Es ist kalt, es ist grau, es gibt immer noch Corona. Die ideale Zeit also, um Tag für Tag bei unserem Adventskalender mitzufiebern. Wieder werfen wir einen Blick zurück auf die letzten 24 Jahre: Welche Meilensteine gab es? Welche Momente sorgten dafür, dass deutscher Rap einflussreicher wurde denn je? Weil uns Alben zu einfach sind (und wir sie schon hatten, siehe hier), haben wir uns dieses Jahr drangemacht und den jeweils einen Track gesucht, der die Szene über sein Erscheinungsjahr hinaus entscheidend geprägt hat. Jeden Tag stellen wir Euch somit – angefangen 1997 – einen Song vor, der entweder durch seinen Sound, seinen Inhalt oder seine Form unserem Lieblingsgenre seinen Stempel aufgedrückt hat.
2013: Haftbefehl – Chabos wissen wer der Babo ist
Muck bloß nicht uff hier, du Rudi.
Nix mit Hollywood, Frankfurt, Brudi.
Kennst du das, wenn du einen Track hörst und dir denkst: "Was bitte war das?!" Genauso ging es mir beim ersten Mal, als ich "Chabos wissen wer der Babo ist" von Haftbefehl gehört habe. Und das ist ganz und gar nicht negativ gemeint – ich wollte den Track immer und immer wieder hören.
Eingeleitet wird er mit einem Instrumental von Farhot, das man in den ersten drei Sekunden direkt zuordnen kann. Ganz nach heute bekannter Manier des Produzenten schaffte der Hamburger einen Beat, den ich als Meisterwerk interkultureller Einflüsse bezeichnen würde – irgendwo zwischen brachialen, Boom bap-lastigen und orientalischen Klängen. Und genau dieser Sound ist es, der gepaart mit Haftbefehls Wortwahl den Grundstein für ein Monument gelegt hat. Die Aneinanderreihung von Worten ergab wahrscheinlich für viele erst mal keinen Sinn. Auch wenn im Text selbst überregional bekannte Streetfighter- und Kampfsportreferenzen auftauchen, bin ich mir ziemlich sicher, dass man beim ersten Hören nicht alles sofort verstanden hat, geschweige denn es zuordnen konnte. Haftbefehl nutzt nämlich für seinen Track Worte, Ausdrücke und Situationen, die einem nur bekannt vorkommen, wenn man aus einem ähnlichen Umfeld wie er kommt, sich dort bewegt oder die Sprache spricht, die er spricht. Was der Offenbacher mit kurdischen Wurzeln gemacht hat, war kein Track mit sinnlosem Inhalt, auch wenn manche das wahrscheinlich erst dachten. Es ist Gangster-Rap – aber neu, auf eine eigene Art und Weise. Und diesen Stil und die eigene Sprache zieht er konsequent durch.
Inzwischen kennen mehr junge Menschen die Worte, die im Track verwendet werden und nehmen diese in ihren Sprachgebrauch auf. So hat Haftbefehl durch "Chabos wissen wer der Babo ist" nicht nur nachhaltig die deutsche Rap-Szene beeinflusst, sondern auch die Jugendkultur und Sprache.
(Laila Drewes)
(Grafik von Daniel Fersch)