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Juse Ju – Shibuya Crossing

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Juse Ju mit "Shi­bu­ya Crossing".

Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künst­ler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der Gesprächs­part­ner ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Kirch­heim unter Teck, El Paso oder Japan – Juse Ju ist schon ziem­lich viel rum­ge­kom­men. 2018 hat er auf sei­nem Album "Shi­bu­ya Crossing" meh­re­re die­ser Lebens­ab­schnit­te zu Geschich­ten ver­ar­bei­tet, die er auf ver­schie­de­nen Songs erzählt. Einer die­ser Tracks ist der namens­ge­ben­de Song "Shi­bu­ya Crossing", der bis heu­te einer mei­ner liebs­ten Storyteller-​Tracks geblie­ben ist.

Juse Ju nimmt den:die Hörer:in in sei­ne frü­he Jugend mit. Genau­er gesagt nach Ōta-​ku, einem Vier­tel in Tokio. Er erzählt vom Auf­wach­sen als Gai­jin, also als Frem­der in Japan, kind­li­chem Auf­be­geh­ren und sei­nen ers­ten Berüh­rungs­punk­ten mit Hip­Hop. Dar­über hin­aus the­ma­ti­siert er die Bezie­hung zu sei­nem Bru­der, der für Juse im neu­en Tokio gleich­zei­tig Sicher­heits­an­ker und Vor­bild war. Die Erzäh­lung über die bei­den Brü­der, in den frü­hen 90er Jah­ren unzer­trenn­lich als "Crew" unter­wegs, gibt dem Song sei­nen Rah­men und sorgt dafür, dass ich gebannt zuhö­re. Sounds von zir­pen­den Zika­den oder japa­ni­schen Durch­sa­gen machen die Erzäh­lun­gen noch leb­haf­ter, sodass ich mehr und mehr von der mir frem­den Welt in Tokio gefes­selt wer­de. Dazu kom­men die detail­rei­chen Beschrei­bun­gen von Objek­ten, Orten oder Erleb­nis­sen aus sei­ner Zeit in Tokio, was die Sto­ry noch greif­ba­rer macht. Der Song erin­nert mich ent­fernt an einen Fan­ta­sy­film von Stu­dio Ghi­b­li: Man beglei­tet ein Kind in eine ihm frem­de Welt, lernt sie ken­nen und fühlt sich kurz dar­auf von ihr in den Bann gezogen.

"Shi­bu­ya Crossing" ist eine Geschich­te, die zwar auf vier Minu­ten kon­den­siert ist, sich aber kei­nes­wegs ein­ge­engt anfühlt. Und auch wenn sie auf das Hap­py End ver­zich­tet und mich als Hörer eher melan­cho­lisch zurück­lässt, weckt sie doch den Wunsch nach mehr Sto­rytel­ling. Gut also, dass Juse Ju noch ein biss­chen rum­ge­kom­men ist.

(Jakob Zim­mer­mann)