Vertrauen spielt in vielen Lebensbereichen von uns allen eine Rolle und macht gleichzeitig einen großen Teil unseres Charakters aus. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, welche Menschen wir wie schnell in unser Leben lassen und an wem wir uns am Ende vielleicht nur die Finger verbrennen. In manchen Fällen setzen wir dabei vielleicht auf die Falschen. Gehen wir dieses Risiko aber ein, lernen wir vielleicht auch die Personen kennen, die schließlich gemeinsam mit uns durchs Leben gehen. 3Plusss ist jemand, der durch seine Musik vielleicht erst mal misstrauisch und unnahbar herüberkommt. In der Vergangenheit thematisierte er bereits mehrfach, wie schwierig es für ihn sei, sich gegenüber neuen Menschen zu öffnen oder das Vertrauen in bereits bestehende Bekanntschaften nicht zu verlieren: "Misstrauen ist ein alter Hut, ich trag' ihn jeden Tag" – diese Zeile aus dem Track "Sicher" fasst die Skepsis von 3Plusss wohl ziemlich gut zusammen, die sich in vieler seiner Werke nur schwer überhören lässt. Uns gegenüber zeigte sich der Essener als sehr offener und reflektierter Gesprächspartner. Wir haben mit ihm unter anderem über seinen ersten Hype und damit verbundene Szenepartys geredet, auf denen er sich damals wie ein Fremdkörper fühlte. Dabei erzählte er uns, wie diese Zeit das Vertrauensverhältnis zu seinen Mitmenschen beeinflusst hat. Außerdem sprachen wir mit ihm über sein Vertrauen in die aktuelle Politik und darüber, warum ihn die Fridays for Future-Bewegung so beeindruckt.
MZEE.com: Das Thema Vertrauen taucht immer wieder in deiner Musik auf. Kannst du dich noch daran erinnern, wann du dich das erste Mal wirklich damit auseinandergesetzt hast?
3Plusss: Ganz ehrlich: Das erste Mal im Zuge meines Kaffees, den ich mir gerade zubereitet habe. (lacht) Ich wollte mir auch vor diesem Interview keine Sachen zurechtlegen. Ich glaube, ich bin bei dem Thema eher intuitiv und denke nicht so viel darüber nach.
MZEE.com: Man sagt, dass das Vertrauen eines Menschen bereits in der frühen Kindheit geprägt wird. Siehst du das genauso?
3Plusss: Ja, dem würde ich zustimmen. In der Kindheit wird einem die Knetmasse für viele Lebensbereiche zur Verfügung gestellt, mit der man später arbeitet. Es ist eine Frage des Charakters, was man am Ende daraus macht. Vielleicht ist mein Verhältnis zu Vertrauen so, wie es ist, weil es durch meine Eltern geprägt wurde. Es gibt viele gute Seiten auf Instagram, die sich genau damit befassen. (lacht) In dem Zusammenhang bin ich zum Beispiel das erste Mal auf den Begriff "Survival Mode" gestoßen. Dadurch wurde mir erst klar, dass ich mich schon mein ganzes Leben lang in genau diesem Modus befinde. Das hat schon fast etwas Animalisches und geht weit in der Zeit zurück. Wenn du dich in einer Gefahrensituation befindest, schüttet dein Körper verschiedene Hormone aus, die dich geistig wach machen. Früher waren das eher Situationen, in denen sich jemand in Lebensgefahr befunden hat. Heutzutage sind das zum Beispiel schwierige soziale Situationen, in denen einem einfach das nötige Vertrauen fehlt.
MZEE.com: Du lässt in deiner Musik immer wieder durchblicken, dass du Probleme damit hast, neue Menschen in dein Leben zu lassen. Uns ist direkt dein Track "Sicher" in den Kopf gekommen. Ist dieser Charakterzug von dir tatsächlich so ausgeprägt?
3Plusss: (überlegt) Ich denke schon, dass ich Schwierigkeiten habe, Menschen zu vertrauen. Heute sehe ich das aber nicht mehr so negativ wie früher. Als der Song "Sicher" entstanden ist, war ich viel in Berlin auf Szenepartys unterwegs: überall freier Eintritt, überall kostenlose Getränke und überall war Olson. (lacht) Ein Jahr vorher hatte ich mit dieser ganzen Szene noch gar nichts zu tun und plötzlich sind alle so furchtbar nett zu mir. An diesem Punkt haben sich vor mir bereits viele Menschen verloren, weil einem so viele Dinge zu Füßen liegen, die man vorher nur aus Zeitschriften kannte. Da ich selbst aber nie wirklich das Bedürfnis hatte, mit anderen zu connecten, bin ich niemandem blind in die Arme gelaufen und wurde am Ende enttäuscht. Diese ganze Industrie ist voll mit Blutsaugern, die selbst gar nicht wissen, dass sie Blutsauger sind. Man kann es ihnen auch gar nicht übel nehmen, weil es sich um Vampire handelt, die am eigenen Handgelenk schlürfen. Unterm Strich habe ich gelernt, dass diese Welt nichts für mich ist. Deshalb ist es erst mal nichts Schlechtes, wenn man von klein auf nicht direkt jedem vertraut.
MZEE.com: Wir sind bei unserer Recherche über ein Zitat von George Washington gestolpert, bei dem wir sofort an dich und deine Musik denken mussten: "Sei höflich zu allen, aber freundschaftlich mit wenigen; und diese wenigen sollen sich bewähren, ehe du ihnen Vertrauen schenkst." – Was muss man tun, um dein Vertrauen zu gewinnen?
3Plusss: Gute Frage, da gibt es wahrscheinlich kein richtiges Rezept für. Man muss nicht die gleichen Ansichten haben wie ich oder mir nach dem Mund reden. Man muss mir in die Augen sehen können und das, was man sagt, aufrichtig meinen. Musik ist da ein gutes Beispiel: Selbst wenn sie mich inhaltlich oder soundtechnisch nicht anspricht, resoniert sie mit mir, wenn ich das Gefühl habe, dass sie aufrichtig ist. Ich bilde mir außerdem ein, dass ich anziehender auf andere Menschen wirke, wenn ich selbst aufrichtig bin.
MZEE.com: Du bist fest im Ruhrgebiet verankert. Den Menschen von dort wird nachgesagt, dass sie sehr direkt sind. Glaubst du, dass diese Gegend insofern einen Einfluss auf dich hatte?
3Plusss: Das kann schon sein. Ich möchte es zwar nicht nur auf meine Herkunft schieben, aber wenn man entsprechend veranlagt ist, ist man im Ruhrgebiet gut aufgehoben. Ich komme aus einem sozial schwachen Stadtteil, in dem man nicht besteht, wenn man nicht aufrichtig ist. Du wirst immer wieder auf verschiedene Arten getestet. Schaffst du es, mit dem komischen Typen an der Ecke Augenkontakt zu halten und zu reden, während fünf andere auf dich zukommen? Solche Situationen geben einem ein gutes Gefühl dafür, wer man sein kann und wer nicht.
MZEE.com: Nehmen wir mal an, jemand ist nach längerer Kennenlernzeit Teil deines engeren Kreises: Was muss passieren, damit du dieser Person nicht mehr vertrauen kannst?
3Plusss: (überlegt) Wahrscheinlich reichen Kleinigkeiten, um mein Vertrauen ins Wanken zu bringen. Es gibt aber auch Menschen, denen man nur phasenweise nahekommt, weil man nach einer gewissen Zeit merkt, dass es zwischenmenschlich nicht passt. Ich würde sagen, dass ich in solchen Situationen etwas feinfühliger bin als andere Menschen und deshalb den Kontakt abbreche. Ein Musikkollege hat mal einem anderen Kollegen eine Idee für einen Track geklaut und die Nummer dann inklusive Video veröffentlicht, ohne uns davon zu erzählen. Wir tauschen uns untereinander oft über die Musik aus und haben eigentlich ein gutes Vertrauensverhältnis. Nach solchen Aktionen ist eine Person für mich aber auf Lebenszeit gecancelt.
MZEE.com: Gehst du in solchen Fällen dem Konflikt aus dem Weg oder sprichst du an, was dich stört?
3Plusss: Die Frage ist für mich immer, ob es noch etwas zu klären gibt. In dem eben genannten Beispiel würde die Person vielleicht ihre Fehler einsehen, das Vertrauen ist aber trotzdem weg. Wenn du bestimmte Dinge bis jetzt nicht gelernt hast, dann wirst du sie wahrscheinlich niemals lernen, und es ist nicht meine Aufgabe, dir alles beizubringen. Mir sind meine persönlichen Beziehungen zu Menschen etwas wert und wenn ich mich scheiße verhalte, dann entschuldige ich mich, bevor die betroffene Person mich darauf anspricht.
MZEE.com: Wenn wir den Spieß umdrehen: Hast du selbst schon mal bewusst das Vertrauen anderer missbraucht oder gebrochen?
3Plusss: Ja. Zu der Zeit, als ich den Track "Sicher" geschrieben habe, war ich einer dieser Menschen, denen man besser nicht vertraut. Ich war nicht der Treueste und habe mich mit Sicherheit auch scheiße gegenüber Freunden verhalten. Damals hatte ich viel zu früh zu viel Hype. Ich war voll von neuen Eindrücken und wusste überhaupt nicht, was ich will und was ich tue. Das war eine echt blöde Zeit, in der ich nicht ganz bei mir war, und ich bin mir sicher, dass ich damals vielen Menschen wehgetan habe.
MZEE.com: Thema Vertrauen und Beruf: Wie schwierig war es für dich zu Beginn, mit einem Label zusammenzuarbeiten?
3Plusss: Am Anfang habe ich das alles nur zum Spaß gemacht. Mit meiner damaligen Managerin hatte ich ein geschwisterliches Verhältnis und ich habe mich auf viele Gespräche nur ihr zuliebe eingelassen. Eigentlich war mir klar, dass wir nirgendwo unterschreiben. Das hatte aber mehr mit Unsicherheit als mit Weitsicht zu tun. 2015 habe ich mich dann an meinen Booker gewandt, weil ich doch mit einem Management zusammenarbeiten wollte. Dadurch habe ich Patrick Thiede kennengelernt, der gerade ganz frisch das Label "Auf!Keinen!Fall!" gegründet hatte. Er ist nicht nur ein super Geschäftsmann, sondern auch ein richtig guter Typ. Dazu muss man aber sagen, dass ich wirklich Glück hatte. So einen wie Patrick Thiede gibt es nicht noch mal. Er arbeitet seit Jahren in diesem Geschäft, ist aber trotzdem Fan geblieben.
MZEE.com: Zu deiner Arbeit als Musiker gehören auch deine Social Media-Kanäle, auf denen du sehr aktiv bist. Inwieweit können Facebook, Instagram und Co. einen blenden, wenn man online neue Bekanntschaften knüpft?
3Plusss: Ganz schön doll! Viele Leute sind während meines Hypes in meine DMs geslidet, weil sie dachten, dass bei mir richtig was geht. Mir hat das früher auf eine unangenehme Art viel bedeutet. Ein Rapper, der 2013 ein wahnsinnig erfolgreiches Album rausgebracht hat, wollte einen Remix zu einem seiner Tracks machen. Er hat mich auf der Goldverleihung eines anderen Rappers angesprochen und gefragt, ob ich nicht auch einen Part beisteuern möchte. Ich bin von dieser Party gegangen und hatte richtig Bock, weil ich diesen Rapper sehr gefeiert habe. Am Ende hat er sich einfach nicht mehr gemeldet und das hat mir wirklich das Herz gebrochen.
MZEE.com: Wie bewertest du die Funktion von Dating-Apps im Zusammenhang mit Vertrauen?
3Plusss: Ich habe kaum Erfahrungen damit gemacht. In schwachen Momenten installiere ich mir Tinder und swipe eine Stunde rum. Ich hatte noch nie ein Date über solche Apps und habe auf nicht mehr als drei Nachrichten geantwortet. Ich wüsste gar nicht, über was ich mich mit meinen Matches unterhalten soll. Mir ist es wichtig, dass ich bereits nach ein paar Sätzen weiß, dass ich eine aufrichtige Person vor mir habe. Dazu muss sie mir nicht ihre komplette Lebensgeschichte erzählen. Ich tendiere vielleicht auch dazu, mich in das Potenzial von Menschen zu verlieben. Oft habe ich einen krassen ersten Eindruck von einer Person und dann kommt da nichts mehr.
MZEE.com: Wir würden gerne auf eine Zeile aus deinem Track "Ab Jetzt" von 2014 eingehen: "Ich seh' keine Frau und denk': 'Die wird mich eh wieder betrügen', will weg von diesen schäbigen Gefühlen. Ich nehm' es in die Hand und tret' es nicht mit Füßen. Die Ex ist Müll, doch ich lass' nicht die Nächste dafür büßen." – Welchen Rat würdest du anderen nach Rückschlägen geben, damit sie es schaffen, neue Menschen in ihr Leben zu lassen?
3Plusss: Diese Zeilen würde ich so heute nicht mehr schreiben. (lacht) Ich weiß genau, wen ich damit meinte und in was für einer Verfassung ich den Song geschrieben habe. Letztes Jahr war ich wieder in genau so einer Situation und dachte eigentlich, dass mir das so nie wieder passieren würde. Ich kann Menschen keine Tipps im Nachhinein geben. Ich kann ihnen nur im Vorfeld raten, sich nicht aktiv auf Partnersuche zu begeben. Man sollte lieber versuchen, mit sich selbst klarzukommen und es in solchen Situationen möglichst unpersönlich zu nehmen. Kein Mensch tut dir weh, um dir wehzutun. Es handelt sich immer um verletzte Menschen, die andere verletzen.
MZEE.com: Besonders über Twitter äußerst du dich immer wieder kritisch über die aktuelle Politik. Würdest du sagen, dass dein Vertrauen in die Politik gebrochen ist?
3Plusss: Zu Hause habe ich keine wirkliche politische Sozialisation mitbekommen. Ich habe erst in den letzten Jahren angefangen, mich mit Politik auseinanderzusetzen und einen guten Zeitpunkt erwischt, um einzusteigen, weil viele Dinge noch nie so klar ersichtlich waren. Deshalb würde ich nicht sagen, dass mein Vertrauen gebrochen ist, weil es nie wirklich da war. Ich glaube, dass sich die Politik immer mehr von den Menschen entfernt, für die sie eigentlich da sein sollte. Wenn man sich Bundestagsdebatten anschaut, ist es heute noch so, dass Menschen in unfassbar komplizierter Sprache simpelste Sachverhalte darstellen. Ich finde es schwierig, zu sagen, dass die da oben es schon richten werden, weil viele von denen nur ihre persönlichen Ziele verfolgen. Aufrichtigkeit spielt dabei keine große Rolle. Am Ende sitzen Politiker an der Spitze, die mit ihren Wählern nicht mehr viel gemein haben.
MZEE.com: Glaubst du, dass die aktuelle Krise dazu beiträgt, dass die Leute das ganze System mehr hinterfragen als vorher?
3Plusss: (lacht) Ja, in alle Richtungen. Wollt ihr jetzt gerade auf die Corona-Leugner und die Impfgegner hinaus?
MZEE.com: Ja, zum Beispiel. Anders formuliert: Inwieweit ist die Pandemie ein Nährboden für Verschwörungstheorien?
3Plusss: Jedes große Event ist mittlerweile den Menschen recht, um sich schlauer als andere zu fühlen. Diejenigen wollen sich nicht mit der Realität auseinandersetzen, weil sie viel zu trist und langweilig ist. Heutzutage braucht man keine guten Argumente mehr, sondern bezieht sich auf etwas, das irgendjemand im Internet geschrieben hat. Mit solchen Leuten braucht man nicht zu reden, weil sie immer glauben, was sie glauben wollen. Es geht dabei nicht um Fakten, sondern darum, wie gut du diskutieren kannst. Jemand schreibt bei Facebook einen guten Kommentar und lässt sich dann auf eine Unterhaltung ein, in der die Person unsouverän wird.
MZEE.com: Zu guter Letzt würden wir gerne wissen, was passieren müsste, damit du Politikern und ihrer Arbeit vertrauen kannst.
3Plusss: Ich glaube nicht, dass sich unser politisches System reformieren lässt. Es reicht nicht, jemand anderen zu wählen, damit alles besser wird. Ich habe zwar keine konkrete Lösung, tendiere aber zu einem Komplettabriss. Bei Fridays for Future hatte ich ein bisschen das Gefühl, dass sich etwas ändern könnte. Ich habe vorher noch nie von einer Bewegung mitbekommen, wegen der jede Woche so viele Menschen aller Generationen auf die Straße gegangen sind. Die Klimafrage ist für mich auch eine Systemfrage. Deshalb finde ich es richtig spannend, wie sich das auf eine softe Art immer weiter radikalisiert. Unterm Strich glaube ich aber nicht daran, dass sich nach der nächsten Bundestagswahl groß etwas ändern wird. Ein aktuelles Negativbeispiel ist der Umgang mit der Kulturbranche, die lautstark auf sich aufmerksam macht, weil sie gerade stirbt. Da geht ein ganzes Stück Kultur flöten und es juckt keinen. Die Menschen in der Politik müssen denjenigen zuhören, die Probleme haben, um einen anderen Blickwinkel auf Themen zu bekommen, mit denen sie selbst keine Berührungspunkte haben.
(Moritz Friedenberg & Malin Teegen)
(Fotos von Lukas Richter)