Seit einigen Jahren erlebt das Skateboard einen kleinen Boom. Wurde es eine Zeit lang von anderen Brettern oder Rollern abgelöst, ist es zurzeit so beliebt wie lange nicht. Das kann verschiedene Gründe haben: Sei es die Renaissance der 90er, die sich mindestens seit 2015 durch alle Lifestyle-Bereiche zieht, die Tatsache, dass Skaten seit 2020 offiziell olympische Disziplin ist oder die Pandemie. Während Fitnessstudios immer mal wieder geschlossen sind oder sich Mitglieder von Sportvereinen nicht treffen dürfen, bietet Skateboardfahren eine gute Alternative. Denn dafür braucht man zunächst nur ein Board und Asphalt. Wie bei anderen Sportarten möchten viele Menschen dabei musikalisch unterhalten werden – und manche eben am liebsten mit HipHop. So auch der Profi-Skater Christoph "Willow" Wildgrube. Für ihn sei Rap "die perfekte Untermalung zum Rumcruisen", verrät er in einem Interview. Im deutschen Rap gibt es Vertreter:innen des Genres, die aktiv skaten und ihre Leidenschaft für den Sport auf verschiedene Weisen vertonen. Ihr Skate-Lifestyle fließt in ihre Musik und Videos ein, sodass für Fans beider Kulturen spannende Ergebnisse zu hören und sehen sind.
Skaten und HipHop
Auf den ersten Blick scheint es so, als seien Skaten und HipHop schon immer miteinander verwoben: ob durch die grundlegende rebellische Attitüde oder bestimmte Fashion-Trends. Doch die erste musikalische Verbindung ging die Sportart mit dem Punk ein. Sicher kam aus den Boxen der Skater:innen der 80er und früher 90er Jahre nicht nur rockiger Sound, doch von außen betrachtet wirkt es unter Umständen so. Hört man sich durch den Soundtrack von "Tony Hawk's Pro Skater 2" aus dem Jahr 2000, dem zweiten Ableger der vermutlich bekanntesten Skateboard-Videospiel-Serie, fällt auf, dass der Großteil der Stücke im Punk und Rock anzusiedeln ist. Und nicht umsonst ist einer der bekanntesten Songs mit Skate-Bezug ein Pop-Punk-Track: "Sk8er Boi" von Avril Lavigne aus dem Jahr 2002. Im selben Jahrzehnt sollte sich die Beziehung von HipHop und Skaten jedoch intensivieren. In den USA sei an der Stelle der Rapper mit dem Spitznamen "Skateboard P" genannt. Dahinter verbirgt sich niemand Geringeres als Pharrell Williams. Der Spitzname stammt noch aus seinen Highschool-Zeiten. Pharrell betont während seiner Zeit als Rapper in seiner Musik immer wieder seine Wurzeln im Skate-Sport und gründet 2006 sogar ein eigenes Skate-Team, das "Ice Cream Skate Team". Zu Beginn der 2010er Jahre kristallisiert sich eine neue Crew voller junger Künstler:innen als Repräsentant:innen von Rap und Skaten heraus. Gemeint ist Odd Future, das mittlerweile aufgelöste Kollektiv, zu dessen Mitgliedern damals unter anderem Tyler, the Creator und Earl Sweatshirt zählen. Mit der Bekanntheit der Gruppe geht auch ein bestimmter Fashion-Trend einher, von dem Marken wie Supreme besonders profitieren, deren Kleidungsstücke häufig von Mitgliedern von Odd Future getragen werden. Dieselbe Marke tragen übrigens auch die Darstellerinnen aus Cros Musikvideo zu "Easy" am Skatepark. Apropos deutscher Rap: Auch wenn beispielsweise Blumentopf 2006 über "die Bretter, die die Welt bedeuten" rappen, wirkt es in den nachfolgenden Jahren in der Szene eine Zeit lang so, als hätte Skate-Rap zwischen Gangster-Image, hypermaskulinen Texten und ironischen Hipster-Persiflagen keinen Platz. Eine solche Parodie kommt etwa von Fatoni: "Mach' ich einen Kickflip, bricht das Brett," rappt er 2013 auf "Dicke Hipster". Mit dem Song bezieht sich der Rapper recht eindeutig auf das damalige Phänomen Cro samt zugehörigen Fashion- und Lifestyle-Trends. Diese Trends werden von ihm eher belächelt. "Ich dreh' dieses Kreuz um, ich skate mit voll viel Bedeutung", heißt es im Track noch. Das umgedrehte Kreuz war eine Zeit lang ein beliebtes Motiv auf Hipster-Klamotten. Seit "Dicke Hipster" und "Easy" sind einige Jahre vergangen, deutscher Rap entwickelte sich weiter und neue Nischen fanden ihren Platz. So etablierte sich parallel zum allgemeinen Skateboard-Boom auch eine Skate-Rap-Ecke.
makko und die Boloboys
"So bin ich in das Musikding reingekommen. Ich habe Leute gesehen, die auf einen geilen Track ein [Skate-]Edit geschnitten haben." Damit beschreibt der Berliner Rapper makko in einem PULS-Interview seinen Einstieg ins Musikmachen. Er ist einer der spannendsten Vertreter einer Rap-Nische, die ihren Skate-Lifestyle mit ihrer Musik und ihrem Social Media-Auftreten vereint. Um 2015 gibt es auf Instagram eine Welle an mit amerikanischen Rap-Songs unterlegten Skate-Videos, von denen makko inspiriert wird. Der Musik zuliebe bricht er sogar seine Ausbildung ab, doch er findet Unterstützung im Freundeskreis, sei es für Beats oder Videos. Außerdem arbeitet er mit anderen Skate-Begeisterten zusammen. Einer davon ist Komiker Vincent Pfäfflin. Dieser ist vor allem für seine verkifften Sketches bekannt, doch zeigt auf YouTube auch gerne mal Ausschnitte aus seiner Skater-Jugend. 2019 veröffentlichen makko und Vini Paff, wie sich Vincent als Musiker nennt, den gemeinsamen Track "Kühlpack". Der Song gibt in gewisser Weise den Startschuss für makkos kleinen Hype. Nach und nach finden sich aus Freunden und Gleichgesinnten schließlich die Boloboys zusammen. Die Mitglieder der Crew sind makko, Sin Davis, CAN MIT ME$$R, toobrokeforfiji, beslik meister, okfella und Loco Candy. CAN MIT ME$$R sagt über seine Crew, sie seien die "Tomatensoßen-Odd Future". Statt eines gemeinsamen Wohnorts vereinen die Musiker, neben ihrer Vorliebe für Spaghetti Bolognese, Tattoos, eine Prise Punk und natürlich die Skate-Kultur. Letztgenannte kommt besonders bei makko nicht zu kurz. Im bereits erwähnten PULS-Interview meint der Rapper, mit der richtigen Musik unterlegt "ballern die [Skateboard-]Tricks einfach noch mal härter". Ein Beweisstück dafür liefert er selbst mit "Grad mal ein Jahr", wenn er im zugehörigen Musikvideo, mit dem Einsatz der ersten 808, einen Treflip steht. Bei einem Treflip, auch 360 Flip genannt, dreht sich das Board im Sprung nicht nur einmal um die Längsachse, sondern währenddessen auch 360 Grad um die Mittelachse. Kollege okfella präsentiert im Video hier und da einen Kickflip. Die Trickbezeichnungen finden bei makko auch ihren Weg in seine Songtitel, zum Beispiel beim Track "Switch Heel". Auf mittlerweile vier größeren Releases bringt der Rapper seine Leidenschaft fürs Skaten mit seiner Musik unter einen Hut.
YUGO "schwebt" mit den Jungs
Der Wiener Rapper YUGO hingegen war bisher vor allem für ein Fortbewegungsmittel bekannt: "Was für Beamer, was für Benz, ich fahre Yugo", rappt er 2018 auf dem Song "YUGO", damals noch unter dem Namen Jugo Ürdens. Der Rapper hat Wurzeln in Nordmazedonien und Serbien. Yugos sind Kleinstwagen des serbischen Automobilherstellers Zastava, die von 1981 bis 2008 produziert wurden. Nachdem sich der wahrscheinlich "schönste Rapper Österreichs" mit dem Song Auto fahrend an seine Wurzeln erinnert, skatet er in einem aktuelleren Song mit seinen Jungs. Das zeigt er auf dem Song "Schweben", welcher letztes Jahr bei RINs Label-Heimat DIVISION erscheint, bei dem YUGO seit 2019 unter Vertrag steht. Auch hier droppt der Beat im Musikvideo zu einem Skateboard-Trick. Der Wiener zeigt seine Treflips und Nollie Treflips. Bei einem Nollie Treflip wird das Board nicht hinten, sondern am vorderen Ende nach unten gedrückt und der Sprung auf diese Weise eingeleitet. Mit von der Partie ist auch SLAV, ebenfalls Rapper und musikalischer Wegbeleiter des DIVISION-Signings. Außerdem ist zu sehen, wie sich YUGO und seine Kollegen mit einem Anwohner anlegen, als sie mit ihren Boards gerade über öffentliche Sitzbänke springen. Skater:innen werden die Situation kennen – so auch Juse Ju: "Skater prügeln sich mit Rentnern, Hausmeistern, Pennern und Sicherheitsmännern vor Ämtern, denn ich muss auf dieses Geländer", rappt er 2018 auf "Pain is Love". Im Track schwelgt er in Erinnerungen seiner Skater-Vergangenheit. Getreu Juses Motto sieht man YUGO in seinem Musikvideo über einen Fahrradständer sliden. Er verspricht dem Anwohner aber, dass seine Gang und er in drei Minuten wieder weg seien.
Tightill "pusht" sein Board
Statt wie makko oder YUGO nur entspannt über das Skaten zu rappen, hat der Bremer Tightill gleich mehrere Herangehensweisen, seine Leidenschaft für die Sportart auszudrücken. Einen ähnlichen Stil wie die bisherigen Beispiele fährt er auf dem Song "Plaza", 2021 auf seinem Album "Strassenpop" erschienen, der dem Skatepark seiner Jugend gewidmet ist. Das zugehörige Musikvideo ist gefüllt mit originalen Aufnahmen von früher. An dem Platz in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs steht mittlerweile ein Betonklotz mit Büros und einem Einkaufszentrum. "Wie soll ich's dir beschreiben, man, guck den Film 'Kids'." Das Coming-of-Age-Drama von 1995 zeigt auf authentische und drastische Weise das Leben von vier Jugendlichen zwischen Sex, Skaten und HipHop. Wohingegen der Film an manchen unangenehmen Stellen schocken will, sieht man die Hauptcharaktere in anderen Szenen gemeinsam am Skateplatz hängen und die Zeit totschlagen. Auf diese Momente bezieht sich Tightill wohl. Während der Rapper in "Plaza" sehr romantisch an das Thema Skaten rangeht, hat er in anderen Songs eine aggressivere Attitüde. Besonders erwähnenswert ist hier "Skate and Die", der Track vom 2019 veröffentlichten Album "Infinity". Abgewandelt von "Skate or Die", einst eine Phrase von Hardcore-Skater:innen, gibt der Titel bereits die Marschrichtung des Tracks vor. "Pushen" hat bei ihm vorrangig nichts mit Drogen zu tun, stattdessen wird das Skateboard sehr energetisch angeschoben. Außerdem dürfen im Video – und Songtext – die Show-Off-Tricks nicht fehlen: So flext der Rapper etwa mit einem "Fingerflip to Nose-Wheelie". Hier wird das Board vor dem Aufspringen mit den Fingern angedreht und schließlich so gelandet, dass man für kurze Zeit nur auf den vorderen Rollen, also auf der "Nase" des Boards, fährt. Üblicherweise heißt das Fahren auf zwei Rollen beim Skaten eher Manual. In Tightills Song "Lord of Hobbys" von 2016 wiederum verschwimmen die Grenzen zwischen Songtext und Moderation eines Skate-Videos. Auf Englisch rappt er darüber, was im Musikvideo passiert und welche Skateboard-Tricks er gerade vollbringt. Dementsprechend entstand der Songtext erst nach dem Video. Auch hier gibt es bereits einen "Fingerflip to Nose" zu sehen. Auffällig ist außerdem der besonders hohe und saubere 180 No Comply des Rappers. Dieser Trick dient gerne dazu, die Position des vorderen und hinteren Fußes auf dem Board zu tauschen, indem das Skateboard mit dem hinteren Fuß in die Luft gedrückt wird, der vordere Fuß kurz auf dem Boden steht und Board sowie Skater:in sich währenddessen um 180 Grad drehen. Tightill beweist auf mehreren Tracks sein Können, sodass man auch auf zukünftige Fusionen aus Skate- und Musikvideo gespannt sein kann.
Nur skatende Rapper?
Bei den genannten Beispielen fällt auf, dass es sich dabei nur um Männer handelt. Natürlich zeigen die gewählten Künstler nur einen Ausschnitt der Skate-Rap-Ecke und bestimmt gibt es im Untergrund Künstler:innen, die einen ähnlichen Stil fahren und in Zukunft noch größeren Bekanntheitsgrad erlangen werden. Dass nicht männlich gelesene skatende Rapper:innen schwer zu finden sind, ist allerdings kein Wunder: In beiden Szenen waren andere Geschlechter jahrelang unterrepräsentiert. Im HipHop hat sich das in den letzten Jahren zum Besseren gewendet. Die jüngsten Erfolge von Shirin David oder badmómzjay sprechen hier für sich. Auch im Sport geht es schrittweise voran. So wurden die Preisgelder für Teilnehmerinnen bei manchen Wettbewerben an die ihrer männlichen Kollegen angepasst. Grund für dieses Lohngefälle ist unter anderem der jahrelange ausschließliche Fokus der Medien auf die männlichen Skate-Profis. Dazu kommt, dass beispielsweise immer mehr professionelle Skaterinnen Berühmtheit erlangen und Vorbilder für den Nachwuchs werden können. Zum Beispiel die 14-jährige Lilly Stoephasius, die 2021 bei den olympischen Spielen in Tokio teilnahm und damit aktuell die jüngste deutsche Olympia-Teilnehmerin überhaupt ist. Wer weiß also, welche Künstler:innen bald das Skaten in ihrer Musik verkörpern und damit ins Rampenlicht treten werden?
Repräsentation der Kultur
Bevor neue Skate-Rapper:innen auftreten, könnte der Skateboard-Boom jedoch genauso wieder nachlassen. Schließlich gilt: "Die Zeit heilt alle Hypes", um noch einmal Fatoni zu zitieren. Bis es allerdings soweit ist, kann die Musik von Künstler:innen wie makko, YUGO oder Tightill genossen werden. Zusätzlich können spektakuläre Skateboard-Tricks in ihren Videos bestaunt und so nebenbei Einblicke in die Skate-Kultur der späten 2010er beziehungsweise frühen 2020er Jahre gewonnen werden. Vielleicht blickt irgendwann ein:e Filmemacher:in aus Deutschland auf die aktuelle Zeit zurück so wie heutzutage Jonah Hill auf die 90er Jahre. Dieser feierte 2018 mit dem Film "Mid90s" sein Spielfilm-Regiedebüt. Der im namensgebenden Jahrzehnt angesiedelte Coming-of-Age-Film spielt in Los Angeles und vereint Hills Liebe zu HipHop und Skaten gleichermaßen. An diesem Werk ist auch zu erkennen, dass sich Skaten und HipHop schon früher verbunden haben, als es zunächst scheint. Bei einem Rückblick auf das aktuelle Comeback der Kultur würden dann vielleicht statt A Tribe Called Quest die Boloboys in einem hypothetischen deutschen Skate-Film den Soundtrack liefern. Zumindest gibt es schon makko-Fans, die sich beim Skaten aufnehmen und dies mit seiner Musik unterlegen.
Somit inspiriert der einstige Konsument solcher Videos heute andere. Das ist nur ein Aspekt, der die steigende Relevanz einer Skate-Ecke des deutschen Raps bestätigt. Es ist anzunehmen, dass bei jeder Erwähnung eines Tricks der ein oder andere skatende Rap-Fan sich entweder darüber freut, dass er den genannten Trick auch beherrscht, oder sich das Ziel setzt, ihn zu lernen. Oder man hat einfach Freude daran, dass die persönliche Lieblings-Sportart und zugehörige Kultur in der liebsten Musikrichtung repräsentiert werden.
(Tim Herr)
(Grafik von Daniel Fersch)