"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Edgar Wasser-Fan zu sein, ist eine kräftezehrende Beschäftigung. Denn seit seinem letzten und einzigen Album, der "Tourette-Syndrom EP", kamen gerade mal acht eigene Songs des Münchners. Und die Platte ist bereits sechs Jahre alt. Aber das Album ist für mich nicht nur aufgrund der reinen Abstinenz von Musik des Rappers besonders, sondern auch, weil es das ausproduzierteste und rundeste Werk seiner Karriere ist.
In bekannter Balance zwischen Ironie und seinem unverkennbar genialen, zynischen Humor versteckt Edgar Wasser seine Messages mal subtil, mal lustig oder mal verstörend. Auf "Bad Boy", einem Track über Frauen im Rap, fallen Lines wie "Lebt damit, dass ihr die Objekte und nicht die Künstler seid!". Das wirkt zwar zuerst plump sexistisch, aber der Rapper und seine Art sind so extrem übertrieben, dass er damit eine zweite Ebene kreiert und so die Probleme der Szene offenlegt. Ganz so offensichtlich ist es allerdings nicht immer. "Faust" ist beispielsweise ein enorm komplexer und selbstkritischer Song über den Missbrauch von Wörtern wie "behindert" als Beleidigung, dessen ganze Message erst nach mehrmaligem Hören klar wird und für HipHop-Deutschland Pflicht sein sollte. Das Highlight ist für mich aber das "Outro (04.09.13)". Für Fans sind die Songs seiner Karriere, die ein Datum im Titel tragen, eine absolute Besonderheit: Sie sind frei von der oft alles überdeckenden Ironie und gewähren einen seltenen, gnadenlos ehrlichen Einblick in seine Person. Schließlich gibt der Rapper ansonsten nichts über sich preis und bleibt seit jeher ein totales Mysterium.
Ein Release von Edgar Wasser ist immer etwas Besonderes. Doch auf dem Album hat er noch mal einen draufgelegt, alle Stärken vereint und mir damit das gegeben, was ich wollte. Hört man das Outro, wird klar, dass genau das problematisch für ihn war: Damals war er "lost", steckte in einer Krise zwischen Erwartungen der Fans und künstlerischer Weiterentwicklung. So bleibt es vorerst sein einziges Album – aber hey, bei Edgar weiß man nie.
(Jakob Zimmermann)