"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wenn sich Formationen auflösen und Künstler:innen eigene Wege gehen, ist die Erwartungshaltung gegenüber deren Solo-Releases meist hoch. Es wird oft herbeigesehnt, dass der Solo-Stuff den vorherigen Veröffentlichungen nahekommt. So war es auch beim Debütalbum des Frankfurters Tone. Mit "Zukunftsmusik" schlug er aber eine andere Richtung ein, löste sich ein wenig vom Battlerap der Konkret Finn-Zeit und releaste einen Song, der besonders hervorgestochen ist: "Du brauchst mich".
Im Track des Rappers wird angesprochen, was im Deutschrap-Kosmos inhaltlich weit verbreitet ist: das Thema Sucht. Jedoch feiert er sich nicht für seinen Konsum, sondern setzt sich kritisch damit auseinander. Der Beat beginnt passend mit einer traurigen, alleinstehenden Pianomelodie und schafft so bereits eine melancholische Grundstimmung, die mich direkt mitnimmt. Nach ein paar Sekunden setzt dann die restliche Instrumentierung zeitgleich mit einem energisch flowenden Tone ein. Schon von der ersten Line an catcht mich der Text. Der Rapper nimmt selbst die Rolle einer Droge ein und spricht die Hörer:innen direkt an. Dabei lässt er offen, um welche Substanz es sich handelt. Er beschreibt sehr durchdacht und emotional geladen, wie Drogen als Problemlösung, zum Spaß oder zum Pushen des Egos genutzt werden können und wechselt zwischen klaren Worten und beschönigender Umschreibung. Ich bekomme auch nach 17 Jahren jedes Mal Gänsehaut, wenn er mir mit den Worten "Du brauchst mich, hast du wirklich gedacht, du durchschaust mich?" wieder einmal klar macht, dass wir nicht, wie wir denken, die Kontrolle über Drogen haben, sondern es meist eben andersherum ist.
"Du brauchst mich" ist nichts zum Nebenbei-Hören und könnte manche Konsument:innen sicher triggern. Aber Kunst ist auch, unschöne Dinge ästhetisch zu verpacken – und das hat der Rapper definitiv getan. Ich bin nach wie vor fasziniert von der Idee sowie der kreativen Umsetzung und finde: Tone hat mit diesem Track die Erwartungshaltung ihm gegenüber nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen.
(Dzermana Schönhaber)