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Interview

deutschrapmetoo – ein Gespräch über die Bewegung

"Es war nicht so, dass irgend­wel­che bür­ger­li­chen Medi­en oder Oli­ver Pochers das The­ma an sich geris­sen und mit dem Fin­ger auf die bösen aso­zia­len Rap­per gezeigt haben." ‒ Die Initia­ti­ve deutschrap­me­too im Inter­view über sze­nen­in­ter­ne Kri­tik und war­um sie die­ses Mal gelin­gen kann.

Trig­ger­war­nung: In die­sem Inter­view wird unter ande­rem sexua­li­sier­te Gewalt the­ma­ti­siert. Falls Euch das trig­gert, soll­tet Ihr hier viel­leicht nicht weiterlesen.

Wie fin­det man die rich­ti­gen Wor­te zu The­men wie Ver­ge­wal­ti­gung und sexua­li­sier­te Gewalt? Gibt es über­haupt die rich­ti­gen Wor­te dafür? 

Ich bin eine Frau und ich wer­de schon mein Leben lang mit die­sen The­men kon­fron­tiert. Irgend­wann habe ich ange­fan­gen, dar­über zu lesen. Vie­le Bücher, Arti­kel, Posts, Tweets und Tex­te. Ich habe unzäh­li­ge Geschich­ten gehört. Mich lan­ge damit befasst und dar­über reflek­tiert. Und trotz­dem sit­ze ich hier, muss etwas for­mu­lie­ren und fin­de kei­ne Wor­te. Sie sind alle weg. Über die letz­ten Wochen hat mich die deut­sche Rap­sze­ne meist fas­sungs­los zurück­ge­las­sen, auch wenn es immer wie­der Hoff­nungs­schim­mer gibt. Und nun bin ich wei­test­ge­hend sprach­los, weil ich das Gefühl habe, dass nichts Geschrie­be­nes die­ser Situa­ti­on gerecht wer­den könn­te. Es lässt sich nur sagen: Ich bin unfass­bar froh, dass ich die­ses Inter­view mit einem männ­li­chen Kol­le­gen machen durf­te, der die Arbeit auf­ge­fan­gen hat, die ich nicht leis­ten konn­te – und anders­rum genau­so. Das hat unser best­mög­li­ches Ergeb­nis her­vor­ge­bracht. Und ich habe mal wie­der gelernt, dass Zusam­men­halt das Wich­tigs­te ist. Vor allem bei sol­chen Themen.

Ich bin ein Mann und für mich war das The­ma ehr­lich gesagt nicht immer so prä­sent wie momen­tan. Ich habe in den letz­ten Mona­ten und Wochen viel dazu­ge­lernt. Durch inten­si­ve Gesprä­che mit Freund:innen, Infot­weets, zahl­rei­che Arti­kel und abends auf der Stra­ße, wo Män­ner Frau­en behan­deln, als gehör­ten sie ihnen. Ich will mich nicht von mei­ner per­sön­li­chen Schuld frei­spre­chen. Auch ich habe weg­ge­schaut, geschwie­gen, gelacht und war damit Teil die­ser toxi­schen Struk­tu­ren. Die letz­ten Wochen haben gezeigt: Es muss sich schnellst­mög­lich etwas ändern. Und die­se Ver­än­de­rung muss bei einem selbst anfan­gen. Sie wird von eini­gen Per­so­nen als anstren­gend emp­fun­den. Das ent­bin­det aber nie­man­den davon, aktiv mit­zu­zie­hen. Denn die­ses gesamt­ge­sell­schaft­li­che Pro­blem kön­nen wir nur im Kol­lek­tiv bekämp­fen – und dem muss sich jeder Mann anschließen. 

Nach­dem wir nun vie­le Wor­te über uns ver­lo­ren haben, möchten wir den Men­schen, die uns auch die Rele­vanz von Zusam­men­halt in Bezug auf die­ses The­ma noch ein­mal ver­deut­licht haben, hier ihren Platz ein­räu­men: deutschrapmetoo.

Die deut­sche Rap­sze­ne wur­de im Juni 2021 schlag­ar­tig mit den Ver­säum­nis­sen und Feh­lern ihrer Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart kon­fron­tiert. Was auf eini­ge Scheu­klap­pen tra­gen­de Rapf­ans über­ra­schend wirk­te, war für die­je­ni­gen, die sich inten­siv mit den Struk­tu­ren der Sze­ne aus­ein­an­der­set­zen, und vor allem für Betrof­fe­ne alles, aber kei­ne Über­ra­schung. Die deut­sche Rap­sze­ne ist, wie der Rest unse­rer Gesell­schaft auch, durch­zo­gen von Miso­gy­nie, Sexis­mus, sexua­li­sier­ter Gewalt und patri­ar­cha­len Macht­struk­tu­ren. Die meis­ten betei­lig­ten Akteu­re – dar­un­ter Labels, Veranstalter:innen, Maga­zi­ne, Journalist:innen und Künstler:innen – haben das Trei­ben über Jah­re nicht nur beob­ach­tet und gedul­det, son­dern ver­schwie­gen und aktiv vor­an­ge­trie­ben. Am 16.06.2021 äußer­te sich eine Influen­ce­rin über Insta­gram. Sie warf einem der erfolg­reichs­ten deut­schen Rap­per vor, sie zu sexu­el­len Hand­lun­gen genö­tigt und schluss­end­lich ver­ge­wal­tigt zu haben. Dabei habe sie ihn mehr­fach dar­um gebe­ten auf­zu­hö­ren. Das Video ging inner­halb kür­zes­ter Zeit viral und offen­bar­te eine Spal­tung der Rap­sze­ne, die in ihrer Absur­di­tät kaum in Wor­te zu fas­sen ist. Wäh­rend die eine Sei­te Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen aus­sprach und dies immer noch tut, for­mier­te sich auf der ande­ren Sei­te ein wil­der von (Frauen-)Hass getrie­be­ner, über­wie­gend männ­li­cher Internet-​Mob. Eine frau­en­ver­ach­ten­de und gewalt­be­rei­te Inter­net­ar­mee, die auch dem letz­ten Mensch auf­zei­gen soll­te, wie viel momen­tan schiefläuft.

Die Initia­ti­ve deutschrap­me­too hat sich zum Ziel gesetzt, gegen die­se Miss­stän­de inner­halb der Rap­bran­che vor­zu­ge­hen und ein Sprach­rohr für Betrof­fe­ne zu sein. Sie wol­len Betrof­fe­ne ver­net­zen, um gemein­sam gegen Täter vor­ge­hen zu kön­nen, die wesent­lich leich­te­ren Zugang zu finan­zi­el­len Res­sour­cen und ihre tipp­wü­ti­gen "Inter­net­war­ri­or" im Rücken haben. Die geschil­der­ten Ereig­nis­se waren für die Initia­to­rin­nen der Aus­lö­ser, auf Insta­gram und Twit­ter online zu gehen. Seit­dem ist die Bewe­gung zen­tra­le Figur der wohl größ­ten und wich­tigs­ten Dis­kus­si­on, an der die deut­sche Rap­sze­ne je teil­ge­nom­men hat. Ana­log zur ursprüng­li­chen MeToo-​Bewegung soll in die­ser Dis­kus­si­on vor allem über geziel­ten, kal­ku­lier­ten Macht­miss­brauch gespro­chen wer­den. Über began­ge­ne Feh­ler und dar­über, wie man die­se auf­ar­bei­tet, um sie in Zukunft zu unter­las­sen. Nicht nur des­halb ist die Auf­klä­rung, die deutschrap­me­too leis­tet, so unglaub­lich wich­tig, son­dern auch, weil end­lich ein Bewusst­sein dafür ent­steht, wie pri­vi­le­giert man als Mann ist.

MZEE​.com: Zu Beginn, vor allem für die­je­ni­gen, die noch nicht so viel über eure Arbeit wis­sen: Was ist deutschrap­me­too und wer steckt dahinter? 

deutschrap­me­too: Wir sind eine Initia­ti­ve, die es seit ein paar Wochen gibt. Aller­dings hat­ten wir auch schon im Febru­ar einen Auf­ruf über einen ande­ren Account gestar­tet. Unser Ziel ist, dass sich Betrof­fe­ne von sexua­li­sier­ter Gewalt inner­halb der Deutschrap-​Branche bei uns mel­den. Wir reden dann mit ihnen über ihre Erleb­nis­se und bie­ten ihnen an, sich mit ande­ren Betrof­fe­nen zu ver­net­zen, die bei­spiels­wei­se den glei­chen Namen in Bezug auf Täter­schaft nen­nen – dabei beglei­ten wir die Betrof­fe­nen natür­lich ger­ne. Außer­dem bie­ten wir psy­cho­lo­gi­sche und juris­ti­sche Bera­tun­gen an, zum Bei­spiel wenn eine oder meh­re­re ver­netz­te Per­so­nen dar­über nach­den­ken, Anzei­ge zu erstat­ten. Das Erleb­te ver­öf­fent­li­chen wir dann anony­mi­siert in Abspra­che mit den Betrof­fe­nen. Hin­zu­kommt, dass wir Sen­si­bi­li­sie­rungs­ar­beit sowie Auf­klä­rung zum The­ma sexua­li­sier­te Gewalt leis­ten. Dabei ist uns vor allem wich­tig, dass Men­schen mehr über die gesam­te The­ma­tik und vor allem die Betrof­fe­nen­per­spek­ti­ve auf­ge­klärt wer­den. Mir möch­ten ein Sprach­rohr für die­se Men­schen sein und uns daher lang­fris­tig und nach­hal­tig als fes­te Bera­tungs­stel­le eta­blie­ren. Momen­tan pla­nen wir dies­be­züg­lich ein grö­ße­res Pro­jekt, um das Gan­ze auf lan­ge Sicht wei­ter aus­zu­wei­ten und hof­fent­lich so nach­hal­tig gestal­ten zu kön­nen, dass ech­te Ver­än­de­run­gen erwirkt werden.

MZEE​.com: Wie war denn die Reso­nanz auf euren ers­ten Aufruf?

deutschrap­me­too: Kei­ne zehn Minu­ten, nach­dem wir den Auf­ruf gestar­tet haben, hat­ten wir die ers­ten Nach­rich­ten. Als uns jeden Tag mehr Leu­te geschrie­ben haben, haben wir gemerkt: "Okay, so etwas wird echt gebraucht." Vie­le Leu­te woll­ten ihre Geschich­te erzäh­len und dabei anonym blei­ben. Die­se Mög­lich­keit gab es ja vor­her nicht wirk­lich. Wenn man mit so etwas an die Öffent­lich­keit geht, zieht das immer mit sich, dass man öffent­lich dif­fa­miert wird. Das wol­len wir ver­hin­dern und Betrof­fe­ne schüt­zen. Der Hash­tag ist in ers­ter Linie auch des­halb ent­stan­den, weil wir gemerkt haben, wie die Reak­tio­nen bezüg­lich der Vor­wür­fe einer Influen­ce­rin gegen­über einem der erfolg­reichs­ten Rap­per der letz­ten Jah­re aus­fie­len. Es wur­de mit noch mehr Sexis­mus und har­ten Dif­fa­mie­run­gen reagiert. Anschlie­ßend wur­de sie, obwohl das nicht stimmt, als Ein­zel­fall dar­ge­stellt. Da war es uns ein­fach immens wich­tig, noch mal deut­lich zu machen, dass es völ­lig unab­hän­gig von die­sem Fall defi­ni­tiv ein Pro­blem mit sexua­li­sier­ter Gewalt in die­ser Bran­che gibt. Und dafür brau­chen wir Auf­merk­sam­keit. Wir wol­len nicht zulas­sen, dass ein­zel­ne Frau­en kaputt­ge­macht wer­den, nur weil sie den Mut haben, sich zu äußern. Man kann ein­zel­ne Per­so­nen silen­cen. Aber wenn sich Hun­der­te mel­den und ähn­li­che Geschich­ten berich­ten, was will man dann noch sagen? Wie kann man dann noch so tun, als gäbe es das Pro­blem nicht?

MZEE​.com: Wie viel Mut kos­tet es, sich selbst hin­zu­stel­len und die­se Arbeit zu leisten?

deutschrap­me­too: Es kos­tet immer noch wahn­sin­nig viel Kraft, auch unab­hän­gig davon, dass Ein­zel­ne in unse­rem Team selbst betrof­fen sind. Für sie bedeu­tet das Retrau­ma­ti­sie­rung, weil sie sich immer wie­der mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Dazu kommt die Schei­ße, mit der wir jeden Tag beschmis­sen wer­den … Das ist jeden Tag ein neu­er Balance- und Kraft­akt für uns. Wir haben lan­ge über­legt, was und wie wir etwas tun sol­len – dabei ist uns schnell klar gewor­den, dass wir genau die Rich­ti­gen für die­sen Job sind, weil wir selbst betrof­fen sind und aus die­sem Kreis kom­men. Nur so kann eine Ver­än­de­rung von innen her­aus gesche­hen. Das ist uns ein­fach wich­ti­ger als unse­re eige­nen Probleme.

MZEE​.com: Sze­nein­tern ging und geht die Reso­nanz in Bezug auf euer Pro­jekt weit aus­ein­an­der. Eini­ge Accounts tei­len eure Auf­ru­fe sofort, ande­re wie­der­um füh­len sich durch eure Arbeit in ihrer Macht­po­si­ti­on bedroht. Wel­che kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen hat­te das auf euch als Personen?

deutschrap­me­too: Anfangs kam nur posi­ti­ves Feed­back und alles war cool. Dann ging es irgend­wann los und deutschrap­me­too wur­de von Rap­pern für Pro­mo­zwe­cke instru­men­ta­li­siert. Trotz­dem hat­te das auf uns per­sön­lich kei­ne so kras­sen Aus­wir­kun­gen. Damit haben wir gerech­net. Anschei­nend haben vie­le Leu­te das Gefühl, dass ihnen etwas weg­ge­nom­men wer­den soll, obwohl es dar­um über­haupt nicht geht.

MZEE​.com: Es gab eini­ge Auf­ru­fe auf Twit­ter, in denen eure Iden­ti­tät ver­öf­fent­licht wer­den soll­te. Wie geht ihr damit um? 

deutschrap­me­too: Sol­che Auf­ru­fe erschei­nen mitt­ler­wei­le fast täg­lich. Natür­lich gibt das einem einer­seits kein gutes Gefühl. Ande­rer­seits wis­sen wir, dass nie­mand weiß, wo und wer wir sind. Wir ach­ten auch sehr dar­auf, dass das so bleibt, und las­sen uns dies­be­züg­lich von unse­rer Anwäl­tin bera­ten. Natür­lich wol­len die­se Leu­te, dass wir Angst bekom­men und auf­hö­ren, aber davon las­sen wir uns nicht ein­schüch­tern. Kei­ne der dort gestreu­ten News stimmt. Das ist ein lächer­li­cher Ver­such der Ein­schüch­te­rung, auf den wir uns weder emo­tio­nal noch in irgend­ei­ner ande­ren Wei­se einlassen.

MZEE​.com: Auch ihr habt – so wie vie­le Femi­nis­tin­nen vor euch – das Ziel defi­niert, die Ver­hält­nis­se ändern zu wol­len. Bie­tet deutschrap­me­too, zumin­dest erst mal im Klei­nen, die Mög­lich­keit, die bestehen­den Ver­hält­nis­se einer Sub­kul­tur zu revolutionieren? 

deutschrap­me­too: Ich wür­de sagen, das haben wir bis zu einem bestimm­ten Punkt schon. Allei­ne den Fakt, dass Uni­ver­sal Deutsch­land eine Woche nach Start unse­rer Initia­ti­ve eine Diver­si­ty Manager-​Stelle aus­ge­schrie­ben hat, emp­fin­de ich schon als Win. Zwar noch kein Big Win, aber wir haben etwas ange­sto­ßen. Das The­ma ist in der Sze­ne ange­kom­men und vie­le Leu­te spre­chen dar­über. Was wir aber vor allem geschafft haben, ist, Kri­tik von innen zu äußern. Wir konn­ten die Dis­kurs­ho­heit durch unse­re hef­ti­ge Pres­se­ar­beit an uns rei­ßen. Es war nicht so, dass irgend­wel­che bür­ger­li­chen Medi­en oder Oli­ver Pochers das The­ma an sich geris­sen haben und mit dem Fin­ger auf die bösen aso­zia­len Rap­per gezeigt haben, die immer sexis­tisch rap­pen. Das ist wahn­sin­nig wich­tig, weil es das ers­te Mal ist, dass Kri­tik an Rap nicht von einer wei­ßen Mehr­heits­ge­sell­schaft von außen über­ge­stülpt wird, son­dern von innen geschieht – so kön­nen wir den Aus­tausch len­ken. Wir haben rich­tig was geris­sen und sind froh, dass wir end­lich Auf­merk­sam­keit auf das The­ma len­ken konnten.

MZEE​.com: Wie wich­tig ist es für euch, dass sich auch männ­li­che Rap­per zu dem The­ma äußern?

deutschrap­me­too: Alle müs­sen mit­zie­hen – natür­lich auch männ­li­che Rap­per. Die Ver­än­de­rung muss schließ­lich von innen her­aus­kom­men. Wir ver­ste­hen auch, dass vie­le Rap­per Angst haben, sich zu äußern. Aller­dings muss man auch dazu sagen, dass sich eini­ge posi­tio­niert haben. Wir sind alle nicht feh­ler­frei und müs­sen schau­en, wie wir die neu­en Infor­ma­tio­nen auf­neh­men und ver­ar­bei­ten. Wir wol­len nicht, dass man sich gegen­sei­tig fer­tig­macht, son­dern mit­ein­an­der spricht und gemein­sam nach Lösun­gen sucht. Wir wol­len eine Feh­ler­kul­tur eta­blie­ren, die mit der Ver­ant­wor­tung eines jeden Prot­ago­nis­ten zu tun hat. So wol­len wir eine Ent­wick­lung vor­an­trei­ben, die mit einem Erkennt­nis­pro­zess beginnt, bei dem die Leu­te kapie­ren, dass sie nicht immer kor­rekt waren und sich falsch ver­hal­ten haben. Wenn sie das ver­ste­hen, kön­nen sie an sich selbst arbei­ten. Das Patri­ar­chat wird aber nicht von Frau­en auf­ge­ho­ben wer­den. Es wird von Män­nern auf­ge­ho­ben wer­den. Gera­de in die­ser Sze­ne und mit dem vor­herr­schen­den Männ­lich­keits­bild ist es Bull­shit zu glau­ben, dass wir als Frau­en irgend­wem irgend­wel­che kras­sen Sto­rys erzäh­len kön­nen. Es sind Män­ner, die das tun müs­sen. Denn es sind Män­ner, die sich Män­ner als Vor­bild neh­men. Des­we­gen ist es min­des­tens genau­so wich­tig, dass Män­ner sich ganz klar dazu positionieren.

MZEE​.com: Habt ihr das Gefühl, dass in den Rap-​Medien eine Ent­wick­lung statt­ge­fun­den hat?

deutschrap­me­too: Wir geste­hen natür­lich auch Rap-​Medien eine Ent­wick­lung zu und sind dank­bar, wenn sie sich für unser The­ma inter­es­sie­ren. Dazu gehört aber nicht nur, uns ein biss­chen von ihrer Reich­wei­te abzu­ge­ben, son­dern auch selbst zu reflek­tie­ren, inwie­weit man an der gan­zen Schei­ße par­ti­zi­piert und sogar davon pro­fi­tiert. Wir haben kei­nen Bock, der Hype des Woke-​Washings zu sein. Auf ein­mal gen­dern alle Rap-​Medien und den­ken, sie sind Feminist-​Icons. Das ist halt Bull­shit. Des­halb sind wir sehr vor­sich­tig, mit wem wir wor­über reden und wem wir erlau­ben, mit uns als Koali­ti­on zu arbei­ten. Rap-​Medien müs­sen das Gan­ze schon mit einer Kon­se­quenz ver­fol­gen und nicht nur aus Grün­den der pro­fit­ori­en­tier­ten Auf­merk­sam­keit. Grund­sätz­lich betrach­ten wir Rap-​Medien auch nicht anders als Rap­per. Sie sind ein Teil von der Schei­ße. Aber natür­lich erlau­ben wir auch denen, sich zu reflek­tie­ren, zu ent­wi­ckeln und zu verbessern.

MZEE​.com: Mit­hu M. San­y­al hat gesagt: "Das ist der Grund, war­um Femi­nis­tin­nen heu­te von sexua­li­sier­ter – und nicht sexu­el­ler – Gewalt spre­chen, um deut­lich zu machen, dass Sex zwar die Waf­fe, nicht aber die Moti­va­ti­on bei einer Ver­ge­wal­ti­gung ist." – Die Moti­va­ti­on ist Selbst­er­hö­hung und Macht­de­mons­tra­ti­on. Selbst­be­stä­ti­gung auf nie­ders­te Wei­se, wenn man so will. Ist es daher nur logisch, dass eine Bran­che, in der Men­schen im Mit­tel­punkt ste­hen, die durch­weg nach Bestä­ti­gung suchen, Nähr­bo­den für Rape Cul­tu­re liefert?

deutschrap­me­too: Das ist nicht bran­chen­be­zo­gen, son­dern die Indus­trie oder die gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se, in denen wir leben. Guck dir doch mal die Labels an. Sexis­ti­sche Rap­per wer­den eher gesignt als Künst­ler, die Con­scious Rap machen, weil deren Musik sich bes­ser ver­kauft. Wir kön­nen aber nicht Rap die Schuld geben, son­dern der Indus­trie, in der Rap funk­tio­nie­ren muss. Trotz­dem hat Mit­hu Sanya recht, dass wir von sexua­li­sier­ter Gewalt spre­chen, weil es am Ende nicht um Sex geht und schon gar nicht um Sexua­li­tät. Bei den meis­ten Ver­ge­wal­ti­gun­gen geht es, wie du auch sagst, um Macht. Und die­ses Macht­ge­fäl­le hat nichts mit Rap zu tun. Wenn ein Rap­per aber so immens ins Ram­pen­licht gerückt wird, dann ent­steht die­ses Macht­ge­fäl­le sehr schnell und wird ent­spre­chend aus­ge­nutzt, obwohl das nicht pas­sie­ren darf.

MZEE​.com: Im All­ge­mei­nen bedingt das patri­ar­cha­le Sys­tem, dass nur sehr weni­ge Sexu­al­straf­ta­ten zur Anzei­ge gebracht wer­den, von denen nur 8,4 Pro­zent* zu einer Ver­ur­tei­lung füh­ren. Wo wür­det ihr sys­te­misch anset­zen, um so schwer­wie­gen­de Feh­ler zu verhindern?

deutschrap­me­too: Das ist eine sehr schwie­ri­ge Sache, denn das Urteil fällt immer zuguns­ten der Täter oder der mut­maß­li­chen Täter aus, wenn kei­ne Zeug:innen dabei waren. Aber wie oft gibt es Zeug:innen, wenn sexua­li­sier­te Gewalt aus­ge­führt wird oder es zu einer Ver­ge­wal­ti­gung kommt? Ande­re rechts­kräf­ti­ge Beweis­mit­tel gibt es in der Regel kaum. Das schreckt natür­lich ab. Des­we­gen erst mal vol­les Ver­ständ­nis dafür, dass Anzei­gen nicht erstat­tet wer­den. Gleich­zei­tig ist es aber so, dass sich das Pro­blem eher ändern könn­te, wenn mehr Men­schen ihren Fall zur Anzei­ge brin­gen, um auf­zu­zei­gen, wie oft so etwas pas­siert. Neu­lich haben wir mit einer Juris­tin dar­über gespro­chen: Sie war auch der Mei­nung, dass sol­che Fäl­le von unse­rem Rechts­sys­tem nicht auf­ge­fan­gen wer­den. Momen­tan kommt eine Betrof­fe­ne, die die Kraft auf­bringt, zur Poli­zei zu gehen, in Struk­tu­ren, die selbst mit­un­ter sehr sexis­tisch sind. Sie trifft dort auf Beamt:innen, die in keins­ter Wei­se sen­si­bi­li­siert sind und sofort Vic­tim Bla­ming betrei­ben. Wie oft hat man schon gehört, dass die ers­ten bei­den Fra­gen auf der Poli­zei­sta­ti­on "Was hat­ten Sie an?" und "Haben Sie Alko­hol getrun­ken?" lau­ten? Das affir­miert eine Gesamt­hal­tung gegen­über den Betrof­fe­nen. Das ist auch der Grund dafür, war­um wir das tun, was wir tun: um unab­hän­gig von der Jus­tiz betrof­fe­ne Per­spek­ti­ven und deren Häu­fig­keit sowie Viel­sei­tig­keit auf­zu­zei­gen. Es müss­te zusätz­lich eine staat­li­che Regu­la­ti­on oder im bes­ten Fall eine Extra-​Anlaufstelle nur für Betrof­fe­ne von sexua­li­sier­ter Gewalt geben, wo aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal arbei­tet, das wirk­lich mit die­sen The­men umge­hen kann. Lang­fris­tig wird das – völ­lig unab­hän­gig von juris­ti­schen Fak­ten – dazu­ge­hö­ren müs­sen. Denn wir wis­sen alle: Ein Gericht ist nicht dazu da, um die Wahr­heit her­aus­zu­fin­den, son­dern um juris­ti­sche Fak­ten anein­an­der­zu­rei­hen. Und am Ende gewinnt immer der, der sich den teu­re­ren Anwalt leis­ten kann.

MZEE​.com: Vie­le Opfer möch­ten und kön­nen sich auch gar nicht in die­sem Aus­maß mit dem The­ma befas­sen, wes­halb das Erleb­te oft über Jah­re ver­drängt wird. Zudem kann eine Aus­ein­an­der­set­zung auch zu Retrau­ma­ti­sie­rung füh­ren. Habt ihr Vor­schlä­ge, wie man sich vor­sich­tig an das The­ma her­an­wa­gen kann?

deutschrap­me­too: Erst ein­mal ist es wich­tig, das struk­tu­rel­le Pro­blem zu ver­ste­hen. Dann merkt man, dass es eben kei­ne Ein­zel­fäl­le sind, son­dern eine Rape Cul­tu­re mit sexis­ti­schen und patri­ar­cha­len Struk­tu­ren. Das bringt einen schon mal enorm wei­ter. Es ist außer­dem wich­tig, Sei­ten zu fin­den, auf denen genau die­se The­men auf­ge­drö­selt wer­den. Vor allem am Anfang ist es wich­tig zu hören, dass man nicht schul­dig ist. Erst dann kann man sich damit befas­sen, was sexua­li­sier­te Gewalt über­haupt ist oder was "Kon­sens" bedeu­tet. Das ist genau das, was wir machen: Betrof­fe­nen einen nied­rig­schwel­li­gen Zugang ermög­li­chen. Damit konn­ten wir schon vie­len Betrof­fe­nen hel­fen, die erst durch uns erkannt haben, dass die Scham, die sie spü­ren, nicht sein muss. Dass das, was ihnen pas­siert ist, nichts mit Kon­sens zu tun hat­te. Und vor allem, dass sie kei­ne Schuld tra­gen. Genau des­halb sind wir auch auf Insta­gram: Ein Hil­fe­te­le­fon anzu­ru­fen zum Bei­spiel, ist oft schwie­ri­ger, als ein­fach eine Nach­richt im Chat zu schreiben.

MZEE​.com: Wir haben euch noch ein Zitat von Vanes­sa Vesel­ka mit­ge­bracht: "Unse­re Kul­tur erklärt Mäd­chen von der Wie­ge an, dass Ver­ge­wal­ti­gung das Schlimms­te ist, was ihnen über­haupt pas­sie­ren kann. Wir sagen, es wird ihr Leben zer­stö­ren und ihnen ihre Unschuld rau­ben. Wir sagen Opfern von sexu­el­lem Miss­brauch, dass es nor­mal ist, sich beschmutzt zu füh­len. Wir tun all das, um Frau­en und Mäd­chen vor­zu­be­rei­ten, damit sie nicht allei­ne mit ihren Gefüh­len sind, wenn es ihnen zustößt. Aber sor­gen wir damit nicht gleich­zei­tig dafür, dass sie sich zer­stört füh­len, beschmutzt und ihrer Unschuld beraubt? Inwie­weit rich­ten wir uns dar­auf ab, zusam­men­zu­bre­chen?" – Wie schwie­rig ist die Grat­wan­de­rung zwi­schen end­lich gese­hen und gehört zu wer­den und der Selbst­er­mäch­ti­gung aus der Opfer­rol­le heraus?

deutschrap­me­too: Ich war­ne oft vor die­sem Zir­kel­schluss, dass die Auf­klä­rung dar­über dazu führt, dass ein bestimm­tes Gefühl ent­steht. Ich fin­de das Zitat daher ein wenig schwie­rig, weil es sehr begrenzt ist. Die Sozia­li­sie­rung von Män­nern und Frau­en ist weit­aus kom­ple­xer als nur das. Bevor man uns erzählt, dass eine Ver­ge­wal­ti­gung das ist, was uns rest­los ent­ehrt, wird uns erzählt, dass unse­re Sexua­li­tät für den Mann da ist. Und da fängt es an. Ich fin­de es gene­rell wahn­sin­nig schwie­rig, dass wir stän­dig an Betrof­fe­nen rum­dok­tern. Dass wir denen immer erzäh­len, wie sie sich ver­hal­ten und schüt­zen sol­len, wie sie sich wann füh­len dür­fen, wann sie was sagen dür­fen und so wei­ter. Kein Mensch redet dar­über, dass wir unse­ren Söh­nen bit­te mal bei­brin­gen müs­sen, kei­ne ver­damm­ten Ver­ge­wal­ti­ger zu sein. Da fehlt der päd­ago­gi­sche Ansatz abso­lut und es müss­te viel mehr Auf­klä­rung betrie­ben wer­den. Solan­ge weib­li­che Sexua­li­tät in der Wei­se tabui­siert ist, wie sie es ist, und Rape als das Schlimms­te dar­ge­stellt wird, was einem pas­sie­ren kann, wird das Gan­ze gegen eine Wand ren­nen. Das Zitat impli­ziert auch irgend­wie, dass eine Ver­ge­wal­ti­gung nur schlimm wird, weil man vor­her drü­ber spricht … Und so ist es ein­fach nicht. Das macht so viel mit der Psy­che und der Persönlichkeitsentwicklung.

MZEE​.com: Vor allem in den Köp­fen von Män­nern ist ein Umden­ken wich­tig. Habt ihr Tipps, wie und wo sich unse­re männ­li­chen Leser am bes­ten infor­mie­ren kön­nen, um die­ses Umden­ken voranzutreiben?

deutschrap­me­too: Gera­de befin­den wir uns in einer Zeit des Zuhö­rens. Genau jetzt ist es wich­tig, ver­ste­hen zu wol­len, was Betrof­fe­ne sagen, und dies auch aktiv zu tun. Dabei muss man sich auch immer wie­der selbst Feh­ler ein­ge­ste­hen. Wir sind auch nicht als Femi­nis­tin­nen mit all unse­rem Know-​how gebo­ren. Man muss den Input, den wir gera­de geben, ein­fach in sich auf- und ihn dan­kend anneh­men. Man muss sich ein­ge­ste­hen, dass man selbst nicht unfehl­bar ist – das ist ja auch das, was wir eben mit Feh­ler­kul­tur mein­ten. Und damit mei­nen wir nicht nur die­je­ni­gen, die selbst sexua­li­sier­te Gewalt aus­ge­übt haben. Son­dern auch die­je­ni­gen, die weg­ge­schaut und ihre Freun­de nicht ermahnt haben. Außer­dem muss man schau­en, was für Gedan­ken­gut man bereits inter­na­li­siert hat – wir sind schließ­lich alle in die­sen Struk­tu­ren auf­ge­wach­sen. Rede mit dei­nen Homies, dei­nen Bros, dei­nem Vater und dei­nem Onkel. Du selbst kannst das ansto­ßen und das ist total wich­tig. Gera­de als Mann.

Wir kön­nen uns nicht aus­ma­len, wie es den Initia­to­rin­nen damit gehen muss, jeden Tag aufs Neue gegen all die Wider­stän­de ankämp­fen zu müs­sen. Es muss unvor­stell­bar viel Kraft kos­ten. Und dafür möch­ten wir uns bedan­ken. Die­ser Kampf ist rich­tig und wichtig. 

Falls Ihr selbst betrof­fen seid oder Euch inten­si­ver mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen wollt, haben wir hier eini­ge wei­ter­füh­ren­de Ange­bo­te. Dort könnt Ihr ent­we­der selbst nach Unter­stüt­zung suchen oder Euch mit Betrof­fe­nen solidarisieren.

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WEISSER RING

Frau­en gegen Gewalt

*Quel­le unter die­sem Link

(Yas­mi­na Ross­meisl & Jonas Jansen)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)