Triggerwarnung: In diesem Interview wird unter anderem sexualisierte Gewalt thematisiert. Falls Euch das triggert, solltet Ihr hier vielleicht nicht weiterlesen.
Wie findet man die richtigen Worte zu Themen wie Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt? Gibt es überhaupt die richtigen Worte dafür?
Ich bin eine Frau und ich werde schon mein Leben lang mit diesen Themen konfrontiert. Irgendwann habe ich angefangen, darüber zu lesen. Viele Bücher, Artikel, Posts, Tweets und Texte. Ich habe unzählige Geschichten gehört. Mich lange damit befasst und darüber reflektiert. Und trotzdem sitze ich hier, muss etwas formulieren und finde keine Worte. Sie sind alle weg. Über die letzten Wochen hat mich die deutsche Rapszene meist fassungslos zurückgelassen, auch wenn es immer wieder Hoffnungsschimmer gibt. Und nun bin ich weitestgehend sprachlos, weil ich das Gefühl habe, dass nichts Geschriebenes dieser Situation gerecht werden könnte. Es lässt sich nur sagen: Ich bin unfassbar froh, dass ich dieses Interview mit einem männlichen Kollegen machen durfte, der die Arbeit aufgefangen hat, die ich nicht leisten konnte – und andersrum genauso. Das hat unser bestmögliches Ergebnis hervorgebracht. Und ich habe mal wieder gelernt, dass Zusammenhalt das Wichtigste ist. Vor allem bei solchen Themen.
Ich bin ein Mann und für mich war das Thema ehrlich gesagt nicht immer so präsent wie momentan. Ich habe in den letzten Monaten und Wochen viel dazugelernt. Durch intensive Gespräche mit Freund:innen, Infotweets, zahlreiche Artikel und abends auf der Straße, wo Männer Frauen behandeln, als gehörten sie ihnen. Ich will mich nicht von meiner persönlichen Schuld freisprechen. Auch ich habe weggeschaut, geschwiegen, gelacht und war damit Teil dieser toxischen Strukturen. Die letzten Wochen haben gezeigt: Es muss sich schnellstmöglich etwas ändern. Und diese Veränderung muss bei einem selbst anfangen. Sie wird von einigen Personen als anstrengend empfunden. Das entbindet aber niemanden davon, aktiv mitzuziehen. Denn dieses gesamtgesellschaftliche Problem können wir nur im Kollektiv bekämpfen – und dem muss sich jeder Mann anschließen.
Nachdem wir nun viele Worte über uns verloren haben, möchten wir den Menschen, die uns auch die Relevanz von Zusammenhalt in Bezug auf dieses Thema noch einmal verdeutlicht haben, hier ihren Platz einräumen: deutschrapmetoo.
Die deutsche Rapszene wurde im Juni 2021 schlagartig mit den Versäumnissen und Fehlern ihrer Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert. Was auf einige Scheuklappen tragende Rapfans überraschend wirkte, war für diejenigen, die sich intensiv mit den Strukturen der Szene auseinandersetzen, und vor allem für Betroffene alles, aber keine Überraschung. Die deutsche Rapszene ist, wie der Rest unserer Gesellschaft auch, durchzogen von Misogynie, Sexismus, sexualisierter Gewalt und patriarchalen Machtstrukturen. Die meisten beteiligten Akteure – darunter Labels, Veranstalter:innen, Magazine, Journalist:innen und Künstler:innen – haben das Treiben über Jahre nicht nur beobachtet und geduldet, sondern verschwiegen und aktiv vorangetrieben. Am 16.06.2021 äußerte sich eine Influencerin über Instagram. Sie warf einem der erfolgreichsten deutschen Rapper vor, sie zu sexuellen Handlungen genötigt und schlussendlich vergewaltigt zu haben. Dabei habe sie ihn mehrfach darum gebeten aufzuhören. Das Video ging innerhalb kürzester Zeit viral und offenbarte eine Spaltung der Rapszene, die in ihrer Absurdität kaum in Worte zu fassen ist. Während die eine Seite Solidaritätsbekundungen aussprach und dies immer noch tut, formierte sich auf der anderen Seite ein wilder von (Frauen-)Hass getriebener, überwiegend männlicher Internet-Mob. Eine frauenverachtende und gewaltbereite Internetarmee, die auch dem letzten Mensch aufzeigen sollte, wie viel momentan schiefläuft.
Die Initiative deutschrapmetoo hat sich zum Ziel gesetzt, gegen diese Missstände innerhalb der Rapbranche vorzugehen und ein Sprachrohr für Betroffene zu sein. Sie wollen Betroffene vernetzen, um gemeinsam gegen Täter vorgehen zu können, die wesentlich leichteren Zugang zu finanziellen Ressourcen und ihre tippwütigen "Internetwarrior" im Rücken haben. Die geschilderten Ereignisse waren für die Initiatorinnen der Auslöser, auf Instagram und Twitter online zu gehen. Seitdem ist die Bewegung zentrale Figur der wohl größten und wichtigsten Diskussion, an der die deutsche Rapszene je teilgenommen hat. Analog zur ursprünglichen MeToo-Bewegung soll in dieser Diskussion vor allem über gezielten, kalkulierten Machtmissbrauch gesprochen werden. Über begangene Fehler und darüber, wie man diese aufarbeitet, um sie in Zukunft zu unterlassen. Nicht nur deshalb ist die Aufklärung, die deutschrapmetoo leistet, so unglaublich wichtig, sondern auch, weil endlich ein Bewusstsein dafür entsteht, wie privilegiert man als Mann ist.
MZEE.com: Zu Beginn, vor allem für diejenigen, die noch nicht so viel über eure Arbeit wissen: Was ist deutschrapmetoo und wer steckt dahinter?
deutschrapmetoo: Wir sind eine Initiative, die es seit ein paar Wochen gibt. Allerdings hatten wir auch schon im Februar einen Aufruf über einen anderen Account gestartet. Unser Ziel ist, dass sich Betroffene von sexualisierter Gewalt innerhalb der Deutschrap-Branche bei uns melden. Wir reden dann mit ihnen über ihre Erlebnisse und bieten ihnen an, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen, die beispielsweise den gleichen Namen in Bezug auf Täterschaft nennen – dabei begleiten wir die Betroffenen natürlich gerne. Außerdem bieten wir psychologische und juristische Beratungen an, zum Beispiel wenn eine oder mehrere vernetzte Personen darüber nachdenken, Anzeige zu erstatten. Das Erlebte veröffentlichen wir dann anonymisiert in Absprache mit den Betroffenen. Hinzukommt, dass wir Sensibilisierungsarbeit sowie Aufklärung zum Thema sexualisierte Gewalt leisten. Dabei ist uns vor allem wichtig, dass Menschen mehr über die gesamte Thematik und vor allem die Betroffenenperspektive aufgeklärt werden. Mir möchten ein Sprachrohr für diese Menschen sein und uns daher langfristig und nachhaltig als feste Beratungsstelle etablieren. Momentan planen wir diesbezüglich ein größeres Projekt, um das Ganze auf lange Sicht weiter auszuweiten und hoffentlich so nachhaltig gestalten zu können, dass echte Veränderungen erwirkt werden.
MZEE.com: Wie war denn die Resonanz auf euren ersten Aufruf?
deutschrapmetoo: Keine zehn Minuten, nachdem wir den Aufruf gestartet haben, hatten wir die ersten Nachrichten. Als uns jeden Tag mehr Leute geschrieben haben, haben wir gemerkt: "Okay, so etwas wird echt gebraucht." Viele Leute wollten ihre Geschichte erzählen und dabei anonym bleiben. Diese Möglichkeit gab es ja vorher nicht wirklich. Wenn man mit so etwas an die Öffentlichkeit geht, zieht das immer mit sich, dass man öffentlich diffamiert wird. Das wollen wir verhindern und Betroffene schützen. Der Hashtag ist in erster Linie auch deshalb entstanden, weil wir gemerkt haben, wie die Reaktionen bezüglich der Vorwürfe einer Influencerin gegenüber einem der erfolgreichsten Rapper der letzten Jahre ausfielen. Es wurde mit noch mehr Sexismus und harten Diffamierungen reagiert. Anschließend wurde sie, obwohl das nicht stimmt, als Einzelfall dargestellt. Da war es uns einfach immens wichtig, noch mal deutlich zu machen, dass es völlig unabhängig von diesem Fall definitiv ein Problem mit sexualisierter Gewalt in dieser Branche gibt. Und dafür brauchen wir Aufmerksamkeit. Wir wollen nicht zulassen, dass einzelne Frauen kaputtgemacht werden, nur weil sie den Mut haben, sich zu äußern. Man kann einzelne Personen silencen. Aber wenn sich Hunderte melden und ähnliche Geschichten berichten, was will man dann noch sagen? Wie kann man dann noch so tun, als gäbe es das Problem nicht?
MZEE.com: Wie viel Mut kostet es, sich selbst hinzustellen und diese Arbeit zu leisten?
deutschrapmetoo: Es kostet immer noch wahnsinnig viel Kraft, auch unabhängig davon, dass Einzelne in unserem Team selbst betroffen sind. Für sie bedeutet das Retraumatisierung, weil sie sich immer wieder mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Dazu kommt die Scheiße, mit der wir jeden Tag beschmissen werden … Das ist jeden Tag ein neuer Balance- und Kraftakt für uns. Wir haben lange überlegt, was und wie wir etwas tun sollen – dabei ist uns schnell klar geworden, dass wir genau die Richtigen für diesen Job sind, weil wir selbst betroffen sind und aus diesem Kreis kommen. Nur so kann eine Veränderung von innen heraus geschehen. Das ist uns einfach wichtiger als unsere eigenen Probleme.
MZEE.com: Szeneintern ging und geht die Resonanz in Bezug auf euer Projekt weit auseinander. Einige Accounts teilen eure Aufrufe sofort, andere wiederum fühlen sich durch eure Arbeit in ihrer Machtposition bedroht. Welche konkreten Auswirkungen hatte das auf euch als Personen?
deutschrapmetoo: Anfangs kam nur positives Feedback und alles war cool. Dann ging es irgendwann los und deutschrapmetoo wurde von Rappern für Promozwecke instrumentalisiert. Trotzdem hatte das auf uns persönlich keine so krassen Auswirkungen. Damit haben wir gerechnet. Anscheinend haben viele Leute das Gefühl, dass ihnen etwas weggenommen werden soll, obwohl es darum überhaupt nicht geht.
MZEE.com: Es gab einige Aufrufe auf Twitter, in denen eure Identität veröffentlicht werden sollte. Wie geht ihr damit um?
deutschrapmetoo: Solche Aufrufe erscheinen mittlerweile fast täglich. Natürlich gibt das einem einerseits kein gutes Gefühl. Andererseits wissen wir, dass niemand weiß, wo und wer wir sind. Wir achten auch sehr darauf, dass das so bleibt, und lassen uns diesbezüglich von unserer Anwältin beraten. Natürlich wollen diese Leute, dass wir Angst bekommen und aufhören, aber davon lassen wir uns nicht einschüchtern. Keine der dort gestreuten News stimmt. Das ist ein lächerlicher Versuch der Einschüchterung, auf den wir uns weder emotional noch in irgendeiner anderen Weise einlassen.
MZEE.com: Auch ihr habt – so wie viele Feministinnen vor euch – das Ziel definiert, die Verhältnisse ändern zu wollen. Bietet deutschrapmetoo, zumindest erst mal im Kleinen, die Möglichkeit, die bestehenden Verhältnisse einer Subkultur zu revolutionieren?
deutschrapmetoo: Ich würde sagen, das haben wir bis zu einem bestimmten Punkt schon. Alleine den Fakt, dass Universal Deutschland eine Woche nach Start unserer Initiative eine Diversity Manager-Stelle ausgeschrieben hat, empfinde ich schon als Win. Zwar noch kein Big Win, aber wir haben etwas angestoßen. Das Thema ist in der Szene angekommen und viele Leute sprechen darüber. Was wir aber vor allem geschafft haben, ist, Kritik von innen zu äußern. Wir konnten die Diskurshoheit durch unsere heftige Pressearbeit an uns reißen. Es war nicht so, dass irgendwelche bürgerlichen Medien oder Oliver Pochers das Thema an sich gerissen haben und mit dem Finger auf die bösen asozialen Rapper gezeigt haben, die immer sexistisch rappen. Das ist wahnsinnig wichtig, weil es das erste Mal ist, dass Kritik an Rap nicht von einer weißen Mehrheitsgesellschaft von außen übergestülpt wird, sondern von innen geschieht – so können wir den Austausch lenken. Wir haben richtig was gerissen und sind froh, dass wir endlich Aufmerksamkeit auf das Thema lenken konnten.
MZEE.com: Wie wichtig ist es für euch, dass sich auch männliche Rapper zu dem Thema äußern?
deutschrapmetoo: Alle müssen mitziehen – natürlich auch männliche Rapper. Die Veränderung muss schließlich von innen herauskommen. Wir verstehen auch, dass viele Rapper Angst haben, sich zu äußern. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass sich einige positioniert haben. Wir sind alle nicht fehlerfrei und müssen schauen, wie wir die neuen Informationen aufnehmen und verarbeiten. Wir wollen nicht, dass man sich gegenseitig fertigmacht, sondern miteinander spricht und gemeinsam nach Lösungen sucht. Wir wollen eine Fehlerkultur etablieren, die mit der Verantwortung eines jeden Protagonisten zu tun hat. So wollen wir eine Entwicklung vorantreiben, die mit einem Erkenntnisprozess beginnt, bei dem die Leute kapieren, dass sie nicht immer korrekt waren und sich falsch verhalten haben. Wenn sie das verstehen, können sie an sich selbst arbeiten. Das Patriarchat wird aber nicht von Frauen aufgehoben werden. Es wird von Männern aufgehoben werden. Gerade in dieser Szene und mit dem vorherrschenden Männlichkeitsbild ist es Bullshit zu glauben, dass wir als Frauen irgendwem irgendwelche krassen Storys erzählen können. Es sind Männer, die das tun müssen. Denn es sind Männer, die sich Männer als Vorbild nehmen. Deswegen ist es mindestens genauso wichtig, dass Männer sich ganz klar dazu positionieren.
MZEE.com: Habt ihr das Gefühl, dass in den Rap-Medien eine Entwicklung stattgefunden hat?
deutschrapmetoo: Wir gestehen natürlich auch Rap-Medien eine Entwicklung zu und sind dankbar, wenn sie sich für unser Thema interessieren. Dazu gehört aber nicht nur, uns ein bisschen von ihrer Reichweite abzugeben, sondern auch selbst zu reflektieren, inwieweit man an der ganzen Scheiße partizipiert und sogar davon profitiert. Wir haben keinen Bock, der Hype des Woke-Washings zu sein. Auf einmal gendern alle Rap-Medien und denken, sie sind Feminist-Icons. Das ist halt Bullshit. Deshalb sind wir sehr vorsichtig, mit wem wir worüber reden und wem wir erlauben, mit uns als Koalition zu arbeiten. Rap-Medien müssen das Ganze schon mit einer Konsequenz verfolgen und nicht nur aus Gründen der profitorientierten Aufmerksamkeit. Grundsätzlich betrachten wir Rap-Medien auch nicht anders als Rapper. Sie sind ein Teil von der Scheiße. Aber natürlich erlauben wir auch denen, sich zu reflektieren, zu entwickeln und zu verbessern.
MZEE.com: Mithu M. Sanyal hat gesagt: "Das ist der Grund, warum Feministinnen heute von sexualisierter – und nicht sexueller – Gewalt sprechen, um deutlich zu machen, dass Sex zwar die Waffe, nicht aber die Motivation bei einer Vergewaltigung ist." – Die Motivation ist Selbsterhöhung und Machtdemonstration. Selbstbestätigung auf niederste Weise, wenn man so will. Ist es daher nur logisch, dass eine Branche, in der Menschen im Mittelpunkt stehen, die durchweg nach Bestätigung suchen, Nährboden für Rape Culture liefert?
deutschrapmetoo: Das ist nicht branchenbezogen, sondern die Industrie oder die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben. Guck dir doch mal die Labels an. Sexistische Rapper werden eher gesignt als Künstler, die Conscious Rap machen, weil deren Musik sich besser verkauft. Wir können aber nicht Rap die Schuld geben, sondern der Industrie, in der Rap funktionieren muss. Trotzdem hat Mithu Sanya recht, dass wir von sexualisierter Gewalt sprechen, weil es am Ende nicht um Sex geht und schon gar nicht um Sexualität. Bei den meisten Vergewaltigungen geht es, wie du auch sagst, um Macht. Und dieses Machtgefälle hat nichts mit Rap zu tun. Wenn ein Rapper aber so immens ins Rampenlicht gerückt wird, dann entsteht dieses Machtgefälle sehr schnell und wird entsprechend ausgenutzt, obwohl das nicht passieren darf.
MZEE.com: Im Allgemeinen bedingt das patriarchale System, dass nur sehr wenige Sexualstraftaten zur Anzeige gebracht werden, von denen nur 8,4 Prozent* zu einer Verurteilung führen. Wo würdet ihr systemisch ansetzen, um so schwerwiegende Fehler zu verhindern?
deutschrapmetoo: Das ist eine sehr schwierige Sache, denn das Urteil fällt immer zugunsten der Täter oder der mutmaßlichen Täter aus, wenn keine Zeug:innen dabei waren. Aber wie oft gibt es Zeug:innen, wenn sexualisierte Gewalt ausgeführt wird oder es zu einer Vergewaltigung kommt? Andere rechtskräftige Beweismittel gibt es in der Regel kaum. Das schreckt natürlich ab. Deswegen erst mal volles Verständnis dafür, dass Anzeigen nicht erstattet werden. Gleichzeitig ist es aber so, dass sich das Problem eher ändern könnte, wenn mehr Menschen ihren Fall zur Anzeige bringen, um aufzuzeigen, wie oft so etwas passiert. Neulich haben wir mit einer Juristin darüber gesprochen: Sie war auch der Meinung, dass solche Fälle von unserem Rechtssystem nicht aufgefangen werden. Momentan kommt eine Betroffene, die die Kraft aufbringt, zur Polizei zu gehen, in Strukturen, die selbst mitunter sehr sexistisch sind. Sie trifft dort auf Beamt:innen, die in keinster Weise sensibilisiert sind und sofort Victim Blaming betreiben. Wie oft hat man schon gehört, dass die ersten beiden Fragen auf der Polizeistation "Was hatten Sie an?" und "Haben Sie Alkohol getrunken?" lauten? Das affirmiert eine Gesamthaltung gegenüber den Betroffenen. Das ist auch der Grund dafür, warum wir das tun, was wir tun: um unabhängig von der Justiz betroffene Perspektiven und deren Häufigkeit sowie Vielseitigkeit aufzuzeigen. Es müsste zusätzlich eine staatliche Regulation oder im besten Fall eine Extra-Anlaufstelle nur für Betroffene von sexualisierter Gewalt geben, wo ausgebildetes Personal arbeitet, das wirklich mit diesen Themen umgehen kann. Langfristig wird das – völlig unabhängig von juristischen Fakten – dazugehören müssen. Denn wir wissen alle: Ein Gericht ist nicht dazu da, um die Wahrheit herauszufinden, sondern um juristische Fakten aneinanderzureihen. Und am Ende gewinnt immer der, der sich den teureren Anwalt leisten kann.
MZEE.com: Viele Opfer möchten und können sich auch gar nicht in diesem Ausmaß mit dem Thema befassen, weshalb das Erlebte oft über Jahre verdrängt wird. Zudem kann eine Auseinandersetzung auch zu Retraumatisierung führen. Habt ihr Vorschläge, wie man sich vorsichtig an das Thema heranwagen kann?
deutschrapmetoo: Erst einmal ist es wichtig, das strukturelle Problem zu verstehen. Dann merkt man, dass es eben keine Einzelfälle sind, sondern eine Rape Culture mit sexistischen und patriarchalen Strukturen. Das bringt einen schon mal enorm weiter. Es ist außerdem wichtig, Seiten zu finden, auf denen genau diese Themen aufgedröselt werden. Vor allem am Anfang ist es wichtig zu hören, dass man nicht schuldig ist. Erst dann kann man sich damit befassen, was sexualisierte Gewalt überhaupt ist oder was "Konsens" bedeutet. Das ist genau das, was wir machen: Betroffenen einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen. Damit konnten wir schon vielen Betroffenen helfen, die erst durch uns erkannt haben, dass die Scham, die sie spüren, nicht sein muss. Dass das, was ihnen passiert ist, nichts mit Konsens zu tun hatte. Und vor allem, dass sie keine Schuld tragen. Genau deshalb sind wir auch auf Instagram: Ein Hilfetelefon anzurufen zum Beispiel, ist oft schwieriger, als einfach eine Nachricht im Chat zu schreiben.
MZEE.com: Wir haben euch noch ein Zitat von Vanessa Veselka mitgebracht: "Unsere Kultur erklärt Mädchen von der Wiege an, dass Vergewaltigung das Schlimmste ist, was ihnen überhaupt passieren kann. Wir sagen, es wird ihr Leben zerstören und ihnen ihre Unschuld rauben. Wir sagen Opfern von sexuellem Missbrauch, dass es normal ist, sich beschmutzt zu fühlen. Wir tun all das, um Frauen und Mädchen vorzubereiten, damit sie nicht alleine mit ihren Gefühlen sind, wenn es ihnen zustößt. Aber sorgen wir damit nicht gleichzeitig dafür, dass sie sich zerstört fühlen, beschmutzt und ihrer Unschuld beraubt? Inwieweit richten wir uns darauf ab, zusammenzubrechen?" – Wie schwierig ist die Gratwanderung zwischen endlich gesehen und gehört zu werden und der Selbstermächtigung aus der Opferrolle heraus?
deutschrapmetoo: Ich warne oft vor diesem Zirkelschluss, dass die Aufklärung darüber dazu führt, dass ein bestimmtes Gefühl entsteht. Ich finde das Zitat daher ein wenig schwierig, weil es sehr begrenzt ist. Die Sozialisierung von Männern und Frauen ist weitaus komplexer als nur das. Bevor man uns erzählt, dass eine Vergewaltigung das ist, was uns restlos entehrt, wird uns erzählt, dass unsere Sexualität für den Mann da ist. Und da fängt es an. Ich finde es generell wahnsinnig schwierig, dass wir ständig an Betroffenen rumdoktern. Dass wir denen immer erzählen, wie sie sich verhalten und schützen sollen, wie sie sich wann fühlen dürfen, wann sie was sagen dürfen und so weiter. Kein Mensch redet darüber, dass wir unseren Söhnen bitte mal beibringen müssen, keine verdammten Vergewaltiger zu sein. Da fehlt der pädagogische Ansatz absolut und es müsste viel mehr Aufklärung betrieben werden. Solange weibliche Sexualität in der Weise tabuisiert ist, wie sie es ist, und Rape als das Schlimmste dargestellt wird, was einem passieren kann, wird das Ganze gegen eine Wand rennen. Das Zitat impliziert auch irgendwie, dass eine Vergewaltigung nur schlimm wird, weil man vorher drüber spricht … Und so ist es einfach nicht. Das macht so viel mit der Psyche und der Persönlichkeitsentwicklung.
MZEE.com: Vor allem in den Köpfen von Männern ist ein Umdenken wichtig. Habt ihr Tipps, wie und wo sich unsere männlichen Leser am besten informieren können, um dieses Umdenken voranzutreiben?
deutschrapmetoo: Gerade befinden wir uns in einer Zeit des Zuhörens. Genau jetzt ist es wichtig, verstehen zu wollen, was Betroffene sagen, und dies auch aktiv zu tun. Dabei muss man sich auch immer wieder selbst Fehler eingestehen. Wir sind auch nicht als Feministinnen mit all unserem Know-how geboren. Man muss den Input, den wir gerade geben, einfach in sich auf- und ihn dankend annehmen. Man muss sich eingestehen, dass man selbst nicht unfehlbar ist – das ist ja auch das, was wir eben mit Fehlerkultur meinten. Und damit meinen wir nicht nur diejenigen, die selbst sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Sondern auch diejenigen, die weggeschaut und ihre Freunde nicht ermahnt haben. Außerdem muss man schauen, was für Gedankengut man bereits internalisiert hat – wir sind schließlich alle in diesen Strukturen aufgewachsen. Rede mit deinen Homies, deinen Bros, deinem Vater und deinem Onkel. Du selbst kannst das anstoßen und das ist total wichtig. Gerade als Mann.
Wir können uns nicht ausmalen, wie es den Initiatorinnen damit gehen muss, jeden Tag aufs Neue gegen all die Widerstände ankämpfen zu müssen. Es muss unvorstellbar viel Kraft kosten. Und dafür möchten wir uns bedanken. Dieser Kampf ist richtig und wichtig.
Falls Ihr selbst betroffen seid oder Euch intensiver mit dem Thema auseinandersetzen wollt, haben wir hier einige weiterführende Angebote. Dort könnt Ihr entweder selbst nach Unterstützung suchen oder Euch mit Betroffenen solidarisieren.
(Yasmina Rossmeisl & Jonas Jansen)
(Grafik von Daniel Fersch)