1965 in Los Ange­les, Comp­ton – einem Hot­spot der Bloods – gebo­ren und hat­te in sei­ner frü­hen Jugend wenig mit Gangs und Kri­mi­na­li­tät zu tun. Er erhielt sogar ein Sport-​Stipendium als Football-​Spieler, ver­ließ Comp­ton und schaff­te es letzt­end­lich zum Pro­fi. Auf dem Spiel­feld zeig­te er gro­ße Aggres­si­vi­tät, wel­che sich lei­der auch auf sein Pri­vat­le­ben über­trug. So griff er sogar sei­ne dama­li­ge Freun­din an und schnitt ihr auf offe­ner Stra­ße die Haa­re ab. Für die­se und ande­re Straf­ta­ten – unter ande­rem ver­such­ten Mord – erhielt er im Okto­ber des Jah­res 1987 ledig­lich eine mehr­jäh­ri­ge Bewäh­rungs­stra­fe. Dar­über hin­aus ver­lor er auch sei­nen Spie­ler­ver­trag und kehr­te zurück nach Comp­ton, wo der Groß­teil sei­nes alten Umfelds in die Gang-​Kriminalität abge­rutscht war. Dar­um ist er gleich bei sei­ner Rück­kehr sehr gut mit den ört­li­chen Piru Bloods ver­netzt, wel­che die ursprüng­li­che Grup­pe reprä­sen­tie­ren und als beson­ders bru­tal gel­ten. Zurück in Comp­ton schlägt er sich im Nacht­le­ben als Tür­ste­her durch und wird der Body­guard des Sän­gers Bob­by Brown. Er erhält erst­mals Ein­blick in die Musik­bran­che und beschließt im Jah­re 1989, selbst Künstler:innen zu mana­gen. Zu die­sen zäh­len Namen wie Mary J. Bli­ge und Cho­co­la­te. Letz­te­rer soll am Welt­hit "Ice Ice Baby" von Vanil­la Ice mit­ge­wirkt, aller­dings nie eine Bezah­lung erhal­ten haben. Angeb­lich lau­ert Suge Vanil­la Ice meh­re­re Male in Beglei­tung von eini­gen Blood-​Schlägern auf, um die­sen zu kon­fron­tie­ren und ein­zu­schüch­tern. Dies soll dar­in gegip­felt sein, dass Suge und sei­ne Beglei­ter den Rap­per an den Fuß­ge­len­ken fest­hal­ten und ihn vom Bal­kon eines Hotel­zim­mers hän­gen las­sen, um ihn zur Unter­schrift einer Rech­te­ab­tre­tung zu bewe­gen. So macht er sich einen Namen als erbar­mungs­lo­ser und bru­ta­ler "Pro­blem­lö­ser" mit weit­rei­chen­den Kontakten.

Eben­die­ser Ruf eilt ihm bereits vor­aus, als er Ende der 80er Jah­re auf Dr. Dre trifft, der gera­de in einem Clinch mit sei­nem Label Ruthl­ess Records und des­sen Inha­ber Eazy-​E steht. Dre bit­tet Suge, der schon Erfah­rung mit unter­be­zahl­ten Künstler:innen hat, sei­ne Ver­trä­ge zu prü­fen. Nach­dem Suge ent­deckt, dass Dre kaum Geld an sei­nen eige­nen Plat­ten ver­die­nen soll, ver­sucht er, den Ver­trag auf­zu­lö­sen. Eazy-​E, dem ganz bewusst ist, wie wert­voll Dre für sein Label ist, wei­gert sich aller­dings, ihn gehen zu las­sen. Als Suge davon hört, wird Eazy-​E unter fal­schen Vor­wän­den in ein Stu­dio gelockt und dort von Suge und sei­ner Entou­ra­ge bedrängt. Erst als Suge Eazy-​Es Fami­lie bedroht, gibt die­ser nach. Zwar gibt es auch ande­re Aus­sa­gen zu die­sen Ereig­nis­sen, Fakt ist aller­dings, dass die Ver­trä­ge auf­ge­löst wurden.

Dar­auf­hin beschlie­ßen Dre und Suge, ein gemein­sa­mes Label zu grün­den. Zu die­ser Zeit ist Dr. Dre der wohl bes­te Pro­du­zent im US-​HipHop und mit sei­nem G-​Funk-​Sound fast ein Hit­ga­rant. Dar­über hin­aus ver­fügt Suge Knight über gute Kon­tak­te, sowohl im Musik­busi­ness als auch im kri­mi­nel­len Milieu, und ist fest ent­schlos­sen, bei­des auf ein neu­es Level zu heben. So besucht er zu Beginn der 90er Jah­re Micha­el "Harry-​O" Har­ris im Gefäng­nis. Die­ser ist kein gewöhn­li­cher Insas­se, son­dern einer der größ­ten Dro­gen­dea­ler der dama­li­gen Zeit, des­sen Ver­kaufs­netz­werk zeit­wei­se 2 Mil­lio­nen Dol­lar am Tag umge­setzt hat. Er soll unter ande­rem mit Manu­el Norie­ga – Ex-​Diktator von Pana­ma, der tief in den inter­na­tio­na­len Koka­in­han­del ver­strickt war – per­sön­lich Geschäf­te gemacht haben. Durch sei­ne Inves­ti­tio­nen in lega­le Unter­neh­men konn­te er auch in der Unter­hal­tungs­in­dus­trie Fuß fas­sen und pro­du­zier­te sogar einen Independent-​Film mit Den­zel Washing­ton in der Haupt­rol­le. Somit kann er Suges Vor­ha­ben auf meh­re­ren Ebe­nen unter­stüt­zen und soll Teil­ha­ber am neu­en Label wer­den. Er über­re­det ihn, knapp 1,5 Mil­lio­nen Dol­lar zu inves­tie­ren. Somit wird die Grün­dung eines der heu­te bekann­tes­ten Rap-​Labels der Welt, Death Row Records, durch Dro­gen­geld finan­ziert. Dies ist dar­über hin­aus auf geschäft­li­cher Ebe­ne das ers­te Mal, dass Kri­mi­nel­le einen so direk­ten Ein­fluss auf die HipHop-​Kultur neh­men. Auch wächst das kri­mi­nel­le Umfeld um das Label her­um. So sind eini­ge der Acts wie Snoop Dogg selbst Mit­glie­der von Gangs – in die­sem Fall sogar den Crips, wel­che mit den mit Suge Knight asso­zi­ier­ten Bloods ver­fein­det sind. Snoop wird kurz nach dem Erschei­nen sei­nes ers­ten Albums 1993 sogar des Mor­des beschul­digt. Des Wei­te­ren holt Suge Knight immer mehr Gang­mit­glie­der ins Umfeld des Labels, um sich vor Angreifer:innen zu schützen.

Im Jahr 1995 wird dann Tupac Shakur ver­haf­tet. Die Kau­ti­on für den Rap­per auf der Höhe sei­nes Schaf­fens beträgt gan­ze 1,4 Mil­lio­nen Dol­lar. Suge sieht sei­ne Chan­ce und ver­spricht 2Pac, die Kau­ti­on zu zah­len, sofern er bei ihm signen wür­de. Auch 2Pac sieht in Suge eine Chan­ce, denn mitt­ler­wei­le bahnt sich der bekann­te East- gegen Westcoast-​Konflikt an. Was dar­auf folgt, ist der wohl legen­därs­te HipHop-​Beef der Geschich­te. Als The Noto­rious B.I.G. den Song "Who Shot Ya?" releast, sieht 2Pac dies als Anspie­lung auf einen Anschlag auf ihn im vor­an­ge­gan­ge­nen Jahr. Dar­auf­hin greift Suge Knight die gesam­te Bad Boy Records-​Crew rund um Big­gie auf der Büh­ne der Source Awards ver­bal an. Aus Angst vor Suge und sei­nen Blood-​Verbindungen heu­ern Puff Dad­dy und Bad Boy Records die Souths­ide Crips an, um ihren Schutz zu gewähr­leis­ten. Da die Crips eine mitt­ler­wei­le Jahr­zehn­te lan­ge Feh­de mit den Piru Bloods – der ers­ten Blood-​Gang, mit der Suge Knight eng ver­bun­den ist – aus­tra­gen, schüt­tet Bad Boy damit noch mehr Öl ins Feu­er. Im Sep­tem­ber 1995 wird dann der Death Row-​Angestellte und Blood-​Mitglied Jake Robles erschos­sen. Ver­däch­tigt wird ein Bad Boy Records-​Angestellter. Einen Monat spä­ter wird dann 2Pac aus dem Gefäng­nis ent­las­sen und releast den viel­leicht bekann­tes­ten Diss-​Song der Welt: "Hit Em Up". Dar­auf­hin fol­gen meh­re­re Aus­schrei­tun­gen zwi­schen Mit­glie­dern von Death Row Records und Bad Boy Records – den Bloods und den Crips. Die Aus­ein­an­der­set­zung fin­det ihren Höhe­punkt, als 2Pac und sei­ne Entou­ra­ge am 13. Sep­tem­ber 1996 bei einem Box­kampf in Las Vegas ein Crip-​Member angrei­fen. Spä­ter am sel­ben Abend wer­den Suge Knight und Tupac Shakur in ihrem Wagen von meh­re­ren Kugeln getrof­fen. Tra­gi­scher­wei­se wird 2Pac die­sen Anschlag nicht über­le­ben. Nur drei Mona­te spä­ter wird auch sein Kon­tra­hent The Noto­rious B.I.G. nach einer Par­ty erschos­sen. In bei­den Fäl­len ist der Täter bis heu­te offi­zi­ell unbekannt.

Die­ses Ereig­nis ver­än­der­te die HipHop-​Szene für immer. Denn ursprüng­lich soll­ten in Rap-​Battles Strei­tig­kei­ten aus­ge­tra­gen wer­den, die sonst zu Gewalt geführt hät­ten. In die­sem Fall eska­liert aber ein Kon­flikt, der als Rap-​Battle beginnt und in einer gewalt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung endet. Nichts­des­to­trotz kopie­ren vie­le Kri­mi­nel­le das Sys­tem von Suge Knight und bie­ten Rapper:innen ihre Unter­stüt­zung auf der Stra­ße an, um deren Kon­flik­te aus dem Weg zu räu­men und ihnen Nar­ren­frei­heit bei ihren Tex­ten zu geben.

When Suge Knight Left Vanil­la Ice 'Very Scared'

 

Wel­che Rol­le spielt Rap in der Gang-Kultur?

Im Lau­fe der Zeit gewin­nen ver­schie­de­ne kri­mi­nel­le Orga­ni­sa­tio­nen wie die Crips und die Bloods immer mehr Ein­fluss auf die HipHop-​Szene und schon bald gibt es so gut wie kei­ne US-Rapper:innen, wel­che nicht in irgend­ei­ner Form mit Gangs in Ver­bin­dung ste­hen. Denn auch für Kri­mi­nel­le bie­tet die Musik­in­dus­trie inter­es­san­te Mög­lich­kei­ten, abge­se­hen von Schutz­geld von Rappern:innen zu bezie­hen. So eta­blie­ren sich Deme­tri­us "Big Meech" Flen­ory und Ter­ry "Sou­thwest T" Flen­ory aus Detroit Anfang der 2000er Jah­re mit ihrer Promotion-​Agentur und Plat­ten­fir­ma BMF Enter­tain­ment. Benannt nach der Black Mafia Fami­ly, einer kri­mi­nel­len Orga­ni­sa­ti­on, die die Brü­der 1985 gegrün­det hat­ten. Sie arbei­ten mit vie­len Super­stars der dama­li­gen Zeit, wie bei­spiels­wei­se Did­dy, Tri­na, T.I. und Fabo­lous, vor allem aber Young Jee­zy zusam­men. Der ein­zi­ge jemals direkt auf dem Label gesign­te Rap­per ist aller­dings Bleu Davin­ci. Das meh­re­re Jah­re lang nach außen erfolg­rei­che Unter­neh­men bricht im Jahr 2005 in sich zusam­men. Die Brü­der Flen­ory wer­den ver­haf­tet und es wird bekannt, dass BMF Enter­tain­ment ledig­lich eine Schein­fir­ma zur Geld­wä­sche ist. Die bei­den hat­ten gemein­sam mit ihrer Gang in den Jah­ren vor der Grün­dung des Labels eines der größ­ten Dro­gen­netz­wer­ke des Staa­tes Michi­gan auf­ge­baut und ver­kauf­ten täg­lich meh­re­re Kilo Koka­in. Sie sol­len bis zu ihrer Ver­haf­tung knapp 230 Mil­lio­nen Dol­lar auf ille­ga­lem Wege ver­dient haben, wel­che sie mit BMF Enter­tain­ment sau­ber waschen woll­ten. Im Jahr 2021 erscheint mit "BMF" eine Serie über die dama­li­gen Ereig­nis­se, pro­du­ziert von nie­mand Gerin­ge­rem als 50 Cent. Eben­falls im Jahr 2005 wur­de der Mur­da Inc.-Mitbegründer Irving Got­ti fest­ge­nom­men. Er soll cir­ca eine Mil­li­on Dol­lar für sei­nen Beschüt­zer gewa­schen haben, den Gangs­ter­boss Ken­neth "Supre­me" McGriff. Die­ser gilt als Anfüh­rer der "Supre­me Team"-Gang, wel­che schon 1994 auf "Ill­ma­tic" Erwäh­nung fin­det. Dar­über hin­aus sind sie laut der Poli­zei für den Anschlag auf 50 Cent im Jahr 2000 ver­ant­wort­lich und angeb­lich auch in den Tod von Jam Mas­ter Jay ver­wi­ckelt. Irving Got­ti wird spä­ter jedoch auf frei­en Fuß gesetzt. Im Jahr 2007 wird Supre­me dann zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt. Er gab im Jahr 2001 den Auf­trag zum Mord am Rap­per E-​Moneybags – wel­cher 2 Jah­re zuvor einen Freund von Supre­me getö­tet hat­te – und zahl­te 50.000 Dol­lar an die Täter.

Teil­wei­se benut­zen Gangs aber auch Rapper:innen als "Tes­ti­mo­ni­al". Sie bie­ten einem:einer Rapper:in Schutz gegen Kon­kur­ren­ten und demons­trie­ren ihre Macht auf den Stra­ßen. So bil­det sich ein Mythos um eben­die­se Gangs und lockt Jugend­li­che, wel­che Mit­glied wer­den wol­len, an. Das wohl pla­ka­tivs­te Bei­spiel für einen sol­chen Fall ist Teka­shi 6ix9ine. Die­ser prä­sen­tiert sich im Jahr 2017 im Video zu sei­nem Durch­bruch "GUMMO" mit Mit­glie­dern und Sym­bo­lik der Nine Trey Gangs­ter Bloods, einer als beson­ders bru­tal gel­ten­den Gang aus New York. Und das, obwohl er zu Beginn sei­ner Kar­rie­re eher den Crips zuge­ord­net wer­den konn­te. Er wird zur Gali­ons­fi­gur der Gang und reprä­sen­tiert die­se über den gesam­ten Glo­bus, wodurch sie natür­lich vie­le Anhänger:innen gewinnt. Teka­shi, wel­cher selbst mehr­fach wegen ver­schie­de­ner Straf­ta­ten ver­ur­teilt wur­de, beginnt Strei­tig­kei­ten mit vie­len Rapper:innen und lässt die­se dann von sei­ner Entou­ra­ge aus dem Weg räu­men. So ord­net er im Jahr 2018 für 20.000 Dol­lar einen Anschlag auf den Chi­ca­go­er Chief Keef an, bei dem die­ser glück­li­cher­wei­se nicht ver­letzt wird. Im sel­ben Jahr noch wird Teka­shi selbst über­fal­len und gekid­nappt, kann aller­dings sei­nen Angrei­fern ent­kom­men. Spä­ter stellt sich her­aus, dass es sich um Mit­glie­der der Nine Trey Gangs­ter Bloods han­delt – der Gang, die er ste­tig reprä­sen­tier­te und ihm Nar­ren­frei­heit bot. Angeb­lich hat die Füh­rungs­rie­ge rund um Mel Mur­da, einem der Anfüh­rer der Nine Trey Bloods, genug von sei­nem aggres­si­ven Auf­tre­ten und will ihm daher einen Denk­zet­tel ver­pas­sen. Als Teka­shi 2019 gemein­sam mit der gesam­ten Gang in einem RICO-​Verfahren ange­klagt wird, ent­schließt er sich, gegen alle Nine Trey Bloods aus­zu­sa­gen, und wird zum Kron­zeu­gen. Dies tut er, um einer Stra­fe zu ent­ge­hen, denn bei einem RICO-​Verfahren wer­den ver­ein­facht gesagt alle Mit­glie­der einer Orga­ni­sa­ti­on für die Straf­ta­ten Ein­zel­ner ange­klagt. Dar­um nennt man das ent­spre­chen­de Gesetz auch den "Mafia Paragraphen".

6IX9INE - GUMMO (OFFICIAL MUSIC VIDEO)

Mel Mur­da ist ein Para­de­bei­spiel dafür, wie eng die HipHop- und Gang-​Kultur in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten mit­ein­an­der ver­bun­den sind, denn bereits zu Beginn der 2000er Jah­re war er zusam­men mit Jim Jones in der Rap­crew "Byrd Gang". Mel Mur­da – oder Mel Matrix, wie er sich damals nann­te – war bereits ein hoch­ran­gi­ges Gang­mit­glied und hat schon damals als "Mann im Hin­ter­grund" bei der legen­dä­ren Dipset-​Crew agiert. Im Ver­lauf der Gerichts­ver­hand­lung rund um Teka­shi 6ix9ine wird dann die Auf­nah­me eines Tele­fo­nats gele­akt, wel­che ein Gespräch zwi­schen Mel und Jones ent­hält. In die­sem lässt Jim Jones ver­lau­ten, dass Teka­shi nie­mals ein ech­tes Mit­glied der Bloods war. Außer­dem erklärt Mel, er wol­le ihn "super duper" miss­han­deln. Cam'Ron – eben­falls ein ehe­ma­li­ges Dipset-​Mitglied – schreibt 2020 sogar einen Brief an den Rich­ter des Falls, um für einen der Ange­klag­ten zu bürgen.

Lea­k­ed Pho­ne Call Of Mel Matrix & Jim Jones Wan­ting to Vio­la­te Tekashi69

All die­se Ereig­nis­se zei­gen, wie tief Gangs und Kri­mi­nel­le im Hip­Hop ver­an­kert sind. Sie haben sich früh ihren Weg in die Sze­ne gebahnt, dort viel Geld ver­dient und teils gro­ßen Scha­den hin­ter­las­sen. Der aktu­el­le RICO-​Fall um Young Thug und die Slime Gang zeigt erneut, dass auch heut­zu­ta­ge noch kri­mi­nel­le Struk­tu­ren von Tei­len der HipHop-​Szene getra­gen wer­den. So wer­den 27 Mit­glie­der von Young Thugs Label Young Slime Gang ver­schie­de­ner Straf­ta­ten – unter ande­rem Mord und Dro­gen­han­del – und einer "Affi­lia­ti­on with the natio­nal Bloods Gang" beschul­digt. Selbst­ver­ständ­lich wer­den die­se Ankla­ge­punk­te nicht aus der Luft gegrif­fen sein, nichts­des­to­trotz bedeu­tet das natür­lich nicht, dass die HipHop-​Kultur von Grund auf kri­mi­nell oder mit der Gang-​Kultur gleich­zu­set­zen ist. In dem gera­de erwähn­ten Fall scheint genau das zu gesche­hen, denn hier wer­den Rap-​Lyrics als Bewei­se ange­führt und Rap-​Crew- mit Gangsym­bo­len ver­wech­selt. Dies beweist tat­säch­lich, wie oft der Rap-​Szene mehr Kri­mi­na­li­tät ange­dich­tet wird, als dort ohne­hin schon vor­han­den ist.

(Nico Maturo)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)